Gesetz- und Verordnungsblatt (GV. NRW.)
Ausgabe 2009 Nr. 29 vom 24.11.2009 Seite 569 bis 580

Verordnung zur Umsetzung des Maßregelvollzugsgesetzes (VO MRVG)
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Verordnung zur Umsetzung des Maßregelvollzugsgesetzes (VO MRVG)

2128

Verordnung
zur Umsetzung des Maßregelvollzugsgesetzes
(VO MRVG)

 

Vom 12. Oktober 2009

 

Aufgrund des § 33 Satz 1 des Maßregelvollzugsgesetzes vom 15. Juni 1999 (GV. NRW. S. 402), zuletzt geändert durch Artikel VI des Gesetzes vom 5. April 2005 (GV. NRW. S. 408), wird im Einvernehmen mit dem Justizministerium nach Anhörung des fachlich zuständigen Ausschusses des Landtages zur Regelung von Zuständigkeiten (Teil 1) und zur Durchführung des Maßregelvollzugsgesetzes (Teil 2)

sowie aufgrund des § 23 des Maßregelvollzugsgesetz, mit Zustimmung des fachlich zuständigen Ausschusses des Landtages, über die Sicherheitsfachkräfte (Teil 3)

verordnet:

 

Teil 1

Regelung von Zuständigkeiten

 

§ 1
Auswahl Dritter

Die Auswahl Dritter nach § 29 Absatz 2 Satz 1 Maßregelvollzugsgesetz, die Festlegung von Standards im Maßregelvollzug und die Standortentscheidungen trifft das für das Gesundheitswesen zuständige Ministerium.

 

§ 2
Die/der Landesbeauftragte für den Maßregelvollzug

Die oder der Landesbeauftragte für den Maßregelvollzug ist zuständige Behörde für alle Aufgaben des Maßregelvollzugs, die nicht ausdrücklich anderen Behörden übertragen sind.

 

Teil 2

Durchführungsregelungen

 

§ 3
Ausstattung der Einrichtung

(1) Die Einrichtung hat mindestens Aufenthalts-, Besuchs-, Behandlungs- und Wohnräume getrennt voneinander vorzuhalten. Stationen sind nach Möglichkeit in Wohngruppen zu unterteilen. Wohnräume sollen mit vollständiger Nasszelle, mindestens aber mit Waschbecken ausgestattet sein; in jedem Falle sind ihnen Toiletten und Duschräume zuzuordnen. Wohnräume sollen der Nutzung durch bis zu drei Personen dienen. Nachteinschluss ist nur bei einer Nutzung durch bis zu zwei Personen zulässig. In den Wohnräumen müssen geeignete Aufbewahrungsmöglichkeiten für die Gegenstände der Patientinnen und Patienten im Sinne des § 7 Absatz 1 und 3 Maßregelvollzugsgesetz vorhanden sein. Die Ausstattung der Wohnräume soll sich an den individuellen Behandlungs- und Sicherheitserfordernissen innerhalb einer Klinik orientieren und sich in diesem Rahmen möglichst den allgemeinen Lebensverhältnissen außerhalb des Maßregelvollzuges anpassen.

 

(2) Behandlungsstätten sind nach Funktionen für Gruppen- und Einzeltherapie sowie nach besonderen Aufgabenstellungen zu gliedern. Die zur ärztlichen und psychotherapeutischen Untersuchung und Behandlung der Patientinnen und Patienten sowie zur Lebens- und Freizeitgestaltung erforderlichen Räume und Geräte sind vorzuhalten.

 

(3) Räume für stationsübergreifende Therapien sowie für interkurrente Behandlungen und Schulunterricht sollen im gesicherten Bereich der Maßregelvollzugseinrichtung liegen.

 

(4) Die Sicherheitsvorkehrungen haben den Anforderungen der besonders gesicherten, der geschlossenen und der gelockerten Unterbringung zu genügen.

 

§ 4
Unterrichtung der Patientin und des Patienten

(1) Rechte und Pflichten der Patientin und des Patienten nach §§ 5 bis 18, 20 bis 22, 25 und 26 Maßregelvollzugsgesetz sowie nach den Bestimmungen dieser Verordnung sind in der Hausordnung oder in einer besonderen Informationsschrift in leicht verständlicher Form wiederzugeben, die der Patientin und dem Patienten bei der Aufnahme auszuhändigen ist.

