Historische SGV. NRW.

 Aufgehobene Norm: (zur Aufhebung siehe unter (Fn 1))
 


Historisch: Bekanntmachung Pandemische Leitlinien gemäß § 3 Absatz 2 Satz 1 Infektionsschutz- und Befugnisgesetz


Historisch:

Normüberschrift

Bekanntmachung
Pandemische Leitlinien gemäß § 3 Absatz 2 Satz 1 Infektionsschutz- und
Befugnisgesetz

Der Landtag Nordrhein-Westfalen hat in seiner 156. Sitzung am 16. Dezember 2021 gemäß § 3 Absatz 2 Satz 1 Infektionsschutz- und Befugnisgesetz vom 25. März 2021 (GV. NRW. S 311) Pandemische Leitlinien beschlossen.

Der Beschluss wird nachfolgend bekannt gemacht.

Düsseldorf, 17. Dezember 2021

Ministerpräsident
des Landes Nordrhein-Westfalen

  

Pandemische Leitlinien
gemäß § 3 Absatz 2 Satz 1 Infektionsschutz- und Befugnisgesetz
(Fn 1)

Der Landtag fasst folgende pandemische Leitlinien gemäß § 3 Absatz 2 Satz 1 Infektionsschutz- und Befugnisgesetz vom 25. März 2021 (GV. NRW S. 311 bis 314), die grundsätzlich bis zum 18. Februar 2022 befristet sind und im Gesetz- und Verordnungsblatt bekannt zu machen sind:

-     Das Impfen ist der entscheidende Schritt heraus aus der Pandemie.

Das Impfen von weiten Teilen der Bevölkerung zur Erreichung der Herdenimmunität ist der entscheidende Schritt heraus aus der Pandemie. Die durchschlagende Wirkung kann nicht nur in Nordrhein-Westfalen oder Deutschland, sondern in der ganzen Welt beobachtet werden. Mittlerweile ist leider festzustellen, dass die Impfkampagne in Teilen ins Stocken geraten ist, obschon Impfstoff für alle Bürgerinnen und Bürger ab 12 Jahren zur Verfügung steht. Erfreulich ist der mittlerweile erreichte Durchimpfungsgrad in der Altersgruppe der 12- bis 17-ährigen von über 50 Prozent. Gleichwohl ist das Impfprogramm mit hoher Intensität fortzusetzen. Dabei sollten auch eher unkonventionelle Wege beschritten werden, die jedoch an die jeweilige Lage in den einzelnen Kommunen angepasst werden müssen. Beim Fortgang der Impfkampagne, die beständig auf ihren Erfolg hin überprüft werden sollte, muss sichergestellt sein, dass das Impfen als solches und nicht die Verfahren und die damit verbundene Bürokratie im Mittelpunkt stehen. Mit Hochdruck sind alle Möglichkeiten zu nutzen, die Auffrischungsimpfungen für alle Altersgruppen voranzutreiben. Diese Aufgabe muss dauerhaft in bestehenden, funktionierenden Strukturen – beispielsweise in Analogie zu den Grippeschutzimpfungen – eingebettet werden. Dafür gilt es entsprechend auch Kapazitäten dem Bedarf anzupassen. Vor allem in den weiteren Wintermonaten müssen die Kommunen – zusätzlich zum niedergelassenen Bereich – auch temporäre Impfstellen vorhalten. Bei den Impfungen muss es eine Mischung aus Angeboten mit und ohne vorheriger Terminvereinbarung geben. Auch die Aufklärungsarbeit ist fortzusetzen und zu intensivieren. Neben eher klassischen Kanälen wie den Printmedien muss die Informationskampagne auch weiterhin ihren Weg ins Internet und die sozialen Medien finden. Die Impfung ist nach wie vor der Weg aus der Pandemie. Hospitalisierungs-, Intensivbelegungs- und Sterberate sind bei geimpften Personen deutlich niedriger als bei Ungeimpften. Der Anspruch an die Impfung war es aber nie, jegliche Infektion zu unterbinden. Deshalb ist es erforderlich, dass vielfältige Testmöglichkeiten flächendeckend bestehen bleiben und Geimpften wie Ungeimpften offen stehen.

