Geltende Erlasse (SMBl. NRW.)  mit Stand vom 17.4.2024


Grundsätze für die Prüfung der Verfassungstreue von Bewerbern für den öffentlichen Dienst aus dem Beitrittsgebiet RdErl. d. Innenministeriums v. 28. 10. 1991 - II A 1 -1.20.01-0/91

 

Grundsätze für die Prüfung der Verfassungstreue von Bewerbern für den öffentlichen Dienst aus dem Beitrittsgebiet RdErl. d. Innenministeriums v. 28. 10. 1991 - II A 1 -1.20.01-0/91

Grundsätze
für die Prüfung der Verfassungstreue
von Bewerbern für den öffentlichen Dienst
aus dem Beitrittsgebiet

RdErl. d. Innenministeriums v. 28. 10. 1991
 - II A 1 -1.20.01-0/91

1
Für Bewerber, die seit dem 1.1.1989 das Beitrittsgebiet verlassen haben oder zum Zweck der Dienstaufnahme in Nordrhein-Westfalen verlassen werden, gelten neben den Grundsätzen für die Prüfung der Verfassungstreue von Bewerbern für den öffentlichen Dienst, RdErl. v. 28. 1. 1980 (SMB1. NW. 203020), ergänzend die nachfolgenden Vorschriften.

2
Tatbestände, die Zweifel an der Verfassungstreue begründen können, liegen insbesondere vor, wenn die Voraussetzungen einer außerordentlichen Kündigung nach den Bestimmungen des Einigungsvertrages (Anlage I Kap. XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 5) gegeben sind. Danach liegt ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung insbesondere dann vor, wenn der Arbeitnehmer

- gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen hat, insbesondere die im Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 19. 12. 1966 gewährleisteten Menschenrechte oder die in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vom 10. 12. 1948 enthaltenen Grundsätze verletzt hat

oder
- für das frühere Ministerium für Staatssicherheit/Amt für nationale Sicherheit tätig war und deshalb ein Festhalten am Arbeitsverhältnis unzumutbar erscheint.
Ein Tatbestand, der Zweifel an der Verfassungstreue begründen kann, liegt ferner vor, wenn der Bewerber sich im staatlich-politischen System der DDR vor dem 9. 11. 1989 exponiert hat durch herausgehobene Funktionen, z. B. in SED/Blockparteien, Massenorganisationen/gesellschaftlichen Organisationen oder durch sonstige herausgehobene Funktionen.

3
Im Einstellungsverfahren sind daher Feststellungen zu folgenden Fragen aktenkundig zu machen:

- Waren Sie Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit oder beim Amt für Nationale Sicherheit oder in sonstiger Weise für das MfS oder AfNS tätig? Wenn ja, welcher Art war diese Tätigkeit (auch nebenamtlich) und von welcher Dauer war sie?
- Haben Sie vor dem 9.11.1989 eine Funktion in SED/ Blockparteien, in Massenorganisationen/gesellschaftlichen Organisationen oder sonst eine Funktion im staatlich-politischen System der DDR innegehabt? Wenn ja, welcher Art war diese Funktion und von welcher Dauer?

Ferner ist die Vorlage des Ausweises „für Arbeit- und Sozialversicherung", der Aufschluss über den beruflichen Werdegang des Bewerbers gibt, zu verlangen. Ausreichend ist eine amtlich beglaubigte Ablichtung ohne die Teile, die Krankheiten, Kuren, Behandlungen usw. betreffen. Sie ist zu den Einstellungsunterlagen zu nehmen.

4
Belastungen, die sich aus der Beantwortung der unter Ziffer 3 aufgeführten Fragen oder aus anderweitig bekannt gewordenen Tatbeständen ergeben, führen nicht ohne weiteres zur Feststellung mangelnder Verfassungstreue und damit fehlender persönlicher Eignung, sondern es bedarf der konkreten Einzelfallprüfung unter Würdigung der Verhältnisse in der DDR.

Frühere Funktionen im System der DDR sind zu gewichten nach
- Höhe der Funktion,
- Zahl der Funktionen,
- Haupt- oder Nebenamtlichkeit der Funktion.
Ein Schema über den Aufbau der SED sowie eine Übersicht über Massenorganisationen/gesellschaftliche Organisationen in der DDR (Anlagen 1 und 2) sind beigefügt.

5
Der Bewerber hat ferner eine Erklärung über seine Verfassungstreue (Anlage 3) abzugeben. Verweigert ein Bewerber die Beantwortung der unter Ziffer 3 aufgeführten Fragen oder die Abgabe der Erklärung, so kann eine Einstellung nicht erfolgen, da die erforderliche Grundlage für eine Überzeugung von der künftigen Verfassungstreue nicht gewonnen werden kann.

