Ministerialblatt (MBl. NRW.)
Ausgabe 2009 Nr. 9 vom 9.4.2009 Seite 129 bis 150

Einführungserlass zum Landschaftsgesetz für Eingriffe durch Straßenbauvorhaben (ELES) in der Baulast des Bundes oder des Landes NRW Gem. RdErl. des Ministeriums für Bauen und Verkehr – III.1-13-16/24 – und des Ministeriums für Umwelt und Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz – III-5-605.01.00.29 - vom 6.3.2009
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Einführungserlass zum Landschaftsgesetz für Eingriffe durch Straßenbauvorhaben (ELES) in der Baulast des Bundes oder des Landes NRW Gem. RdErl. des Ministeriums für Bauen und Verkehr – III.1-13-16/24 – und des Ministeriums für Umwelt und Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz – III-5-605.01.00.29 - vom 6.3.2009

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Einführungserlass zum Landschaftsgesetz für Eingriffe durch Straßenbauvorhaben (ELES) in der Baulast des Bundes oder des Landes NRW

Gem. RdErl. des Ministeriums für Bauen und Verkehr – III.1-13-16/24 – und des Ministeriums für Umwelt und Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
– III-5-605.01.00.29 - vom 6.3.2009

1
Einleitung

Mit Änderung des Landschaftsgesetzes (LG) vom 5. Juli 2007 wurde die Eingriffsregelung weiterentwickelt. Eine wesentliche Neuerung ist insbesondere die Begrenzung der Inanspruchnahme von landwirtschaftlichen Flächen für Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen (Qualität vor Quantität). Bei einer trotzdem erforderlichen Inanspruchnahme landwirtschaftlich genutzter Flächen für Kompensationsmaßnahmen soll diese i. d. R. nicht größer als die direkte Flächeninanspruchnahme durch den Eingriff sein. Der Erlass verfolgt folgende Ziele:

-          Die bislang angewandte Methode zur Bewertung des Eingriffs und der Kompensation bei der Errichtung oder wesentlichen Änderung von Bundesfern- und Landesstraßen in der Baulast des Bundes oder des Landes soll vereinfacht werden. Dies erfolgt durch:

-      Verzicht auf eine rechnerische Herleitung des Kompensationsbedarfes für erhebliche Beeinträchtigungen des Landschaftsbildes sowie Verzicht auf ein zusätzliches Kompensationserfordernis im Regelfall.

-      Anwendung der „Numerischen Bewertung von Biotoptypen für die Eingriffsregelung in NRW, 2008“ des Landesamtes für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (im Folgenden: „LANUV“).

-      Ersatz des Additivitätsgrundsatzes bei erheblicher Beeinträchtigung besonderer Wert- und Funktionselemente durch das Prinzip der Multifunktionalität von Kompensationsmaßnahmen im Regelfall.

-      Reduzierung der Wirkzonen außerhalb des Straßenkörpers von vormals bis zu 250 m auf nun pauschal 50 m bzw. auf 25 m in begründeten Ausnahmefällen und Reduzierung des Beeinträchtigungsfaktors auf 25 %.

-      Streichung der Zeitfaktoren

-          Die für einen Eingriff zu leistende Kompensation soll einfach, transparent und nachvollziehbar ermittelt werden.

-          Dem Instrument des Ökokontos soll zum Durchbruch verholfen werden.

2
Fachliche Hinweise zur Interpretation von § 4a Abs. 3 Satz 4 sowie § 5 Abs. 1 Satz 4 Landschaftsgesetz (LG)

2.1
Definition und Erläuterungen

2.1.1
„landwirtschaftlich genutzte Fläche“

Unter „landwirtschaftlich genutzten Flächen“ gemäß § 4a Abs. 3 Satz 4 LG werden folgende Nutzungen zusammengefasst:

1.                     Ackerland/Wechselgrünland

2.                     Dauergrünland (u. a. Wiesen, Weiden, Streuobstwiesen)

3.                     Obstplantagen

4.                     Sonderkulturen (Wein, Korbweiden, Baumschulen, Weihnachtsbaumkulturen)

5.                     Brache, incl. Stilllegungsflächen (hierzu gehören keine Dauerbrachen oder
             Sukzessionsflächen mit dem Zielbiotoptyp Gehölze oder Wald).

Im Zweifelsfall empfiehlt es sich, eine Stellungnahme der örtlich zuständigen Kreisstelle der Landwirtschaftskammer NRW einzuholen.

