Geltende Erlasse (SMBl. NRW.)  mit Stand vom 22.3.2024


Durchgängigkeit der Gewässer an Querbauwerken und Wasserkraftanlagen RdErl. des Ministeriums für Umwelt und Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz - IV-2-50 32 67 v. 26.1.2009

 

Durchgängigkeit der Gewässer an Querbauwerken und Wasserkraftanlagen RdErl. des Ministeriums für Umwelt und Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz - IV-2-50 32 67 v. 26.1.2009

Durchgängigkeit der Gewässer an
Querbauwerken und Wasserkraftanlagen

RdErl. des Ministeriums für Umwelt und Naturschutz,
Landwirtschaft und Verbraucherschutz - IV-2-50 32 67
v. 26.1.2009

Im Einvernehmen mit dem Ministerium für Wirtschaft, Mittelstand und Energie ergeht folgender Runderlass:

Querbauwerke sind in großer Dichte an vielen Gewässern vorhanden. Sie können erhebliche Auswirkungen auf die Gewässerökologie haben. Dabei dienen die Querbauwerke, Staustufen und Talsperren vielen benachbarten Interessen wie z.B. Hochwasserschutz, Trinkwasserversorgung, Energieerzeugung, Niedrigwasseraufhöhung und Freizeitgestaltung. Eine Durchgängigkeit der Gewässer an allen Querbauwerken ist anzustreben.

Ein kleiner Teil der Querbauwerke wird zur Gewinnung von Energie genutzt. Vor dem Hintergrund des drohenden Klimawandels, der Beeinträchtigung der Umwelt durch Schadstoffemissionen aller Art und der Endlichkeit fossiler Rohstoffe liegt es im öffentlichen Interesse, die vorhandenen Potenziale zur Nutzung der Wasserkraft durch Modernisierung, Ausbau oder Neubau bestmöglich und vorrangig auszuschöpfen. So hat der Europäische Rat am 9. März 2007 als verbindliches Ziel beschlossen, den Anteil erneuerbarer Energien am Gesamtenergieverbrauch der EU auf 20 % im Jahre 2020 zu steigern, ausgehend von 6,6 % im Jahre 2005. In Deutschland muss danach der Anteil der erneuerbaren Energien am Stromverbrauch in Höhe von derzeit 12,5 % auf mindestens 27 % im Jahre 2020 mehr als verdoppelt werden. Die CO2-Emissionen der Bundesrepublik Deutschland sollen bis zum Jahre 2020 um 35 % gegenüber 1990 reduziert werden. Um diese engagierten Klimaschutzziele zu erfüllen, müssen sämtliche Potenziale bestmöglich ausgeschöpft werden.

Ziel ist es, die Gewässer als Lebensraum für Flora und Fauna und als Ressource für zukünftige Generationen zu erhalten bzw. zu entwickeln und gleichzeitig die Wasserkraft als regenerative Energie zu fördern. Durchgängigkeit soll nur für solche Fischarten erforderlich sein, denen das Gewässer nach den Bewirtschaftungsvorgaben auch unter anderen Gesichtspunkten wie thermische Einleitungen, Gestalt des Gewässers, Abflussveränderungen und Chemismus Lebensraum bieten soll. Die Bewirtschaftungsvorgaben werden erst Ende des Jahres 2009 vorliegen. Sofern aus unaufschiebbaren Gründen wie ablaufende Zulassungen, vorliegende Anträge oder Schädigungen des Gewässers bereits vor diesem Zeitpunkt Entscheidungen über die Durchgängigkeit erforderlich sind, müssen die Bewirtschaftungsentscheidungen über die übrigen Rahmenbedingungen für die potentiell natürliche Fischfauna aber bereits vorher getroffen werden.

Nachträgliche Anordnungen nach Nummer 2 sind vorab mir vorzulegen.

Im Folgenden werden daher Bau und Betrieb von Querbauwerken und Wasserkraftanlagen unter den Gesichtspunkten Durchgängigkeit von Gewässern und Lebensraum für die Fauna geregelt.

Bei der Umsetzung sollte auch eine Modernisierung der Wasserkraftanlage in Betracht gezogen werden, da diese Maßnahmen nach § 23 Abs. 2 oder § 23 Abs. 4 EEG gefördert werden.

1
Zulassung von Querbauwerken und Wasserkraftanlagen

1.1
Art der Zulassung und Befristung

1.1.1
Erlaubnis, gehobene Erlaubnis und Bewilligung

In der Vergangenheit wurde häufig diskutiert, ob Benutzungen, die mit Querbauwerken und Wasserkraftanlagen verbunden sind, mit einer Bewilligung zugelassen werden können. Im Nachfolgenden werden die Voraussetzungen für die Erteilung einer Bewilligung dargelegt.

