Anlage 1 zum RdErl. vom 24.5.1973
A.
Nach den bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnissen ist das Mycobacterium avium
sowohl für den Menschen als auch für Saugetiere wesentlich weniger pathogen als
das Mycobacterium bovis. Es kommt zwar bei mit M. avium infizierten Rindern in
einem Teil der Fälle zu pathologisch-anatomischen und histologischen
Veränderungen; diese beschränken sich aber vorwiegend auf die Lymphknoten des
Verdauungstraktes und führen nur ausnahmsweise zur Generalisation. Die Zahl der
Bakterienausscheider ist aufgrund der Lokalisation und der relativ großen
Abheilungstendenz der Veränderungen nicht erheblich. Es liegen bisher keine
Anhaltspunkte vor, dass sich eine vom Geflügel auf Rinder übertragene aviäre
Tuberkuloseinfektion unter den Rindern weiter verbreitet. Die Bedeutung der
aviären Tuberkulose liegt vor allem darin, dass bei so infizierten Rindern
vorübergehend eine Tuberkulinempfindlichkeit entstehen kann.
Auch
Infektionen mit den sog. „atypischen“ Mykobakterien kommt nach
wissenschaftlicher Auffassung beim Rind bisher kein besonderes Gewicht zu.
Sicher werden diese in der Umgebung der Tiere zum Teil weit verbreiteten
Mykobakterien häufig aufgenommen, es kommt jedoch nur selten zu manifesten
Herdbildungen und insbesondere nicht zu progressiven Veränderungen. Die
derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnisse deuten daraufhin, dass Tiere nur
sehr selten Träger und Ausscheider von „atypischen“ Mykobakterien sind.
Die
Tuberkulosebekämpfung beim Rind richtet sich daher – wie bisher – nur gegen die
„bovine“ Tuberkulose.
B.
I. Bei erstmaligem Auftreten von zweifelhaften Tuberkulinreaktionen – in
der Regel bei Wiederholungsuntersuchungen in amtlich als tuberkulosefrei
anerkannten Beständen – hat der Amtstierarzt zu entscheiden, ob aufgrund einer
derartigen Reaktion bis zu dem Zeitpunkt, an dem die erste Nachuntersuchung
möglich ist, nur das reagierende Einzeltier zu maßregeln ist, oder ob bereits
ein Verdacht auf Tuberkulose vorliegt, dem bestimmte Maßnahmen für den ganzen
Bestand folgen müssen.
Angesichts
der verschiedenen möglichen Reaktionsursachen ist es zur Vermeidung von
Unklarheiten zweckmäßig, bis zur Abklärung der Reaktionsursachen offiziell nur
von „Tuberkulinreaktionen“ und „Tuberkulinreagenten“ zu sprechen. Die Diagnose
„bovine Tuberkuloseinfektion“ bzw. „Verdacht auf eine Bovine
Tuberkuloseinfektion“ (vgl. B II) kann i.d.R. bei alleiniger Anwendung von
Rindertuberkulin – anlässlich der Wiederholungsuntersuchung – nicht gestellt
werden. Im Einzelfall können besondere epidemiologische Zusammenhänge das
Vorliegen eines Verdachtes auf eine bovine Infektion rechtfertigen; im
Allgemeinen wird jedoch erst bei der Nach- oder Ergänzungsuntersuchung eine
genauere Beurteilung unter Zuhilfenahme der vergleichenden Tuberkulinprobe
möglich sein.
II. Rinder mit zweifelhaften
Tuberkulinreaktionen sind mit Rinder- und Geflügeltuberkulin (vergleichende
Tuberkulinprobe) nachzuuntersuchen; soweit nach Lage des Falles erforderlich,
ist die klinische, ggf. auch die bakteriologische Untersuchung heranzuziehen.
Über die Untersuchungen sind von den beamteten oder amtlich beauftragten
Tierärzten Aufzeichnungen zu fertigen, aus denen Art und Ergebnis der
Untersuchung, sowie die abgegebene Beurteilung ersichtlich sind; ggf.
beteiligte Veterinäruntersuchungsämter haben ebenfalls entsprechende
Aufzeichnungen zu machen.
Die
vergleichende Tuberkulinprobe ist wie folgt durchzuführen:
An
der rechten oder linken Schulter des Rindes werden vor der Schulterblattgräte
die Haare an einer Stelle, die keine Verdickung oder sonstige Veränderung
aufweist, in einem Bereich von etwas 8 – 10 cm Länge und etwa 2 – 3 cm Breite
abgeschoren. In der Mitte der oberen Hälfte und in der Mitte der unteren Hälfte
des geschorenden Feldes wird die Hautfaltendicke gemessen und das Ergebnis
beider Messungen notiert. Danach werden mit einer selbstdosierenden oder auf
die erforderliche Dosis einstellbaren Tuberkulinspritze in die obere Messstelle
0,1 ml (mindestens 2000 Gemeinschaftseinheiten oder 5000 Internationale
Einheiten) Rindertuberkulin und in die untere Messstelle 0,1 ml
Geflügeltuberkulin (mindestens 2000 Internationale Einheiten) intrakutan injiziert.