2.1.2
„Eingriffsfläche“

Zur Eingriffsfläche im Sinne des § 4a Abs. 3 Satz 4 LG gehören der Straßenkörper und die Nebenanlagen gemäß § 2 Straßen und Wegegesetz des Landes Nordrhein-Westfalen.

2.2
Erläuterungen zur 1:1-Regelung für die Flächeninanspruchnahme landwirtschaftlich genutzter Flächen

§ 4a Abs. 3 Satz 4 LG regelt, dass die Flächeninanspruchnahme von landwirtschaftlich genutzten Flächen in der Regel nicht größer als diejenige Fläche für den Eingriff (siehe 2.1.2) sein soll („Flächeninanspruchnahme i.d.R. 1:1“). Nach Ermittlung des Kompensationsbedarfs ist zu prüfen, inwieweit u. a. mit produktionsintegrierten Maßnahmen, die gemäß Ziffer 2.1.1 weiterhin landwirtschaftliche Maßnahmen darstellen, die notwendige Kompensation sichergestellt werden kann (siehe hierzu auch § 4a Abs. 6 LG). Solche Maßnahmen minimieren eine ggf. noch notwendige flächenhafte Kompensation.
Dabei sind vorrangig Maßnahmen eines Ökokontos oder Maßnahmen, die im Rahmen eines Flächen- und Maßnahmepools zur Verfügung gestellt wurden, zu nutzen.

Die 1:1-Regelung für die Inanspruchnahme landwirtschaftlich genutzter Flächen gilt nicht für aus Gründen des Artenschutzes unabdingbar notwendige weitergehende Inanspruchnahme landwirtschaftlich genutzter Flächen.

Bei der Kompensation ist einer Verbesserung vorhandener Biotope Vorrang zu geben. Dabei sind kumulierende Lösungen anzustreben, die sowohl dem Artenschutzrecht als auch der Eingriffsregelung Rechnung tragen. Dies gilt auch für Beeinträchtigungen mehrerer Arten mit ähnlichen Lebensraumansprüchen.

2.3
Erläuterungen zum Ersatz in Geld für den über die Eingriffsfläche hinausgehenden Teil

Nach § 5 Abs. 1 Satz 4 LG kann im Rahmen der Gesamtkompensation für den über die Eingriffsfläche hinausgehenden Teil Ersatz in Geld geleistet werden. Diese Regelung ist anwendbar, soweit im Kompensationsraum Kompensationsmaßnahmen nicht möglich sind oder eine Vollkompensation der Eingriffsfolgen durch eine Sachregelung nicht erzielbar ist. Sie ist z.B. geboten, wenn eine erhebliche Beeinträchtigung des Landschaftsbildes auch durch eine Neugestaltung im Einzelfall nur unzureichend oder gar nicht beseitigt werden kann. Die Regelung gilt nicht für die aus Gründen der unmittelbar geltenden artenschutzrechtlichen Vorschriften des Bundesnaturschutzgesetzes unabdingbar notwendigen Kompensationsmaßnahmen.

2.4
Zukünftige Vorgehensweise bei der Landschaftspflegerischen Begleitplanung

Zu Beginn der landschaftspflegerischen Begleitplanung werden die Landschaftsbehörden, Forstbehörden, Landwirtschaftkammer sowie die dem Landesbetrieb Straßenbau NRW bekannten Ökokonto- oder Flächenpoolinhaber nach Angeboten zu potenziellen Kompensationsmaßnahmen innerhalb des Planungsraums befragt. Im Landschaftspflegerischen Begleitplan (LBP) wird ein Kompensationskonzept entwickelt, welches

-          die Vorrangregelungen des § 4a Abs. 6 LG berücksichtigt,

-          das z.B. durch den Landschaftsplan vorgegebene landschaftliche Leitbild einschließlich der land- und forstwirtschaftlichen Belange berücksichtigt, und geeignete Kompensationsflächen und – maßnahmen daraus ableitet,

-          die o. g. Angebote berücksichtigt,

-          zwischen räumlich gebundenen und räumlich flexiblen Maßnahmen unterscheidet,

-          ggf. Aussagen über die Leistung von Ersatz in Geld gemäß § 5 Abs. 1 Sätze 1 und 4 LG trifft sowie

-          eine gesonderte Bilanz enthält, wie viel Fläche durch den Eingriff und die Kompensationsmaßnahmen der land- bzw. forstwirtschaftlichen Nutzung entzogen werden sollen.

