Ministerialblatt (MBl. NRW.)
Ausgabe 2022 Nr. 35 vom 20.10.2022 Seite 807 bis 816

Änderung der Weiterbildungsordnung der Psychotherapeutenkammer NRW
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Änderung der Weiterbildungsordnung der Psychotherapeutenkammer NRW

21222

Änderung der
Weiterbildungsordnung der
Psychotherapeutenkammer NRW

Vom 21. Mai 2022

Die Kammerversammlung der Psychotherapeutenkammer Nordrhein-Westfalen hat in ihrer Sitzung am 21. Mai 2022 aufgrund § 36 Absatz 8 des Heilberufsgesetzes vom 9. Mai 2000 (GV. NRW. S. 403), das zuletzt durch Gesetz vom 25. März 2022 (GV. NRW. S. 416) und Gesetz vom 25. März 2022 (GV. NRW. S. 417) geändert worden ist, eine Änderung der Weiterbildungsordnung der Psychotherapeutenkammer NRW vom 16. Dezember 2006 (MBl. NRW. 2007 S. 406), die zuletzt durch Beschluss vom 31. Oktober 2020 (MBl. NRW. 2021 S. 90), geändert worden ist, beschlossen:

Artikel I

Die Weiterbildungsordnung der Psychotherapeutenkammer NRW vom 16. Dezember 2006 (MBl. NRW. 2007 S. 406), zuletzt geändert durch Beschluss vom 31. Oktober 2020 (MBl. NRW. 2021 S. 90), wird wie folgt geändert:

1. Die Überschrift der Weiterbildungsordnung der Psychotherapeutenkammer NRW wird wie folgt gefasst:„Weiterbildungsordnung für Psychologische Psychotherapeutinnen und Psychologische Psychotherapeuten sowie Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutinnen und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten der Psychotherapeutenkammer Nordrhein-Westfalen (WBO PP/KJP)“.

2. Abschnitt A wird wie folgt geändert:
a) In § 1 wird nach Absatz 4 folgender Absatz 5 angefügt:
„(5) In dieser Weiterbildungsordnung werden die Begriffe Psychotherapeutin und Psychotherapeut ausschließlich als Oberbegriffe für Psychologische Psychotherapeutinnen und Psychologische Psychotherapeuten sowie Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutinnen und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten verwendet, es sei denn, etwas anderes ist ausdrücklich bestimmt.“.
b) In § 2 Absatz 2 Nummer 2.1 werden die Wörter „zeitlich nach Inkrafttreten des PsychThG“ durch die Wörter „nach dem 1. Januar 1999“ ersetzt.
c) In § 6 wird in Absatz 2 das Wort „PsychThG“ durch die Wörter „des Psychotherapeutengesetzes vom 16. Juni 1998 (BGBl. I S. 1311) in der bis zum 31. August 2020 geltenden Fassung“ und in Absatz 4 das Wort „Kammermitglieder“ durch die Wörter „Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten“ ersetzt.
d) In § 15 werden in Absatz 1 das Wort „Kammermitglieder“ und in Absatz 4 das Wort „Kammerangehörigen“ jeweils durch die Wörter „Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten“ ersetzt.
e) In § 16 Absatz 1 wird das Wort „Kammermitglieder“ durch die Wörter „Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten“ ersetzt.

Artikel II

In „Abschnitt B: Bereiche“ der Weiterbildungsordnung der Psychotherapeutenkammer NRW vom 16. Dezember 2006 (MBl. NRW. 2007 S. 406), die zuletzt durch Beschluss der Kammerversammlung vom 31. Oktober 2020 (MBl. NRW. 2021 S. 90) geändert worden ist, wird nach dem Unterabschnitt „III. Gesprächspsychotherapie“ folgender Unterabschnitt angefügt:

„IV. Sozialmedizin

1. Definition

Die Zusatzweiterbildung Sozialmedizin umfasst die Bewertung von Art und Umfang gesundheitlicher Störungen im Zusammenhang mit psychischen Erkrankungen und deren Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit und die Teilhabe an Lebensbereichen unter Berücksichtigung der Wechselwirkungen zwischen Krankheit, Gesundheit, Individuum und Gesellschaft sowie deren Einordnung in die Rahmenbedingungen der sozialen Sicherungssysteme und die diesbezügliche Beratung der Sozialleistungsträger.