Mit Querbauwerken und der Wasserkraftnutzung können verschiedene Benutzungstatbestände erfüllt sein:
- Ableiten von Wasser (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 WHG),
- Aufstauen und Absenken eines oberirdischen Gewässers (§ 3 Abs. 1 Nr. 2 WHG),
- und Einleiten von Stoffen in ein oberirdisches Gewässer (§ 3 Abs. 1 Nr. 4 WHG).

Im Regelfall sind Benutzungen, die mit dem Betrieb von Querbauwerken und auch Wasserkraftanlagen zusammenhängen, mit einer Erlaubnis nach § 7 WHG oder einer gehobenen Erlaubnis nach § 25 a LWG zuzulassen. Bei Wasserkraftanlagen verweist § 31 Abs. 3 LWG auf § 25 a LWG.

Wenn eine Bewilligung nach § 8 WHG beantragt ist, ist zunächst zu prüfen, ob die Voraussetzungen des § 8 Abs. 2 WHG vorliegen. Im Zweifelsfall hat derjenige, der eine Bewilligung beantragt, das Vorliegen der Voraussetzungen des § 8 Abs. 2 WHG darzulegen. Wenn die Voraussetzungen des § 8 Abs. 2 WHG vorliegen, kann eine Bewilligung erteilt werden, wenn die Zielarten, die nach Nummer 5 bei der Erteilung der Zulassung festzulegen sind, durch die Anforderungen an die Benutzung für die Laufdauer der Zulassung gesichert geschützt sind. Hiervon kann regelmäßig dann ausgegangen werden, wenn die Anforderungen nach den Nummern 3.1 bis 3.3 angewandt werden. Wird von diesen Anforderungen abgewichen, kann eine Bewilligung nur erteilt werden, wenn durch eine Untersuchung über mindestens ein Jahr hinweg nachgewiesen ist, dass die Bewirtschaftungsziele erreicht werden.

Die Befristung der Zulassung erfolgt im Wesentlichen unter wasserwirtschaftlichen Gesichtspunkten. Das Interesse des Investors, seine Investitionen in der Laufzeit der Zulassung zu amortisieren, ist ebenfalls zu beachten. Der Investor hat die näheren Umstände darzulegen.

1.1.2
Gewässerausbau

Ist mit dem Querbauwerk oder der Wasserkraftnutzung die Herstellung, Beseitigung oder wesentliche Umgestaltung eines Gewässers oder seiner Ufer verbunden, ist ein Planfeststellungsverfahren oder ein Plangenehmigungsverfahren nach § 31 Abs. 2 WHG in Verbindung mit § 100 LWG erforderlich, das den Anforderungen des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPG) zu entsprechen hat. Eine Umgestaltung ist wesentlich, wenn sie den Zustand des Gewässers oder seiner Ufer dauerhaft in einer Weise verändert, die sich auf den Wasserhaushalt oder sonstige Umweltbelange in bedeutsamer Weise, also merklich, auswirkt. In der Regel wird der Neubau eines Querbauwerks oder einer Wasserkraftanlage als eine wesentliche Umgestaltung des Gewässers oder seiner Ufer zu qualifizieren sein.

Nach Nr. 12 a) der Anlage 1 zum Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung in Nordrhein-Westfalen (UVPG NRW) ist beim Bau einer Wasserkraftanlage mit einer Leistung von 1000 kW oder mehr eine allgemeine Vorprüfung nach § 3 c Satz 1 UVPG durchzuführen; für kleinere Wasserkraftanlagen ist eine standortbezogene Vorprüfung des Einzelfalls nach § 3 c Satz 2 UVPG erforderlich.

Die vom Planfeststellungsbeschluss oder der Plangenehmigung mit umfasste Erlaubnis, gehobene Erlaubnis oder Bewilligung ist mit ihrer Befristung gesondert darzustellen.

Es wird auf § 100 Abs. 4 und 5 LWG hingewiesen.

1.2
Zulassungsvoraussetzungen bei neu errichteten Querbauwerken und neuen Wasserkraftanlagen

Neue Querbauwerke und Wasserkraftanlagen werden im Regelfall als Gewässerausbau zu qualifizieren sein, im Einzelfall als Gewässerbenutzung.