Bei der Unterscheidung von räumlich gebundenen und räumlich flexiblen Maßnahmen ist zu prüfen, welche räumlich-funktionalen Zusammenhänge zwischen den beeinträchtigten Funktionen und den potenziellen Maßnahmenflächen bzw. -komplexen aus naturschutzfachlichen und rechtlichen Gründen zu berücksichtigen sind. In der Regel lassen sich die unterschiedlichen Maßnahmenarten unabhängig von der Einstufung als Ausgleichs- oder Ersatzmaßnahme anhand ihrer räumlichen Bindung einstufen. Folgende räumliche Bindungen werden unterschieden:

-          räumlich gebundene Maßnahmen, die für die Erfüllung des Kompensationskonzeptes und/oder der Anforderungen an die artenschutzrechtliche Schadensbegrenzung und Befreiung von hoher Bedeutung sind und die räumlich nur an bestimmten Standorten umsetzbar sind,

-          räumlich flexible Maßnahmen, die zwar eine räumlich funktionale Bindung an den Eingriffsort haben, aber innerhalb der naturräumlichen Region in Anlehnung an die Ökokonto-Verordnung[1] flexibel sind, da sie nicht den hohen Anforderungen an den Standort genügen müssen oder nur eine allgemeine Funktion in der Zielkonzeption übernehmen. Hier kann auch in einem anderen Landschaftsraum mit Bezug zu den Leitbildern der Landschaftsplanung (§ 18 LG) kompensiert werden.

Das Kompensationskonzept wird den zu beteiligenden Stellen vorgestellt und soweit wie möglich entsprechend den eingebrachten Vorschlägen modifiziert. Räumlich gebundene Maßnahmen sind dieser Modifizierung allerdings nur eingeschränkt zugänglich. Ergebnis sind Maßnahmenplan und Maßnahmenblätter einschl. Art, Zeitpunkt und Dauer zugehöriger Pflege-/Bewirtschaftungsvorgaben.

Ist keine der unter § 4a Abs. 6 LG aufgeführten Kompensationsmöglichkeiten umsetzbar, benennen die Landschaftsbehörden für räumlich flexible Maßnahmen weitere Kompensationsmöglichkeiten außerhalb des Planungsraums im zugehörigen Kompensationsraum des Landes NRW (s. Anlage zur Ökokonto-Verordnung).

3
Bewertung von Eingriffen in Natur und Landschaft und deren Kompensation

3.1
Allgemeine Hinweise

Die neue Bewertungsmethode stellt vorrangig auf eine verbal-argumentative Problembewältigung ab, die formalisierten Rechenansätze zur Bewertung des Eingriffs und zur Ermittlung des Kompensationsumfangs dienen der Transparenz, Nachvollziehbarkeit und Vergleichbarkeit der Bewertungsergebnisse.

Die Inanspruchnahme von Flächen für Kompensationsmaßnahmen, die nicht länger landwirtschaftlich nutzbar sind (vgl. Nr. 2 zur sog. „1:1-Regelung“), ist im Landschaftspflegerischen Begleitplan gesondert darzustellen und der Eingriffsfläche gegenüberzustellen. Wird das Flächenverhältnis nach § 4a Abs. 3 LG überschritten, ist dies im Erläuterungsbericht zu begründen.

3.2
Methodisches Vorgehen

3.2.1
Regel- und Einzelfallbetrachtung

Der Regelfall erfasst diejenigen erheblichen Beeinträchtigungen, die bei jedem Vorhaben zu erwarten sind (z.B. Biotop-/Lebensraumverluste durch den Straßenkörper, betriebsbedingte Projektwirkungen durch den Straßenverkehr etc.). Die Eingriffs-/Kompensationsbewertung erfolgt zum Teil in standardisierter Form, um den Ermittlungs- und Bewertungsaufwand zu reduzieren.

Der Einzelfall liegt vor, wenn

a)      bestimmte Funktionen aufgrund ihrer besonderen Bedeutung und Empfindlichkeit oder der Ausprägung des Vorhabens über den Regelfall hinaus erheblich beeinträchtigt werden können, oder

b)      direkte oder indirekte Projektwirkungen (s. 3.2.3) aufgrund der besonderen räumlichen Situation unterdurchschnittlich zum Tragen kommen.

Diese Wirkungen sind zu ermitteln und verbal-argumentativ zu bewerten. Ob und welche Einzelfälle zu berücksichtigen sind, soll möglichst frühzeitig mit den Fachbehörden abgestimmt werden.

