Verordnung
zur Verwendung von Gebärdensprache
und anderen Kommunikationshilfen
im Verwaltungsverfahren nach dem
Behindertengleichstellungsgesetz
Nordrhein-Westfalen
(Kommunikationshilfenverordnung
Nordrhein-Westfalen - KHV NRW)

Vom 15. Juni 2004 (Fn 1)

Auf Grund des § 8 Abs. 2 des Behindertengleichstellungsgesetzes Nordrhein-Westfalen (BGG NRW) vom 16. Dezember 2003 (GV. NRW. S. 766) (Fn 2) wird verordnet:

§ 1
Anwendungsbereich

(1) Die Verordnung gilt für alle natürlichen Personen, die als Beteiligte eines Verwaltungsverfahrens wegen einer Hör- oder Sprachbehinderung nach Maßgabe des § 3 Abs. 1 BGG NRW zur Wahrnehmung eigener Rechte für die mündliche Kommunikation im Verwaltungsverfahren einen Anspruch auf Bereitstellung einer Dolmetscherin oder eines Dolmetschers für die Deutsche Gebärdensprache (Gebärdensprachdolmetscherin oder Gebärdensprachdolmetscher) oder anderer geeigneter Kommunikationshilfen haben (Berechtigte).

(2) Die Berechtigten können ihren Anspruch nach § 8 Abs. 1 BGG NRW gegenüber den in § 1 Abs. 2 Satz 1 und 2 BGG NRW genannten Trägern (Träger) geltend machen.

§ 2
Umfang des Anspruches

(1) Der Anspruch auf Bereitstellung einer Gebärdensprachdolmetscherin oder eines Gebärdensprachdolmetschers oder einer anderen geeigneten Kommunikationshilfe besteht, soweit eine solche Kommunikationshilfe zur Wahrnehmung eigener Rechte in einem Verwaltungsverfahren erforderlich und eine schriftliche Verständigung nicht möglich sind, in dem dafür notwendigen Umfang. Der notwendige Umfang bestimmt sich insbesondere nach dem individuellen Bedarf der Berechtigten.

(2) Die Entscheidung, welche Kommunikationshilfe benutzt werden soll, trifft der Träger öffentlicher Belange in Abstimmung mit den Berechtigten. Die Berechtigten teilen hierzu dem Träger öffentlicher Belange rechtzeitig die Art der Behinderung und die aus ihrer Sicht geeignete Form der Kommunikationshilfe mit. Die Hör- oder Sprachbehinderung sowie die Entscheidung nach Satz 1 sind aktenkundig zu machen und im weiteren Verwaltungsverfahren von Amts wegen zu berücksichtigen.

(3) Erhält der Träger im Verwaltungsverfahren Kenntnis von der Hör- oder Sprachbehinderung der Berechtigten im Sinne des § 8 Abs. 1 BGG NRW, so sind diese von ihm auf ihr Recht auf barrierefreie Kommunikation hinzuweisen.

(4) Zur Abwehr von unmittelbar bevorstehenden Gefahren für bedeutsame Rechtsgüter, wie Leben, Gesundheit, Freiheit oder nicht unwesentliche Vermögenswerte kann im Einzelfall von dem Einsatz einer Gebärdensprechdolmetscherin oder eines Gebärdensprachdolmetschers oder anderer Kommunikationshilfen abgesehen werden.

§ 3
Kommunikationshilfen

(1) Die Kommunikation mittels einer Gebärdensprachdolmetscherin oder eines Gebärdensprachdolmetschers oder einer anderen Kommunikationshilfe ist als geeignete Kommunikationsform anzusehen, wenn sie im konkreten Fall die nach Maßgabe des § 2 Abs. 1 erforderliche Verständigung sicherstellt.

(2) Als andere Kommunikationshilfen kommen Kommunikationshelferinnen und Kommunikationshelfer, Kommunikationsmethoden und Kommunikationsmittel in Betracht:

1. Kommunikationshelferinnen und Kommunikationshelfer sind insbesondere

a) Schriftdolmetscherinnen und Schriftdolmetscher,

b) Simultanschriftdolmetscherinnen und Simultanschriftdolmetscher,

c) Oraldolmetscherinnen und Oraldolmetscher,

d) Kommunikationsassistentinnen und Kommunikationsassistenten,

e) eine Person, die lautsprachbegleitend gebärdet oder

f) eine sonstige Person des Vertrauens.

2. Kommunikationsmethoden sind insbesondere

a) Lormen und taktil wahrnehmbare Gebärden,

b) gestützte Kommunikation für Menschen mit autistischer Störung oder

c) lautsprachbegleitende Gebärden.

3. Kommunikationsmittel sind insbesondere

a) akustisch-technische Hilfen oder

b) grafische Symbol-Systeme.

§ 4
Art und Weise der Bereitstellung
von geeigneten Kommunikationshilfen

Gebärdensprachdolmetscherinnen oder Gebärdensprachdolmetscher oder andere geeignete Kommunikationshilfen werden von den Trägern bereitgestellt.

