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Verordnung
über den Betrieb von Drogenkonsumräumen
Vom 26. September 2000 (Fn 1)
Auf Grund des § 10 a Abs. 2 des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 1. März 1994 (BGBl. I S. 358), zuletzt geändert durch Gesetz vom 28. März 2000 (BGBl. I S. 302), wird verordnet:
§ 1
Voraussetzungen für die Erteilung der Erlaubnis
Eine Erlaubnis zum Betrieb von Drogenkonsumräumen kann auf Antrag von der obersten Landesgesundheitsbehörde nur erteilt werden, wenn die in § 2 aufgeführten Betriebszwecke verfolgt und die Mindeststandards nach den §§ 3 bis 11 eingehalten werden.
§ 2
Betriebszweck
(1) Drogenkonsumräume im Sinne des § 10 a BtMG müssen der Gesundheits-, Überlebens- und Ausstiegshilfe für Drogenabhängige dienen und in das Gesamtkonzept des örtlichen Drogenhilfesystems eingebunden sein.
(2) Der Betrieb von Drogenkonsumräumen soll dazu beitragen,
1. die durch Drogenkonsum bedingten Gesundheitsgefahren zu senken, um damit insbesondere das Überleben von Abhängigen zu sichern,
2. die Behandlungsbereitschaft der Abhängigen zu wecken und dadurch den Einstieg in den Ausstieg aus der Sucht einzuleiten,
3. die Inanspruchnahme weiterführender insbesondere suchttherapeutischer Hilfen einschließlich der vertragsärztlichen Versorgung zu fördern und
4. die Belastungen der Öffentlichkeit durch konsumbezogene Verhaltensweisen zu reduzieren.
(3) Träger und Personal dürfen für den Besuch der Drogenkonsumräume nicht werben jedoch im Rahmen ihrer Aufklärungsarbeit Hinweise geben.
§ 3
Zweckdienliche Ausstattung
(1) Drogenkonsumräume müssen mit Tischen und Stühlen ausgestattet, von den übrigen Beratungseinrichtungen räumlich getrennt, ausreichend beleuchtet und stets vollständig einsehbar sein. Es sind gesonderte Wartebereiche einzurichten. Die Räume müssen die für den Drogenverbrauch wechselnder Personen notwendigen hygienischen Voraussetzungen erfüllen. Insbesondere müssen Wände und Böden sowie die Einrichtungsgegenstände abwaschbar und desinfizierbar sein. Die Räume müssen stets gut ent- und belüftet, in sauberem Zustand sein und regelmäßig desinfiziert werden. Sterile Einmalspritzen und Kanülen, Tupfer, Ascorbinsäure und Injektionszubehör sind in ausreichendem Umfang vorzuhalten. Eine sachgerechte Entsorgung gebrauchter Spritzbestecke ist sicherzustellen. Den Nutzerinnen und Nutzern der Drogenkonsumräume sind geeignete sanitäre Anlagen zur Verfügung zu stellen.
(2) Es ist sicherzustellen, dass Rettungsdiensten jederzeit ein ungehinderter Zugang möglich ist.
§ 4
Gewährleistung der Notfallversorgung
Für den Betrieb von Drogenkonsumräumen sind medizinische Notfallpläne zu erstellen und ständig zu aktualisieren. Sie sind der Überwachungsbehörde auf Verlangen vorzulegen. Während des Betriebs von Drogenkonsumräumen sind die Nutzerinnen und Nutzer durch regelmäßig in der Notfallversorgung geschultes Personal ständig zu beobachten, um jederzeit eingreifen und im Bedarfsfall sofortige Reanimationsmaßnahmen sowie eine akute Wundversorgung durchführen zu können. Für die Notfallversorgung ist für jeden Drogenkonsumraum mindestens ein medizinischer Notfallkoffer bereitzuhalten.
§ 5
Medizinische Beratung und Hilfe,
Vermittlung von weiterführenden und ausstiegsorientierten Angeboten der Beratung
und Therapie
(1) Der Drogenkonsumraum muss personell so ausgestattet sein, dass die Abhängigen insbesondere bei akuten oder chronischen Krankheiten über Wundversorgung und über risikoärmeres Konsumverhalten einschließlich Infektionsrisiken und Toxizität der verwendeten Betäubungsmittel beraten werden können sowie eine erforderliche Krisenintervention geleistet werden kann. Es muss sichergestellt sein, dass ärztliche Hilfe und Beratung unverzüglich erfolgen können.