3.2.2
Bestandserfassung und –bewertung

Beim Landschaftsbild und der Eignung der Landschaft für die naturnahe Erholung ist auf die rechnerische Beurteilung der Landschaftsbildräume zugunsten einer verbal-argumentativen Beschreibung zu verzichten.

Bei der Lebensraumfunktion erfolgt die flächendeckende Erfassung und Bewertung der Biotoptypen nach der Methodik „Numerische Bewertung von Biotoptypen für die Eingriffsregelung in NRW“ (im Folgenden: „LANUV-Modell[2]). Von dem Bewertungsvorschlag der Biotoptypen kann in begründeten Ausnahmefällen je nach naturräumlicher Ausstattung, Bedeutung, Seltenheit und Naturnähe um bis zu zwei Wertstufen nach unten oder oben bis zum Minimal- bzw. Maximalwert des jeweiligen Biotoptyps abgewichen werden.

Für spezielle Biotoptypen werden im LANUV-Modell konkrete Hinweise zur Auf- und Abwertung gegeben.

Ggf. erforderliche faunistische und vegetationskundliche Untersuchungen sind zur Optimierung des Erhebungsaufwandes mit artenschutzrechtlich erforderlichen Kartierungen[3] zu koordinieren.

Betroffene abiotische Wert- und Funktionselemente besonderer Bedeutung sind gesondert zu erfassen. Der Untersuchungsraum ist je nach Funktionen unterschiedlich abzugrenzen.

3.2.3
Eingriffsbewertung

3.2.3.1
Direkte Projektwirkungen

Anlage- und baubedingte Flächeninanspruchnahmen sind „direkte“ Projektwirkungen und stellen Beeinträchtigungen dar, die im Regelfall zu betrachten sind. Grundsätzlich ist im Bereich der vom Straßenkörper und den Nebenanlagen überbauten Fläche von einer erheblichen Beeinträchtigung der Lebensraumfunktion auszugehen. Erhebliche Beeinträchtigungen abiotischer oder biotischer Wert- und Funktionselemente besonderer Bedeutung sowie des Landschaftsbildes sind im Einzelfall zu bewerten.

Werden Biotoptypen baubedingt in Anspruch genommen, die innerhalb von 30 Jahren wiederhergestellt werden können, gelten die Beeinträchtigungen durch eine Wiederherstellung des Ausgangszustandes bzw. eines mindestens gleichwertigen Zustands nach Beendigung der Bauphase als in sich ausgeglichen. Über eine Darstellung der Wiederherstellbarkeit und der zugehörigen Maßnahmen in den Maßnahmenblättern hinaus ist eine rechnerische Bilanzierung gemäß Nr. 3.2.4 nicht erforderlich.

Werden Straßenböschungen auf Flächen angelegt, deren ökologischer Wert nicht größer ist als der Wert des jeweils vorgesehenen Straßenbegleitgrüns, sind Kompensationsmaßnahmen hierfür außerhalb des Straßenkörpers grundsätzlich nicht erforderlich; derartige Böschungen gelten durch ihre Bepflanzung als in sich selbst ausgeglichen. Ist eine funktionale Kompensation durch Straßenbegleitgrün im Einzelfall nicht möglich, ist das Kompensationsdefizit zu ermitteln und außerhalb des Straßenkörpers zu kompensieren. Entstehen durch die Art der Anlage von Straßenböschungen besondere ökologische Effekte, sind diese bei der Kompensation angemessen zu berücksichtigen.

3.2.3.2
Indirekte Projektwirkungen

Als „indirekte“ Projektwirkungen werden solche bezeichnet, die über den direkten Flächenverlust hinausgehen und erhebliche Beeinträchtigungen des Naturhaushaltes hervorrufen können.

Im Regelfall werden diese durch eine pauschalierte Belastungszone und einen einheitlichen, von der Verkehrsprognose unabhängigen Beeinträchtigungsfaktor quantifiziert. Folgende Projektwirkungen sind darunter zu fassen:

-          vorübergehende Beeinträchtigung des Naturhaushaltes während der Bauphase,

-          betriebsbedingter Schadstoffeintrag über den Luft- und Wasserpfad,

-          Beeinträchtigung von Insel- und Restflächen, die noch über eine ausreichende Restgröße verfügen und nicht gänzlich als Verlust gelten,

-          Waldanschnitt,

-          allgemeine Störung der Fauna durch visuelle und akustische Störreize,

-          allgemeine Zerschneidungs-, Barrierewirkungen, Kollisionsrisiko,

-          Gelände-/ kleinklimatische Veränderungen.

