Ministerialblatt (MBl. NRW.)
Ausgabe 2015 Nr. 13 vom 18.5.2015 Seite 299 bis 336

Feststellung von Alkohol und anderen berauschenden Mitteln bei Straftaten und Ordnungswidrigkeiten; Sicherstellung und Beschlagnahme von Führerscheinen Gem. RdErl. d. Ministeriums für Inneres und Kommunales (402 - 57.01.35), d. Justizministeriums (4103 - III. 29), d. Ministeriums für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr (III B 2-21-34/34) u. d. Ministeriums für Innovation, Wissenschaft und Forschung (232 - 1.09.14.03) v. 27.4.2015
Normkopf
Norm
Normfuß
 
zugehörige Anlagen :
Anlage1
Anlage2
Anlage3
Anlage4
 

Feststellung von Alkohol und anderen berauschenden Mitteln bei Straftaten und Ordnungswidrigkeiten; Sicherstellung und Beschlagnahme von Führerscheinen Gem. RdErl. d. Ministeriums für Inneres und Kommunales (402 - 57.01.35), d. Justizministeriums (4103 - III. 29), d. Ministeriums für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr (III B 2-21-34/34) u. d. Ministeriums für Innovation, Wissenschaft und Forschung (232 - 1.09.14.03) v. 27.4.2015

2051

Feststellung von Alkohol und anderen berauschenden Mitteln
bei Straftaten und Ordnungswidrigkeiten;
Sicherstellung und Beschlagnahme von Führerscheinen

Gem. RdErl. d. Ministeriums für Inneres und Kommunales (402 - 57.01.35),
d. Justizministeriums (4103 - III. 29), d. Ministeriums für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr (III B 2-21-34/34)
u. d. Ministeriums für Innovation, Wissenschaft und Forschung (232 - 1.09.14.03)
v. 27.4.2015

1
Allgemeines

Bei Verdacht einer unter der Einwirkung von Alkohol oder anderen, allein oder im Zusammenwirken mit Alkohol, auf das Zentralnervensystem wirkenden Stoffen (Medikamente, Drogen) begangenen Straftat oder Ordnungswidrigkeit ist zu prüfen, ob zu Beweiszwecken eine Atemalkoholmessung, eine körperliche Untersuchung, eine Blutentnahme, eine Urinprobe oder eine Haarprobe in Betracht kommen. Besonders wichtig sind diese Maßnahmen bei Verdacht schwerwiegender Straftaten und Verkehrsstraftaten, bei denen eine Sicherstellung oder Beschlagnahme von Führerscheinen (Nummer 9) in Betracht kommen kann, sowie bei Ordnungswidrigkeiten nach § 24a und § 24c StVG. Entgegen den vorgenannten Maßnahmen dienen Alkohol- und Drogenvortestgeräte (Speichel- und Urinvortestgeräte) nur der Verdachtsgewinnung, -erhärtung oder -entkräftigung und sind nicht beweissicher.

2
Atemalkoholprüfung

2.1
Allgemeines

Atemalkoholprüfungen (Vortest und Atemalkoholmessung) sind keine körperlichen Untersuchungen im Sinne des § 81a StPO. Eine rechtliche Grundlage für ihre zwangsweise Durchsetzung besteht nicht. Sie erfordern ein aktives Mitwirken und können nur mit Einverständnis der betroffenen Person durchgeführt werden. Der Vortest soll die Polizeivollzugsbeamtin oder den Polizeivollzugsbeamten im Hinblick auf die Entscheidung über die Einholung der Anordnung einer Blutentnahme durch die Richterin oder den Richter unterstützen.  

Wird ein Atemalkoholvortest oder die Atemalkoholmessung abgelehnt, das Test- bzw. Messgerät nicht vorschriftsmäßig beatmet oder kann die Atemalkoholmessung mittels Atemalkoholmessgerät aus sonstigen Gründen nicht durchgeführt werden, sind bei Verdacht auf rechtserhebliche Alkoholbeeinflussung die Anordnung einer Blutentnahme und einer körperlichen Untersuchung zu veranlassen. Hinsichtlich der Belehrung gilt Nummer 2.5.1.

2.2
Atemalkoholvortest

Ein Atemalkoholvortest dient dazu, den Verdacht des Alkoholkonsums zu erhärten oder zu entkräften. Dazu sind die den Polizeibehörden zentral zur Verfügung gestellten Geräte gemäß Gebrauchsanweisung zu verwenden. Der Atemalkoholvortest ist nicht beweissicher.

2.3
Atemalkoholmessung

Die Atemalkoholmessung mittels von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt zugelassenen und gültig geeichten Atemalkoholmessgeräts dient der beweissicheren Feststellung im Ordnungswidrigkeitenverfahren, ob die betroffene Person unter Alkoholeinfluss steht (§ 24c StVG) oder ob die in § 24a Absatz 1 StVG genannten Atemalkoholwerte erreicht oder überschritten sind.

Von einer Wirkung im Sinne des § 24c StVG ist nach derzeitigem wissenschaftlichen Erkenntnisstand erst ab einem Wert von 0,1 mg/l Alkohol in der Atemluft oder 0,2 Promille Alkohol im Blut auszugehen, um Messwertunsicherheiten und endogenen (körpereigenen) Alkohol auszuschließen.

In den genannten Werten sind die erforderlichen Sicherheitszuschläge enthalten. Werte, die darunter liegen, erfüllen daher nicht die 2. Handlungsalternative des § 24c StVG. Von einer Ordnungswidrigkeitenanzeige ist abzusehen.