 

(2) Die mündliche Unterrichtung führt die Aufnahmeärztin oder der -arzt oder die Aufnahmepsychotherapeutin oder der -psychotherapeut durch. Soweit die Unterrichtung jedoch aufgrund des akuten Krankheitszustandes nicht möglich ist, erfolgt sie später auf der Station zum frühestmöglichen Zeitpunkt. Die Aufnahmeärztin oder der -arzt oder die Aufnahmepsychotherapeutin oder der -psychotherapeut veranlasst auch die unverzügliche Benachrichtigung einer Vertrauensperson der Patientin und des Patienten über die Aufnahme.

 

(3) Schriftliche und mündliche Unterrichtung haben sich auf Rechtsmittel und Rechtsbehelfe gegen Maßnahmen der Maßregelvollzugsbehörden zu erstrecken. Auf die Möglichkeit, sich an die jeweiligen Beschwerdestellen der Träger, an den Petitionsausschuss des Landtages zu wenden sowie Dienstaufsichtsbeschwerde zu erheben, ist in gleicher Form hinzuweisen.

 

(4) Die schriftliche und mündliche Unterrichtung sind zu dokumentieren.

 

§ 5
Schriftwechsel, Pakete, Zeitungen

(1) Kontrollen von Schriftwechsel, Telegrammen, Paketen, Päckchen, Zeitungen und Zeitschriften sind von der therapeutischen Leitung anzuordnen. Die mit der Durchführung beauftragte Fachkraft hat die übrigen an der Behandlung der Patientin und des Patienten beteiligten Fachkräfte und die Leitung der Einrichtung über Erkenntnisse aus der Kontrolle zu unterrichten, soweit dies für die Behandlung oder aus Gründen des geordneten Zusammenlebens in der Einrichtung oder des Schutzes der Allgemeinheit zwingend geboten ist. Soweit dies notwendig ist, um Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten zu verhüten oder zu verfolgen, dürfen Erkenntnisse aus der Kontrolle den Behörden mitgeteilt werden, die für die Wahrnehmung dieser Aufgaben zuständig sind.

 

(2) Vor jedem Eingriff nach § 8 Absatz 2 Maßregelvollzugsgesetz ist die Notwendigkeit zu prüfen; er ist inhaltlich und zeitlich auf das geringst mögliche Maß zu beschränken und mit der Patientin und dem Patienten zu erörtern. Sie sind gleichzeitig auf die ihnen möglichen Rechtsbehelfe hinzuweisen.

 

(3) An die Patientin oder den Patienten gerichtete angehaltene Schreiben, Telegramme, Pakete und Päckchen sind dem Absender zurückzugeben, sofern sie nicht Aufforderungen zur Begehung von Straftaten oder Ausbruchswerkzeug enthalten. Periodische Zeitungen und Zeitschriften dürfen nach Ablauf von 6 Wochen vernichtet werden, sofern der Grund des Anhaltens zu diesem Zeitpunkt noch besteht.

 

§ 6
Besuche, Telefongespräche

(1) Besuchszeiten sind in ausreichendem Maße anzubieten – insbesondere in den Nachmittags – als auch in den frühen Abendstunden und am Wochenende. Die Therapie darf nicht behindert werden.

 

(2) Soweit nicht Gründe der Therapie, des geordneten Zusammenlebens und der Sicherheit dagegen sprechen, sollen öffentliche Fernsprecher auf den Stationen aufgestellt werden. Zeiten für Telefongespräche sind mindestens innerhalb der üblichen Geschäftszeiten und in den frühen Abendstunden täglich vorzusehen.

 

(3) Muss ein Besuch oder ein Telefongespräch überwacht werden, darf hierdurch der Besuch oder das Telefongespräch nicht vereitelt werden. § 5 Absatz 1 und 2 ist entsprechend anzuwenden.

 

§ 7
Religionsausübung

(1) Zwingende Gründe für einen Ausschluss nach § 13 Absatz 3 Maßregelvollzugsgesetz sind insbesondere in der die Unterbringung erfordernden Erkrankung liegende Gründe, konkreter Fluchtverdacht oder die Gefahr einer erheblichen Störung der Veranstaltung.

 

(2) Der Ausschluss soll auf eine Veranstaltung beschränkt werden. § 5 Absatz 2 gilt entsprechend.