Die Belastungszone kommt nur bei Neubauvorhaben und bei Vorhaben, bei denen ein Ausbau von ein- auf zweibahnig erfolgt, zur Anwendung.

Die Belastungszone hat eine Ausdehnung von jeweils 50 m beidseitig ausgehend vom Fahrbahnrand, wobei zur Vermeidung von Doppelbewertungen Flächen, die als anlage- und baubedingter Verlust bilanziert wurden, ausgenommen sind. Sofern in einem Untersuchungsraum nachweislich keine besonderen Funktionsausprägungen des Naturhaushaltes wie z.B. seltene Bodentypen vorhanden sind, kann in Abstimmung mit den Landschaftsbehörden die Belastungszone auf 25 m zurückgenommen werden. Der Beeinträchtigungsfaktor bleibt unverändert oder kann in besonderen Fällen (z.B. innerhalb von Gewerbe-/Industriegebieten) auf Null gesetzt werden.

Beeinträchtigungen innerhalb der Belastungszone werden für alle betroffenen Biotoptypen jeweils folgendermaßen berechnet:

Eingriffswert je Biotoptyp

=

Fläche des
Biotoptyps
innerhalb der
Belastungszone

X

Biotopwert des Biotoptyps

X

Beeinträchtigungs
faktor 0,25

Eingriffsmindernde Wirkungen vorhandener oder geplanter Schutzanlagen (z.B. Lärmschutzanlagen, Tierquerungshilfen), sind zu berücksichtigen. Im Einzellfall ist zu entscheiden, ob in diesem Bereich die Belastungszone entfallen oder reduziert werden kann. Gleiches gilt, wenn innerhalb der Belastungszone deutliche Vorbelastungen vorhanden sind, z.B. wenn die geplante Straße in enger Bündelung mit einer vorhandenen Straße verläuft.

Reicht die Belastungszone zur Abbildung erheblicher Beeinträchtigungen der Lebensraumfunktion nicht aus, z.B. bei erheblichen Beeinträchtigungen besonderer faunistischer Funktionen, so erfolgen die Ermittlung des Eingriffsumfangs und die Ableitung von Art und Umfang der Kompensation im Einzelfall verbal-argumentativ. Dies gilt auch bei Vorhaben, bei denen die Belastungszone nicht zur Anwendung kommt sowie für im Einzelfall vorliegende erhebliche Beeinträchtigungen abiotischer Wert- und Funktionselemente besonderer Bedeutung und des Landschaftsbildes.

3.2.4
Kompensationsbemessung/Multifunktionalität

Für die Auswahl der Kompensationsmaßnahmen ist ein Kompensationskonzept zu erarbeiten (s. Nr. 2.4).

Der Kompensationsbedarf wird zunächst für die Lebensraumfunktion, die abiotischen Funktionen und für das Landschaftsbild/den Erholungswert separat ermittelt. Es sind Kompensationsmaßnahmen anzustreben, die eine Multifunktionalität von Flächen für alle Funktionsbereiche gewährleisten. Der Grundsatz der Multifunktionalität gilt auch für die Kompensation erheblicher Beeinträchtigungen abiotischer Wert- und Funktionselemente besonderer Bedeutung sowie für das Landschaftsbild. Die Erforderlichkeit additiver Maßnahmen ist im Einzelfall detailliert zu begründen.

Der Grundsatz der Multifunktionalität gilt auch für die Kompensation von Eingriffen in den Wald nach Landesforstgesetz. In Gebieten mit einem Waldanteil bis 40% ist der Waldverlust mindestens 1:1 auszugleichen, mit Kompensationsmaßnahmen in diesen Gebieten soll eine Waldvermehrung erreicht werden. In Gebieten mit einem Waldanteil über 40% soll der funktionsbezogene Ausgleich auch durch ökologische Aufwertung bestehender Waldflächen mit erbracht werden.

Als Grundlage für die Ermittlung des erforderlichen Mindestumfangs der Kompensation für die Lebensraumfunktion wird der Biotopwert der Kompensationsmaßnahme nach 30 Jahren (Prognosewerte entsprechend LANUV-Modell) herangezogen. Ein zusätzlicher Zeitfaktor ist nicht erforderlich.