2.4
Atemalkoholmessung bei Verkehrsordnungswidrigkeiten

Bei Personen, die ausschließlich verdächtig sind, eine vorsätzliche oder fahrlässige Verkehrsordnungswidrigkeit nach § 24a Absatz 1, 3 oder § 24c Absatz 1, 2 StVG begangen zu haben, ist eine Atemalkoholmessung (Nummer 2.1) durchzuführen, wenn sie diesem Verfahren zustimmen und an der Messung mitwirken. Andernfalls ist die Anordnung einer körperlichen Untersuchung und einer Blutentnahme zu veranlassen. Bei anderen Ordnungswidrigkeiten, die entweder ebenfalls Atemalkoholgrenzwerte enthalten (z.B. § 7 Absatz 1 des Binnenschifffahrtsaufgabengesetzes i.V.m. der schifffahrtspolizeilichen Verordnung zur vorübergehenden Abweichung von der Binnenschifffahrtsstraßen-Ordnung [VkBl. 1999, Nummer 87, S. 368 ff], berichtigt durch Berichtigung der Schifffahrtspolizeilichen Verordnung zur vorübergehenden Abweichung von der Binnenschifffahrtsstraßenordnung vom 1. Juli 1999 [VkBl. 1999, Nummer 129, S. 545]), oder die keinen dem Wert nach bestimmten Grad der Alkoholisierung bei den Betroffenen verlangen (z.B. § 45 Absatz 2 Ziff. 2a, 3a und § 4a BOKraft i.V.m. § 61 Absatz 1 Nummer 4 PBefG), gilt dies entsprechend.

2.5
Verfahren bei der Atemalkoholmessung

Die Verwertbarkeit der Atemalkoholmessung als Beweismittel hängt entscheidend davon ab, dass Fehlmessungen zu Lasten der betroffenen Person sicher ausgeschlossen werden. Deshalb darf die Atemalkoholmessung nur unter Beachtung der folgenden Regeln durchgeführt werden.

2.5.1
Belehrung

Vor Durchführung eines Atemalkoholvortests oder der Atemalkoholmessung ist die betroffene Person ausdrücklich darüber zu belehren, dass die Messung nur mit ihrem Einverständnis durchgeführt wird. Der betroffenen Person ist dabei zu eröffnen, welche Ordnungswidrigkeit ihr zur Last gelegt wird. Besteht der Verdacht einer Straftat, ist die Belehrung darauf zu erstrecken. Ablauf und Zweck der Messung sind zu erläutern und auf die Folgen einer Weigerung oder einer nicht vorschriftsmäßigen Beatmung des Messgerätes ist hinzuweisen.

2.5.2
Durchführung einer Atemalkoholmessung

Zur Atemalkoholmessung dürfen nur von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt Braunschweig und Berlin zugelassene und von den zuständigen Eichbehörden gültig geeichte Atemalkoholmessgeräte verwendet werden. Die Messung muss von dazu ausgebildeten Personen unter Beachtung der für das jeweilige Messgerät gültigen Gebrauchsanweisung durchgeführt werden.

Die Messbeamten achten auf Umstände (insbesondere die Einhaltung der Kontrollzeit), durch die der Beweiswert der Messergebnisse beeinträchtigt werden kann. Sie vergewissern sich, dass die Gültigkeitsdauer der Eichung nicht abgelaufen ist, die Eichmarke unverletzt ist und das Messgerät keine Anzeichen einer Beschädigung aufweist.

Die Einhaltung des für die Atemalkoholmessung vorgeschriebenen Messverfahrens ist mittels Ausdruck des Messprotokolls zu dokumentieren. Auf diesem Ausdruck bestätigt das Messpersonal durch Unterschrift, dass es zur Bedienung des Gerätes befugt ist und die Messung nach Maßgabe der Gebrauchsanweisung des Geräteherstellers durchgeführt hat. Auf dem Messprotokoll sind für Rückfragen neben der Unterschrift auch der Familienname und die Dienststelle des Messpersonals anzugeben. Der Ausdruck des Messergebnisses ist zu den Ermittlungsakten zu nehmen.

Zur Dokumentation der sonstigen, insbesondere für ein späteres Straf- oder Bußgeldverfahren bedeutsamen Umstände der Atemalkoholmessung ist der Vordruck „Protokoll zur Atemalkoholmessung (Polizeibericht)" (Anlage 2) zu verwenden. Der Ausdruck des Messergebnisses ist auf der Rückseite des Vordrucks in geeigneter Weise zu befestigen.

2.5.3
Löschung der personenbezogenen Daten

Nach Durchführung der Messungen und Ausdruck des Messergebnisses werden die personenbezogenen Daten aus dem Messgerät gelöscht.

3
Erkennung von anderen berauschenden Mitteln

3.1
Allgemeines

Als Anhaltspunkte für den Konsum sonstiger auf das Zentralnervensystem wirkender Stoffe (z.B. Medikamente, Drogen) kommen Ausfallerscheinungen, unerklärliche Fahrfehler, aber auch das Verhalten der Person während der Anhalte- und Kontrollsituation in Betracht (siehe auch Anlage 3).

Ausfallerscheinungen begründen den Anfangsverdacht einer Straftat gemäß § 316 StGB und - je nach den Umständen des Einzelfalls - gemäß § 315c StGB.

§ 24a Absatz 2 StVG ist Auffangtatbestand zu § 316 StGB und qualifiziert das Führen eines Kraftfahrzeugs unter Wirkung berauschender Mittel zu einer Ordnungswidrigkeit, wenn ein in der Anlage zu § 24a StVG aufgeführtes berauschendes Mittel im Blut nachgewiesen wird.

Nachfolgende Erkenntnisse oder Zufallsfunde können den Verdacht auf Konsum berauschender Mittel verstärken:

- das Auffinden von berauschenden Mitteln, 

- das Auffinden von Gegenständen, die dem Konsum von berauschenden Mitteln dienen,

- frühere Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz (BtMG),

- frühere Verstöße gem. § 316 StGB oder § 24 a StVG, 

- eigene Einlassungen des Betroffenen.