-     Neues Wissen und Innovationen müssen gefördert und geschaffen, Erfahrung und Erkenntnisse müssen genutzt werden.

Am 26. Februar 2020 wurde die erste Corona-Infektion in Nordrhein-Westfalen bestätigt. Seit diesem Zeitpunkt hat sich unser aller Alltag fundamental verändert. Die Bürgerinnen und Bürger mussten lernen, mit dem Virus zu leben. Expertinnen und Experten aus den verschiedensten wissenschaftlichen Fachrichtungen haben seitdem zahlreiche Forschungen und Untersuchungen durchgeführt. Diese gewonnenen Erkenntnisse gilt es zu bündeln, auszubauen und so zu nutzen, dass die Pandemie unter Kontrolle gehalten wird und eine Aussicht besteht, sie final zu beenden. Die Entwicklung neuer medizinischer Behandlungsmethoden und Medikamente ist verstärkt zu fördern. Daneben ist auf die Fortentwicklung und Optimierung der vorhandenen Impfstoffe – v.a. auch mit Blick auf Virusmutationen – besonders wert zu legen. Es gilt, aus den vielfältigen positiven aber auch negativen Erfahrungen zu lernen und noch mehr praktische Rückschlüsse auf den Lebensalltag zu ziehen. Zudem ist es erforderlich, das Wissen über das Virus und seine Verbreitung weiter zu vertiefen. Hierzu setzen wir vor allem auf die vielfältige Wissenschaftslandschaft in unserem Bundesland.

Die Pandemie darf hierzulande nicht länger eine Krise von fehlenden Daten darstellen. Wir müssen dazu kommen, vorhandenes Datenmaterial stärker zusammenzuführen und systematisch auszuwerten. So sind wir für zukünftige Herausforderungen besser gewappnet. Gleichzeitig können auch andere Länder von unserem Wissen profitieren.

Der Landtag fordert insofern ein Ausbau des Monitorings in Form eines fortlaufenden Screenings der Personen, die aufgrund einer Covid-19-Erkrankung stationär behandelt werden müssen, insbesondere nach den Merkmalen Alter, Geschlecht und Impfstatus. Zudem sollte standardmäßig die Inzidenz und die Hospitalisierungsrate getrennt nach Immunisierten und Nicht-Immunisierten ausgewiesen werden. Aus Sicht des Landtags ist es essenziell, dass die Anstrengungen zur Aufklärung des Infektionsdunkelfelds intensiviert werden. Zudem sollten unter Anwendung statistischer und demoskopischer Umfragemethoden noch viel stärker erforscht werden, wo es zu Infektionen kommt und wer (Alter, Geschlecht, Familienstand, Beruf, Mobilitätsnutzung etc.) sich infiziert. Außerdem sollten die vielfältigen Erkenntnisse, die durch die sog. „Heinsberg-Studie“ gewonnen wurden, weiter vertieft werden – auch durch die Durchführung weiterer Feldstudien. Dies geschieht vor dem Hintergrund der Überzeugung, dass es aus Sicht des Landtags – neben der Fortführung der immensen Anstrengungen in der medizinischen Forschung – gleichermaßen wichtig ist, praktisches Alltagswissen über das Virus und seine Verbreitung zu erlangen. Hierfür wird der Landtag auch Haushaltsmittel bereit stellen.

-     Die Bildungschancen für Kinder und Jugendliche müssen als Lebens- und Zukunftschancen unverändert in besonderer Weise gesichert werden.

