2251

Verordnung
über die Durchführung eines Modellversuchs mit
digitalem Fernsehen und neuen digitalen Kommunikationsdiensten
in Nordrhein-Westfalen
(1. Medienversuchsverordnung - 1. MVVO)

Vom 18. Juni 1996 (Fn1)

Aufgrund des § 72 des Rundfunkgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (LRG NW) in der Fassung der Bekanntmachung vom 24. August 1995 (GV. NW. S. 994) (Fn2), zuletzt geändert durch Gesetz vom 30. Januar 1996 (GV. NW. S. 75), wird mit Zustimmung des Hauptausschusses des Landtags verordnet:

§ 1
Grundsätze

(1) In Nordrhein-Westfalen wird ein Modellversuch mit digitalem Fernsehen und neuen digitalen Kommunikationsdiensten durchgeführt.

(2) Der Modellversuch soll Entscheidungen über die Nutzung neuer Techniken, Programme und Dienste vorbereiten. Er dient dem Zweck, Erkenntnisse über die

1. publizistischen und wirtschaftlichen Bedingungen und Möglichkeiten, Akzeptanz und Auswirkungen der Einführung von digitalem Fernsehen und neuen digitalen Kommunikationsdiensten,

2. technischen Voraussetzungen und Optionen zur Verbreitung digitaler Fernsehangebote und Kommunikationsdienste, insbesondere auch über die Bedingungen zur Herstellung von Kompatibilität zwischen verschiedenen Systemen,

3. rechtlichen Grundlagen, die notwendig sind, um Meinungs- und Informationsfreiheit bei chancengleichem und diskriminierungsfreiem Zugang zum digitalen Fernsehen und zu neuen Diensten zu gewährleisten,

4. Möglichkeiten zur Verbesserung des Datenschutzes,

5. Zusammenarbeit zwischen den Teilnehmern,

6. gesellschaftlichen Folgen der neuen Angebote

zu gewinnen.

(3) Der Modellversuch dauert bis zum 31. Dezember 2000. Er beginnt am ersten Tage des auf die Verkündung dieser Verordnung folgenden Kalendermonats.

§ 2
Angebote

(1) In den Modellversuch werden digitale Fernsehprogramme und digitale Kommunikationsdienste öffentlich-rechtlicher und privater Anbieter einbezogen. Sie können verschlüsselt oder unverschlüsselt, auf Abruf oder ohne Abruf übermittelt werden.

(2) Im Modellversuch sollen auch digitale Fernsehprogramme und digitale Kommunikationsdienste von Gruppen angeboten werden, deren Zweck nicht auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist.

(3) Das Angebot kann gegen Entgelt (Abonnement oder Einzelentgelt) erfolgen. Der Anbieter muß sicherstellen, daß der Empfänger der Angebote vor dem Empfang und der Entgelterhebung auf die Tatsache und die Höhe des Entgelts sowie darauf, ob das Angebot Werbung enthält, hingewiesen wird. Wird das Entgelt nach der Dauer der Nutzungszeit berechnet, sollen Möglichkeiten erprobt werden, den Empfänger des Angebots über die Höhe des jeweils angefallenen Entgelts zu unterrichten.

(4) Direkte Angebote an die Öffentlichkeit für den Verkauf, den Kauf oder die Miete oder Pacht von Erzeugnissen oder die Erbringung von Dienstleistungen sind zulässig.

(5) Im übrigen gilt für Fernsehprogramme § 72 Abs. 4 Satz 4 LRG NW. Für alle anderen Angebote gelten §§ 5 bis 7, 9 bis 12 des Bildschirmtext-Staatsvertrages entsprechend. Die Landesanstalt für Rundfunk Nordrhein-Westfalen (LfR) soll bei allen Angeboten, die geeignet sind, das körperliche, geistige oder seelische Wohl von Kindern oder Jugendlichen zu beeinträchtigen, auf Erprobung von Lösungen hinwirken, die es dem Nutzer erlauben, die Abrufmöglichkeit auf seinem Endgerät für derartige Angebote zu sperren.

§ 3
Teilnehmer

(1) An dem Versuch können teilnehmen:

1. öffentlich-rechtliche Rundfunkveranstalter,

2. private Fernsehveranstalter,

3. Anbieter von digitalen Kommunikationsdiensten (Diensteanbieter),

4. technische Dienstleister,

5. Vertriebsunternehmen (Service Provider),

6. Nutzer.

(2) Technische Dienstleister betreiben technische Systeme, die der Übermittlung von Angeboten im Rahmen dieses Modellversuchs dienen.