3.2
Durchführung von Drogenvortests

Zur Feststellung des Konsums anderer berauschender Mittel stehen den Polizeibehörden Speichel- und Urinvortests (Drogenvortest) zur Verfügung. Drogenvortestgeräte sollen die Polizeivollzugsbeamtin oder den Polizeivollzugsbeamten im Hinblick auf die Entscheidung über die Einholung der Anordnung einer Blutentnahme durch die Richterin oder den Richter unterstützen. Ihre Verwendung liegt in der Entscheidung der Polizeivollzugsbeamtin oder des Polizeivollzugsbeamten und bedingt die Einwilligung der betroffenen Person.

Bei der Durchführung sind die Vorgaben der Gebrauchsanweisung und die als Anlage 4 beigefügte Handlungsanweisung zu beachten. Die Durchführung eines Urinvortests erfordert zum Schutz der Intimsphäre und des Schamgefühls ein hohes Maß an Sensibilität. Urinvortests dürfen daher grundsätzlich nur in geeigneten Räumlichkeiten (z.B. Toilettenanlagen) durchgeführt werden. Auch mit Zustimmung der betroffenen Person ist ein Urinvortest außerhalb geeigneter Räumlichkeiten nur zulässig, wenn sichergestellt ist, dass die Intimsphäre und das Schamgefühl - auch Unbeteiligter - nicht beeinträchtigt werden.

3.3
Belehrung

Vor der Durchführung eines Drogenvortests ist die betroffene Person ausdrücklich darüber zu belehren, dass die Maßnahme ihr Einverständnis voraussetzt. Der betroffenen Person ist dabei zu eröffnen, welche Straftat oder Ordnungswidrigkeit ihr zur Last gelegt wird. Ablauf und Zweck des Drogenvortests sind zu erläutern und auf die Folgen einer Weigerung oder einer nicht vorschriftsmäßigen Durchführung des Tests ist hinzuweisen.

4
Körperliche Untersuchung und Blutentnahme

4.1
Zuständigkeit für die Anordnung

Die Anordnung einer körperlichen Untersuchung sowie einer Blutentnahme gegen den Willen der oder des Beschuldigten steht der Richterin oder dem Richter, bei Gefährdung des Untersuchungserfolges durch Verzögerung auch der Staatsanwaltschaft, (nachrangig) deren Ermittlungspersonen und den Verfolgungsbehörden zu. Sollen Minderjährige oder Betreute, die nicht beschuldigt oder betroffen sind, körperlich untersucht oder einer Blutentnahme unterzogen werden, so kann das Gericht und, wenn dieses nicht rechtzeitig erreichbar ist, die Staatsanwaltschaft die Maßnahme anordnen, falls die gesetzliche Vertreterin oder der gesetzliche Vertreter zustimmen müsste, aber von der Entscheidung ausgeschlossen oder an einer rechtzeitigen Entscheidung gehindert ist und die sofortige Untersuchung oder Entnahme von Blutproben zur Beweissicherung erforderlich erscheinen (§ 81c Absatz 3 und 5 StPO).

Gemäß §§ 46 Absatz 1, 53 Absatz 2 OWiG sind die Vorschriften der StPO auch im Ordnungswidrigkeitenverfahren anzuwenden. Betroffene haben jedoch nur die Blutentnahme und andere geringfügige Eingriffe zu dulden (§ 46 Absatz 4 OWiG).

Zur Wahrung der Rechte der Beschuldigten oder Betroffenen wendet sich die Polizei - soweit sie nicht gemäß §§ 35, 46 Absatz 2 OWiG selbst [1] zuständig ist - grundsätzlich an die Staatsanwaltschaft, um eine richterliche Entscheidung über die Anordnung einer Blutprobenentnahme zu erwirken.

Ausnahmen sind stets einzelfallbezogen zu entscheiden und in den Ermittlungsakten eingehend zu dokumentieren.

Eine Ausnahme besteht,

a) wenn Beschuldigte oder Betroffene einer freiwilligen Blutprobenentnahme nach vorangegangener Belehrung ausdrücklich, eindeutig und aus freiem Entschluss zustimmen. Stehen sie bereits äußerlich erkennbar so deutlich unter dem Einfluss von Alkohol, Drogen oder Medikamenten, dass eine fehlende Einwilligungsfähigkeit nicht ausgeschlossen werden kann, ist davon abzusehen, ihre Zustimmung zu erfragen. Im Zweifelsfall ist eine richterliche Entscheidung einzuholen.

b) wenn im Einzelfall schon die zeitliche Verzögerung wegen  des Versuchs der Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung die Gefahr eines Beweismittelverlustes im Hinblick auf die erforderliche Blutprobe begründen würde, etwa weil

- der richterliche Bereitschaftsdienst nicht erreichbar ist,

- Richterinnen oder Richter eine Entscheidung auf einer allein (fern)mündlich vorgetragenen Tatsachengrundlage nicht zu treffen vermögen und eine unverzügliche Aktenvorlage auch unter Einsatz moderner Kommunikationsmittel (Fax, E-Mail) nicht möglich ist,

- Beschuldigte oder Betroffene sich zu entfernen drohen oder weil - etwa wegen der Behauptung eines Nachtrunks, wegen der aus dem Ergebnis einer Atemalkoholkontrolle ersichtlichen Nähe zu relevanten Grenzwerten oder bei Anhaltspunkten für eine parallele Einnahme von Alkohol und Medikamenten bzw. Betäubungsmitteln - besondere Eile geboten ist; in diesen Fällen ist jedoch regelmäßig eine Einschaltung der Richterin oder des Richters zu versuchen, während sich die beschuldigte oder betroffene Person auf dem begleiteten Weg zur Blutentnahme befindet.

4.2
Andere als beschuldigte oder betroffene Personen

Die körperliche Untersuchung von nicht Beschuldigten und nicht Betroffenen richtet sich nach den Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 81c StPO und des
§ 46 OWiG.

Bei Verstorbenen sind Blutentnahmen zur Beweissicherung nach § 94 StPO zulässig.