 

§ 8
Verwendung des Überbrückungsgeldes

(1) Das Überbrückungsgeld kann bereits vor der Entlassung für die notwendige Ausstattung einer Wohnung und Zahlung einer Mietkaution in Anspruch genommen werden.

 

(2) Sofern die Voraussetzungen des § 1 Absatz 3 Maßregelvollzugsgesetz erfüllt sind, kann das Überbrückungsgeld bei der Entlassung auch einem Bewährungshelfer oder einer anderen mit der Betreuung befassten Stelle ausgezahlt werden. Diese sind zu verpflichten, das Geld von ihrem eigenen Vermögen gesondert zu halten.

 

§ 9
Besondere Sicherungsmaßnahmen

(1) Maßnahmen nach § 21 Maßregelvollzugsgesetz sind nur zulässig, wenn die in dem Gesetz vorgesehenen Einschränkungen nicht ausreichen, das geordnete Zusammenleben in der Einrichtung sicherzustellen. Mehrere Maßnahmen dürfen gleichzeitig angeordnet werden, wenn die Gefahr anders nicht abgewendet werden kann.

 

(2) Zuständig ist die therapeutische Leitung der Einrichtung, soweit die Mitwirkung des Trägers nicht vorgeschrieben ist (§ 21 Absatz 2 Satz 2 Maßregelvollzugsgesetz) oder er sich die Entscheidung nicht allgemein oder im Einzelfall vorbehalten hat.

 

Teil 3

Sicherheitsfachkräfte

 

§ 10
Sicherheit im Maßregelvollzug

Die Sicherheit im Maßregelvollzug wird durch das Verhalten des Personals, durch organisatorische sowie sicherheitstechnische Maßnahmen und Vorrichtungen bestimmt. Krankenversorgung und gesicherte Unterbringung verlangen ausgewogene, abgestimmte Sicherheitsvorschriften, deren laufende Kontrolle und die Überwachung von Sicherheitseinrichtungen und -maßnahmen.

 

§ 11
Sicherheitsfachkräfte

(1) In jeder Einrichtung des Maßregelvollzugs bestellt die Leitung im Einvernehmen mit dem Träger und im Benehmen mit der Arbeitnehmervertretung für die Dauer von vier Jahren schriftlich mindestens eine Sicherheitsfachkraft und deren Vertretung. Wiederbestellungen sind möglich. Voraussetzung für die Bestellung ist die Ausbildung als staatlich examinierte Pflegekraft mit Zusatzausbildung in psychiatrisch-forensischer Fachpflege oder eine mindestens vergleichbare Ausbildung sowie eine mindestens fünfjährige forensisch-psychiatrische Berufserfahrung. Darüber hinaus können Sicherheitskommissionen für mehrere Einrichtungen beratend tätig werden.

 

(2) Die Leitung der Einrichtung hat die Sicherheitsfachkraft bei der Erfüllung ihrer Aufgaben zu unterstützen, insbesondere die notwendigen Räume und Sachmittel zur Verfügung zu stellen. Soweit es zur ordnungsgemäßen Durchführung ihrer Aufgaben erforderlich ist, ist die Sicherheitsfachkraft von ihrer übrigen dienstlichen Tätigkeit freizustellen. Die Freistellung soll keine Minderung der Bezüge oder des Arbeitsentgelts zur Folge haben und darf nicht zu einer Beeinträchtigung des beruflichen Werdegangs führen.

 

(3) Sicherheitsfachkräfte, Leitung der Einrichtung, therapeutische Leitung und Träger arbeiten eng und vertrauensvoll zusammen. Die Sicherheitsfachkräfte nehmen die ihnen übertragenen Aufgaben unabhängig und weisungsfrei wahr und dürfen wegen der Erfüllung dieser Aufgaben nicht benachteiligt werden.

 

§ 12
Aufgaben und Befugnisse

(1) Die Sicherheitsfachkräfte unterstützen und beraten die therapeutische Leitung, die Leitung der Einrichtung und den Träger in allen sicherheitsrelevanten Fragen. Sie sind daher an allen sicherheitsrelevanten Entscheidungen durch frühzeitige umfassende Unterrichtung und Anhörung zu beteiligen. Ihnen sind die erforderlichen Unterlagen vorzulegen.