2. Weiterbildungsziel

Ziel der Weiterbildung ist das Erlangen der Berechtigung zum Führen der Zusatzbezeichnung „Sozialmedizin“ nach Ableistung der vorgeschriebenen Weiterbildungszeiten und Weiterbildungsinhalte sowie nach Bestehen der vorgeschriebenen Prüfung. Die Weiterbildung soll Kenntnisse übergreifender Inhalte der Sozialmedizin, der sozialen Sicherungssysteme und Versorgungsstrukturen, der Gesundheitsförderung, Prävention und Rehabilitation, der arbeitsmedizinischen und -psychologischen Grundlagen und der Beurteilungskriterien bei ausgewählten Krankheitsgruppen vermitteln sowie Kompetenzen zu deren Anwendung in psychotherapeutischen Stellungnahmen und Gutachten.

3. Bestandteile der Weiterbildung und Weiterbildungszeit

Die Weiterbildung erstreckt sich über einen Zeitraum von mindestens 18 Monaten und

umfasst folgende Bestandteile:

• mindestens 320 Stunden theoretische Weiterbildung

• mindestens 18 Stunden Supervision

• mindestens 60 Leistungspunkte aus Begutachtungen zu sozialmedizinischen Fragestellungen

• mindestens 6 Begehungen von Einrichtungen

• eine eintägige Teilnahme an öffentlichen Sitzungen beim Sozialgericht oder Landessozialgericht

4. Weiterbildungsinhalte

4.1 Theoretische Weiterbildung

4.1.1 Übergreifende Inhalte der Zusatzweiterbildung Sozialmedizin

• ethische und juristische Aspekte für die Tätigkeit als Sachverständige

• Begriffsbestimmung und Konzepte der Sozial- und Rehabilitationsmedizin einschließlich der Behindertenrechtskonvention der UN

• Begriffsdefinitionen und Abgrenzung der Gesundheitsstrategien Prävention, Kuration, Rehabilitation und Pflege

4.1.2 Soziale Sicherungssysteme und Versorgungsstrukturen

• Prinzipien des Gesundheits- und Sozialsystems und deren Interaktion

• Epidemiologie, Dokumentation, Statistik und Gesundheitsberichterstattung

• Sozialleistungsträger und ihre Aufgaben und Schnittstellen gemäß Sozialgesetzbuch

• Strukturen und Aufgaben privater Versicherungen zur sozialen Absicherung

4.1.3 Gesundheitsförderung, Prävention und Rehabilitation

• Leistungsarten und Leistungsformen einschließlich Modelle der Prävention und Gesundheitsförderung

• Organisationen und Institutionen in der Rehabilitation einschließlich Einrichtungen der medizinischen, beruflichen und sozialen Rehabilitation

• Theoriemodelle der Rehabilitation und Grundlagen der internationalen Richtlinien und Empfehlungen zu Behinderung und Rehabilitation

4.1.4 Arbeitsmedizinische und arbeitspsychologische Grundlagen

• Grundlagen und Aufgaben der Arbeitsmedizin und Arbeitspsychologie

• Berufskrankheiten und arbeitsbedingte Erkrankungen und Gefährdungen

• Anforderungsprofile häufiger beruflicher Tätigkeiten

4.1.5 Sozialmedizinische Begutachtung

• Grundlagen sozialmedizinischer Begutachtung unter Berücksichtigung relevanter leistungsrechtlicher Begriffe und Vorgaben

• trägerspezifische und trägerübergreifende Begutachtung

• Unterscheidung kausaler und finaler Gutachten

• rechtliche Vorgaben bei der Erstellung von Gutachten insbesondere zum Datenschutz, Haftungsrecht, Mitwirkung des Versicherten, Aufbau und Zuständigkeit in der Sozialgerichtsbarkeit

4.1.6 Beurteilungskriterien bei ausgewählten Krankheitsgruppen

• relevante diagnostische Verfahren für die Leistungsbeurteilung bei ausgewählten Krankheitsgruppen

4.2 Praktische Weiterbildung

Die praktische Weiterbildung an einer Weiterbildungsstätte dauert mindestens 18 Monate und erfolgt unter Supervision. 