4.3
Regelfälle der Anordnung

Die Feststellung von Alkohol oder sonstigen auf das Zentralnervensystem wirkenden Stoffen (Medikamente, Drogen) soll

- Hinweise auf die Schuldfähigkeit von Beschuldigten/Betroffenen geben oder

- die Verwirklichung eines strafrechtlichen oder ordnungswidrigen Tatbestandes nachweisen oder

- Spuren oder Folgen einer Straftat dokumentieren.

Eine körperliche Untersuchung und eine Blutentnahme sind in der Regel bei Personen anzuordnen, die verdächtig sind, unter der Einwirkung von Alkohol und/oder sonstigen auf das Zentralnervensystem wirkenden Stoffen (Medikamente, Drogen) eine Straftat begangen zu haben, namentlich

- ein Fahrzeug im Straßenverkehr geführt zu haben mit 0,3 Promille oder mehr Alkohol im Blut oder einer Alkoholmenge im Körper, die zu einer solchen Blutalkoholkonzentration führt, wenn es infolge des Alkoholkonsums zu Ausfallerscheinungen, einer verkehrswidrigen Fahrweise oder einem Verkehrsunfall gekommen ist;

- ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr geführt zu haben mit 1,1 Promille oder mehr Alkohol im Blut oder einer Alkoholmenge im Körper, die zu einer solchen Blutalkoholkonzentration führt;

- ein Fahrzeug im Straßenverkehr geführt zu haben unter Einfluss von anderen berauschenden Mitteln (insbesondere von Medikamenten und Drogen), wenn es infolge des Genusses dieser Mittel zu Ausfallerscheinungen, einer verkehrswidrigen Fahrweise oder einem Verkehrsunfall gekommen ist;

- ein Fahrrad im Straßenverkehr geführt zu haben mit 1,6 Promille oder mehr Alkohol im Blut oder einer Alkoholmenge im Körper, die zu einer solchen Blutalkoholkonzentration führt;

- ein Schienenbahn- oder Schwebebahnfahrzeug, ein Schiff oder ein Luftfahrzeug geführt zu haben, obwohl aufgrund der Gesamtumstände angenommen werden muss, dass sie nicht in der Lage waren, das Fahrzeug sicher zu führen;

eine Ordnungswidrigkeit begangen zu haben, namentlich

- im Straßenverkehr ein Kraftfahrzeug unter der Wirkung eines in der Anlage zu § 24 a StVG genannten berauschenden Mittels geführt zu haben (§ 24a Absatz 2 StVG);

- ein Wasserfahrzeug geführt zu haben mit einer Blutalkoholkonzentration von 0,8 oder mehr Promille oder einer Alkoholmenge im Körper, die zu einer solchen Blutalkoholkonzentration führt, sofern Schifffahrtspolizeiverordnungen entsprechende Bußgeldtatbestände enthalten (§ 3 Absatz 3 und § 61 Absatz l Nummer l SeeSchStrO i. V. m. § 15 Absatz l Nummer 2 Seeaufgabengesetz oder § 1 Absatz 3 und § 43 Nummer 3 LuftVO i. V. m. § 58 Absatz l Nummer 10 LuftVG).

4.4
Sonstige Verdachtslagen

4.4.1
Eine körperliche Untersuchung und eine Blutentnahme sind in der Regel auch anzuordnen:

- bei unter Alkoholeinwirkung oder der Einwirkung sonstiger auf das Zentralnervensystem wirkender Stoffe (z.B. Medikamente, Drogen) stehenden Personen, die sich in oder auf einem Fahrzeug befinden oder befunden haben, wenn die das Fahrzeug führende Person nicht mit Sicherheit festzustellen ist und der Tatverdacht gegen sie, das Fahrzeug geführt zu haben, nicht ausgeschlossen werden kann;

- bei Verstorbenen bei Vorliegen von schwerwiegenden Straftaten oder Verkehrsunfällen mit schwerwiegenden Folgen, die sich nicht oder nicht ausreichend erklären lassen und Anhaltspunkte für die Einwirkung von Alkohol oder sonstigen auf das Zentralnervensystem wirkenden Stoffen (Medikamente, Drogen) vorhanden sind (z.B. Alkoholgeruch, Zeugenaussage, Art des zum Tode führenden Geschehens);

- bei schwerwiegenden Straftaten und bei schweren Unfällen, die sich anhand örtlicher oder tageszeitlicher Bedingungen, aufgrund der Straßen- und Witterungsverhältnisse oder durch übliche Fehlverhaltensweisen nicht oder nicht ausreichend erklären lassen;

- wenn eine Atemalkoholmessung nicht durchgeführt werden kann (vgl. Nummer 2.4);

- wenn sie nach pflichtgemäßer Überprüfung wegen der Besonderheiten des Einzelfalles sowie der Schwere oder der Folgen der Tat ausnahmsweise geboten ist;

- wenn bei ausschließlichem Verdacht einer vorsätzlichen oder fahrlässigen Verkehrsordnungswidrigkeit nach § 24a Absatz 1 StVG oder § 24c StVG Anhaltspunkte für einen Nachtrunk bestehen;

- wenn das Testergebnis zwar einen unter 0,15 mg/l (oder 0,3 Promille) liegenden Atemalkoholwert ergibt, der Test aber erst nach mehr als einer Stunde nach der Tat durchgeführt werden konnte und äußere körperliche Merkmale (z.B. gerötete Augen, enge oder weite Pupillen, Sprechweise, schwankender Gang) oder die Art des nur durch alkoholtypische Beeinträchtigung erklärbaren Verkehrsverhaltens auf eine Alkoholbeeinflussung zur Tatzeit hindeuten;

- auf Weisung der jeweils zuständigen Staatsanwaltschaft an die Polizei.

4.4.2
Eine körperliche Untersuchung und eine Blutentnahme sollen grundsätzlich unterbleiben:

- bei den Privatklagedelikten des Hausfriedensbruchs (§ 123 StGB), der Beleidigung (§§ 185 bis 189 StGB) und der einfachen Sachbeschädigung (§ 303 StGB);

- bei leichten Vergehen oder Ordnungswidrigkeiten mit Ausnahme der unter Nummer 4.3 aufgeführten Regelfälle, es sei denn, dass Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Täter oder die Täterin schuldunfähig oder vermindert schuldfähig sein könnte (§§ 20, 21, 323a StGB, §§ 12 Absatz 2 und 122 OWiG),

- wenn im Rahmen des Vortests oder der Atemalkoholmessung bei vorschriftsmäßiger Beatmung des Messgerätes weniger als 0,15 mg/l (oder 0,3 Promille) angezeigt werden,

- wenn im Rahmen des Vortests oder der entsprechend Nummer 2.3 durchgeführten Atemalkoholmessung weniger als 0,55 mg/l (oder 1,1 Promille) angezeigt werden und lediglich der Verdacht einer vorsätzlichen oder fahrlässigen Verkehrsordnungswidrigkeit nach § 24a Absatz 1 StVG besteht.

4.5
Verfahren bei der Blutentnahme

4.5.1
Entnahme der Blutprobe 

Blutentnahmen dürfen nur von Ärztinnen oder Ärzten (einschließlich Medizinstudierende im praktischen Jahr) nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt werden. Ersuchen um Blutentnahmen sind an Ärztinnen oder Ärzte zu richten, die dazu vertraglich verpflichtet oder bereit sind. Andere Ärztinnen oder Ärzte sind nicht verpflichtet, Ersuchen um Blutentnahmen nachzukommen.

Da die Verwertbarkeit der bei einer Untersuchung auf Alkohol und anderer berauschender Mittel gewonnenen Messwerte wesentlich von der Blutentnahme abhängt, ist grundsätzlich wie folgt zu verfahren:

- Das Blut ist möglichst bald nach dem Vorfall zu entnehmen.

- Es sind grundsätzlich die Venülen zu verwenden, die über den zentralen Liefervertrag zu beschaffen sind.

- Zum Nachweis des Alkohols im Blut ist eine Venüle ohne Natriumfluorid und zum Nachweis von sonstigen berauschenden Mitteln ist eine Venüle mit Natriumfluorid zu verwenden. Es ist darauf zu achten, dass beide Venülen deutlich gefüllt sind. Bis zur Übersendung bzw. Abholung sind die Blutproben möglichst kühl, aber ungefroren zu lagern.

4.5.2
Dokumentation

Die polizeiliche Vernehmung/Anhörung über die Aufnahme von Alkohol oder anderer berauschender Mittel sowie die körperliche Untersuchung sind nach Maßgabe der hierzu zu verwendenden Formblätter (Anlagen 1 und 2) vorzunehmen. Vernehmung oder Anhörung sind möglichst umgehend nach dem Vorfall durchzuführen, um den zur Zeit der Tat bestehenden Grad der Alkoholbeeinflussung oder der Beeinflussung durch andere berauschende Mittel festzustellen. Dabei ist hinsichtlich der Aufnahme von Alkohol, Betäubungsmitteln und Medikamenten neben der Menge der aufgenommenen Substanzen auch der Zeitpunkt der Aufnahme der Substanzen möglichst genau zu ermitteln. Das Protokoll ist zu den Ermittlungsakten zu nehmen.

Zusätzlich ist zur Dokumentation und Beweisführung bei Drogen- oder Medikamentenblutproben der Vordruck „Ergänzende polizeiliche Feststellungen beim Verdacht des Konsums berauschender Mittel“ (Anlage 3) zu verwenden. Alle festgestellten Ausfallerscheinungen und Auffälligkeiten sind freitextlich, detailliert und genau zu beschreiben, da diese Angaben die Grundlage für Entscheidungen von Untersuchungsstellen, Sachverständigengutachten, Staatsanwaltschaften und Gerichten sind. In Fällen der §§ 24a und 24c StVG ist das  Formular „Überprüfung der Eignung und Befähigung zum Führen von Kraftfahrzeugen gem. § 2 Absatz 12 StVG“ auszufüllen, um bei der Straßenverkehrsbehörde eine Prüfung der Entziehung der Fahrerlaubnis auf dem Verwaltungsweg zu erwirken.

4.5.3
Androhung/Anordnung/Anwendung von Zwangsmaßnahmen

Beschuldigte oder Betroffene, die sich der körperlichen Untersuchung oder Blutentnahme widersetzen, sind mit den nach den Umständen erforderlichen Mitteln zu zwingen, die körperliche Untersuchung und die Blutentnahme zu dulden. Zwangsmaßnahmen sind möglichst anzudrohen.

Gegen andere Personen als Beschuldigte oder Betroffene darf unmittelbarer Zwang nur auf besondere richterliche Anordnung angewandt werden (§ 81c Absatz 6 StPO, § 46 Absatz 1 OWiG).

4.5.4
Zweite Blutentnahme

Eine zweite Blutentnahme ist im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nur in Ausnahmefällen und unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalles anzuordnen. Dazu besteht z.B. Anlass, wenn

- Anhaltspunkte für die Annahme gegeben sind, dass Beschuldigte oder Betroffene innerhalb einer Stunde vor der ersten Blutentnahme Alkohol zu sich genommen haben;

- sich Beschuldigte oder Betroffene auf Nachtrunk berufen oder Anhaltspunkte für einen Nachtrunk vorliegen;

- Beschuldigte oder Betroffene nicht unmittelbar nach der Tat ergriffen wurden und von ihrem Recht auf Aussageverweigerung Gebrauch beziehungsweise offensichtlich falsche Angaben machen.

Die zweite Blutentnahme soll 30 Minuten nach der ersten Blutentnahme erfolgen.

4.5.5
Sicherung der Blutproben

Die die körperliche Untersuchung und Blutentnahme anordnende oder eine von ihr zu beauftragende Person soll bei dem gesamten Blutentnahmevorgang zugegen sein. Sie hat darauf zu achten, dass Verwechselungen von Blutproben bei der Blutentnahme ausgeschlossen sind.

