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Polizeilicher Opferschutz Runderlass des Ministeriums des Innern - 62.02.01 -

 

Polizeilicher Opferschutz Runderlass des Ministeriums des Innern - 62.02.01 -

Polizeilicher Opferschutz

Runderlass des Ministeriums des Innern
- 62.02.01 -

Vom 1. April 2019

Straftaten verletzen neben der Rechtsordnung in vielen Fällen auch Individualrechtsgüter und belasten Opfer und andere beteiligte Personen, wie zum Beispiel Zeugen oder Angehörige von Opfern. Auch andere Ereignisse, zum Beispiel Verkehrs- und Betriebsunfälle oder Gebäudebrände, können diese stark beeinflussen und tragen zur Opferwerdung bei. Opfer von Straftaten und anderen Ereignissen, insbesondere Opfer, die Gewalt erlitten haben, können durch die Abläufe eines Ermittlungsverfahrens erneut belastet werden.

Der Schutz der Opfer spielt daher bereits beim Erstkontakt eine wichtige Rolle.

Die Schilderung des Tat- beziehungsweise Ereignisgeschehens bei der Anzeigenerstattung oder Vernehmung beziehungsweise Befragung kann zu vergleichbaren Belastungen führen wie die Tat oder das Ereignis selbst. Die Polizei richtet daher ihre Maßnahmen und Ermittlungshandlungen, soweit möglich, an den Bedürfnissen von Opfern aus und mindert dadurch die Schwere der Tat- beziehungsweise Ereignisfolgen. Die Polizei gewährleistet in allen Organisationseinheiten mit Opferkontakten die Möglichkeit der Vermittlung kompetenter Hilfe.

Dies ist von allen Polizeibediensteten bei Opferkontakten zu berücksichtigen.

1         
Begriffe

1.1

Opfer ist, wer durch eine Straftat oder ein Ereignis unmittelbar oder mittelbar physisch, psychisch, sozial oder materiell geschädigt wurde. Mittelbar Geschädigte können Angehörige oder Hinterbliebene sowie Zeugen und Ersthelfer sein.

1.2

Opferschutz umfasst alle Maßnahmen einer Gesellschaft, die darauf abzielen, die Opfer einer Straftat oder eines schädigenden Ereignisses zu unterstützen, indem der entstandene Schaden (physisch, psychisch, sozial und materiell) soweit wie möglich kompensiert und weiterem Schaden vorgebeugt wird.

1.3

Opferhilfe ist die psychosoziale Begleitung durch Beratungseinrichtungen über den Zeitraum vor, während und nach einem Ermittlungs- beziehungsweise Strafverfahren. Sie wird von staatlichen und nichtstaatlichen Stellen ausgeübt. Sie ist kein Handlungsfeld der Polizei.

1.4

Opfernachsorge ist die zielgerichtete Kontaktaufnahme mit Opfern nach einer Straftat oder einem schädigenden Ereignis, um weitergehenden Unterstützungsbedarf festzustellen und Angebote der Hilfe beziehungsweise Beratung zu unterbreiten.

1.5

Polizeilicher Opferschutz umfasst die

a) zielgerichtete Information über den Ablauf des Ermittlungsverfahrens, über relevante Opferrechte in den verschiedenen Phasen des Verfahrensablaufes und Opferentschädigung,

b) Feststellung, ob weitere Unterstützung und Hilfe notwendig sind,

c) bedarfsgerechte Vermittlung von Angeboten der Opferhilfe und -unterstützung und

d) Opfernachsorge bei besonders belastenden Ereignissen (beispielsweise Sexualdelikte, Häusliche Gewalt, schwere Verkehrsunfälle).

2         
Leitlinien

Polizeilicher Opferschutz setzt beim Erstkontakt mit dem Opfer ein und endet grundsätzlich mit Abschluss des Ermittlungsverfahrens.

Alle Polizeibediensteten haben Opferschutzaspekte zur Minderung von Tatfolgen und Vermeidung von Sekundärviktimisierung zu berücksichtigen.

Jedes Opfer hat Anspruch auf einen respektvollen, einfühlsamen, individuellen und professionellen Umgang.

Opfer sind so frühzeitig wie möglich über ihre Rechte und über Angebote der Opferhilfe zu informieren.

Therapeutische, psychologische sowie juristische Unterstützung sind grundsätzlich nicht Bestandteil des polizeilichen Opferschutzes.

Die Vermittlung an Schutz- und Hilfeeinrichtungen erfordert eine enge Abstimmung und Koordination mit anderen Präventionsträgern sowie die Zusammenarbeit in Netzwerken des Opferschutzes.