Haben sich im Einstellungsverfahren tatsächliche Anhaltspunkte für eine Tätigkeit für das ehemalige Ministerium für Staatssicherheit/Amt für nationale Sicherheit ergeben oder erscheint im Hinblick auf die Bedeutung der Funktion, mit der der Bewerber betraut werden soll, die Feststellung einer eventuellen Tätigkeit für das MfS/AfNS unerlässlich, so ist eine Anfrage nach dem Musterformular (Anlage 4) an den Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (Bundesbeauftragter) durchzuführen. Derartige Anfragen kommen nur in Betracht, wenn eine Einstellung tatsächlich beabsichtigt und die Verfassungstreue die letzte noch zu prüfende Eignungsvoraussetzung ist. Eine Anfrage unterbleibt, wenn der Bewerber nach dem 11. Januar 1972 geboren ist.
Die Anfrage beim Bundesbeauftragten bedarf nach § 20 Abs. 1 Nr. 7 bzw. § 21 Abs. 1 Nr. 7 des Gesetzes über die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (Stasi-Unterlagen-Gesetz - StUG) vom 20. 12. 1991 (BGB1. I S. 2272), zuletzt geändert durch Gesetz vom 17. 6.1999 (BGB1.I S. 1334,1336), der Einwilligung des Bewerbers; wird diese verweigert, kann eine Einstellung nicht erfolgen, da die erforderliche Grundlage für eine Überzeugung vonder künftigen Verfassungstreue nicht gewonnen werden kann.
Die Anfrage ist von der zuständigen Stelle an den Bundesbeauftragten zu richten. Zuständige Stellen für die Einstellung von Personen in den öffentlichen Dienst sind die personalführenden Stellen in den zuständigen obersten Landesbehörden oder die von ihnen beauftragten Stellen, bei anderen juristischen Personen des öffentlichen Rechts die jeweiligen gesetzlichen Vertreter. Die obersten Landesbehörden bestimmen durch ergänzenden Runderlass jeweils für ihren Geschäftsbereich, welche Behörden zur Durchführung der Anfrage beim Bundesbeauftragten befugt sind.
Im Einzelnen ist zu dem Musterformular folgendes anzumerken:

- Anfragen dürfen nur im Einzelfall erfolgen. Von einer listenmäßigen Anfrage sollte aus Datenschutzgründen kein Gebrauch gemacht werden. Bei Wohnungswechsel der zu überprüfenden Person innerhalb der letzten 10 Jahre empfiehlt sich die Angabe der einzelnen Wohnsitze, soweit der Wohnungswechsel nach dem 18. Lebensjahr erfolgt ist.

- Im Normalfall wird vom Bundesbeauftragten lediglich Auskunft erteilt (im Anfrageformular ankreuzen). Nur wenn im Einzelfall die Erteilung von Auskünften den berechtigten Anliegen nicht genügt, kann die Gewährung von Einsichtnahme oder die Herausgabe von Unterlagen erfolgen. Die Notwendigkeit ist zu begründen.


- Bei der Einstellung in den öffentlichen Dienst ist die Eilbedürftigkeit bereits nach § 19 Abs. 5 Nr. 3 StUG anerkannt. Bestehen sonstige Gründe für die Eilbedürftigkeit (z.B. anstehendes Gerichtsverfahren, unaufschiebbare Einstellung zu einem bestimmten Termin o.ä.) sind sie zusätzlich anzugeben.

Hinsichtlich der Mitteilungen des Bundesbeauftragten ist sicherzustellen, dass die Zweckbindung nach § 29 StUG beachtet wird.
Im übrigen wird auf die Vorschriften des Stasi-Unterlagen-Gesetzes, insbesondere §§ 19 bis 21, 23, 25 bis 30 und 43 verwiesen (vgl. Anlage 5)

6
Bei Zweifeln an der Verfassungstreue des Bewerbers hat die Einstellungsbehörde ferner zu prüfen, ob eine Anfrage bei der Zentralen Erfassungsstelle in Salzgitter oder der Verfassungsschutzbehörde weitere entscheidungserhebliche Informationen erwarten lässt. Dabei dürfen Hinweise auf bereits bei der Einstellungsbehörde vorhandene Erkenntnisse nicht mitgeteilt werden.
Im Falle einer Anfrage bei der Verfassungsschutzbehörde ist die Tatsache zu berücksichtigen, dass nach § 25 StUG Unterlagen, soweit sie personenbezogene Informationen über Betroffene oder Dritte enthalten, nicht durch oder für Nachrichtendienste verwendet werden dürfen. Mitteilungen des Bundesbeauftragten dürfen daher grundsätzlich nicht an die Verfassungsschutzbehörde weitergeleitet werden. Allein in den Fällen des § 25 Abs. 1 Satz 2 Nrn. l und 2 StUG dürfen die entsprechenden Unterlagen dem Verfassungsschutz übergeben werden.

7
Sofern der Bewerber ausschließlich wegen Zweifeln an der Verfassungstreue abgelehnt werden soll, ist er vorher anzuhören. Zweifel an der Verfassungstreue können ausgeräumt werden.

8
Die Richtlinien für die Sicherheitsüberprüfung von Landesbediensteten bleiben unberührt.

9
Den Gemeinden und Gemeindeverbänden wird empfohlen, Nummer l bis 8 entsprechend anzuwenden.

MBl. NRW. 1991 S. 1474, geändert durch RdErl. v. 26.6.2000 (MBl. NRW. 2000 S. 796).


Anlagen: