Ministerialblatt (MBl. NRW.)
Ausgabe 2016 Nr. 18 vom 24.6.2016 Seite 429 bis 442

Richtlinien für die Abschiebungshaft im Land Nordrhein-Westfalen (Abschiebungshaftrichtlinien - AHaftRL) Runderlass des Ministeriums für Inneres und Kommunales - 121-39.21.01-2-AHaftRL - vom 8. Juni 2016
Normkopf
Norm
Normfuß
 
zugehörige Anlagen :
Anlage (Musterantrag)
 

Richtlinien für die Abschiebungshaft im Land Nordrhein-Westfalen (Abschiebungshaftrichtlinien - AHaftRL) Runderlass des Ministeriums für Inneres und Kommunales - 121-39.21.01-2-AHaftRL - vom 8. Juni 2016

2604

Richtlinien für die Abschiebungshaft
im Land Nordrhein-Westfalen (Abschiebungshaftrichtlinien - AHaftRL)

Runderlass des Ministeriums für Inneres und Kommunales - 121-39.21.01-2-AHaftRL -
vom 8. Juni 2016

1. Anwendungsbereich

Diese Abschiebungshaftrichtlinien treffen allgemeine Regelungen, insbesondere für die Beantragung von Abschiebungshaft durch die zuständige Ausländerbehörde nach § 62 des Aufenthaltsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162), das durch Artikel 1 des Gesetzes vom 11. März 2016 (BGBl. I S. 394) zuletzt geändert worden ist, die als freiheitsentziehende Maßnahme gemäß § 106 Absatz 2 des Aufenthaltsgesetzes durch amtsgerichtliche Entscheidung nach Buch 7 (§§ 415 bis 432) des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit vom 17. Dezember 2008 (BGBl I S. 2586, 2587), das zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 20. November 2015 (BGBl. I S. 2018) geändert worden ist, angeordnet wird. Durch dieses Verfahren wird den Vorgaben des Artikel 104 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 100-1, veröffentlichten bereinigten Fassung, die zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 23. Dezember 2014 (BGBl. I S. 2438) geändert worden ist, Rechnung getragen.

Abschiebungshaft wird in Nordrhein-Westfalen gemäß § 62a Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes und § 1 Absatz 1 Satz 1 des Abschiebungshaftvollzugsgesetzes Nordrhein-Westfalen vom 17. Dezember 2015 (GV. NRW. S. 901) in besonderen Abschiebungshafteinrichtungen des Landes vollzogen. Bislang wird Abschiebungshaft in der Unterbringungseinrichtung für Ausreisepflichtige (UfA) in Büren durchgeführt, die Bestandteil der Bezirksregierung Detmold ist. Die Dienst- und Fachaufsicht über die Abschiebungshafteinrichtungen obliegt dem für Inneres zuständigen Ministerium.

Der sich an die gerichtliche Anordnung anschließende Vollzug von Abschiebungshaft in einer Unterbringungseinrichtung ist detailliert im Abschiebungshaftvollzugsgesetz Nordrhein-Westfalen und wird ergänzend in einer Ausführungsverordnung zum Abschiebungshaftvollzugsgesetz Nordrhein-Westfalen geregelt, sofern von der Verordnungsermächtigung in § 33 des Abschiebungshaftvollzugsgesetzes Nordrhein-Westfalen Gebrauch gemacht wird. Der Vollzug ist deshalb, abgesehen von Fragen der Haftdauer, nicht Gegenstand dieser Abschiebungshaftrichtlinie.

Die Abschiebungshaftrichtlinien sind auch dann anzuwenden, wenn Maßnahmen auf Ersuchen einer anderen Behörde in Amtshilfe durchgeführt werden.

2. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, Haftvermeidung

Abschiebungshaft in einer geschlossenen Einrichtung bedeutet einen schwerwiegenden hoheitlichen Eingriff in den durch Artikel 2 Absatz 2 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland grundrechtlich geschützten Freiheitsbereich einer Person. Dieses Freiheitsgrundrecht steht deutschen wie ausländischen Staatsangehörigen in gleicher Weise zu. Die unter Richtervorbehalt stehende Abschiebungshaft stellt nach § 62 Absatz 1 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes und § 1 Satz 2 des Abschiebungshaftvollzugsgesetzes Nordrhein-Westfalen unter Verhältnismäßigkeitsaspekten das äußerste Mittel (ultima ratio) dar, um eine Ausweisung vorzubereiten oder eine Abschiebung zu sichern. Abschiebungshaft muss geeignet, erforderlich und angemessen sein und ist nicht zulässig, wenn ihr Zweck durch ein milderes, ebenfalls ausreichendes anderes Mittel erreicht werden kann.

Mildere Mittel zur Vermeidung von Abschiebungshaft sind insbesondere Meldeauflagen, räumliche Aufenthaltsbeschränkungen sowie Garantien durch Vertrauenspersonen (Bürgen) sowie die Vereinbarung von Sicherheitsleistungen, mit denen sichergestellt wird, dass sich die ausreisepflichtige Person im vorgesehenen Abschiebungszeitraum  bereit hält und die Maßnahme nicht durch Untertauchen oder einen unerlaubten Wechsel des Aufenthaltsortes scheitern wird.

Eine Haftvermeidung durch den Einsatz eines Bürgen kann in Betracht kommen, wenn

a) sich eine dritte Person, die das Vertrauen der abzuschiebenden Person und der Ausländerbehörde genießt (zum Beispiel Seelsorger, eine im Rahmen der psychosozialen Betreuung tätige Person oder eine in der Abschiebungshaftanstalt bekannte ehrenamtliche Person), um die Belange der betroffenen Person außerhalb der Haft kümmern will,

b) eine Wohnung (auch zum Beispiel Gemeinschaftsunterkunft) im Zuständigkeitsbereich der Ausländerbehörde vorhanden ist, unter deren Anschrift die ausländische Person für die Ausländerbehörde erreichbar ist und

c) die ausländische Person glaubhaft macht, sich regelmäßig bei der Ausländerbehörde zu festgesetzten Terminen zu melden.

Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz erfordert eine ebenso umfassende wie sorgfältige Prüfung der Voraussetzungen für eine Beantragung von Abschiebungshaft in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht (vergleiche unter Nummer 10). Bei der Interessenabwägung ist zu bedenken, dass das Gewicht des Freiheitsanspruchs gegenüber dem öffentlichen Interesse mit zunehmender Dauer der Haft regelmäßig zunimmt. Andererseits ist die Ausländerbehörde nicht verpflichtet, ein im Einzelfall erkennbar untaugliches Mittel der Haftvermeidung zu ergreifen und kann etwa von Meldeauflagen Abstand nehmen, wenn diese angesichts des fehlenden Wohnsitzes und der vorab festgestellten Umstände nicht geeignet erscheinen, der Entziehungsabsicht entgegenzuwirken (BGH, Beschluss vom 21.10.2010, Aktenzeichen V ZB 56/10 mit weiteren Nachweisen).

Darlegungs- und Dokumentationspflichten

Im Haftantrag ist darzulegen, dass Haftalternativen geprüft worden sind. Bei „schutzbedürftigen Personen“ im Sinne von Artikel 3 Nummer 9 der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedsstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. L 348/99 vom 24.12.2008) sind vor der Antragsstellung alle Möglichkeiten zu prüfen, die auf mildere und weniger einschneidende Weise die beabsichtigte Abschiebung sichern können. Ferner ist darzulegen und zu dokumentieren, warum diese im konkreten Fall nicht ausreichen (vergleiche zu Minderjährigen, OLG Köln, Beschluss vom 11.09.2002, Aktenzeichen 16 Wx 164/02).

Sofern die Bereitschaft zur freiwilligen Ausreise glaubhaft gemacht wurde und alle notwendigen Maßnahmen hierfür von dem Untergebrachten veranlasst wurden, kann die zuständige Ausländerbehörde eine freiwillige Ausreise aus der Haft heraus zulassen. Ein Anspruch hierauf besteht nicht (siehe hierzu auch Nummer 11.3).

3. Zweck der Abschiebungshaft

Zweck der Abschiebungshaft ist die Sicherung der zwangsweisen Ausreise, wenn der begründete Verdacht besteht, die ausländische Person werde sich der Abschiebung voraussichtlich in einer Weise zu entziehen versuchen, die nicht durch Aufwendung einfachen Zwanges überwunden werden kann (BGH, Beschluss vom 12.06.1986, Aktenzeichen V ZB 9/86;  NJW 1986, S. 3024).