Der polizeiliche Opferschutz schließt Maßnahmen nach Verkehrsunfällen insbesondere mit schweren Folgen ein. Einzelheiten zum Verkehrsunfallopferschutz ergeben sich aus dem Runderlass des Ministeriums des Innern „Aufgaben der Polizei bei Verkehrsunfällen“ vom 25. August 2008 (MBl. NRW. S. 470) in der jeweils gültigen Fassung.

Angehörige von Opfern schwerwiegender Ereignisse sind durch die Polizei, gegebenenfalls unter Hinzuziehung von Seelsorgern oder anderen vertrauenswürdigen Personen, unverzüglich zu benachrichtigen. Die Behörde bestimmt grundsätzlich hierfür besonders geeignete und geschulte Beamte. Ziel ist es, Angehörige in einer besonderen Lebenssituation zu stabilisieren und einer schwerwiegenden Belastung entgegen zu wirken. Weitergehende Opferschutzmaßnahmen erfolgen im Einzelfall durch die Opferschutzbeauftragten der Kreispolizeibehörden. Diese sind durch die Kreispolizeibehörden namentlich zu benennen.

Aufgabenabgrenzung:

a) Sind für Opfer aufgrund einer Gefährdungslage polizeiliche Schutzmaßnahmen erforderlich, so finden die Regelungen und Verfahrensweisen der Polizeidienstvorschrift 129 VS-NfD Anwendung.

b) Sind Schutzmaßnahmen nach der Polizeidienstvorschrift 129 VS-NfD in herausragenden Gefährdungsfällen (Häusliche Gewalt, Stalking) zum dauerhaften Schutz der unmittelbar gefährdeten Person allein nicht geeignet und liegen die Voraussetzungen des Gesetzes zur Harmonisierung des Schutzes gefährdeter Zeugen nicht vor, kommen Maßnahmen nach Maßgabe der Richtlinie „Operativer Opferschutz“ vom 27. Juli 2016 in Betracht (siehe auch Erlass „Operativer Opferschutz“ vom 13. Juli 2018).

c) Maßnahmen der taktischen Betreuung können zur Unterstützung polizeilichen Handelns erforderlich sein, um durch die zielgerichtete Einflussnahme auf Opfer, Angehörige, Zeugen, Auskunftspersonen und sonstige Betroffene die Kooperationsfähigkeit herzustellen und die Kooperationsbereitschaft zu erhalten. Die taktische Betreuung obliegt vorrangig den dafür vorgesehenen Kräften in der anlassbezogenen Besonderen Aufbauorganisation. Betreuungsmaßnahmen sind mit diesen abzustimmen. Auch die Maßnahmen der taktischen Betreuung sind an den Bedürfnissen von Opfern auszurichten soweit dem andere polizeiliche Ziele nicht entgegenstehen.

3         
Landesoberbehörden

3.1      

Landeskriminalamt

Das Landeskriminalamt

a) unterhält eine Informationsseite zum polizeilichen Opferschutz im INTRAPOL,

b) aktualisiert und pflegt auf Landesebene die zentrale „Datenbank Opferhilfe“,

c) beteiligt sich an der Arbeit in Gremien, Netzwerken und Arbeitskreisen auf Landesebene und auf Ebene der Länder und des Bundes und

d) führt regelmäßig sowie anlassbezogen landesweite Dienstbesprechungen zu Themen des Opferschutzes durch.

3.2      

Landesamt für Zentrale Polizeiliche Dienste

Das Landesamt für Zentrale Polizeiliche Dienste

a) unterhält im INTRAPOL eine Informationsseite zum Opferschutz nach Verkehrsunfällen,

b) gestaltet redaktionell den Teil Opferschutz in der Erlassanlage „Ergänzende Hinweise zum Erlass ‚Aufgaben der Polizei bei Verkehrsunfällen‘“,

c) beteiligt sich an Gremien, Netzwerken und Arbeitskreisen auf Landesebene zum Thema Opferschutz nach Verkehrsunfällen und

d) berichtet regelmäßig sowie anlassbezogen in landesweiten Dienstbesprechungen zu Themen des Opferschutzes bei Verkehrsunfällen oder Verkehrsstraftaten.