Planfeststellung und Plangenehmigung des Gewässerausbaus sind nach § 31 Abs. 5 Satz 3 WHG zu versagen, soweit von dem Ausbau eine Beeinträchtigung des Wohls der Allgemeinheit zu erwarten ist. § 100 Abs. 2 Nr. 1 LWG regelt klarstellend, dass Planfeststellung oder -genehmigung zu versagen sind, wenn der Ausbau nicht den Bewirtschaftungszielen nach § 2 LWG in Verbindung mit §§ 25 a ff. WHG entspricht. Außerdem ist bei Wasserkraftanlagen § 31 a Abs. 1 LWG zu beachten.

Die Zulassung einer Gewässerbenutzung ist nach § 6 Abs. 1 WHG zu versagen, soweit von der beabsichtigten Benutzung eine nicht ausgleichbare Beeinträchtigung des Wohls der Allgemeinheit zu besorgen ist. Das Wohl der Allgemeinheit ist u.a. in den §§ 25 a ff. WHG konkretisiert. Nebenbestimmungen zum Ausgleich der Beeinträchtigung sind nach § 4 WHG, hier insbesondere § 4 Abs. 2 Nr. 2 und 2a WHG festzulegen. Im Folgenden wird dargelegt, wann die Zulassung zu versagen ist.

1.2.1
Verstoß gegen das Verschlechterungsverbot

Nach den §§ 25 a Abs. 1 Nr. 1, 25 b Abs. 1 Nr. 1 WHG ist eine nachteilige Veränderung des ökologischen Zustands oder des ökologischen Potenzials eines Gewässers zu vermeiden (Verschlechterungsverbot). Nach den §§ 25 a Abs. 1 Nr. 2, 25 b Abs. 1 Nr. 2 WHG ist der gute Zustand oder das gute ökologische Potenzial eines Gewässers zu erhalten oder zu erreichen (Zielerreichungsgebot).

Der Gewässerzustand verändert sich durch neue Querbauwerke und Wasserkraftanlagen i.S. von §§ 25 a Abs. 1 Nr. 1, 25 b Abs. 1 Nr. 1 WHG jedenfalls dann nachteilig, wenn
a) durch die neue Anlage bei Gewässern, bei denen diadrome Arten (Langdistanzwanderer) Zielart sind, die Mortalitätsquote der abwandernden diadromen Arten relevant erhöht wird oder
b) der neue Standort in einem Gewässerabschnitt liegt, der in einem sehr guten ökologischen Zustand ist.

Im Übrigen ist im Einzelfall zu prüfen, ob die neue Anlage zu einer Verschlechterung i.S. von § 25 a Abs. 1 Nr. 1 WHG oder § 25 b Abs. 1 Nr. 1 WHG beiträgt und ob die neue Anlage nicht der ansonsten möglichen Erreichung des guten Zustands bzw. des guten ökologischen Potenzials entgegensteht.

1.2.2
Verstoß gegen das Zielerreichungsgebot

Das Zielerreichungsgebot (§§ 25 a Abs. 1 Nr. 2 und 25 b Abs. 1 Nr. 2 WHG) fordert, dass Maßnahmen nach Nummer 3 zum Schutz der Zielarten nach Nummer 5 durchgeführt werden.

1.2.3
Ausnahmen

In Einzelfällen kann vom Zielerreichungsgebot unter den Voraussetzungen des § 25 d Abs. 1 WHG und vom Verschlechterungsverbot unter den Voraussetzungen des § 25 d Abs. 3 WHG abgewichen werden. Die in § 25 d Abs. 1 WHG bzw. die in § 25 d Abs. 3 WHG aufgeführten Voraussetzungen sind im Einzelfall zu prüfen.

1.2.4
Fischereirechtliche Ausnahmeregelungen

Wenn von den Vorgaben nach Nummer 4 sowie § 40 Abs. 1 Landesfischereigesetz (LFischG) abgewichen und kein ausreichender Fischschutz verlangt wird, weil die Vorrichtungen mit dem Unternehmen nicht vereinbar oder wirtschaftlich nicht zumutbar sind, ist nach § 40 Abs. 2 LFischG zu verfahren und ein angemessener Beitrag für den Fischbesatz oder eine andere gleichwertige Leistung zu verlangen. Die Fischereibehörde ist zu beteiligen.

Wenn von den Vorgaben nach Nummer 4 sowie § 45 Abs. 1 LFischG abgewichen und kein ausreichender Fischwechsel ermöglicht wird, weil es nach § 45 Abs. 2 LFischG am Standort nicht möglich ist, die Anlage nur vorübergehend ist oder die Anlegung und Unterhaltung des Fischweges Kosten oder Nachteile verursachen, die schwerwiegender sind als die Vorteile für die Fischerei, so kann die obere Fischereibehörde nach § 45 Abs. 3 LFischG verfahren und einen angemessenen Beitrag für den Fischbesatz oder eine andere gleichwertige Leistung verlangen. Dasselbe gilt für den Fall, dass die Errichtung eines Fischweges nach § 45 Abs. 4 LFischG nicht möglich ist.