Ziele der praktischen Weiterbildung sind

• die Anwendung des biopsychosozialen Modells der WHO bei der Beurteilung von Funktionsfähigkeit unter Berücksichtigung von Kontextfaktoren sowie Erstellung von Funktionsdiagnosen

• die Anwendung des trägerübergreifenden Teilhabebegriffs und Steuerung von trägerspezifischen und trägerübergreifenden Teilhabeleistungen

• die Anwendung der gesetzlichen Vorschriften und leistungsrechtlichen Begriffe im gegliederten System der sozialen Sicherung

• die Beratung von Leistungsgewandelten im Zusammenhang mit ihrer beruflichen Tätigkeit

• Begutachtungen zu sozialmedizinischen Fragestellungen für Sozialleistungsträger sowie für Privatversicherungen im Zusammenhang mit Fragestellungen aus dem jeweiligen Rechtsgebiet, z. B. zur Arbeitsunfähigkeit, zum erwerbsbezogenen Leistungsvermögen, zu Teilhabeleistungen, oder eine Zusammenhangsbeurteilung einer oder mehrerer potenzieller Ursachen mit einer Gesundheitsstörung (Kausalitätsbeurteilung)

• fallbezogenes Schnittstellenmanagement bei Zuständigkeitswechsel des Sozialleistungsträgers

• die Beurteilung der psychischen Funktionsfähigkeit einschließlich Beratung von Versicherten und Leistungsträgern

Es sind durch Begehung von 6 Einrichtungen sozialmedizinische Aspekte kennenzulernen, darunter mindestens zwei Rehabilitationseinrichtungen. Weitere mögliche Einrichtungen sind Betriebe, Berufsförderungswerke, Einrichtungen der sozialen Rehabilitation sowie weitere Einrichtungen mit sozialmedizinischem Bezug.

Bestandteil der praktischen Weiterbildung ist darüber hinaus eine eintägige Teilnahme an öffentlichen Sitzungen beim Sozialgericht oder Landessozialgericht.

4.3 Supervision

Mindestens 18 Stunden kontinuierliche Supervision von jeweils 45 Minuten. Ziel der Supervision ist die Reflexion des gutachterlichen Handelns im Hinblick auf die kurz- und langfristigen Ziele mit besonderem Fokus auf sozialmedizinische Fragestellungen.

4.4 Begutachtungen

60 Leistungspunkte aus Begutachtungen zu sozialmedizinischen Fragestellungen, die nachgewiesen werden können durch

4.4.1 Gutachtenerstellung mit Aktensichtung und Befragung/Untersuchung (je 6 Leistungspunkte)

4.4.2 Befundberichte mit sozialrechtlich wesentlicher Bewertung bzw. mit Beantwortung einer entsprechenden Fragestellung (je 2 Leistungspunkte)

4.4.3 Stellungnahmen (je 1 Leistungspunkt)

und jeweils mit den genannten Leistungspunkten auf die Summe der geforderten 60 Leistungspunkte anzurechnen sind, wobei mindestens 10 Leistungen aus 4.4.1 und/oder 4.4.2 nachzuweisen sind.

4.4.4 Begriffsbestimmungen zu den unterschiedlichen Begutachtungen

Gutachten basieren auf den vom Auftraggeber übergebenen Unterlagen und auf einer eigenen eingehenden Untersuchung. Die erhobenen Befunde und die zur Verfügung gestellten Informationen sind auf der Basis wissenschaftlicher Erkenntnis und psychotherapeutischen Erfahrungswissens im Hinblick auf rechtlich erhebliche Fragestellungen des Auftraggebers so zu bewerten, dass dem Auftraggeber damit eine rechtliche Entscheidung ermöglicht wird.

Ein Befundbericht ist eine zusammenfassende, möglichst objektive Darstellung der Ergebnisse einer psychotherapeutischen Untersuchung. In einem reinen Befundbericht werden keine im Hinblick auf eine rechtliche Entscheidung zu treffenden gutachterlichen Einschätzungen, Bewertungen oder Vermutungen vorgenommen. Um für die praktische Weiterbildung in Sozialmedizin angerechnet zu werden, müssen aus der Befundung bzw. dem Befundbericht begründete Einschätzungen und Bewertungen zu sozialrechtlich relevanten Fragestellungen abgeleitet werden.

In einer Stellungnahme wird ohne eigene Befundung ausschließlich nach Aktenlage zu einem vorgelegten Sachverhalt und in der Regel einer damit verbundenen Fragestellung Stellung genommen.