(3) Vertriebsunternehmen vermarkten und verteilen Fernsehprogramme und Kommunikationsdienste.

(4) Die LfR wirkt auf eine möglichst enge Zusammenarbeit aller Teilnehmer hin.

§ 4 (Fn4)
Übertragungskapazitäten

Für den Modellversuch werden im Land Nordrhein-Westfalen die Sonderkanäle 24 bis 38 im Hyperband des Breitbandkabelnetzes, für das Pilotprojekt ,,Infocity NRW" (§ 7) zusätzlich der Frequenzbereich 470 bis 862 MHz genutzt. Die LfR kann im Rahmen dieses Modellversuchs auf Antrag einem Programm oder Dienst nach § 2 Abs. 4 auch eine analoge Übertragungskapazität im Kabelnetz einschließlich einer Heranführung durch Satellit zuweisen, wenn dies der Erreichung des Versuchszwecks dient. Beantragen dies mehrere Anbieter, so weist die LfR demjenigen diese Übertragungskapazität zu, dessen Angebot erwarten läßt, daß es dem Versuchszweck am besten dient. Technisch nicht mehr für die digitale Übertragung zur Verfügung stehende Sonderkanäle nach Satz 1 sollen für die analoge Weiterverbreitung von Rundfunkprogrammen genutzt werden; einer dieser Sonderkanäle kann einem weiteren Programm oder Dienst nach § 2 Abs. 4 zugewiesen werden.

§ 5
Zulassung

(1) Fernsehveranstalter bedürfen einer Zulassung durch die LfR nach Maßgabe von § 72 Abs. 4 LRG NW; dies gilt gemäß § 72 Abs. 5 LRG NW nicht für öffentliche Rundfunkveranstalter, die entsprechend ihren jeweiligen Rechtsgrundlagen teilnehmen können.

(2) Für digitale Kommunikationsdienste, die einer Veranstaltung von Rundfunk entsprechen, bedürfen Anbieter einer Zulassung. Stellt die LfR fest, daß diese Voraussetzung vorliegt, muß der Anbieter nach seiner Wahl innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Feststellung ihm bekanntgegeben ist, einen Zulassungsantrag stellen oder das Angebot so anbieten, daß es nicht der Veranstaltung von Rundfunk entspricht. Anbieter sind berechtigt, bei der LfR einen Antrag auf rundfunkrechtliche Unbedenklichkeit zu stellen.

(3) Wer einen Dienst zur allgemeinen elektronischen Nutzerführung anbieten will, bedarf der Zulassung durch die LfR. Diese elektronische Nutzerführung muß alle Angebote, die für den jeweiligen Nutzer im Rahmen des Modellversuchs verfügbar sind, unter Berücksichtigung des öffentlich-rechtlichen Grundversorgungsauftrages sowie unter Wahrung des Grundsatzes der Gleichbehandlung (gleichgewichtig, gleichrangig und gleichdifferenziert) darstellen.

(4) Die LfR erteilt eine Zulassung unter der Voraussetzung, daß das Angebot mit einem technischen System verbreitet wird, das den Nutzern alle im Modellversuch zugelassenen Fernsehprogramme zugänglich macht.

(5) Die LfR ordnet Fernsehveranstaltern, die nach Absatz 1 eine Zulassung erhalten haben, Übertragungskapazitäten zu, wenn ausreichende Übertragungskapazitäten vorhanden sind.

(6) Sind keine ausreichenden Übertragungskapazitäten zur Verbreitung aller für den Modellversuch zugelassenen Rundfunkprogramme und angezeigten Dienste vorhanden, so teilt die LfR die Übertragungskapazitäten nach folgenden Gesichtspunkten zu:

1. Es soll ein möglichst breites Spektrum von neuen Fernsehprogrammen und digitalen Kommunikationsdiensten in den Modellversuch einbezogen werden.

2. Sowohl für digitale Fernsehprogramme als auch für neue digitale Kommunikationsdienste sind angemessene Übertragungskapazitäten vorzusehen.

3. Es sollen ausreichende Übertragungskapazitäten für die Verbreitung von Angeboten gemäß § 2 Abs. 2 vorgesehen werden.

Im übrigen trifft die LfR eine Auswahlentscheidung in entsprechender Anwendung des § 41 Abs. 2 LRG NW.

