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144. Ergänzung - SMB1. NW. - (Stand 1. 7. 1981 - MB1. NW. Nr. 54 einschl.)

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Anlage

Konzept zur Intensivierung

der Betreuung Drogenabhängiger

in Justixvollzugsanstalten des Landes

l Vorbemerkung:

1.1 Der Drogenmißbrauch hat sich insbesondere in den letzten Jahren besorgniserregend entwickelt Besonders betroffen von dieser Entwicklung sind die Einrichtungen des Justizvollzuges. In zunehmendem Maß sind Drogenabhängige in Untersuchungs- und Strafhart aufzunehmen.

Im Mai 1980 hat die Landesregierung das vom Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales auch unter Beteiligung des Justizministers erstellte Landesprogramm zur Intensivierung der Bekämpfung des Drogenmißbrauchs gebilligt Der besonderen Situation suchtkranker Straftäter soll danach durch folgende Lösungsschritte besser als bisher Rechnung getragen werden:

- Schaffung von anstaltsübergreifenden Kooperationsmöglichkeiten mit Suchtberatungsstellen und Therapieeinrichtungen, um in geeigneten Fällen durch Vermittlung des Beschuldigten in Therapieeinrichtungen die Anordnung von Untersuchungs-haft entbehrlich zu machen und die Vollzugsmaßnahmen bei Strafgefangenen durch therapeutische

. Anstrengungen zu unterstützen; ~

- Betreuung der Drogenabhängigen im Vollzug durch Anstaltskräfte sowie Mitarbeiter der örtlichen Beratungsstelle mit dem Ziel, die Drogenabhängigen zu motivieren, sich ihrer Suchtproblematik zu stellen.

\2 Das zwischen dem Justizminister und dem Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales abgestimmte , Konzept versucht der besonderen Situation der Drogenabhängigen in Justizvollzugsanstalten Rechnung zu .tragen. Es geht davon aus, daß einerseits der Justizvollzug zu einer therapeutischen Behandlung weder bestimmt noch aufgrund seiner derzeitigen personellen und sachlichen Ausstattung in der Lage ist, andererseits die Zeit der Inhaftierung für eine drogenfreie Rehabilitation nutzbar gemacht werden kann.

2 Betreuung drogenabhängiger Untersuchungsgefange-<

• ' ner

Ergebnis der Betreuungsarbeit sollte sein, daß drogenabhängige Untersuchungsgefangene, soweit sie hierfür geeignet erscheinen und die gesetzlichen Voraussetzungen (§ 116 StPO) vorliegen, möglichst frühzeitig in eine externe Therapieeinrichtung entlassen werden können.

Nach den bisher vorliegenden Erfahrungen ist die Zeit der Untersuchungshaft in besonderem Maße geeignet bei drogenabhängigen Gefangenen die Bereitschaft zu wecken, sich einer Therapie zu unterziehen. Dies gilt insbesondere für erstmalig inhaftierte Drogenabhängige, die unter dem Eindruck des Freiheitsentzuges eher bereit sind, ihre Situation zu verändern. Die Betreuungsarbeit ist wie folgt auszugestalten:'

2.1 Erfassung der drogenabhängigen Gefangenen

Der Aufnahmevollzug (Nr. 16 UVollzO) ist so zu gestalten, daß möglichst alle drogenabhängigen Gefangenen von der Anstalt erfaßt werden. Durch organisatorische Maßnahmen ist sicherzustellen, daß alle insoweit anfallenden Informationen (z. B. Ergebnis der Zugangsuntersuchung, Haftbefehl, Ergebnis des Zugangsgespräches) zentral ausgewertet werden können. Erst eine durch die zentrale Erfassung gewonnene genaue Kenntnis der Zielgruppe ermöglicht eine sachgerechte und den Bedürfnissen entsprechende Betreuung. Darüber hinaus, erlaubt diese Erfassung jederzeit eine zuverlässige Auskunft über die Zahl der jeweils inhaftierten Drogenabhängigen.

Ob ein Gefangener drogenabhängig ist, dürfte am ehesten anläßlich der nach Nr. 16 Abs. 2 UVollzO alsbald nach der Aufnahme vorzunehmenden ärztlichen Untersuchung zu ermitteln sein. Dieser Untersuchung

kommt daher besondere Bedeutung zu. In Zweifelsfällen ist eine Urinkontrolle anzustreben. Sofern erforderlich, ist der Gefangene körperlich zu entgiften. In aller Regel ist eine körperliche Entgiftung in der Justizvollzugsanstalt durchführbar.' Drogenabhängige Gefangene, die einer stationären Behandlung bedürfen, sind in das Krankenhaus für innere Krankheiten bei der Justizvollzugsanstalt Bochum zu verlegen, sofern sie transportfähig sind; andernfalls

- dies dürfte der Ausnahmefall sein - sind sie in das nächstgelegene geeignete Krankenhaus einzuliefern.

