Historische SMBl. NRW.

 Aufgehobener Erlass: Obsolet.

 


Historisch: Auslegungshinweise des BMI zu § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 AufenthG (Erfordernisse für medizinische Bescheinigungen über Abschiebungshindernisse) Runderlass des Ministeriums für Inneres und Kommunales - 125-39.10.04-1-16-029(2604) vom 30. August 2016

 

Historisch:

Auslegungshinweise des BMI zu § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 AufenthG (Erfordernisse für medizinische Bescheinigungen über Abschiebungshindernisse) Runderlass des Ministeriums für Inneres und Kommunales - 125-39.10.04-1-16-029(2604) vom 30. August 2016

Auslegungshinweise des BMI zu § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 AufenthG (Erfordernisse für medizinische Bescheinigungen über Abschiebungshindernisse)

Runderlass des Ministeriums für Inneres und Kommunales - 125-39.10.04-1-16-029(2604)
vom 30. August 2016

Mit dem Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 16. März 2016 (BGBl. I S. 390) wurde in Bezug auf geltend gemachte gesundheitliche Abschiebungshindernisse u.a. § 60a Absatz 2c AufenthG eingefügt.

Zur Auslegung des § 60a Absatz 2c Satz 2 und Satz 3 AufenthG (Erfordernisse für medizinische Bescheinigungen über Abschiebungshindernisse) hat das Bundesministerium des Innern den Ländern nunmehr seine nachfolgend wiedergegebene Auffassung mit dem Hinweis übermittelt, dass es sich dabei nicht um eine verbindliche Auslegungsvorschrift handelt:

„Nach den genannten Vorschriften muss ein Ausländer eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten.

Nach Auffassung des Bundesministeriums des Innern ist diese Vorschrift wie folgt auszulegen:

1.      Die ausstellende Person muss eindeutig erkennbar und berechtigt sein, in der Bundesrepublik Deutschland die Bezeichnung „Arzt“ oder „Ärztin“ zu führen. Nach § 2a der Bundesärzteordnung ist hierfür Voraussetzung, dass diese Person als Arzt approbiert oder nach § 2 Absatz 2, 3 oder 4 der Bundesärzteordnung zur Ausübung des ärztlichen Berufs befugt ist:

§ 2 Bundesärzteordnung

[…]

(2)   Eine vorübergehende oder eine auf bestimmte Tätigkeiten beschränkte Ausübung des ärztlichen Berufs im Geltungsbereich dieses Gesetzes ist auch aufgrund einer Erlaubnis zulässig.

(3)   Ärzte, die Staatsangehörige eines Mitgliedstaates der Europäischen Union oder eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschafts-raum oder eines Vertragsstaates sind, dem Deutschland und die Europäische Gemeinschaft oder Deutschland und die Europäische Union vertraglich einen entsprechenden Rechtsanspruch eingeräumt haben, dürfen den ärztlichen Beruf im Geltungsbereich dieses Gesetzes ohne Approbation als Arzt oder ohne Erlaubnis zur vorübergehenden Ausübung des ärztlichen Berufs ausüben, sofern sie vorübergehend und gelegentlich als Erbringer von Dienstleistungen im Sinne des Artikels 50 des EG-Vertrages im Geltungsbereich dieses Gesetzes tätig werden. Sie unterliegen jedoch der Meldepflicht nach diesem Gesetz.

(4)   Für die Ausübung des ärztlichen Berufs in Grenzgebieten durch im Inland nicht niedergelassene Ärzte gelten die hierfür abgeschlossenen zwischenstaatlichen Verträge.

Nicht ausreichend ist eine Approbation in einem anderen Heilberuf (etwa Apotheker, Psychologische Psychotherapeuten, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, Tierärzte, Zahnärzte, Hebammen und Heilpraktiker).

Keine Bedenken bestehen dagegen, dass das auf konsiliarischem Weg gewonnene fachliche Urteil eines anderen Angehörigen eines Heilberufs in die ärztliche Bewertung einfließt, das aus der Bescheinigung hervorgeht.