Die bei der Blutentnahme anwesende Person ist auch für die ausreichende Kennzeichnung der Blutprobe(n) verantwortlich. Zu diesem Zweck sollen mehrteilige Klebezettel verwendet werden, die jeweils die gleiche Identitätsnummer tragen.

Die oder der für die Überwachung verantwortliche Polizeivollzugsbeamtin oder  Polizeivollzugsbeamte hat die Teile des Klebezettels übereinstimmend zu beschriften. Ein Teil ist auf das mit Blut gefüllte Röhrchen aufzukleben. Der zweite Abschnitt ist auf das Untersuchungsprotokoll aufzukleben, das der Untersuchungsstelle übersandt wird. Ihm ist zugleich der dritte Abschnitt lose anzuheften. Er ist nach Feststellung des Blutalkohol- bzw. Drogengehalts für das Gutachten zu verwenden. Der vierte Teil des Klebezettels ist in die Ermittlungsvorgänge einzukleben. Bei einer zweiten Blutentnahme ist auf den Klebezetteln die Reihenfolge anzugeben. Die Richtigkeit der Beschriftung ist von der Ärztin oder dem Arzt zu bescheinigen.

Die bruchsicher verpackten Venülen sind möglichst kühl aber ungefroren zu lagern und auf dem schnellsten Weg der jeweiligen Untersuchungsstelle zuzuleiten.

5
Urinproben

Eine Urinprobe ist zu unterscheiden vom Urinvortest (Ziff. 3.2). Sie ist beweissicher, aber nur mit Einwilligung der betroffenen Person möglich. Diese ist hierüber zu belehren; die Belehrung ist aktenkundig zu machen.

Der Nachweis verbotener Substanzen ist im Urin technisch medizinisch weniger aufwendig als im Blut. Auch können im Urin berauschende Stoffe nachgewiesen werden, die bereits im Blut abgebaut oder grundsätzlich nicht nachweisbar sind. Daher kommt einer Urinprobe im Strafverfahren, insbesondere beim Nachweis von synthetischen Drogen oder k.o.-Tropfen, besondere Bedeutung zu.

5.1
Durchführung einer Urinprobe

Die Intimsphäre und das Schamgefühl der betroffenen Person sind zu wahren. Bei der Durchführung ist deshalb entsprechend Ziff. 3.2 zu verfahren.

Ist die betroffene Person nicht zur Abgabe einer Urinprobe bereit, ist für die Untersuchung auf berauschende Mittel eine Blutentnahme durchzuführen und zwei Venülen (Natriumfluorid) deutlich zu füllen.

Für die Untersuchung der Urinprobe sollte Urin in ausreichender Menge (möglichst 50 bis 100 ml) zur Verfügung stehen.

Urinproben sind kühl zu lagern. Sie müssen in dicht schließenden Behältnissen sowie festem Verpackungsmaterial gemeinsam mit gleichzeitig entnommenen Blutproben auf schnellstem Weg der zuständigen Untersuchungsstelle zugeleitet werden. Dabei sollen mit der Blutprobe gleichlautende Identitätsnummern verwendet werden.

6
Haarproben

Daneben kommt die Sicherung einer Haarprobe durch Abschneiden in Betracht, wenn die länger dauernde Einnahme von anderen berauschenden Mitteln in Frage steht. Die Entnahme einer Haarprobe stellt eine körperliche Untersuchung dar und darf gegen den Willen der/s Beschuldigten nur von der Richterin oder dem Richter, bei Gefährdung des Untersuchungserfolges durch Verzögerung auch durch die Staatsanwaltschaft und (nachrangig) ihre Ermittlungspersonen angeordnet werden (§ 81a Absatz 2 StPO). Die Haarprobe kann durch jede/n Polizeivollzugsbeamtin/-beamten entnommen werden.

Bei den Probenahmen ist Folgendes zu beachten:

- Die Probenahme, das Verpacken und Versenden darf nicht in der Nähe von Rauschmittelasservaten stattfinden.

- Die Entnahme sollte in erster Linie über dem Hinterhaupthöcker erfolgen. Ist dies nicht möglich, muss die Entnahmestelle entsprechend dokumentiert werden.

- Die Probe sollte aus einem mindestens bleistift- bis kleinfingerdicken Strang bestehen.

- Die Haare sind vor dem Abschneiden mit einem Bindfaden, möglichst 2-3 cm von der Kopfhaut entfernt, fest zusammenzubinden.

- Die zusammengebundenen Haare sind möglichst direkt an der Kopfhaut abzuschneiden. Sollte dies nicht möglich sein, ist die Länge der zurückgebliebenen Haarreste zu dokumentieren.

- Die entnommene Haarprobe ist fest in Papier oder Aluminiumfolie einzurollen. Die Probenbeschriftung mit Probenkennung, Bezeichnung der Entnahmestelle, Kennzeichnung von kopfnahem Ende und Haarspitze sowie Angaben zur Länge der verbliebenen Haarreste ist auf dem Bogen zu vermerken.

7
Probenversand an die Untersuchungsstelle

Der polizeilich festgestellte detaillierte Sachverhalt ist der vertraglich festgelegten Untersuchungsstelle mit einem durch die beauftragende Dienststelle konkretisierten Untersuchungsauftrag (Anlage 1) zu übersenden. Da die Untersuchungsstellen zur Geheimhaltung verpflichtet sind, steht dem Versand einer Vorgangskopie nichts entgegen. Die Untersuchungsstelle bearbeitet nur schlüssige Aufträge. Bei Unklarheiten und Unstimmigkeiten hält die Untersuchungsstelle vor Beginn der Untersuchung Rücksprache mit der beauftragenden Dienststelle.