Der Mindestkompensationsbedarf für die Lebensraumfunktion berechnet sich für den Regelfall je betroffenem Biotoptyp nach folgender Formel:

Mindestumfang der Kompensationsmaßnahme

=

Biotopwert aus
der direkten Beeinträchtigung der Lebens-
raumfunktion

x

Fläche des
 vom Eingriff betroffenen
Biotops

+

Biotopwert aus
der indirekten Beeinträchtigung der Lebensraum
funktion (Belastungszone[4])

x

Fläche des Biotoptyps innerhalb der Belastungs
zone

x

Beeinträchtigungsfaktor 0,25

Zielbiotopwert der
Kompensationsmaßnahme

-

Biotopwert der Fläche, auf der die Kompensationsmaßnahme durchgeführt wird

Sofern im Einzelfall die Inanspruchnahme von Biotoptypen mit langen Entwicklungszeiten und besonderen Standortfaktoren sowie besonderer Bedeutung (vgl. LANUV-Modell Tab. 1) nicht vermieden werden kann, und eine funktional gleichartige Wiederherstellung außerhalb von landwirtschaftlich genutzten Flächen nicht möglich ist, ergibt sich ein zusätzlicher Kompensationsbedarf. Dies ist detailliert im Landschaftspflegerischen Begleitplan zu begründen.

Bei Entsiegelungsmaßnahmen[5] oder beim Aufheben von Verrohrungen, der Beseitigung von Wehren sowie betonierten Sohlbefestigungen an Fließgewässern wird der erforderliche Kompensationsumfang im Sinne eines Bonus (vgl. LANUV-Modell) angemessen reduziert.

Sofern erhebliche Beeinträchtigungen besonderer faunistischer Funktionen nicht über den nach o. g. Rechenvorschrift ermittelten Mindestkompensationsumfang abgedeckt werden können, sind darüber hinaus Maßnahmen vorzusehen, die geeignet sind, die gestörten Funktionsbeziehungen wiederherzustellen. Diese Maßnahmen sind detailliert zu begründen und mit ggf. erforderlichen artenschutzrechtlichen Maßnahmen im Sinne der Multifunktionalität abzustimmen.

Ist der Kompensationsbedarf für Beeinträchtigungen faunistischer Funktionen besonderer Bedeutung größer als der für die Lebensraumfunktion, bestimmt dieser grundsätzlich die Gesamtkompensation. Dabei wird davon ausgegangen, dass die Belange des Naturhaushaltes, des Landschaftsbildes und des Waldes integriert sind (Auswahl und Kombination geeigneter Kompensationsflächen und -maßnahmen). Dies ist nachzuprüfen und ggf. zu ergänzen (z.B. Walderhaltung in waldarmen Gebieten).

Erhebliche Beeinträchtigungen abiotischer Wert- und Funktionselemente besonderer Bedeutung sind im Regelfall im Verhältnis 1:1 multifunktional zu kompensieren. Überlagern sich verschiedene abiotische Funktionen besonderer Bedeutung, z.B. Wasser (Überschwemmungsgebiet) und Boden (Auengley), wird der Kompensationsumfang nach dem größten der jeweiligen Teilansprüche bestimmt, sofern eine multifunktionale Kompensation möglich ist.
Maßnahmen zur landschaftsgerechten Wiederherstellung und Neugestaltung des Landschaftsbildes sollten primär durch entsprechend gestaltetes Straßenbegleitgrün umgesetzt oder in trassennahen Bereichen verwirklicht werden. Ein zusätzliches Kompensationserfordernis über die Maßnahmen für den Naturhaushalt hinaus ergibt sich im Regelfall nicht.
Liegt darüber hinaus als Ergebnis der Einzelfallbetrachtung eine erhebliche Beeinträchtigung des Landschaftsbildes vor, sind ergänzende Maßnahmen zur landschaftsgerechten Wiederherstellung und Neugestaltung verbal-argumentativ detailliert zu begründen.

4
Hinweise zur dauerhaften Sicherung von Maßnahmen einer naturverträglichen land- und forstwirtschaftlichen Bodennutzung nach § 4a Absätze 9 und 6, lit. d in Verbindung mit § 4a Absatz 4 LG

4.1
Rechtliche Ausgangslage

Neben der bisher üblichen Sicherung von Kompensationsmaßnahmen

-  Eintragung einer beschränkten persönlichen Dienstbarkeit im Grundbuch

-  Eintrag einer Baulast

sieht die Regelung im Landschaftsgesetz auch eine vertragliche Regelung vor, „wenn dadurch eine der Eintragung einer beschränkten persönlichen Dienstbarkeit vergleichbare Sicherung gewährleistet wird“ (§ 4a Absatz 9 Satz 3 LG).