§ 5
Grundsätze für eine
angemessene Vergütung oder Erstattung

(1) Die Träger entschädigen die Gebärdensprachdolmetscherin oder den Gebärdensprachdolmetscher sowie die Kommunikationshelferin oder den Kommunikationshelfer im Sinne des § 3 Abs. 2 Nr. 1 Buchstaben a bis c nach Maßgabe der Absätze 2 bis 4. Satz 1 gilt nur im Falle einer nachgewiesenen abgeschlossenen Berufsausbildung für das ausgeübte Tätigkeitsfeld. Für den Einsatz von Kommunikationsmethoden und Kommunikationsmitteln tragen die Träger die entstandenen Aufwendungen.

(2) Die Entschädigung für Fahrt-, Dolmetsch- und Wartezeit beträgt für jede angefangenen 30 Minuten 20 Euro. Vor- und Nachbereitungszeit werden nicht gesondert entschädigt.

(3) Fahrtkosten und Wegstreckenentschädigung werden in entsprechender Anwendung des Landesreisekostengesetzes Nordrhein-Westfalen vom 1. Juli 1974 (GV. NRW. S. 214), in der jeweils geltenden Fassung, erstattet.

(4) Wird ein Einsatztermin nicht rechtzeitig abgesagt und ist die Absage nicht durch einen in der Person des nach Absatz 1 Anspruchsberechtigten liegenden Grund veranlasst, so wird zur Abgeltung aller in Betracht kommenden Kosten auf Antrag pauschal ein Betrag in Höhe von 60 Euro erstattet. Die Aufhebung eines Termins erfolgt nicht rechtzeitig, wenn dies der nach Absatz 1 anspruchsberechtigten Person am Terminstag oder an einem der beiden vorhergehenden Tage mitgeteilt worden ist.

(5) Eine Kommunikationshelferin oder ein Kommunikationshelfer im Sinne des § 3 Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe e mit einer nachgewiesenen abgeschlossenen Berufsausbildung für das Tätigkeitsfeld, erhält als Entschädigung 3/4 des Betrages von Absatz 2 und im Falle einer Terminabsage 3/4 des Betrages von Absatz 4. Fahrtkosten und Wegstreckenentschädigung werden nach Maßgabe des Absatzes 3 entschädigt.

(6) Eine Kommunikationshelferin oder ein Kommunikationshelfer im Sinne des § 3 Abs. 2 Nr.1 Buchstabe d oder eine Person des Vertrauens im Sinne des § 3 Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe f erhält für ihren Einsatz zur Abgeltung aller in Betracht kommender Kosten auf Antrag pauschal einen Betrag in Höhe von 20 Euro. Weist die Person des Vertrauens einen Verdienstausfall nach, der durch den Einsatztermin entstanden ist, so erfolgt eine Erstattung des Verdienstausfalles maximal bis zur Höhe der in Absatz 2 genannten Vergütung sowie Zahlung der Fahrtkosten und Wegstreckenentschädigung gemäß Absatz 3.

(7) Eine Kommunikationshelferin oder ein Kommunikationshelfer im Sinne des § 3 Abs. 2 Nr. 1 Buchstaben a bis e ohne eine nachgewiesene abgeschlossene Berufsausbildung für das ausgeübte Tätigkeitsfeld erhält eine Entschädigung im Sinne des Absatzes 6. Satz 1 gilt entsprechend für eine Gebärdensprachdolmetscherin oder einen Gebärdensprachdolmetscher ohne eine nachgewiesene abgeschlossene Berufsausbildung.

(8) Die Träger vergüten die Leistungen unmittelbar denjenigen, die sie erbracht haben. Die Kosten nach Absatz 6 sind innerhalb eines Monats nach Ende des Einsatztermins geltend zu machen. Stellen die Berechtigten die Gebärdensprachdolmetscherin oder den Gebärdensprachdolmetscher oder die sonstige Kommunikationshilfe selbst bereit, tragen die Träger die Kosten nach Absatz 1 und 5 bis 7 nur, soweit sie nach Maßgabe des § 2 Abs. 1 erforderlich sind. In diesem Fall dürfen die Berechtigten nicht auf eine Erstattung verwiesen werden, es sei denn, sie wünschen dies oder es liegt ein sonstiger besonderer Grund vor.

§ 6
Folgenabschätzung

Das für die Behindertenpolitik federführende Ministerium berichtet der Landesregierung zum 30. Juni 2009 über die Auswirkungen dieser Verordnung.

§ 7
In-Kraft-Treten

Diese Verordnung tritt am Tag nach der Verkündung in Kraft.

Die Landesregierung
Nordrhein-Westfalen

Der Ministerpräsident

Die Ministerin
für Gesundheit, Soziales,
Frauen und Familie

Fn 1

GV. NRW. S. 336, in Kraft getreten am 1. Juli 2004.

Fn 2

SGV. NRW. 201.