1.2.5
Naturschutzrechtliche Vorgaben

Da neue Querbauwerke und neue Wasserkraftanlagen laut Nummer 1.2 im Regelfall als Gewässerausbau qualifiziert werden, stellen sie nach § 4 Abs. 2 Ziffer 6 LG NRW Eingriffe in Natur und Landschaft dar. Die Zulassungsvoraussetzungen des § 4 a LG NRW sind daher zu prüfen. Wenn es sich bei dem Gewässer um ein Gebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung handelt, sind zusätzlich die Zulassungsvoraussetzungen des § 48 d LG NRW zu prüfen.

1.3
Zulassungsvoraussetzungen für die Weiterführung bestehender Querbauwerke und Wasserkraftanlagen mit ablaufendem Recht im bisherigen Umfang

Wenn für ein bestehendes Querbauwerk und eine bestehende Wasserkraftanlage, deren Rechte ablaufen, der Weiterbetrieb im bisherigen Umfang (Auswirkungen der Benutzung auf das Gewässer) beantragt wird, gelten die Regelungen in Nummer 1.1 und 1.2 mit folgenden Modifikationen:

Das Verschlechterungsverbot (§§ 25 a Abs. 1 Nr. 1 und 25 b Abs. 1 Nr. 1 WHG) ist nicht einschlägig.

Das Zielerreichungsgebot (§§ 25 a Abs. 1 Nr. 2 und 25 b Abs. 1 Nr. 2 WHG) erfordert, dass Maßnahmen nach Nummer 3 zum Schutz der Zielarten nach Nummer 4 durchgeführt werden.

Im Einzelfall kann von Maßnahmen nach Nummer 3 abgesehen werden, soweit die Voraussetzungen nach § 25 d Abs. 1 WHG vorliegen. Das kann z.B. der Fall sein, wenn die Maßnahmen nach Nummer 3 entweder angesichts der natürlichen Gegebenheiten nicht möglich oder mit untypisch hohen und damit bei einer bestehenden Anlage unverhältnismäßigen Aufwand verbunden sind (§ 25 d Abs. 1 Nr. 1 WHG). Neben den weiteren Voraussetzungen für eine Ausnahme vom Zielerreichungsgebot in § 25 d Abs. 1 Nr. 2 und 3 WHG muss der bestmögliche Zustand erreicht werden (§ 25 d Abs. 1 Nr. 4 WHG). Die Voraussetzungen für eine Ausnahme nach § 25 d Abs. 1 WHG sind in der Zulassung ausführlich darzulegen.

Auf Nummer 1.2.3 wird verwiesen.

2
Anpassung bestehender Rechte

2.1
Rechtsgrundlagen

Eine nachträgliche Anordnung von Regelungen über die Mindestwasserführung, die Einrichtung eines Fischauf- und -abstiegs und den Fischschutz beim Abstieg bei einer Erlaubnis, einer gehobenen Erlaubnis oder einer Bewilligung ist auf § 5 Abs. 1 Nr. 1 a in Verbindung mit § 4 Abs. 2 Nr. 2 a WHG zu stützen. Es ist davon auszugehen, dass die fehlende Durchgängigkeit den ökologischen Zustand i.S. des § 4 Abs. 2 Nr. 2a WHG regelmäßig beeinträchtigt. Die Beeinträchtigung ist in der Begründung der nachträglichen Anordnung substantiiert darzulegen.

Eine nachträgliche Anordnung über diese Anforderungen ist bei sog. alten Rechten auf § 15 Abs. 4 Satz 3 in Verbindung mit § 5 Abs. 1 Nr. 1 a, § 4 Abs. 2 Nr. 2 a WHG zu stützen und daher ohne Entschädigung möglich.

Rechtsgrundlage für eine nachträgliche Anordnung über die Anforderungen an eine Wasserkraftanlage, die im Rahmen eines Gewässerausbaus nach § 31 WHG zugelassen wurde, ist § 100 Abs. 5 LWG in Verbindung mit den §§ 5 Abs. 1 Nr. 1 a, 4 Abs. 2 Nr. 2 a WHG.