Bestehen Zweifel an der Befugnis der ausstellenden Person, die Bezeichnung „Arzt“ oder „Ärztin“ zu führen, kann die für den Niederlassungsort der Person zuständige Ärztekammer beteiligt werden. Da zumindest zahlreiche niedergelassene Ärzte in Online-Registern der Ärztekammern verzeichnet sind, kann eine aufwändigere förmliche Beteiligung entfallen, wenn eine Online-Recherche in diesen Registern einen positiven Treffer ergibt. Das Einstiegsportal zu diesen Online-Portalen der Ärztekammern ist hier zu finden: http://www.bundesaerztekammer.de/service/arztsuche/

2.      Die Form der Bescheinigung ist gesetzlich nicht vorgeschrieben; aus dem Begriff Bescheinigung geht allerdings hervor, dass es sich um einen Text handeln muss, deren Aussteller erkennbar ist. Je formloser die Bescheinigung ist, die vorgelegt wird (etwa: reine Textform; Fehlen der typischen Merkmale ärztlicher Bescheinigungen wie Praxisstempel und Unterschrift), desto größere Sorgfalt ist auf die Prüfung der Echtheit zu legen. Dabei ist zu beachten, dass ärztliche Bescheinigungen derzeit üblicherweise noch in Papierform mit Praxisstempel und Unterschrift ausgestellt werden. Werden Bescheinigungen nicht in der originalen Form (als Originalpapierstück oder als Originaldatei), sondern etwa als ausgedruckte E-Mails oder ausgedruckte sonstige elektronische Dokumente oder als Fotokopie vorgelegt, handelt es sich nicht um die originale Bescheinigung, sondern allenfalls eine Wiedergabe einer in anderer Form erteilter Bescheinigung. Dateien, die mit einer qualifizierten oder fortgeschrittenen elektronischen Signatur versehen sind, sind vorbehaltlich einer Überprüfung der Arzteigenschaft der ausstellenden Person akzeptabel, wenn sie als Dateien und nicht als ihr Ausdruck vorgelegt werden. Nicht verschlüsselte E-Mails sind, auch wenn sie als Datei vorgelegt werden, sehr genau zu prüfen, weil eine unverschlüsselte Übermittlung medizinischer Befunde vor dem Hintergrund der ärztlichen Schweigepflicht zumindest sehr unüblich ist. Auf die Vorlage eines Originals kann verzichtet werden, wenn die Übereinstimmung mit dem Original anwaltlich oder behördlich beglaubigt ist und der entsprechende Beglaubigungsvermerk im Original vorliegt. Ist erwiesen, dass es sich bei der aus der Unterlage hervorgehenden ausstellenden Person um eine Ärztin oder einen Arzt im vorstehend genannten Sinne handelt, sollte unabhängig von der verwendeten Form bei bestehenden Zweifeln eine Rückfrage bei der Praxis oder sonstigen Niederlassung erfolgen. Da wegen der ärztlichen Schweigepflicht damit zu rechnen ist, dass keine telefonischen Auskünfte erteilt werden, sollte die Anfrage mit einem gesicherten Übertragungsmedium (per Telefax oder ggfs. E-Mail) unter Beifügung der vollständigen Bescheinigung als Anlage gestellt werden. Die Anfrage sollte darauf beschränkt werden, ob die Echtheit der Bescheinigung bestätigt wird. Nach hiesiger Auffassung wird damit die ärztliche Schweigepflicht nicht verletzt, da im Falle der Echtheit der Bescheinigung keine medizinischen Verhältnisse offenbart werden, die der anfragenden Behörde nicht bereits auf Grund der vorgelegten Bescheinigung bekannt sind.