3.3      

Landesamt für Ausbildung, Fortbildung und Personalangelegenheiten

Das Landesamt für Ausbildung, Fortbildung und Personalangelegenheiten

a) vermittelt über die polizeiliche Ausbildung in theoretischen und fachpraktischen Ausbildungsabschnitten und -modulen die Grundlagen für ein umfassendes Verständnis der Aufgaben des polizeilichen Opferschutzes,

b) erstellt über die polizeiliche Fortbildung funktions- und aufgabengerechte Bildungskonzepte sowie zielgruppenorientierte Angebote zur Qualifizierung von Bediensteten der Führungs- und Ausführungsebene und

c) stimmt Fortbildungsinhalte mit dem Landeskriminalamt und dem Landesamt für Zentrale Polizeiliche Dienste ab.

Die polizeiliche Fortbildung ist interdisziplinär ausgerichtet und bindet andere Aufgabenträger aus Opferschutz und Opferhilfe ein.

4         
Kreispolizeibehörden

4.1

Aufgaben der Sachbearbeitung

Während eines Ermittlungsverfahrens trägt die Sachbearbeitung Sorge insbesondere für

a) die Durchführung der unter Nummer 1 genannten Maßnahmen des polizeilichen Opferschutzes,

b) die Berücksichtigung schutzwürdiger Interessen des Opfers im Rahmen der polizeilichen Ermittlungen,

c) den Schutz des Opfers vor wiederholter Viktimisierung, Einschüchterung und Vergeltung sowie

d) die Anregung einer Opfernachsorge bei besonders belastenden Ereignissen.

Dabei kann das Kriminalkommissariat Kriminalprävention und Opferschutz oder die Organisationseinheit Kriminalprävention beziehungsweise die Dienststelle für Verkehrsunfallprävention und Opferschutz in jeder Phase zur Beratung und Unterstützung hinzugezogen werden.

4.2

Aufgaben der Opferschutzbeauftragten

Die Kreispolizeibehörden setzen Opferschutzbeauftragte in den Kriminalkommissariaten Kriminalprävention und Opferschutz oder den Dienststellen für Verkehrsunfallprävention und Opferschutz nach Maßgabe der Belastungsbezogenen Kräfteverteilung ein.

Diese tragen dafür Sorge, dass die Leitlinien des polizeilichen Opferschutzes und die örtlichen Opferhilfestrukturen allen Bediensteten bekannt sind.

Die Opferschutzbeauftragten

a) unterstützen die Opferbetreuung in herausragenden Fällen und in besonderen polizeilichen Einsatzlagen,

b) sind Ansprechpartner nach innen und außen für alle Themen des polizeilichen Opferschutzes und vermitteln Informationen über Organisationen der Opferhilfe,

c) wirken an opferschutzspezifischen Akten und Plänen bei Einsatzlagen mit, die eine Besondere Aufbauorganisation (zum Beispiel Einsatzabschnitt Betreuung) erfordern,

d) administrieren örtliche Einträge in der zentralen „Datenbank Opferhilfe“,

e) wirken in regionalen Gremien (Netzwerke, Arbeitskreise) und Besprechungen zu Themen des Opferschutzes mit, soweit dies nicht aus fachlichen Gründen, zum Beispiel durch die Sachbearbeitung, sinnvoller erscheint,

f) begleiten beziehungsweise initiieren Arbeitskreise und Projekte zur Verbesserung des Opferschutzes im Einvernehmen mit den Fachdirektionen,

g) wirken an der behördlichen Fortbildung zum Opferschutz und zur Opferhilfe mit,

h) wirken an der konzeptionellen Entwicklung des polizeilichen Opferschutzes und IT-Anwendungen mit,

i) beteiligen sich an der Entwicklung und Umsetzung örtlicher Präventionskonzepte,

j) wirken an der Öffentlichkeits- und Medienarbeit sowie der zielgruppenorientierten Aufklärung mit,

k) erstellen Berichte und Stellungnahmen zu Fragen und Themen des polizeilichen Opferschutzes und

l) erstellen behördenspezifisches Informationsmaterial.

5         
Fachhochschule für öffentliche Verwaltung

Die Fachhochschule für öffentliche Verwaltung vermittelt über das modulare Studium die Grundlagen des polizeilichen Opferschutzes.

6         
Dokumentation und Controlling

Durch die Kreispolizeibehörden ist eine direktionsübergreifende, sachstandsaktuelle und fortlaufende Dokumentation von Opferschutzmaßnahmen zu gewährleisten. Sofern die technischen Voraussetzungen im Vorgangsbearbeitungssystem nicht vorhanden sind, ist die Dokumentation auf andere Weise sicherzustellen. Die Dokumentation dient dem Nachweis der Opferschutzmaßnahmen im Ermittlungsvorgang sowie dem Controlling.

7
Inkrafttreten

Dieser Runderlass tritt am Tag nach der Veröffentlichung in Kraft.

MBl. NRW. 2019 S. 162.