Die nachteilhaften Folgen des monatelangen Distanz- und Wechselunterrichtes sind zu beobachten, deren Gefahren für die Bildungs- und Entwicklungschancen sind unverkennbar. Schon jetzt ist die Zunahme von körperlichen und seelischen Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen zu verzeichnen. Zudem ist von einem beträchtlichen Dunkelfeld von körperlicher und seelischer Gewalt an Kindern auszugehen, da Lehrkräfte und Betreuungspersonal in Zeiten des Distanzunterrichts nur eingeschränkte Möglichkeiten hatten, Auffälligkeiten bei Kindern und Jugendlichen zu entdecken. Bildungs- und Entwicklungschancen müssen auch in der Pandemie allerhöchste Priorität haben. Das hat auch das Bundesverfassungsgericht in seinem jüngsten Urteil über die sogenannte „Bundes-Notbremse“ klar gemacht. Konkret bedeutet es aus Sicht des Landtags, die Vernetzung zwischen Schule und Jugendhilfe zu gewährleisten und weitere Unterstützungsressourcen zu gewinnen, um Kinder und Jugendliche in den unterschiedlichen Lernsituationen verlässlich begleiten zu können, damit kein Kind aus dem Blick gerät. Vor diesem Hintergrund war es richtig, dass Bund und Länder Mittel für Aufholprogramme zur Verfügung gestellt haben. Die flächendeckende Rückkehr in den Präsenzunterricht ist richtig und alternativlos, denn klar ist, dass selbst der beste Distanzunterricht den Sozialraum Schule nicht ersetzen kann. Da aktuell für die Kinder bis 12 Jahre kein Impfstoff zur Verfügung steht, bleibt eine kontinuierliche Testung der Kinder, die nirgendwo so intensiv durchgeführt wird, wie in Nordrhein-Westfalen, ein unabdingbarer Baustein der Schutzstrategie. In diesem Zusammenhang ist es richtig, wenn Quarantäneanordnungen durch die zuständigen Behörden bei einem Infektionsfall nicht den gesamten Klassenverband bzw. den Verband einer Offenen Ganztagsgrundschule betreffen. Sogenannte Quarantäneschleifen müssen vermieden werden, denn dies kann zu unbilligen Härten führen.

-     Die Eigenverantwortung der Bürgerinnen und Bürger bei der Pandemiebekämpfung muss gestärkt, gefördert und eingebunden werden.

Die Pandemie kann nur erfolgreich bekämpft werden, sofern die Bürgerinnen und Bürger Wachsamkeit, Achtsamkeit, Vorsicht und Rücksichtnahme üben, um Infektionsrisiken zu minimieren. Dies kann nur gelingen, wenn zum einen die staatlichen Regelungen Akzeptanz finden, weil das die Grundvoraussetzung für die Beachtung der Bestimmungen in einem freiheitlichen Rechtsstaat bildet. Zum anderen schafft die eigenverantwortliche Umsicht, Initiative, aber auch Kreativität der Bevölkerung einen wesentlichen Baustein für eine günstige Beeinflussung der Pandemie und zwar vor allem in den Bereichen, die nicht durch staatliche Regeln betroffen sind. Dies gilt beispielsweise für den privaten Bereich, der vor staatlichen Eingriffen in besonderer Weise geschützt ist. Die Pandemie kann nicht allein durch Erlasse, Verordnungen oder Gesetze gestoppt werden, sondern erfordert das aktive und überzeugte Mitwirken der Menschen.

-     Den Blick nach vorne richten: Entwicklung einer Exit-Strategie

Bei der Bekämpfung der Pandemie gehört selbstverständlich die Entwicklung einer Exit-Strategie unumgänglich dazu. Diese muss sich an dem Leitgedanken orientieren, dass die Impfung der entscheidende Weg aus der Pandemie ist. In der Abwägung zwischen Infektionsschutz und Sicherung der Grundrechtsausübung muss dann auch Bedeutung besitzen, dass der Staat nicht alle Bürgerinnen und Bürger vor jedem Lebensrisiko zu schützen vermag. Die Exit-Strategie muss darlegen, an welchem Punkt und zu welchen Kriterien die Selbstverantwortung gegenüber staatlichem Handeln in den Vordergrund rückt.

Zu einer Exit-Strategie gehört aber gleichermaßen auch eine Analyse, welche Schäden aufgetreten sind und welche Folgen die Pandemie nach sich zieht. Denn nur durch diese saubere Aufarbeitung wird es möglich, die Schäden zu beheben und vor allem langfristig die richtigen Lehren und Schlüsse aus den gemachten Erfahrungen zu ziehen. Zudem muss dieser Betrachtung das Wissen darum inhärent sein, dass es auch für die Zukunft nicht auszuschließen ist, dass es zu weiteren Pandemien kommt. Es wäre aber fatal, wenn man aus den Erfahrungen der Corona-Pandemie nichts gelernt hätte.

Fußnoten:

Fn 1

GV. NRW. S. 1469.
Obsolet.