(2) Das Personal hat über eine suchtspezifische Erstberatung hinaus jeweils in der im konkreten Einzelfall angemessenen Weise über weitergehende und ausstiegsorientierte Beratungs- und Behandlungsangebote zu informieren und diese bei Bedarf zu vermitteln. Personen, die einen Entgiftungswunsch äußern, sind die notwendigen Hilfestellungen bei der Kontaktaufnahme zu geeigneten Einrichtungen zu gewähren.
§ 6
Maßnahmen zur Verhinderung von Straftaten
(1) Es ist eine mit den zuständigen Gesundheits-, Ordnungs- und Strafverfolgungsbehörden abgestimmte Hausordnung zu erlassen und gut sichtbar auszuhängen. Die Nutzerinnen und Nutzer sind ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz, mit Ausnahme des Besitzes von Betäubungsmitteln in geringer Menge zum Eigenverbrauch gemäß § 8 Abs. 3 Satz 3, innerhalb der Einrichtung verboten sind und unverzüglich unterbunden werden.
(2) Die Einhaltung der Hausordnung ist durch das Personal zu überwachen.
(3) Bei einem Verstoß gegen die Hausordnung sind die Drogenabhängigen von der weiteren Nutzung auszuschließen. Über die Dauer des Nutzungsausschlusses entscheidet die Leitung der Einrichtung.
§ 7
Kooperationsformen zur Prävention von Straftaten
im unmittelbaren Umfeld der Einrichtung
Die Träger von Drogenkonsumräumen haben mit den zuständigen Gesundheits-, Ordnungs- und Strafverfolgungsbehörden Formen ihrer Zusammenarbeit schriftlich festzulegen und mit ihnen regelmäßig Kontakt zu halten, um frühzeitig Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im unmittelbaren Umfeld der Drogenkonsumräume zu verhindern. Die Leitung der Einrichtung hat die einrichtungsbedingten Auswirkungen auf das unmittelbare räumliche Umfeld zu beobachten und besondere Vorkommnisse zu dokumentieren.
§ 8
Nutzerkreis, Konsumstoffe und Konsumarten
(1) Nutzerinnen und Nutzer von Drogenkonsumräumen dürfen grundsätzlich nur volljährige Personen mit Betäubungsmittelabhängigkeit und Konsumerfahrung sein. Jugendlichen mit Betäubungsmittelabhängigkeit und Konsumerfahrung darf der Zugang nach direkter Ansprache nur dann gestattet werden, wenn die Zustimmung der Erziehungsberechtigten vorliegt oder sich das Personal im Einzelfall nach sorgfältiger Prüfung anderer Hilfemöglichkeiten vom gefestigten Konsumentschluss überzeugt hat.
(2) Von der Benutzung des Drogenkonsumraumes sind auszuschließen:
- Offenkundige Erst- und Gelegenheitskonsumenten,
- erkennbar durch Alkohol oder andere Suchtmittel intoxizierte Personen,
- Opiatabhängige, die sich erkennbar in einer substitutionsgestützten Behandlung befinden und
- Personen, denen erkennbar, insbesondere wegen mangelnder Reife, die Einsichtsfähigkeit in die durch die Applikation erfolgende Gesundheitsschädigung fehlt.
(3) Die von den Nutzerinnen und Nutzern mitgeführten Betäubungsmittel sind einer Sichtkontrolle zu unterziehen. Von einer näheren Substanzanalyse zur Menge, Art und Zusammensetzung des Stoffes ist abzusehen. Der Konsum von Betäubungsmitteln im Drogenkonsumraum kann Opiate, Kokain, Amphetamine oder deren Derivate betreffen und intravenös, inhalativ oder oral erfolgen.
(4) Zu den vorstehenden Bestimmungen sind in der Hausordnung ergänzende Regelungen zu treffen.