8
Vernichtung des Untersuchungsmaterials

8.1
Untersuchungsproben

Die Untersuchungsproben einschließlich des aus ihnen aufbereiteten Materials und der Zwischenprodukte sind unverzüglich zu vernichten, sobald sie für das betreffende oder ein anderes anhängiges Straf- bzw. Ordnungswidrigkeitenverfahren nicht mehr benötigt werden, im Regelfall nach rechtskräftigem Abschluss des oder der Verfahren. Hierüber informiert die sachbearbeitende Dienststelle die Untersuchungsstelle.

Liegen Anhaltspunkte vor, welche die Wiederaufnahme des Verfahrens oder die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung einer Frist rechtfertigen können, obliegt die Entscheidung über die Vernichtung derjenigen Behörde, welche die Verfahrensherrschaft hat.

8.2
Untersuchungsbefunde

Die Untersuchungsbefunde sind zu den Verfahrensakten zu nehmen und mit diesen nach den dafür geltenden Bestimmungen zu vernichten.

9
Sicherstellung/Beschlagnahme von Führerscheinen

9.1
Voraussetzungen

Liegen die Voraussetzungen für eine vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 111a Absatz 1, 6 StPO, §§ 69, 69b StGB) vor, so ist der Führerschein sicherzustellen oder zu beschlagnahmen (§ 94 Absatz 3, § 98 Absatz 1, § 111a Absatz 6 StPO). Jede Sicherstellung oder Beschlagnahme setzt voraus, dass für diese Maßnahme ein dringender Tatverdacht als auch ein hoher Grad von Wahrscheinlichkeit dafür bestehen muss, dass das Gericht die beschuldigte Person für ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen halten und ihr daher die Fahrerlaubnis entziehen wird.

9.2
Durchführung Sicherstellung

9.2.1
Sicherstellung/Beschlagnahme nach vorausgegangener Alkoholprüfung

Ist ein Kraftfahrzeug unter Alkoholeinfluss geführt worden, so hat eine Sicherstellung oder Beschlagnahme dann zu erfolgen, wenn bei vorschriftsmäßiger Beatmung des elektronischen Atemalkoholprüfgerätes (Vortest- oder Atemalkoholmessgerät) 0,55 mg/l (oder 1,1 Promille) und mehr angezeigt werden oder Anhaltspunkte für eine relative Fahruntüchtigkeit bestehen.

9.2.2
Sicherstellung/Beschlagnahme ohne vorausgegangene Alkoholprüfung

Der Führerschein ist auch dann sicherzustellen oder zu beschlagnahmen, wenn von einer relativen oder absoluten Fahruntüchtigkeit auszugehen ist und die beschuldigte Person sich weigert, an der Atemalkoholmessung mitzuwirken und eine Blutentnahme angeordnet und durchgeführt wird.

9.2.3
Übersendung an die Staatsanwaltschaft

Der sichergestellte oder beschlagnahmte Führerschein ist unverzüglich mit den bereits vorliegenden Ermittlungsvorgängen der Staatsanwaltschaft oder - bei entsprechenden Absprachen - dem Amtsgericht, bei dem der Antrag nach § 111a StPO oder der Antrag auf Durchführung des beschleunigten Verfahrens nach § 417 StPO gestellt wird, zuzuleiten. Die Vorgänge müssen die Gründe enthalten, die eine vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis erforderlich erscheinen lassen. Aus ihnen muss sich auch ergeben, ob eine Sicherstellung (ohne Widerspruch) oder eine Beschlagnahme erfolgt ist.

9.2.4
Rückgabe des Führerscheins

Liegen die Voraussetzungen für eine vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 111a Absatz 1, 6 StPO, §§ 69, 69b StGB) nicht mehr vor, so ist der Führerschein im Einvernehmen mit der Staatsanwaltschaft unverzüglich an die betroffene Person zurück zu geben. Dies ist regelmäßig der Fall, wenn das Blutprobenergebnis im Zusammenhang mit den Umständen der Tat keinen Verdacht einer Straftat begründet.

9.2.5
Ausländische Führerscheine

Die Nummern 9.2.1 bis 9.2.4 gelten auch für von einer Behörde eines Mitgliedstaates der Europäischen Union oder eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum ausgestellte Führerscheine, sofern die Inhaberin ihren/der Inhaber seinen ordentlichen Wohnsitz im Inland hat.

Hat die Inhaberin/der Inhaber des Führerscheins eines Mitgliedstaates der Europäischen Union oder eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum einen festen Wohnsitz im Ausland oder handelt es sich um andere ausländische Führerscheine, die zum Zwecke der Anbringung eines Vermerkes über die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis sichergestellt oder beschlagnahmt worden sind (§ 111a Absatz 6 StPO), gelten sie mit der Maßgabe, dass diese Führerscheine nach der Anbringung des Vermerkes unverzüglich zurückzugeben sind.

9.2.6
Belehrungen

Der/Die Beschuldigte ist über ihr/sein Widerspruchsrecht zur Beschlagnahme des Führerscheins zu belehren. Dies ist in dem Formular „Durchsuchungs-/Sicherstellungsprotokoll“ (Seite 2) zu dokumentieren.

10
Bevorrechtigte Personen

10.1
Abgeordnete

Soweit von Ermittlungshandlungen Abgeordnete des Deutschen Bundestages, der Gesetzgebungsorgane der Länder oder Mitglieder des Europäischen Parlaments betroffen sind, wird auf das Rundschreiben des Bundesministers des Innern vom 10.1.1983 (P II 5-640180/9, GMBl. S. 37) verwiesen.

Danach ist es nach der Praxis der Immunitätsausschüsse in Bund und Ländern zulässig, nach Maßgabe von Nrn. 191 Absatz 3 Buchstabe h, 192b Absatz 1 RiStBV Abgeordnete zum Zwecke der Blutentnahme zur Polizeidienststelle und zu einer Ärztin oder einem Arzt zu bringen.