Dies gilt neu auch für Kompensationsmaßnahmen auf wechselnden Flächen (§ 4a Abs. 4 LG).

4.2
Hinweise zum Verwaltungsvollzug

4.2.1
Zur zeitlichen Dimension der Dauerhaftigkeit

Grundsätzlich ist die Dauerhaftigkeit von Maßnahmen bei der Umsetzung durch Verträge mit begrenzter Laufzeit dann gesichert, wenn zugleich eine grundbuchliche Absicherung im Hinblick auf den Funktionsausgleich und die Dauerhaftigkeit der Maßnahme erfolgt.
Pflegemaßnahmen und Maßnahmen einer naturverträglichen Bodennutzung sowie der Umbau von Waldbeständen in einen naturnäheren Zustand  (§ 4a Abs. 4 und  Abs. 6 Ziffer d LG) erfüllen in der Regel die rechtlichen Voraussetzungen nach § 4a Abs. 4 LG, wenn sie vertraglich über eine Laufzeit von 30 Jahren garantiert sind.

4.2.2
Verzicht auf eine Eintragung ins Grundbuch oder eine Baulast für räumlich bestimmte Maßnahmen

Auf eine grundbuchliche Absicherung der Kompensationsmaßnahmen kann verzichtet werden, wenn

-  die Kompensationsmaßnahmen als Pflege- und Entwicklungsmaßnahmen in einem Landschaftsplan festgesetzt und durch einen Verwaltungsakt oder einen Vertrag mit dem Grundstückseigentümer verbindlich und dauerhaft gesichert worden sind,

-  Pflege- und Entwicklungsmaßnahmen in Natur- oder Landschaftsschutzgebieten nach § 3a Abs. 1 LG für die Dauer von 30 Jahren vertraglich gesichert sind,

-  die Maßnahmen auf Flächen im öffentlichen Eigentum durchgeführt werden und für die Dauer von 30 Jahren vertraglich gesichert sind,

-  oder ein 30-jähriger Pachtvertrag zu Gunsten des Maßnahmenträgers besteht.

Darüber hinaus verpflichtet sich der Vertragsnehmer (Maßnahmenträger) bei Nichterfüllung des Vertrages einen entsprechenden Geldbetrag zur weiteren Erfüllung der zugesicherten Kompensation zu leisten. Die Höhe des Geldbetrages bemisst sich nach den voraussichtlichen Durchführungskosten der Kompensationsmaßnahme. Hierbei sind gegebenenfalls Kosten der Flächenbereitstellung, Maßnahmenherstellung, -pflege, -planung und –genehmigung zu berücksichtigen. Werden sich die untere Landschaftsbehörde und die Vertragsparteien nicht über die Höhe des Geldbetrages einig, so bemisst ein vom Vorhabenträger beauftragter Dritter dessen Höhe. Bereits erbrachte Leistungen (z.B. Herstellung der Maßnahme, Pachtvorauszahlung, etc.) sind nicht bei der Bemessung des Geldbetrages zu berücksichtigen. Die erforderliche Sicherheitsleistung soll durch Hinterlegen einer Bankbürgschaft erfolgen.

Die Beibehaltung der Funktion der Kompensationsmaßnahmen ist auch bei Grundstücksverkauf oder – verschenkung im Vertrag sicherzustellen.

Die Auszahlung eines Geldbetrages oder von Teilbeträgen für vertraglich vereinbarte Pflegeleistungen erfolgt von einem gesondert einzurichtenden Konto. Sie ist an die Zustimmung der zuständigen Landschaftsbehörde gebunden. Wenn die Landschaftsbehörde nicht innerhalb von vier Wochen ausführlich begründet widerspricht, gilt die Zustimmung als erteilt.

4.2.3
Verzicht auf eine Eintragung ins Grundbuch oder einer Baulast für Kompensationsmaßnahmen auf wechselnden Flächen (§ 4a Abs. 9)

Für Kompensationsmaßnahmen auf wechselnden Flächen kann auf eine Eintragung ins Grundbuch bei einem geeigneten Maßnahmeträger verzichtet werden bei

-          allen öffentlich-rechtlichen Körperschaften, sofern sie in dieser Eigenschaft über Eigentumsflächen verfügen, die die Voraussetzungen für die Durchführung der notwendigen Kompensationsmaßnahmen auf wechselnden Flächen erfüllen (Flächengröße, Flächeneignung, Verfügbarkeit), die hierfür erforderlichen Personalkapazitäten sicherstellen und eine im Einzelfall festzulegende Abstimmungs- sowie Berichtspflicht mit den unteren Landschaftsbehörden geregelt ist.