3.      Der erforderliche Inhalt der ärztlichen Bescheinigung ist gesetzlich umrissen. Die gesetzliche Regelung gehen dabei über die inhaltlichen Anforderungen hinaus, die von der Rechtsprechung bereits zuvor im aufenthaltsrechtlichen Zusammenhang an ärztliche Atteste gestellt worden sind (vgl. BVerwG vom 11. 9. 2007 - 10 C 8/07 zu einer Bescheinigung einer posttraumatischen Belastungsstörung). Im Einzelnen sollen aus der Bescheinigung hervorgehen:

a.      die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist: Neben der Darstellung der Anamnese (Krankheits-vorgeschichte) handelt es sich bei solchen tatsächlichen Umständen um die Zwischenergebnisse einzelner Untersuchungsschritte, etwa zum Zustand einzelner Organe oder - bei psychiatrisch relevanten Krankheitsbildern - etwa um die Ergebnisse einzelner Tests; anzugeben sind auch ggfs. die Ergebnisse von Laborbefunden, bildgebenden Verfahren (Röntgen, MRT, CRT; Sonografie usw.); es ist auch anzugeben, zu welchem Zeitpunkt oder in welchem Zeitraum die entsprechenden Tatsachen erhoben worden sind;

b.      die Methode der Tatsachenerhebung: Es ist anzugeben, welche Untersuchungen zur Feststellung der tatsächlichen Umstände geführt haben, und welche Untersuchungen ggfs. vorgenommen worden sind, um andere Befunde auszuschließen; sind einzelne Tatsachen unter Hinzu-ziehung anderer Angehöriger von Heilberufen ermittelt worden, ist dies substantiiert anzugeben; ebenso ist anzugeben, welche Angaben (ins-besondere zur Anamnese) auf eigenen Angaben des betroffenen Ausländers oder auf Angaben Dritter, etwa von Angehörigen, beruhen;

c.      die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose): Es handelt sich um die Schlussfolgerung, die sich aus den gemäß a. dargestellten Tatsachen nach Anwendung der gemäß b. genannten Untersuchungen nach dem Stand der Medizin fachlich ergibt;

d.      den Schweregrad der Erkrankung: Hierbei handelt es sich um ein Element der fachlich-medizinischen Beurteilung; auch die Angaben zum Schweregrad der Erkrankung sind also aus den gemäß a. dargestellten Tatsachen nach Anwendung der gemäß b. genannten Untersuchungen abzuleiten;

e.      die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben: Hierbei ist auf die Folgen für die Gesundheit des betroffenen Ausländers abzustellen, die mit einer freiwilligen Rückkehr oder einer zwangsweisen Rückführung einhergehen würden; es muss ein Bezug zur Erkrankung und ihrem Schweregrad bestehen; beachtlich sind nur ärztlich beurteilbare Schlussfolgerungen in der Bescheinigung, nicht aber zum Beispiel Mutmaßungen zu Verhältnissen in einem möglichen Zielstaat einer Rückkehr des betroffenen Ausländers; zulässig und beachtlich sind allerdings etwa Ausführungen zu gesundheitlichen Folgen, wenn bestimmte Behandlungs- oder Therapiemöglichkeiten entfallen. Der erforderliche Inhalt der Bescheinigung muss nicht in jedem Fall genau schematisch diesen Anforderungen entsprechen („soll“); insbesondere kann es in offensichtlichen oder gravierenden Fällen unschädlich sein, wenn einzelne der genannten Elemente fehlen, wenn die Bescheinigung dennoch als „qualifiziert“ beurteilt werden kann. Nicht qualifiziert ist auf jeden Fall eine Bescheinigung, die lediglich eine Diagnose enthält. Nach dem Gesetzeswortlaut soll die qualifizierte Bescheinigung „insbesondere“ die beispielhaft genannten Angaben enthalten. Dies bedeutet einerseits, dass darüber hinaus gehende Angaben unschädlich sind, und andererseits, dass - ggfs. im Wege der Anforderung eines Nachtrages - ausnahmsweise weitere Angaben angefordert werden können, wenn im Einzelfall die Bescheinigung für einen sachverständigen Leser nicht aus sich heraus schlüssig ist, obwohl sie aus formaler Sicht die unter a bis e genannten Angaben enthält.“