§ 9
Dokumentation und Evaluation
Die Leitungen haben eine fortlaufende Dokumentation über den Betrieb der Drogenkonsumräume in anonymisierter Form und unter Beachtung datenschutzrechtlicher Bestimmungen sicherzustellen. Hierzu sind Tagesprotokolle zu fertigen, die insbesondere über Umfang und Ablauf der Nutzerkontakte, Zahl und Tätigkeit des eingesetzten Personals sowie alle besonderen Vorkommnisse Auskunft geben. Diese Protokolle sind in einem monatlichen Bericht zusammenzufassen und im Hinblick auf die Zielerreichung regelmäßig auszuwerten. Über die Ergebnisse sind die zuständigen Gesundheits-, Ordnungs- und Strafverfolgungsbehörden zu unterrichten. Die Berichte sind der Überwachungsbehörde regelmäßig vorzulegen.
§ 10
Anwesenheitspflicht
Während der Öffnungszeiten ist die ständige Anwesenheit von ausreichendem Fachpersonal zu gewährleisten. Die in der Erlaubnis festgelegte Zahl und die Qualifikation der für die Betreuung der Drogenkonsumentinnen und -konsumenten erforderlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter darf nicht unterschritten werden.
§ 11
Verantwortlichkeit
(1) Die Leitungen der Drogenkonsumräume sind verantwortlich für die Einhaltung der in dieser Verordnung festgelegten Pflichten.
(2) Die Träger von Drogenkonsumräumen haben sicher zu stellen, dass die Leitungen und deren Personal weder selbst am Betäubungsmittelverkehr teilnehmen noch aktive Hilfe beim unmittelbaren Verbrauch der Betäubungsmittel leisten.
(3) Die Träger von Drogenkonsumräumen wirken an allgemeinen Maßnahmen zur Prävention vor Drogenkonsum mit.
§ 12
Erlaubnisverfahren
(1) Der Antrag ist in doppelter Ausfertigung über den Oberbürgermeister oder den Landrat und die Bezirksregierung an die oberste Landesgesundheitsbehörde zu richten.
(2) Er muss die folgenden Angaben und Unterlagen enthalten:
- Name und Anschrift des Trägers der Einrichtung
- Name und Anschrift der vor Ort im Sinne des § 10 a
Abs. 2 Nr. 10 BtMG verantwortlichen Einrichtungsleitung und deren Vertretung
- Darstellung der räumlichen und baulichen Ausstattung der Einrichtung, insbesondere Adresse, Grundriss/Lageplan, Bauweise und der Sicherungen gegen missbräuchlichen Umgang mit Betäubungsmitteln
- Darstellung des Beratungskonzepts nach § 5 Abs. 2
- Darstellung der Einbeziehung in das Drogenhilfegesamtkonzept der Kommune
- Benennung der in der Einrichtung zum Konsum zugelassenen Betäubungsmittel und Konsumarten
- Nachweise über die Qualifikation der Leitung und des übrigen Personals sowie Erklärungen darüber, dass sie die ihnen obliegenden Verpflichtungen ständig erfüllen können
- Nachweise der persönlichen Zuverlässigkeit (z.B. Vorlage amtlicher Führungszeugnisse)
- den Plan für die medizinische Notfallversorgung gemäß
§ 3 Abs. 2
- eine Hausordnung nach § 6 Abs. 1
- Zahl der voraussichtlichen Nutzerinnen und Nutzer
- Vereinbarung über die Zusammenarbeit mit den zuständigen Gesundheits-, Ordnungs- und Strafverfolgungsbehörden nach § 7.
(3) Die Erlaubnis kann befristet und unter Bedingungen erteilt sowie mit Auflagen verbunden werden. Für Rücknahme und Widerruf der Erlaubnis gilt § 10 BtMG entsprechend.
§ 13
Überwachung
Die Drogenkonsumräume unterliegen der Überwachung durch die Bezirksregierung (Überwachungsbehörde).
§ 14
In-Kraft-Treten
Diese Verordnung tritt am Tage nach der Verkündung in Kraft (Fn 2).
Die Landesregierung
Nordrhein-Westfalen
Der Ministerpräsident
Der Innenminister
Der Justizminister
Die Ministerin
für Frauen, Jugend,
Familie und Gesundheit
Fn 1 | GV. NRW. 2000 S. 646. |
GV. NRW. ausgegeben am 12. Oktober 2000. |