2.2
Verhältnismäßigkeit

Jede nachträgliche Anordnung muss verhältnismäßig, also geeignet, erforderlich und angemessen sein. Dabei ist davon auszugehen, dass im Grundsatz diejenige Fischfauna durch Maßnahmen nach Nummer 3 zu schützen ist, der das Gewässer nach dem Bewirtschaftungsziel auch unter anderen Randbedingungen dauerhaft Lebensraum bieten soll. Von einer nachträglichen Anordnung von Maßnahmen nach Nummer 3 kann nur insoweit abgesehen werden, wie die Voraussetzungen des § 25 d Abs. 1 Nr. 1 WHG vorliegen, also die Maßnahme entweder angesichts der tatsächlichen Rahmenbedingungen unmöglich oder mit unverhältnismäßigem Aufwand verbunden ist. Die Prüfung der Unverhältnismäßigkeit von Kosten nach § 25 d Abs. 1 Nr. 1 WHG ist gleichbedeutend mit der Prüfung der Angemessenheit der nachträglichen Anordnung.

Wenn durch die nachträglichen Forderungen die Ausgaben für die Anlage die Einnahmen aus der Anlage übersteigen, wäre eine nachträgliche Anordnung mit dem völligen Entzug des Wasserrechts gleichzusetzen, die nur in besonders begründeten Ausnahmefällen in Betracht kommen kann.

Sollte die Nachrüstung für den Benutzer eine unverhältnismäßige Belastung darstellen, kann sich ein anderer Kostenträger an der Maßnahme beteiligen, so dass die Belastung des Betreibers geringer und verhältnismäßig wird. Die Anordnung einer Maßnahme kann auch durch eine Förderung des Landes verhältnismäßig werden.

Diese Anforderungen gelten auch bei Änderungsanzeigen nach § 31 Abs. 3 LWG.

3
Maßnahmen zum Ausgleich der Beeinträchtigung von Gewässern durch Querbauwerke

Ein Querbauwerk behindert in der Regel die aufwärtsgerichtete Durchgängigkeit, die durch eine Fischaufstiegsanlage zu gewährleisten ist. Die Anordnung, Dimensionierung und Funktionsfähigkeit der Fischaufstiegsanlage einschließlich des Sohlensubstrats haben den allgemein anerkannten Regeln der Technik zu entsprechen. Bei der hydraulischen und geometrischen Bemessung sind das DVWK-Merkblatt „Fischaufstiegsanlagen“ (232/1996) und ergänzend die Kapitel 10.3 bis 10.6 meines Handbuchs Querbauwerke heranzuziehen. Damit diese Werte auch eingehalten werden und auf eine spätere Funktionskontrolle verzichtet werden kann, ist bei der Planung eine Qualitätssicherung durchzuführen. Eine Funktionskontrolle durch den Betreiber ist dann grundsätzlich nicht erforderlich.

4
Maßnahmen zum Ausgleich der Beeinträchtigung der Gewässer durch Wasserkraft

4.1
Aufwärtsgerichtete Durchgängigkeit

Die aufwärtsgerichtete Durchgängigkeit ist zum einen durch eine Aufstiegsanlage zu gewährleisten. Es wird auf Nummer 3 verwiesen.

Zum anderen ist bei Wasserkraftanlagen mit Ausleitungsstrecke eine Mindestwasserführung nach folgenden Vorgaben zu gewährleisten:

Wenn der Betriebsgraben die Voraussetzung erfüllt, die Fische an mindestens 300 Tagen zur Wasserkraftanlage zu leiten, die Durchgängigkeit ermöglicht und an der Wasserkraftanlage eine funktionsfähige Aufstiegsanlage installiert ist, muss die Ausleitungsstrecke (verbliebenes Mutterbett) zumindest ausreichend Wasser führen, um dem typspezifischen Makrozoobenthos Lebensraum zu bieten (4.1.1). Wenn die Betriebsgräben die Durchgängigkeit für die Fische nicht ermöglichen, muss die Ausleitungsstrecke darüber hinaus ausreichend Wasser führen, um als Wanderkorridor zu dienen (4.1.2).

Die ausreichende Wasserführung ist nachzuweisen.

4.1.1
Ausleitungsstrecke als Lebensraum der wirbellosen Fauna

Zunächst sind Orientierungswerte für den Mindestabfluss festzulegen, die dann der lokalen Situation mit Zu- und Abschlägen angepasst werden müssen.

ORIENTIERUNGWERTE FÜR DEN MINDESTabfluss

Einzugsgebiets-größe

Standard-Orientierungswert

Erhöhter Orientierungswert

20 – 50 km²

0,5 MNQ

0,6 MNQ

> 50 km²

0,33 MNQ

0,5 MNQ

Da kleinere (20-50 km²) Gewässer einen niedrigeren und ungleichmäßigeren Abfluss haben, ist dort der Standard-Orientierungswert höher als bei größeren Gewässern, um eine überproportionale Verschlechterung des Lebensraums in der Ausleitungsstrecke zu vermeiden.