Die sofortige Sicherstellung oder Beschlagnahme des Führerscheines eines oder einer Abgeordneten ist nicht zulässig, sofern nicht die Durchführung von Ermittlungsverfahren durch die jeweiligen Parlamente allgemein genehmigt ist. Die Staatsanwaltschaft ist unverzüglich fernmündlich zu unterrichten.

Mitglieder des Europäischen Parlaments aus anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union dürfen im Bundesgebiet weder festgehalten noch gerichtlich verfolgt werden.

10.2
Diplomatinnen, Diplomaten u.a.

Bei Personen, die diplomatische Vorrechte und Befreiungen genießen, sind Maßnahmen nach §§ 81a, 81c StPO und die Beschlagnahme des Führerscheins nicht zulässig (§§ 18, 19 GVG). Bei Angehörigen konsularischer Vertretungen sind sie nur unter gewissen Einschränkungen zulässig; danach kommt eine Immunität von Konsularbeamtinnen, Konsularbeamten und Bediensteten des Verwaltungs- und technischen Personals nur dann in Betracht, wenn die Handlung in engem sachlichen Zusammenhang mit der Wahrnehmung konsularischer Aufgaben steht (z.B. nicht bei Privatfahrten). Soweit eine Strafverfolgung zulässig ist, werden bei Verdacht schwerer Straftaten gegen die zwangsweise Blutentnahme aufgrund einer Entscheidung der zuständigen Justizbehörde keine Bedenken zu erheben sein (vgl. Rundschreiben des Auswärtigen Amtes vom 19.9.2008 - 503-90-507.00 -, GMBl. 2008, S. 1154 sowie Nrn. 193 bis 195 RiStBV).

10.3
Stationierungsstreitkräfte

10.3.1
Grundsätze

Bei Mitgliedern der Stationierungsstreitkräfte und des zivilen Gefolges sowie deren Angehörigen sind Maßnahmen nach §§ 81a, 81c StPO grundsätzlich zulässig (vgl. Artikel VII NATO-Truppenstatut), soweit die Tat

- nach deutschem Recht, aber nicht nach dem Recht des Entsendestaates (dessen Truppe hier stationiert ist) strafbar ist, oder

- sowohl nach deutschem Recht als auch nach dem Recht des Entsendestaates strafbar ist, jedoch nicht in Ausübung des Dienstes begangen wird und sich nicht lediglich gegen das Vermögen oder die Sicherheit des Entsendestaates oder nur gegen die Person oder das Vermögen eines Mitgliedes der Truppe, deren zivilen Gefolges oder anderer Angehörige richtet, und die deutschen Behörden nicht auf die Ausübung der Gerichtsbarkeit verzichten.

In allen anderen Fällen ist von der Anwendung der §§ 81a, 81c StPO abzusehen, da das Militärrecht verschiedener Stationierungsstreitkräfte die Blutentnahme gegen den Willen der Betroffenen für unzulässig erklärt.

10.3.2
Erlaubnisse zum Führen dienstlicher Kraftfahrzeuge

Auf Führerscheine, die Mitgliedern der Stationierungsstreitkräfte oder des zivilen Gefolges von einer Behörde eines Entsendestaates zum Führen dienstlicher Kraftfahrzeuge erteilt worden sind, ist § 69b StGB nicht anwendbar (Artikel 9 Absatz 6 a und b NTS-ZA). Eine Sicherstellung oder Beschlagnahme eines Führerscheines ist deshalb nicht zulässig. Jedoch nimmt die Polizei den Führerschein im Rahmen der gegenseitigen Unterstützung (Artikel 3 NTS-ZA) in Verwahrung und übergibt ihn der zuständigen Militärpolizeibehörde.

10.3.3
Erlaubnisse zum Führen privater Kraftfahrzeuge

Führerscheine zum Führen privater Kraftfahrzeuge, die Mitgliedern der Stationierungsstreitkräfte oder des zivilen Gefolges und deren Angehörigen im Entsendestaat oder von einer Behörde der Truppe erteilt worden sind, können ausnahmsweise in den Fällen, in denen die deutschen Gerichte die Gerichtsbarkeit ausüben, nach Maßgabe des § 69b StGB entzogen werden (Artikel 9 Absatz 6b NTS-ZA). Bis zur Eintragung des Vermerks über die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis kann der Führerschein sichergestellt oder nach § 111a Absatz 6 Satz 2 StPO auch beschlagnahmt werden. Die Beschlagnahme ist jedoch nur anzuordnen, wenn die Militärpolizei erklärt, keine Ermittlungen führen zu wollen. Erscheint die Militärpolizei nicht oder nicht rechtzeitig, so ist unverzüglich eine Entscheidung der Staatsanwaltschaft über die Beschlagnahme einzuholen.

11
Kosten

Die Kosten der körperlichen Untersuchung, der Blutentnahme und -untersuchung sowie der Urin- und Haarprobe und deren Untersuchung sind zu den Akten des Strafverfahrens oder des Bußgeldverfahrens mitzuteilen. Über die Pflicht der Kostentragung wird im Rahmen des Strafverfahrens oder des Bußgeldverfahrens entschieden. Eine vorherige Einziehung unterbleibt.

12
Inkrafttreten/Außerkrafttreten

Dieser Runderlass tritt am Tag nach seiner Veröffentlichung in Kraft und am 31. Mai 2020 außer Kraft.

Gleichzeitig wird der Gem. RdErl. d. Innenministeriums (IV A 2 - 2743), d. Justizministeriums (4103 - III A. 29), d. Ministeriums für Verkehr, Energie und Landesplanung (III B 2-21-34/34) u. d. Ministeriums für Wissenschaft und Forschung (322-1.09.14.03-) v.15.08.2000 (SMBl. NRW. 2051) aufgehoben.

- MBl. NRW. 2015 S. 311



[1] Bei der Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten nach §§ 24a und 24c StVG sind auch die Polizeibehörden Verwaltungsbehörden im Sinne des § 35 Absatz 1 OWiG.