22 Erste Kontaktaufnahme

Anläßlich der ersten Kontaktaufnahme, durch den hierfür vorgesehenen Bediensteten (vgl. Nr. 4) sind sämtliche als. drogenabhängig erfaßten Gefangenen über die für sie bereitgehaltenen Betreuungsangebote zu informieren. Diese erste Kontaktaufnahme dient zugleich der Abklärung der Bedürfnissituation des drogenabhängigen Gefangenen,' insbesondere auch der Beantwortung der Fragen, ob der Gefangene selbstmordgefährdet ist und mit welchen Maßnahmen einer Selbstmordgefährdurig zu begegnen ist Bei1 diesem Gespräch sollte dem' Gefangenen ein ' Formblatt ausgehändigt werden, auf dem die Angebote der Justizvollzugsanstalt bezeichnet sind und auf. dem er vermerken kann, von welchen Angeboten er Gebrauch machen will. Auf diese Weise wird der Gefangene in die Verantwortung für die weitere Gestaltung der Untersuchungshaft in bezug auf seine Drogenabhängigkeit einbezogen. Das nur begrenzte betreuerische Angebot sollte-zunächst auf die drogenabhängigen Gefangenen konzentriert werden, die den ausdrücklichen Wunsch nach Betreuung äußern. Die . Betreuungsarbeit darf jedoch nicht auf diese. Gefangenen beschränkt bleiben.

Das erste Kontaktgespräch dürfte dann von größtem Nutzen sein, wenn für den Drogenabhängigen das Hilfsangebot der Anstalt inhaltlich erfahrbar wird; das bedeutet daß die formelle Abwicklung des Gespräches nicht im Vordergrund stehen darf.

2.3 Motivationsarbeit

Ziel der Motivationsarbeit ist es, bei den für eine therapeutische Behandlung geeigneten Gefangenen die Bereitschaf t'zu wecken, sich einer Therapie außerhalb'

• • des Justizvollzugs zu unterziehen.

'Die Motivationsarbeit sollte in Form von Einzel- und Gruppenmaßnahmen geleistet werden. Sie ist begleitend zu unterstützen durch ein besonders auf die Bedürfnisse Drogenabhängiger abgestelltes Freizeitangebot das insbesondere sportliche und schöpferische Betätigung vorsehen sollte.

Die Motivationsarbeit könnte möglicherweise intensiviert werden, wenn die drogenabhängigen Gefangenen bei erheblich verstärktem Personaleinsatz in besonderen Abteilungen zusammengefaßt werden. Im Vergleich zum Angebot einer „offenen" Motivationsarbeit könnten die Mitarbeiter wegen ihrer ständigen Anwesenheit auf der Abteilung in weit größerem Umfang auch den gruppendynamischen Prozeß für das Motivationsziel nutzbar machen und infolge der verbesserten Möglichkeiten der Verhaltensbeobachtung sachgerechter eingreifen und auch entscheiden. , Allerdings dürfte unter den derzeitigen- personellen und räumlichen Verhältnissen keine Justizvollzugsanstalt zu einer „geschlossenen" Motivationsarbeit in der Lage sein. Gleichwohl sollte in jeder Anstalt geprüft werden, inwieweit - ggf. in enger Zusammenarbeit mit anderen Institutionen wie- Drogenberatungsstellen, Volkshochschulen und Abstinenzverbänden - die „offene" Motivationsarbeit verdichtet und damit verbessert werden könnte.

Ist ein Gefangener zu einer therapeutischen Behandlung bereit und geeignet, ist die Justizvollzugsanstalt ihm bei der Umsetzung seiner Vorstellungen behilflich. Sie hilft ihm namentlich bei

- der Auswahl der Therapieeinrichtung,

- der Beschaffung der Kostenzusage sowie

143. Ergänzung - SMB1. NW. - (Stand 1. 5. 1981 = MB1. NW. Nr. 35 einschl.)

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- der Beschaffung der ärztlichen Bescheinigung über die erfolgreiche Durchführung . des körperlichen Entzuges und die Behandlungsbedürftigkeit

2.4 Zusammenarbeit mit den örtlichen Drogenberatungsstellen

Da der Vollzug über entsprechendes Fachpersonal nicht in ausreichendem Maße verfügt, läßt sich die Motivationsarbeit nur in enger Zusammenarbeit mit den Mitarbeitern der örtlichen Drogenberatungsstellen, Volkshochschulen sowie der Abstinehzverbände der freien Wohlfahrtspflege verwirklichen. Dieser Zusammenarbeit kommt auch deshalb besondere Bedeutung zu, weil die Mitarbeiter der Drogenberatungsstellen von den drogenabhängigen Inhaftierten eher „angenommen" werden.