Erhöhte Orientierungswerte sind erforderlich bei gewässerökologisch empfindlichen Strecken.

Zu den Orientierungswerten müssen je nach Abflusstyp, Ausbaudurchfluss der WKA und Sohlenparameter der Gewässerstrukturgüte, der Ausleitungsstrecke und ggf. vorhandenem Rückstau im Mutterbett vom Unterwassergraben bis ans Wehr Zu- oder Abschläge erfolgen, die den gängigen Regelwerken entnommen werden können. Die Sohlenparameter lassen sich im Einzelfall durch geringfügige dem Gewässertyp angemessene Umgestaltungen des Gewässerbetts so verändern, dass sich die Mindestwassermenge verringert.

Leckagen sollen bei der Festlegung des Mindestabflusses berücksichtigt werden, wenn sie dauerhaft und messtechnisch erfassbar sind.

Bei vorhandenen Wasserkraftanlagen sollte bei der Bemessung des Mindestabflusses ein Dauerbetrieb der Turbine grundsätzlich noch ermöglicht werden, soweit die nachfolgenden Regelungen über die Bemessung des Mindestabflusses dies noch zulassen.

Grundsätzlich gilt:

Mindestabfluss = Orientierungswert x (1 + Summe der Zu- und Abschläge)

Hierbei liegt die unterste Grenze zur Vermeidung von wesentlichen Schäden an der Wirbellosenfauna bei ca. 1/6 MNQ.

Der ermittelte Mindestabfluss ist zu begründen. Dabei sind lokale Besonderheiten wie z.B. Einleitungen, die im Schema nicht berücksichtigt werden, einzubeziehen.

4.1.2
Ausleitungsstrecke als Wanderkorridor für Fische

Befindet sich die einzige Fischaufstiegsanlage am Querbauwerk, müssen nicht die Betriebsgräben durchwanderbar sein, sondern die Ausleitungsstrecke. Die Ausleitungsstrecke ist dann durchwanderbar, wenn die minimalen Fließtiefen an den pessimalen Stellen und die fortherrschende Fließgeschwindigkeit die Anforderungen an die Zielarten erfüllen.

Der Mindestabfluss ist wie folgt zu ermitteln:

Es wird zunächst der Mindestabfluss nach 4.1.1 auf der Basis der Standard-Orientierungswerte ermittelt.

Danach wird durch eine Einzelfalluntersuchung mit Messung oder hydraulischer Berechnung der Fließtiefen und der Geschwindigkeiten ermittelt, ob die Ausleitungsstrecke für die Zielarten durchwanderbar ist. Entscheidend sind folgende Parameter:

Die mittlere Wassertiefe, die über eine angemessene Breite im Bereich der Gleiten bzw. Riffle-Strukturen auftritt, muss eine Durchwanderung ermöglichen.

Die mittlere Fließgeschwindigkeit im Wanderkorridor über den Gleiten muss eine Orientierung der Fische ermöglichen.

Diese Werte müssen den Anforderungen der Zielarten genügen.

ORIENTIERUNGWERTE für die Mindestfließtiefe und die Mindestfließgeschwindigkeit in den pessimalen Profilen von durchwanderbaren Ausleitungsstrecken

Mittlere Werte über eine fischbiologisch angemessene Breite der Profile (im Bereich von Gleiten oder Riffle-Strukturen)

Fließgewässerzone

Mindestwassertiefe in m

Mindestfließgeschwindigkeit in m/s

Forellenregion

³ 0,10 bis 0,15

³ 0,3

Äschenregion

³ 0,15 bis 0,20

³ 0,3

Barbenregion

³ 0,30

³ 0,3 im Flachland ggf. geringer

Brassenregion

³ 0,40

³ 0,3 im Flachland ggf. geringer

Die Festlegung des Mindestabflusses erfordert eine fischbiologische Betrachtung der Ausleitungsstrecke, bei der die oben genannten Orientierungswerte auch im Zusammenhang mit der Länge der Ausleitungsstrecke und ihrer Bedeutung für das Einzugsgebiet gewürdigt werden müssen. Darüber hinaus sind lokale Besonderheiten wie z.B. Einleitungen zu berücksichtigen.

Der hierbei vorhandene Untergraben darf keine Sackgasse sein. Dies ist entweder nachzuweisen oder es ist eine eindeutige technische Lösung vorzugeben, wie z.B. ein ausreichend hoher Sohlabsturz oder eine hydraulisch glatte Rinne, die max. 5 cm überströmt wird. Die maßgebenden hydraulischen Randbedingungen sind zu ermitteln und nachzuweisen.

