Anlage 1

Gemeinsame Konzeption des Justizministeriums und des
Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen
über Grundlagen und praktische Ausgestaltung der Unterbringung von Jugendlichen
gemäß § 71 Abs. 2 JGG und § 72 Abs. 4 JGG in geeigneten Heimen der Jugendhilfe

1.

Die Unterbringung in einem Heim der Jugendhilfe ist keine besondere Form der Untersuchungshaft für jugendliche Beschuldigte, sondern eine von der Jugendhilfe bereitgestellte alternative Unterbringungsmöglichkeit. Nach § 34 SGB VIII - Kinder- und Jugendhilfegesetz - ist Heimerziehung die Unterbringung in einer Einrichtung über Tag und Nacht. Gem. § 71 Abs. 2 Satz 3 JGG richtet sich die Ausführung der einstweiligen Unterbringung nach den für das Heim der Jugendhilfe geltenden Regelungen und nicht nach den Vorschriften über den Vollzug der Untersuchungshaft nach § 119 StPO. Das schließt einzelfallbezogene Absprachen zwischen der Heimleitung und dem Jugendgericht nicht aus.

2.

Die Entscheidung über die Unterbringung und die Aufhebung der Maßnahme obliegt dem Jugendgericht. Die Träger der Heime bzw. deren Heimleitungen sind in ihrer Entscheidung über die Aufnahme eines Jugendlichen frei. Entscheidungen über die Gestaltung des Heimlebens, z. B. über die Art der Unterbringung, die pädagogische Form der Betreuung, die Gewährung von Urlaub, Ausgang und Besuchen, trifft der Träger des Heimes bzw. die Heimleitung.

Eine fluchtsichere Unterbringung ist nicht Voraussetzung für die Unterbringung in einem Heim der Jugendhilfe (vgl. § 71 Abs. 2 Satz 3 JGG).

 

3.

Das Jugendgericht setzt sich vor seiner Entscheidung über die Anordnung der Maßnahme mit der Jugendgerichtshilfe des zuständigen (Fn1) Jugendamtes in Verbindung. Diese klärt - ggf. mit Hilfe des Landesjugendamtes - Möglichkeiten einer Aufnahme ab und übermittelt dem Heim die zur Vorbereitung einer Heimaufnahme erforderlichen Informationen.

In Eilfällen, z. B. außerhalb der Dienstzeiten der Jugendämter, kann das Jugendgericht unmittelbar mit der Leitung einer ihm bekannten Einrichtung in Verbindung treten und Aufnahmemöglichkeiten absprechen.

4.

Vor ihrer Entscheidung über eine alternative Unterbringung zur Untersuchungshaft informieren sich die Staatsanwaltschaft und das Jugendgericht darüber, ob die in Aussicht genommene Jugendhilfeeinrichtung im Einzelfall das geeignete Heim und zur Aufnahme bereit ist.

5.

Die Landesjugendämter benennen dem Justizministerium und dem Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales jährlich in Frage kommende Heime und stellen Informationen über deren Leistungsangebot zur Verfügung. Diese Informationen werden bei Bedarf aktualisiert.

6.

Da der Zweck der einstweiligen Unterbringung gerade auch die sinnvolle erzieherische Nutzung der bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens vergehenden Zeit ist, dürfen auch Probleme, die mit dem Tatvorwurf zusammenhängen, schon während der Unterbringung mit dem Jugendlichen aufgearbeitet werden. Dabei darf allerdings nicht außer acht gelassen werden, dass der Jugendliche noch nicht verurteilt ist, er mithin rechtlich nach wie vor als unschuldig anzusehen ist.

7.

Die Heime geben auf Verlangen dem Jugendgericht Auskunft über die Art der Unterbringung und Betreuung sowie die Entwicklung des Jugendlichen.

8.

Hält die Heimleitung aus pädagogischen Gründen eine Beendigung des Heimaufenthaltes eines Jugendlichen für angezeigt, so führt sie hierfür unter Mitwirkung der Jugendgerichtshilfe eine Entscheidung des Jugendgerichts herbei.

9.

Die mit der Unterbringung gem. § 71 Abs. 2, § 72 Abs. 4 JGG verbundenen Kosten trägt die Justiz.

10.

Diese "Gemeinsame Konzeption" ersetzt diejenige aus dem Jahre 1982.

 

 

(Fn1) Vgl. Empfehlung der Arbeitsgemeinschaft der kommunalen Spitzenverbände zur Durchführung des Gemeinsamen Runderlasses des Justizministeriums, des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales und des Innenministeriums "Haftentscheidungshilfe im Jugendstrafverfahren".