Grundlage dieser Zusammenarbeit sollte ein von der Anstalt gemeinsam mit den Mitarbeitern der vorgenannten Einrichtungen erarbeiteter und fortzuschreibender Betreuungsplan für drogenabhängige Gefangene sein (vgl. auch Nr. 6). Auftretende Schwierigkeiten bei der Realisierung dieser Zusammenarbeit wie

- Zuführung <von Gefangenen zu Mitarbeitern der Drogenberatungsstellen,

- Bereitstellung von geeigneten Räumen

sind in gemeinsamen Besprechungen zu erörtern und

einer möglichst einverständlichen Lösung zuzuführen.

Mitarbeiter der örtlichen Drogenberatungsstellen sowie der vorgenannten Einrichtungen sind keine ehrenamtlichen Betreuer im Sinne der AV v. 2.12.1977 -JMB1. NW. 1978 S. 5 -. Auf Nr. 14 dieser AV wird Bezug genommen.

2.5 Fühlungnahme mit den zuständigen Richtern und Staatsanwälten

Unverzichtbare Voraussetzung jeglicher Betreuungsarbeit mit drogenabhängigen Untersuchungsgefangenen ist die enge Zusammenarbeit mit den zuständigen Richtern und Staatsanwälten. Unverzüglich nach der Aufnahme eines drogenabhängigen Gefangenen sind der zuständige Richter und der zuständige Staatsanwalt über den Betreuungsplan der Anstalt für Drogenabhängige (vgl. Nr. 6) zu unterrichten sowie darüber, daß er nur in enger Zusammenarbeit mit den örtlichen Drogenberatungsstellen, Volkshochschulen und Abstinenzverbänden zu verwirklichen ist, deren Mitarbeiter im Rahmen der yon der Anstalt zu leistenden Vollzugsgestaltung tätig werden. Der Richter/Staatsanwalt ist ausdrücklich darüber zu unterrichten, daß -sofern er nichts anderes anordnet - die Anstalt davon ausgeht, daß die Verwirklichung des Betreuungskonzepts den Zweck der Untersuchungshaft nicht gefährdet es für Besuche der Mitarbeiter der örtlichen Drogenberatungsstellen einer Besuchserlaubnis nicht bedarf und insoweit eine Besuchsüberwachung nicht stattfindet

In regelmäßigen Abständen ist ein allgemeiner Erfahrungsaustausch über die Behandlung drogenabhängiger Untersuchungsgefangener mit den Richtern und Staatsanwälten anzustreben.

3 Betreuung drogenabhängiger Strafgefangener

Bei den Drogenabhängigen im Strafvollzug handelt es sich überwiegend um Konsumenten harter Drogen, die in Freiheit zur freiwilligen Therapie nicht bereit warep, oder, soweit die verwirkte Strafe zur Bewährung ausgesetzt oder sonst nicht vollstreckt worden ist entsprechenden Auflagen und Weisungen nicht nachgekommen sind, sowie um langjährige Drogen-konsümenten mit mehrfachem Scheitern der drogenfreien Rehabilitation.

Der Tatsache Rechnung tragend, daß der Strafvollzug zu einer therapeutischen Behandlung weder bestimmt noch in der Lage ist .sollten alle Maßnahmen bei drogenabhängigen Strafgefangenen darauf hinzielen, ihn

möglichst frühzeitig in eine externe Therapieeinrich-tung zu entlassen.

In geeigneten Fällen ist eine Überführung des drogenabhängigen Strafgefangenen in eine externe Behandlungseinrichtung, ggfs. durch Gnadenmaßnahmen anzustreben. Hält der Leiter der Justizvollzugsanstalt einen Gnadenerweis für angezeigt, regt er bei der zuständigen Gnadenbehörde die Einleitung eines Gnadenverfahrens an (§ 7 Abs. 2 GnONW).

Im übrigen gelten für drogenabhängige Strafgefangene folgende Besonderheiten:

Den Maßnahmen (insbesondere schulische und berufliche Maßnahmen), die - soweit dies unter den Bedingungen des geschlossenen Vollzugs möglich ist - auf die Förderung von Eigenaktivität und -Verantwortlichkeit abzielen, kommt bei Drogenabhängigen besondere Bedeutung zu.