4.1.3
Festlegung des Mindestabflusses bei Gewässern des Flachlandes

Bei einer Ausleitungsstrecke im Flachland (Sohlgefälle unter 2 Promille) kann das in Nummer 4.1.2 erläuterte Verfahren häufig nur eingeschränkt angewandt werden, da es für die hydromorphologischen Bedingungen von Gewässern mit einem höheren Sohlengefälle ausgelegt ist. In diesen Fällen muss der Mindestabfluss durch eine Einzelfalluntersuchung ermittelt werden, wobei das Verfahren nach 4.1.2 Ausgangswerte liefern kann.

4.2
Abwärtsgerichtete Durchgängigkeit

Für die abwärtsgerichtete Durchgängigkeit ist ein Fischschutz auf dem Mindestniveau eines Rechenabstands von 20 mm gem. § 14 der ordnungsbehördlichen Verordnung zum Landesfischereigesetz (Landesfischereiordnung – LFischO) zu erbringen. Bei Anlagen in Gewässern, in denen der Lachs zu den Zielarten nach Nummer 5 gehört, die spätestens bei der Zulassung festzulegen sind, sind Rechenabstände von 10 mm erforderlich, bei Anlagen in Gewässern, in denen der Aal zu den Zielarten gehört, Rechenabstände von 15 mm. Die maximale Anströmgeschwindigkeit darf 0,5 m/s nicht übersteigen. Soweit ein solcher Fischschutz nicht möglich ist, muss es möglich sein, die abwandernden Fische dieser Arten über ein Turbinenmanagement zu schützen.

Bei Anlagen in Gewässern, in denen Langdistanzwanderer angesiedelt werden sollen, ist für die abwärtsgerichtete Durchgängigkeit eine Fischabstiegsanlage erforderlich. Sollten in der WKA Turbinen eingebaut sein, die nachweislich keine Fischschäden produzieren, kann auf den Einbau von Fischabstiegsanlagen und Fischschutz verzichtet werden. Beispiele hierfür sind langsam laufende Turbinen mit entsprechenden Schaufeln, Wasserräder oder archimedische Schnecken.

Bei der Konzeption der Abstiegshilfen bieten die Kapitel 12.1 bis 12.4 bzw. 12.5 bis 12.8 meines Handbuchs Querbauwerke hilfreiche Informationen.

4.3
Maßnahmen zur Herstellung der Durchgängigkeit für Sediment (Geschiebe)

Soweit im Zusammenhang mit dem Betrieb von Querbauwerken Sediment entnommen werden soll, sollte im Regelfall das Geschiebe unterhalb des Querbauwerkes dem Gewässer auf geeignete Weise wieder zugegeben werden. Hiervon kann abgesehen werden, wenn die Geschiebefracht des Gewässers anthropogen bedingt erhöht ist.

4.4
Technische Entwicklung

Die technischen Grundlagen, auf die die Nummern 3, 4.1 bis 4.3 verweisen, sind in der Entwicklung. Auch bei den zugrunde liegenden ökologischen Anforderungen gibt es fortschreitende Erkenntnisse. Bei den Anforderungen sind diese Entwicklungen und neuen Erkenntnisse zu beachten. In Zweifelsfällen ist mir zu berichten.

5
Bewirtschaftung: Festlegung der Zielarten

Nicht in jedem Gewässer und Gewässerabschnitt wird der gute Zustand oder das gute ökologische Potenzial nach §§ 25 a Abs. 1 Nr. 1 und 25 b Abs. 1 Nr. 1 WHG erreicht werden können. Das liegt unter dem Gesichtspunkt der Durchgängigkeit daran, dass Querbauwerke und Wasserkraftanlagen vorhanden sind und sich trotz aller technisch möglichen Maßnahmen auf den Lebensraum der Fische auswirken. Außerdem wirken auch andere Randbedingungen auf den Lebensraum und den Entwicklungszyklus der Fische ein wie thermische Einleitungen, die Gestalt des Gewässers, Abflussveränderungen und Chemismus.

Die Durchgängigkeit muss nicht für Fischarten gewährleistet sein, denen das Gewässer keinen Lebensraum bietet oder nach der Bewirtschaftungsentscheidung auch nicht in Zukunft bieten soll. Daher ist für Verwaltungsverfahren nach den Nummern 1 und 2 die Bewirtschaftungsentscheidung erforderlich, welchen Fischarten das Gewässer Lebensraum bieten soll (Zielarten). Bei dieser Entscheidung sind sämtliche Bedingungen, die Lebensraum und Entwicklungszyklus beeinflussen, zu berücksichtigen. Für die Zielarten muss die Durchgängigkeit erreicht werden. Als Zielarten sind diejenigen Fischarten der potenziell natürlichen Fischfauna zu bestimmen, denen das Gewässer tatsächlich Lebensraum bietet oder nach den Bewirtschaftungsentscheidungen Lebensraum bieten soll. Mit diesen Vorgaben sind dann Fischauf-, Abstiegs- und Schutzanlagen, ggf. selektiver Art, zu planen und umzusetzen.