Dabei ist darauf zu achten, dass die Tuberkuline nur intrakutan und nicht
subkutan injiziert werden oder zum Teil wieder aus der jeweiligen
Injektionsstelle nach außen abfließen. Zur Kontrolle der Intrakutanen
Injektionen sind daher die Injektionsstellen mit einer Fingerkuppe auf das
Vorhandensein etwa linsengroßer Quaddeln, die den richtigen Sitz der
Injektionen anzeigen, zu prüfen. Das Rinder- und Geflügeltuberkulin kann auch
auf getrennten Körperseiten an korespondierenden Stellen injiziert werden, um
ggf. klinische Symptome an den Injektionsstellen (insbesondere Mitentzündung
der regionalen Lymphknoten und Lymphgefäße) deutlicher abgrenzen und bei der
Beurteilung der vergleichenden Tuberkulinprobe berücksichtigen zu können.
Bei
Vorliegen besonderer Umstände, insbesondere bei Weidetieren, kann vom Scheren
der Haare abgesehen werden; die Injektionsstellen sind in diesen Fällen jedoch
ausreichend in anderer Form kenntlich zu machen. Das Ergebnis der
Tuberkulinproben darf nicht früher als 72 Stunden und nicht später als 96
Stunden nach der Injektion des Tuberkulins abgelesen und beurteilt werden. Bei
der Ablesung ist besonderer Wert auf sorgfältige Messung der an den
Injektionsstellen vorhandenen Hautdicken zu legen.
Die
Beurteilung der Tuberkulinreaktion erfolgt durch Vergleich der Reaktionen, die
mit Rinder- und Geflügeltuberkulin erzielt wurden. Sie ist unter Beachtung der
an den Injektionsstellen auftretenden klinischen Symptome, wie Schmerz, teigige
Konsistenz, Exsudation, Nekrose, insbesondere aber aufgrund der jeweiligen,
durch exakte Messung ermittelten Hautdickenzunahme durchzuführen; eine nur
aufgrund von Adspektion oder Palpation vorgenommene Beurteilung ist keinesfalls
ausreichend.
Als
Maßstab für die Beurteilung ist folgender Schlüssel anzuwenden: (Tabelle siehe
Anhang)
Sofern
bei einem auch nur geringen Überhang auf Rindertuberkulin ein oder mehrere
deutliche Symptome vorhanden sind, muss mit dem Vorliegen einer bovinen
Tuberkuloseinfektion gerechnet werden.
III. Im Rahmen der Rindertuberkulosebekämpfung
ist primär nur die „bovine Tuberkulose“ als spezielle Ursache abzuklären. Nach
dem vorstehenden Schlüssel wird daher nur beurteilt, ob ein „Hinweis auf Bovine
Tuberkuloseinfektion“ vorliegt. Die Beurteilung der Einzelreaktion hat stets
unter Beachtung der Reaktionslage des Gesamtbestandes zu erfolgen. Bei
vermehrtem Auftreten von Tuberkulinreaktionen in einem Bestand sollte bei der
Nachuntersuchung erneut – sofern das ohne besondere Schwierigkeiten möglich ist
– eine Bestandsuntersuchung, zumindest aber eine Untersuchung aller Tiere, die
bei der vorangegangenen Untersuchung eine Hautdickenzunahme von mehr als 1 mm
aufgewiesen haben, unter Verwendung der vergleichenden Tuberkulinprobe
durchgeführt werden. In jedem Falle sind Ermittlungen über die Ursache der
auftretenden Reaktionen anzustellen und die Beseitigung der Ursachen
anzustreben. Dabei ist vor allem die Möglichkeit zu berücksichtigen, dass
Tuberkulinreaktionen als sog. „Gruppenreaktion“ oder „Mitreaktion“ durch andere
Mykobakterien (M. tuberculosis, M. avium, M. paratuberculosis, atypische
Mykobakterien) bedingt sein können oder dass haltungs- und milieubedingte
Einflüsse eine Rolle spielen. Es ist aber weder zweckmäßig noch notwendig, bei
der Beurteilung von Tuberkulinreaktionen in der Ergänzungsuntersuchung
offiziell zwischen „spezifischen“ Reaktionen – im Sinne einer Infektion mit
bovinen oder anderen Mykobakterien – und sog. „unspezifischen“ Reaktionen, die
auf andere, besonders parasitäre, hormonelle und pyogene Einflüsse zurückgeführt
werden – zu unterscheiden.
Der
Abstand zwischen der ersten Nachuntersuchung und der vorhergehenden
Tuberkulinisierung muss mindestens acht Wochen betragen. Die Entscheidung über
Umfang, Abstand und Auer weiterer ggf. notwendiger Nachuntersuchungen muss dem
Amtstierarzt überlassen bleiben.