 

(2) Die Sicherheitsfachkräfte prüfen regelmäßig die sicherheitsrelevanten Vorrichtungen und Maßnahmen. Sie führen Begehungen durch und können hierzu mit Genehmigung des Trägers weitere sachkundige Personen auch von außerhalb der Einrichtung hinzuziehen. Die Begehungen sind zu dokumentieren. Festgestellte Mängel haben sie unverzüglich der therapeutischen Leitung und der Leitung der Einrichtung, in Fällen besonderer Bedeutung auch dem Träger mitzuteilen.

 

(3) Die Sicherheitsfachkräfte sollen über Sicherheitsmaßnahmen der Leitung der Einrichtung unverzüglich unterrichtet werden. Die Leitung der Einrichtung achtet darauf, dass alle Beschäftigten mit den Sicherheitsvorschriften und -standards vertraut gemacht werden.

 

(4) Die Aufgaben und Rechte der auf Grund anderer Rechtsvorschriften insbesondere des Arbeitsschutzes zu bestellenden Sicherheitsfachkräfte oder Sicherheitsbeauftragten bleiben unberührt.

 

(5) Die Sicherheitsfachkräfte erstellen jährlich einen Tätigkeitsbericht auf der Grundlage der Begehungsprotokolle, der über die Leitung der Einrichtung und den Träger der oder dem Landesbeauftragten für den Maßregelvollzug vorzulegen ist.

 

§ 13
Informationsrechte

(1) Die Sicherheitsfachkräfte holen zur Erfüllung ihrer Aufgaben Informationen von den örtlichen Polizeibehörden, den zur Einrichtung nächstgelegenen Justizvollzugsanstalten und von Sicherheitsfachkräften anderer Einrichtungen ein und tauschen sich mit diesen aus.

 

(2) Die oder der Landesbeauftragte für den Maßregelvollzug führt Arbeitstagungen für Sicherheitsfachkräfte durch. Die Sicherheitsfachkräfte nehmen daran teil und informieren die Leitung der Einrichtung über das Ergebnis.

 

§ 14
Fortbildung

(1) Die Aufgaben der Sicherheitsfachkräfte erfordern eine regelmäßige Fortbildung. Für die Zeit der Fortbildung sind die Sicherheitsfachkräfte unter Fortzahlung der Bezüge oder des Arbeitsentgelts freizustellen.

 

(2) Der Träger der Einrichtung trägt die durch die Teilnahme der Sicherheitsfachkräfte an einer Schulungs- und Bildungsveranstaltung entstehenden notwendigen Kosten. Diese sind bei der Aufstellung der Budgets berücksichtigungsfähig.

 

§ 15
Abberufung

Aus wichtigem Grund kann eine Sicherheitsfachkraft jederzeit abberufen werden. Bei einer Abberufung aus wichtigem Grund ist der oder die Landesbeauftragte für den Maßregelvollzug zu unterrichten. Die Rechte der Arbeitnehmervertretung sind zu beachten.

 

§ 16
Allgemeinpsychiatrische Einrichtungen

Die §§ 10 bis 15 gelten nicht für allgemeinpsychiatrische Einrichtungen, in denen Patientinnen und Patienten nach dem Maßregelvollzugsgesetz untergebracht sind.

 

Teil 4

Schlussbestimmungen

 

§ 17
Inkrafttreten
Außerkrafttreten
Berichtspflicht

(1) Die Verordnung tritt am Tag nach der Verkündung in Kraft.

 

(2) Gleichzeitig treten die Verordnung zur Regelung von Zuständigkeiten nach dem Maßregelvollzugsgesetz vom 23. Dezember 2001 (GV. NRW. 2002 S. 22), die Durchführungsverordnung zum Maßregelvollzugsgesetz NRW vom 5. Dezember 2008 (GV. NRW. S. 834) und die Verordnung über Sicherheitsfachkräfte nach dem Maßregelvollzugsgesetz vom 28. November 2000 (GV. NRW. S. 702) außer Kraft.

 

(3) Über die Erfahrung mit dieser Verordnung ist der Landesregierung bis zum 31. Dezember 2015 und danach alle fünf Jahre zu berichten.

 

Düsseldorf, den 12. Oktober 2009

 

 

Der Minister
für Arbeit, Gesundheit und Soziales
des Landes Nordrhein-Westfalen

Karl-Josef  L a u m a n n

 

GV. NRW. 2009 S. 577