Geltende Erlasse (SMBl. NRW.)  mit Stand vom 17.4.2024


Konzeption zur Bekämpfung missbräuchlicher Verwendung des Asylantragsrechts Gem. RdErl. d. Innenministeriums - IV D l/l C - 6592/2 u. d. Justizministeriums 4725 - III A- 6 v. 1. 8.1995

 

Konzeption zur Bekämpfung missbräuchlicher Verwendung des Asylantragsrechts Gem. RdErl. d. Innenministeriums - IV D l/l C - 6592/2 u. d. Justizministeriums 4725 - III A- 6 v. 1. 8.1995

Konzeption zur Bekämpfung missbräuchlicher
Verwendung des Asylantragsrechts

Gem. RdErl. d. Innenministeriums - IV D l/l C - 6592/2
u. d. Justizministeriums 4725 - III A- 6
v. 1. 8.1995

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Allgemeines

1.1
Die missbräuchliche Verwendung des Rechts zur Asylantragstellung ist geeignet, die Bemühungen um die Bekämpfung von Ausländerfeindlichkeit zu beeinträchtigen, leistet außerdem der Entstehung krimineller .Strukturen Vorschub und belastet Gemeinden und Land mit hohen Kosten. Zur Prävention wie zur Strafverfolgung in diesen Fällen bedarf es wegen der hohen Mobilität der Täter eines geordneten Zusammenwirkens der zuständigen Verwaltungs- und Strafverfolgungsbehörden der Länder und des Bundes, um Insellösungen zu vermeiden, die nur regionale Verdrängung bewirken würden.

1.2
Strafrechtlich relevanter Missbrauch liegt vor, wenn Straftaten von Ausländern zur Erlangung oder unter Ausnutzung des Status als Asylbewerber begangen werden. Hierzu zählen neben Straftaten nach dem Ausländer- und Asylverfahrensgesetz insbesondere folgende Straftatbestände des StGB:

- § 263 (Betrug, insbesondere zum Nachteil von Sozialbehörden)
- § 267 (Urkundenfälschung)
- § 271 (Mittelbare Falschbeurkundung)
- § 272 (Schwere mittelbare Falschbeurkundung)
- § 273 (Gebrauch falscher Beurkundungen)
- § 274 Abs. l Nr. l (Urkundenunterdrückung)
- § 281 (Missbrauch von Ausweispapieren).

1.3
Wirksam können Strafverfolgungsmaßnahmen vor allem dann sein, wenn es gelingt, über das Vortäuschen von Mehrfachidentitäten (in der Regel unter Verwirklichung der Tatbestände nach § 271 bzw. § 272 StGB) oder einer Bezugsberechtigung für soziale Leistungen für nicht hinreichend identifizierbare Personen (z.B. Kinder ohne Ausweispapiere) Betrugshandlungen im Sinne des § 263 StGB festzustellen, zu beweisen, zusammenzuführen und konsequent strafrechtlich zu verfolgen.

1.4
Entsprechend den Beschlüssen der IMK in ihren Sitzungen am 22. 5. 1992, TOP 19, und am 20. 11. 1992, TOP 12, stellen die Länder bei „erheblichen Straftaten" von Asylbewerbern die Unterrichtung des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (BAF1) zur Beschleunigung des Asylverfahrens sicher.

Eine Beschleunigung des Asylverfahrens kommt nicht nur bei „erheblichen Straftaten“ in Betracht, sondern auch in Fällen des strafrechtlich relevanten Missbrauchs gemäß Nummer 1.2.

1.5
Das Strafverfolgungsinteresse kann dem staatlichen Interesse an der Abschiebung des Ausländers entgegenstehen. Welchem Interesse der Vorrang einzuräumen ist, entscheidet sich im Einzelfall. Grundsätzlich sollte bei weniger schweren Straftaten das Abschiebeinteresse überwiegen. Die zuständige Ausländerbehörde unterrichtet die Staatsanwaltschaft über die beabsichtigte und die erfolgte Abschiebung eines Ausländers, gegen den ein Strafverfahren anhängig ist.

2
Verfahren

2.1
Wesentliche Grundlage einer erfolgversprechenden Bekämpfung des strafrechtlich relevanten Missbrauchs ist die erkennungsdienstliche Behandlung (ED-Behandlung) aller Asylsuchenden zu einem frühen Zeitpunkt.

Die ED-Behandlung ist grundsätzlich spätestens von den Außenstellen des BAFl durchzuführen, die die Asylanträge entgegennehmen. Sucht ein Ausländer zunächst bei einer anderen Stelle (Bundesgrenzschutz, Polizei der Länder, Ausländerbehörde) zum Asyl nach, führt diese eine ED-Behandlung durch (§§ 16 Abs. l und 2, 18, 19 AsylVfG). Erforderlichenfalls bittet sie um Amtshilfe. Die ED-Unterlagen sind im Falle des Satzes 3 über die zuständige Aufnahmeeinrichtung der für die Bearbeitung des Aslyantrages zuständigen BAFl-Außenstelle zuzuleiten.

Die BAFl-Außenstellen übermitteln die ED-Unterlagen täglich dem Bundeskriminalamt (BKA).