-          Öffentlich-rechtlichen und privaten Stiftungen, sofern deren Satzung die Voraussetzungen nach § 4a Absatz 4 LG grundsätzlich erfüllt und die fachlichen Voraussetzungen durch die höheren Landschaftsbehörden bestätigt werden. Sie werden in einer Liste der Bezirksregierungen geführt.

-          Gesellschaftsformen, für die eine umfassend abgesicherte Bürgschaft durch öffentlich-rechtliche Körperschaften besteht; und die jeweils zuvor genannten Voraussetzungen entsprechend vorliegen.

Verträge mit privaten Eigentümern/Bewirtschaftern oder Vereinen oder Verbänden sind nicht geeignet für vertragliche Regelungen über Kompensationsmaßnahmen auf wechselnden Flächen ohne grundbuchliche Sicherung.

Die Maßnahmenträger sind in dem Vertrag zu verpflichten,

-          die von ihnen abgeschlossenen Vertragsmaßnahmen mit dem jeweiligen Kompensationsziel fachgerecht zu kontrollieren und regelmäßig gegenüber der zuständigen Landschaftsbehörde zu dokumentieren, insbesondere im Hinblick auf deren Funktionserfüllung, dies schließt auch die Verpflichtungen nach § 6 (8) LG ein.

-          die im Vertrag mit dem Eingreifer vereinbarte Vertragssumme als gesondertes Vermögen zu verwalten, für keine anderen Zwecke einzusetzen und soweit vereinbart für den Zeitpunkt der Vertragsbeendigung einen vertraglich festzusetzenden Betrag für die dauerhafte Gewährleistung der im Zulassungsverfahren festgelegten funktionalen Zielsetzung der Kompensation bereitzustellen.

-          bei Nichterfüllen der Vertragspflichten oder vorzeitiger Beendigung des Vertrages (z.B. wegen mangelnder Kooperationsbereitschaft privater Eigentümer/Bewirtschafter) auf der Grundlage der o. g. dokumentierten Funktionskontrolle und nach Abstimmung mit der unteren Landschaftsbehörde die verbleibende Vertragssumme zweckgebunden der unteren Landschaftsbehörde oder dem Vertragspartner zu übertragen. Die Vertragssumme ist zur weiteren Aufrechterhaltung der Kompensationsverpflichtung bzw. für die dauerhafte Gewährleistung der im Zulassungsverfahren festgelegten Zielsetzung der Kompensation zu verwenden.

5
Inkrafttreten, Geltungsdauer

Dieser Erlass tritt mit sofortiger Wirkung in Kraft. Seine Geltungsdauer ist auf fünf Jahre begrenzt. Es ist beabsichtigt, Arbeitshilfen für die praktische Anwendung zu entwickeln. Der Gem. RdErl. des Ministeriums für Wirtschaft und Mittelstand, Technologie und Verkehr und des Ministeriums für Umwelt, Raumordnung und Landwirtschaft vom 25.2.1999 (SMBl. NRW 911) sowie der Gem. RdErl. des Ministeriums für Stadtentwicklung und Verkehr und des Ministeriums für Umwelt, Raumordnung und Landwirtschaft vom 13.2.1992 (SMBl NRW 911) wird aufgehoben.


[1] siehe § 7 der Verordnung über die Führung eines Ökokontos nach § 5a Abs. 1 Landschaftsgesetz (Ökokonto VO) vom 18. 04.2008 GV. NRW. S. 379

[2] S. hierzu LANUV Infosysteme und Datenbanken Naturschutz unter www. Lanuv.nrw.de

[3] S. hierzu LANUV Infosysteme und Datenbanken Naturschutz unter www. Lanuv.nrw.de

[4] Bei Vorhaben, bei denen die Belastungszone entfällt, wird der Eingriffswert aus der indirekten Beeinträchtigung in der Formel gleich Null gesetzt.

[5] Entsiegelung von Flächen durch vollständiges Abtragen und Entsorgung des Materials ab einer Flächengröße von 0,1 ha (Mindestbreite 2,0 m), sofern die Maßnahme Tei des Kompensationskonzeptes ist

- MBl. NRW. 2009 S. 138