Ausgangspunkt für die Festlegung der Zielarten ist die heutige potenziell natürliche Fischfauna (= gewässertypspezifische Fischfauna).

Für die Ermittlung der heutigen potenziell natürlichen Fischfauna ist die Fischgewässertypenkarte des MUNLV heranzuziehen.

Es sind die Belastungsfaktoren zu ermitteln, die im konkreten Gewässer die Ansiedlung von Fischarten der typspezifischen Fischfauna verhindern, sowie die Bewirtschaftungsentscheidungen für diese Belastungsfaktoren. Soweit noch keine Entscheidungen getroffen sind, hat die zuständige Behörde die erforderlichen Grundlagen für Entscheidungen zu erarbeiten und die Entscheidungen zu treffen. Es ist dann festzustellen, welchen Fischarten der potenziell natürlichen Fischfauna das Gewässer in Anbetracht der Bewirtschaftungsentscheidungen bzgl. anderer Rahmenbedingungen als Durchgängigkeit Lebensraum bietet. Diese sind die Zielarten.

6
Widerruf und Rückbau

Der Rückbau eines Querbauwerks im Gewässer verbessert dessen Hydromorphologie in Hinblick auf Durchgängigkeit, Abfluss, Geschiebehaushalt und Abflussdynamik und damit auch die Biologie in einem größeren Maß als die unter Nummer 3 aufgeführten Maßnahmen. Andererseits stellen Querbauwerke auch eine potenzielle Möglichkeit für eine zukünftige Wasserkraftnutzung dar, deren Erschließung mit Blick auf die Klimaschutzziele langfristig sinnvoll ist und u.U. erforderlich werden kann. Ein Rückbau stellt eine Aufgabe dieser Potenziale dar. Es ist daher bei der Bewirtschaftung von Gewässern umfassend zu prüfen, ob
- ein Querbauwerk noch erforderlich ist,
- eine Wasserkraftanlage wirtschaftlich betrieben werden könnte oder mittel- bzw. langfristig eine Wirtschaftlichkeit erreichbar ist oder
- im Einzelfall besondere gewässerökologische oder naturschutzfachliche Gründe für den Rückbau sprechen, die die Interessen am Fortbestand des Querbauwerks überwiegen.

Wenn keine Gründe für das Fortbestehen eines Querbauwerks vorliegen oder die Gründe für den Rückbau überwiegen, ist ein Verfahren über den Widerruf des Rechts durchzuführen und, sollte das Recht widerrufen werden, ein Verfahren nach § 31 Abs. 3 LWG.

7
Gesetz für erneuerbare Energien (EEG)

Die Modernisierung von Wasserkraftanlagen bietet eine sehr gute Grundlage, die regenerative Stromerzeugung aus Wasserkraft mit einer Verbesserung der gewässerökologischen Verhältnisse zu kombinieren. Auf Grund der erhöhten Stromerzeugung nach einer Modernisierung stellen die Bestimmungen in § 23 Abs. 2 oder § 23 Abs. 4 EEG hierfür eine gute Fördermöglichkeit dar. In gewässerökologischer Hinsicht ist zu beachten, dass entweder ein guter ökologischer Zustand erreicht ist oder der ökologische Zustand gegenüber dem vorherigen Zustand wesentlich verbessert ist. Als gewässerökologische Verbesserungen kommen die Durchgängigkeit für die potenziell natürliche Fischfauna durch Fischaufstieg, Fischschutz und Fischabstieg sowie Mindestwasserführung in Betracht.

Eine wesentliche ökologische Verbesserung des Zustands liegt vor, wenn die Maßnahmen, die Gegenstand einer Zulassung oder einer nachträglichen Anordnung sind, die Durchgängigkeit für die Zielarten und den Lebensraum in der Ausleitungsstrecke wesentlich verbessert haben. Wenn nicht alle Maßnahmen zu verwirklichen sind, soll die Herstellung der Durchgängigkeit Vorrang haben gefolgt von Fischschutz und ggf. Fischabstieg.

Als Nachweis der Erreichung eines guten ökologischen Zustands oder der wesentlichen Verbesserung des ökologischen Zustands gegenüber dem vorherigen gilt die Vorlage der behördlichen wasserrechtlichen Zulassung der Anlage.

MBl. NRW. 2009 S. 105.