Im Rahmen der konkreten Vollzugsgestaltung sind Vollzugslockerungen und Urlaub im Interesse des Drogenabhängigen nur nach einer besonders gründlichen Prüfung zu gewähren.

Den Gefangenen sollte Gelegenheit gegeben werden, durch Urinkontrollen Abstinenz nachzuweisen. Im Hinblick darauf, daß es sich bei diesen Urinkontrollen um drogentherapeutische Maßnahmen handelt, ist bei positivem Befund in der Regel von der Erstattung einer Strafanzeige abzusehen.

4 Organisatorische Maßnahmen

In jeder Justizvollzugsanstalt sind Bedienstete vorzusehen, die vornehmlich oder ausschließlich folgende Aufgaben wahrzunehmen haben:

- Organisation und Koordination von Maßnahmen, die drogenabhängige Gefangene betreffen,

- Kontakte zu den Drogenberatungsstellen,

- Vertretung der Justizvollzugsanstalten in regionalen Arbeitskreisen,

- Motivationsarbeit in Form von Einzel- und Gruppenmaßnahmen,

- anstaltsinterne Fortbildung auf dem Gebiet der Suchtkrankenhilfe.

Der Anstaltsleiter hat'sicherzustellen, daß diese Bediensteten, die unter entsprechendem Wegfall bisher wahrgenommener Aufgaben auch im'Geschäftsvertei-lungsplan auszuweisen sind, die für die sachgerechte Erledigung'ihrer Aufgaben notwendigen Informationen und Hilfestellung erfahren.

»

5 Drogenprävention '

In den Justizvollzugsanstalten, insbesondere in denen, die zur Aufnahme junger Gefangener bestimmt sind, ist der Anteil der Drogengefährdeten unverhältnismäßig stark. Im Gegensatz zu früher ist die heutige Drogenszene durch die Vermengung süchtigen Verhaltens mit Kriminalität gekennzeichnet. Dabei ist abgesehen von den Fällen, bei denen die kriminelle Verstrickung als Folgeerscheinung der Drogenabhängigkeit zu werten ist, immer häufiger zu beobachten, daß süchtiges Verhalten schon bestehendes kriminelles Verhalten überlagert Hinzu kommt daß Drogenabhängige nicht abhängige Mitgefangene zum Drogenkonsum zu verleiten versuchen.

Deshalb darf bei den Bemühungen der Anstalt der Drogenproblematik gerecht zu werden, die Vorbeugearbeit nicht außer acht gelassen werden. Sie ist in enger Zusammenarbeit mit den örtlichen Drogenberatungsstellen zu leisten, denen nach dem Landesprogramm zur Intensivierung der Bekämpfung des Drogenmißbrauchs zusätzliche Mittel für die Einstellung entsprechend ausgebildeter Fachkräfte zugewiesen werden.

6 Zusammenarbeit Justizvollzugsanstalten - Aufsichtsbehörden

Die .Bewältigung der aus dem Drogenmißbrauch sich ergebenden Probleme im Bereich des Justizvollzuges

5. 3. 81 (2),

248. Ergänzung - SMBl. NRW. - (Stand 15. 4. 2000 = MBl. NRW. Nr. 21/2000 einschl.)

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erfordert eine enge Zusammenarbeit der Justizvollzugsbehörden. Dabei kommt den Justizvollzugsanstalten die Aufgabe zu, dieses Konzept zur Intensivierung der Betreuung drogenabhängiger Gefangener in Form eines Betreuungsplanes den tatsächlichen Verhältnissen und Bedürfnissen in der Anstalt anzupassen, diesen Betreuungsplan für alle Beteiligten verbindlich festzulegen und im Rahmen des sachlich und perso-

-nell Möglichen umzusetzen.

Aufgabe der Aufsichtsbehörden ist es, die Justizvollzugsanstalten bei der Verwirklichung dieses Konzepts zu beraten, ihnen die mögliche Hilfestellung zu leisten sowie eine sachgerechte Behandlung des Drogenproblems sicherzustellen.

Hervorzuheben sind insbesondere

- Planung und Durchführung von überörtlichen Fortbildungsveranstaltungen,

- Erörterung organisatorischer und finanzieller Fragen mit den Spitzenverbänden der freien Wohlfahrtspflege als den Trägern von Drogenberatungsstellen und Therapieeinrichtungen,

- Erörterung inhaltlicher Fragen der Zusammenarbeit mit der nordrhein-westfälischen. Arbeitsgemeinschaft der Mitarbeiter von Drogenberatungsstellen.