Das BKA wertet die ED-Unterlagen mit Hilfe des Automatisierten Fingerabdruck-Identifizierungssystems (AFIS) schnellstmöglich aus und übermittelt das Ergebnis umgehend den Außenstellen des BAF1, die die ED-Unterlagen übersandt haben.

2.2
Die Außenstelle des BAF1, die die ED-Unterlagen übersandt hat, die zur Feststellung der Mehrfachidentität geführt haben, informiert unverzüglich die Ausländerbehörde vor Ort sowie die für ihren Sitz zuständige Polizeibehörde/-dienststelle und fügt Ablichtungen der im Rahmen der Antragstellung entstandenen Dokumente einschließlich Kopien der vom BKA aktuell übersandten E-Gruppen-Ausdrucke bei. Sie teilt der Ausländerbehörde zugleich die für die Bearbeitung des Asylantrags zuständige Außenstelle des BAF1 mit.

Die zuständige Polizeibehörde/-dienststelle nimmt aufgrund der Mitteilung der Außenstelle des BAF1 die Ermittlungen auf. Die Ausländerbehörde teilt ihr gleichzeitig den aktuellen Aufenthalt des Asylbewerbers mit.

Ferner unterrichtet die Ausländerbehörde die für den Unterbringungsort des Asylbewerbers zuständigen Leistungsträger, um die Einstellung der Leistungen zu ermöglichen (§ 8 AsylVfG).

2.3
Werden Mehrfachidentitäten eines Asylbewerbers festgestellt, sind in der Regel Sammelverfahren zu führen (Nr. 25 ff RiStBV). Zuständig ist grundsätzlich die Staatsanwaltschaft, in deren Bezirk erstmals die Mehrfachidentität festgestellt wurde.

2.4
Bei den zuständigen Polizeibehörden/-dienststellen sind die Ermittlungen zentral und möglichst am Sitz der jeweiligen BAFl-Außenstelle zu führen. Es wird empfohlen, die Ermittlungsverfahren - wegen der größeren Sachnähe - den für die Bearbeitung von Straftaten nach dem Ausländer- und Asylverfahrensgesetz zuständigen Dienststellen zuzuweisen.

2.5
Die Polizeibehörde/-dienststelle unterrichtet die zuständige Ausländerbehörde (§ 76 Abs. 4 AuslG) über

- die Einleitung der Ermittlungen unter Benennung des strafrechtlichen Vorwurfs und der Vorgangsnummer,
- das Aktenzeichen der Staatsanwaltschaft.

Die Ausländerbehörde informiert die zuständige BAFl-Außenstelle und wirkt auf die Beschleunigung des Asylverfahrens hin.

2.6
Die Polizeibehörde/-dienststelle klärt ab, ob andere Polizeibehörden/-dienststellen bereits wegen des Verdachts des strafrechtlich relevanten Missbrauchs ermitteln oder ermittelt haben. Ist dies der Fall, unterrichtet sie unverzüglich ihre zuständige Staatsanwaltschaft und regt die Führung eines Sammelverfahrens an (Nr. 2.3).

Über die Entscheidung der Staatsanwaltschaft sind die beteiligten Polizeibehörden/-dienststellen zu unterrichten.

3
Weitere Ermittlungen

3.1
Bis zur Entscheidung der Staatsanwaltschaft über die Führung eines Sammelverfahrens gem. Nummer 2.3 trifft die Polizei die unaufschiebbaren Maßnahmen.

3.2
Die mit den Ermittlungen beauftragte Polizei richtet Auskunftsersuchen an die Ausländerbehörden bzw. BAFl-Außenstellen, bei denen der Asylbewerber erkennungsdienstlich behandelt wurde. Hierbei ist insbesondere festzustellen,

- ob, wann, unter welchen Personalien und mit welcher Begründung der Asylbewerber einen Asylantrag gestellt hat,
- welcher Aufnahmeeinrichtung/Gemeinschaftsunterkunft/Kommune der Asylbewerber zugewiesen wurde.

Polizei und Ausländerbehörden/BAFl-Außenstellen stellen sicher, dass die Ersuchen zügig gestellt und bearbeitet werden.

3.3
Nach Eingang der Auskünfte ist zu ermitteln, ob Leistungen nach dem AsylbLG, BSHG, Leistungen der Kranken- und Unfallversicherungsträger, von Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe oder vergleichbare Leistungen beantragt oder gewährt wurden. Dazu ersucht die Polizei den vermutlich zuständigen Leistungsträger um Auskunft.

Das Auskunftsersuchen bezieht sich auf:

- Vor- und Familienname, ggf. Geburtsname, des Antragstellers
- Geburtsdatum und Geburtsort des Antragstellers
- derzeitige und ggf. frühere Anschriften des Antragstellers
- ggf. Namen und Anschriften der derzeitigen und früheren Arbeitgeber
- Angaben über erbrachte oder beantragte Leistungen.

Rechtsgrundlage für das Auskunftsersuchen ist § 161 Absatz l StPO. Sofern bereichsspezifische Verwendungsregelungen bestehen (z.B. §§ 68, 69, 73 SGB X), sind diese beim Auskunftsersuchen zu beachten.

Wird die Auskunft nicht im erforderlichen Umfang erteilt, ist eine richterliche Anordnung einzuholen.

MBl. NRW. 1995 S. 1397.