§ 6
Anzeige

(1) Diensteanbieter, technische Dienstleister und Vertriebsunternehmen (§ 3 Abs. 1 Nr. 3 bis 5), die im Modellversuch tätig werden wollen, haben dies der LfR vor Aufnahme dieser Tätigkeit schriftlich anzuzeigen; die Anzeige muß Angaben über die Angebote (§ 2 Abs. 1) bzw. Dienstleistungen enthalten, die übermittelt oder erbracht werden sollen. Änderungen der Angebote oder der Dienstleistungen sind ebenfalls schriftlich anzuzeigen.

(2) Technische Dienstleister, die am Modellversuch teilnehmen, sind verpflichtet,

1. alle Angebote (§ 2 Abs. 1) gleich zu behandeln und allen Teilnehmern gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 die gleichen technischen Dienstleistungen zu chancengleichen und nichtdiskriminierenden Bedingungen anzubieten,

2. im Modellversuch nur Fernsehprogramme zu verbreiten, die von der LfR zu dem Versuch zugelassen wurden bzw. die von öffentlich-rechtlichen Rundfunkveranstaltern nach § 72 Abs. 5 LRG NW veranstaltet werden, und diese Fernsehprogramme jedem Nutzer zugänglich zu machen,

3. die technischen Einrichtungen bei den Nutzern so zu gestalten, daß die im analogen Bereich der jeweiligen Kabelanlage verfügbaren und die sonstigen von der LfR nach dem zweiten Abschnitt des LRG NW zugelassenen nicht entgeltpflichtigen Fernsehprogramme unentgeltlich zugänglich gemacht werden,

4. Entscheidungen der LfR zu Übertragungskapazitäten (§ 5 Abs. 5 und 6) unverzüglich umzusetzen.

§ 7
Infocity NRW

(1) Bis zu 10 000 Teilnehmer im Einzugsbereich des Glasfaserrings entsprechend der Genehmigung des Bundesministers für Post und Telekommunikation vom 20. Dezember 1995 gemäß § 2 Fernmeldeanlagengesetz nehmen im Rahmen des Pilotprojekts Infocity NRW an dem Modellversuch teil.

(2) Die LfR teilt einer Gesellschaft, die die Gewähr für die Durchführung dieses Pilotprojekts bietet (Betreibergesellschaft), die notwendigen Übertragungskapazitäten zu.

(3) Die LfR bestimmt die Angebote, die jedem angeschlossenen Haushalt zusätzlich zu den in § 6 Abs. 2 Nr. 3 genannten Programmen zugänglich gemacht werden müssen. Dabei sind insbesondere Angebote in den Bereichen Bildung, Kultur, Beratung und öffentliche Angelegenheiten zu berücksichtigen. Im übrigen entscheidet die Betreibergesellschaft, welche Angebote (§ 2 Abs. 1) sie den Nutzern übermittelt.

§ 8
Wissenschaftliche Begleitforschung

(1) Der Modellversuch wird wissenschaftlich begleitet und ausgewertet. Die Begleitforschung erstreckt sich auf den Zweck des Modellversuchs (§ 1 Abs. 2).

(2) Die Teilnehmer nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 haben den mit der wissenschaftlichen Begleitforschung betrauten Stellen unentgeltlich Zugang zu den für die Untersuchungen erforderlichen Informationen zu gewähren und die für die Begleitforschung erforderlichen Daten unentgeltlich zur Verfügung zu stellen.

(3) Träger der Begleitforschung sind die Landesregierung und die LfR. Beide legen jährlich einen Bericht über den Stand des Modellversuchs und über den Stand der Begleitforschung vor.

§ 9
Durchführung

(1) Landesregierung und LfR arbeiten bei der Durchführung des Modellversuchs zusammen.

(2) Die LfR informiert die Landesregierung fortlaufend über den Modellversuch; sie kann Änderungen der Versuchsbedingungen vorschlagen.

§ 10
Inkrafttreten

Die Verordnung tritt am Tage nach der Verkündung in Kraft (Fn3).

Die Landesregierung
Nordrhein-Westfalen

Der Ministerpräsident

Der Minister für Wirtschaft und Mittelstand,
Technologie und Verkehr

Fn 1

GV. NW. 1996 S. 209, ber. S. 240, geändert durch VO v. 17.6.1997 (GV. NW. S. 115), 4.5.1999 (GV. NRW. S. 146).

Fn 2

SGV. NW. 2251.

Fn 3

GV. NW. ausgegeben am 25. Juni 1996.

Fn 4

§ 4 zuletzt geändert durch VO v. 4.5.1999 (GV. NW. S. 146); in Kraft getreten am 15. Mai 1999.

Fn 5

§ 1 geändert durch VO v. 4.5.1999 (GV. NRW. S. 146); in Kraft getreten am 15. Mai 1999.