5. Zeugnisse, Nachweise und Prüfungen

Dem Antrag auf Anerkennung der Weiterbildung nach § 10 sind beizufügen:

• Bescheinigungen über die abgeleistete Weiterbildungszeit und Weiterbildungsinhalte entsprechend 4.1 bis 4.3,

• Nachweise der erstellten Begutachtungen aus 4.4

6. Weiterbildungsbefugnis

Den zur Weiterbildung Befugten obliegt einzeln oder gemeinsam die Vermittlung der unter 4 aufgeführten Weiterbildungsinhalte. Die Weiterbildungsbefugten können im Rahmen der unter ihrer Leitung durchgeführten Weiterbildung für einzelne Weiterbildungsinhalte dafür qualifizierte Dozentinnen und Dozenten oder Supervisorinnen und Supervisoren hinzuziehen. Die Hinzuziehung von Supervisorinnen und Supervisoren ist bei der Kammer zu beantragen und von dieser zu genehmigen. Hinzuzuziehende Supervisorinnen und Supervisoren müssen mindestens fünf Jahre im entsprechenden Bereich tätig gewesen sein. Zudem müssen sie fachlich und persönlich geeignet sein.

Für Lehrveranstaltungen der theoretischen Weiterbildung können Weiterbildungsbefugte den Weiterbildungskandidatinnen und -kandidaten auch entsprechende externe Veranstaltungen anbieten. Sichergestellt werden muss in diesem Fall, dass externe Veranstaltungen für die theoretische Weiterbildung geeignet sind. Den Weiterbildungsbefugten obliegt die Prüfung der Geeignetheit der Veranstaltung, welche zu bescheinigen ist. Bei Weiterbildungskursen, die für die ärztliche Weiterbildung im Bereich Sozialmedizin von einer Ärztekammer anerkannt sind, kann von einer Geeignetheit ausgegangen werden.

Voraussetzung für die Erteilung einer Weiterbildungsbefugnis ist in Ergänzung zu den in § 6 Abs. 4 und 5 genannten Voraussetzungen die Tätigkeit an einer anerkannten Weiterbildungsstätte gemäß § 6 Abs. 2.

7. Anforderungen an Weiterbildungsstätten

Zur Weiterbildung werden gemäß § 6 Absatz 2 zugelassen: Einrichtungen, in denen ein breites Spektrum gesundheitlicher Störungen im Zusammenhang mit psychischen Erkrankungen im sozialmedizinischen Kontext beurteilt wird.

8. Übergangsbestimmungen

§ 15 Absätze 1 und 2 gelten für den Bereich Sozialmedizin mit der Maßgabe, dass auf das Inkrafttreten des Abschnittes B - IV. Sozialmedizin dieser Weiterbildungsordnung abgestellt wird.

Weiterbildungszeiten, die bis sechs Jahre nach Inkrafttreten dieses Abschnittes erfolgen, können gemäß § 15 Absatz 6 in Verbindung mit Absatz 4 angerechnet werden.

Anträge nach § 15 Abs. 3 müssen innerhalb von 3 Jahren nach Inkrafttreten dieses Abschnitts gestellt werden. Nachgewiesene Tätigkeitszeiten und -inhalte, die vor Inkrafttreten des Abschnitts B - IV. Sozialmedizin absolviert wurden, die Anforderungen des § 15 Absatz 3 aber nicht vollumfänglich erfüllen, können im Umfang ihrer Gleichwertigkeit auf eine Weiterbildung angerechnet werden. Die Kammer entscheidet über die Anrechenbarkeit nach Satz 4 nach Anhörung des Prüfungsausschusses. Der Antrag nach Satz 4 ist innerhalb von sechs Jahren nach Inkrafttreten des Abschnitts B - IV. Sozialmedizin zu stellen.

Artikel III

Diese Änderung der Weiterbildungsordnung tritt am Tag nach der Veröffentlichung im Ministerialblatt für das Land Nordrhein-Westfalen in Kraft.

Ausgefertigt.
Düsseldorf, den 5. Juli 2022

Präsident der
Psychotherapeutenkammer Nordrhein-Westfalen
Gerhard  H ö h n e r

Genehmigt.
Düsseldorf, den 1. September 2022

Ministerium für Arbeit,
Gesundheit und Soziales
Az.: V A 2 93.11.03

Die vorstehende Änderung der Weiterbildungsordnung der Psychotherapeutenkammer NRW wird hiermit zur Veröffentlichung im Ministerialblatt für das Land Nordrhein-Westfalen ausgefertigt.
Düsseldorf, den 5. Oktober 2022

Präsident der
Psychotherapeutenkammer Nordrhein-Westfalen
Gerhard  H ö h n e r

- MBl. NRW. 2022 S. 809