Die Abschiebungshaft hat keinen Strafcharakter. Sie dient nicht dem Ziel, den Willen der ausländischen Person zu beugen, etwa um die Mitwirkung bei der Passersatzpapierbeschaffung zu erreichen oder der Ausländerbehörde die Arbeit zu erleichtern. Sie ist unzulässig als Sanktion für ungebührliches Verhalten in der Vergangenheit  oder zur Verhinderung weiterer illegaler Einreisen (BVerfG, Beschluss vom 16.05.2007, Aktenzeichen BvR 2106/05; NVwZ 2007, S. 1296 (1297); BGH, Beschluss vom 12.06.1986, Aktenzeichen V ZB 9/86, NJW 1986, 3024 (3025)).

§ 62 des Aufenthaltsgesetzes unterscheidet zwischen der Vorbereitungshaft (§ 62 Absatz 2 des Aufenthaltsgesetzes) und der Sicherungshaft (§ 62 Absatz 3 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes).

Die Beantragung der Vorbereitungshaft zur späteren Durchsetzung einer Ausweisung, die rechtlich möglich und mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist,  steht in der pflichtgemäßen Prüfung der Ausländerbehörde. Die Sicherungshaft ist nur zu beantragen, wenn alle rechtlichen Voraussetzungen dafür vorliegen und der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gewahrt wurde (siehe Nummer 5). In § 62b des Aufenthaltsgesetzes ist der Ausreisegewahrsam geregelt (siehe hierzu Nummer 12).

4. Richtervorbehalt, Zuständigkeiten

Nach Artikel 104 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland in Verbindung mit § 62 Absatz 2 des Aufenthaltsgesetzes hat der Amtsrichter die Entscheidung über die Zulässigkeit von Abschiebungshaft zu treffen. Dies gilt auch für den Ausreisegewahrsam gemäß § 62b des Aufenthaltsgesetzes.

Der Vollzug der richterlichen Haftanordnung ist gemäß § 422 Absatz 3 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit in Verbindung mit § 71 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes Aufgabe der zuständigen Ausländerbehörde.

Wird der Haftanordnungsbeschluss nicht vollstreckt oder wird die ausländische Person aus der Abschiebungshaft entlassen, so ist der Haftanordnungsbeschluss verbraucht.

Die zuständige Verwaltungsbehörde hat über eine Aussetzung des Haftbeschlusses bis zu einer Woche gemäß § 424 Absatz 1 Satz 3 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit zu entscheiden. Über längere Aussetzungen entscheidet das Amtsgericht.

Bei einer vorübergehenden Aussetzung der Haftanordnung gemäß § 424 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit ist nach Ablauf der Aussetzung zu prüfen, ob die ursprünglichen Haftgründe noch vorliegen. Ist dies nicht der Fall, ist der Haftbeschluss gemäß § 426 Absatz 1 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit aufzuheben.

5. Haftfähigkeit, Absehen von der Abschiebungshaft

Fehlende Haftfähigkeit steht einem Antrag auf Abschiebungshaft naturgemäß entgegen. Bei Zweifeln an der Haftfähigkeit aufgrund einer körperlichen oder psychischen Erkrankung der ausländischen Person ist die Haftfähigkeit  durch eine Ärztin oder einen Arzt mit entsprechender Qualifizierung von der zuständigen Ausländerbehörde feststellen zu lassen. Zur Feststellung der Reisefähigkeit siehe Nummer 17. Ergeben sich Hinweise auf eine gesundheitliche Beeinträchtigung, die nicht zur Haftunfähigkeit, einem zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernis oder einem inlandsbezogenen Vollstreckungshindernis führt, ist im Falle der Anordnung von Abschiebungshaft der medizinische Dienst der aufnehmenden Unterbringungseinrichtung für Ausreisepflichtige zu informieren.

Von einem Antrag auf Abschiebungshaft ist grundsätzlich abzusehen

a) bei ausländischen Personen, die das 65. Lebensjahr vollendet haben,

b) bei Schwangeren und Müttern innerhalb der gesetzlichen Mutterschutzfristen sowie bei stillenden Frauen; unabhängig davon ist die Haftfähigkeit bei Schwangeren immer ärztlich (vornehmlich durch eine Ärztin) feststellen zu lassen,

c) bei Minderjährigen,

d) bei Alleinerziehenden mit Kindern unter 14 Jahren und/oder

e) beide Elternteile bei Familien mit Kindern unter 14 Jahren (Familien sind sowohl verheiratete als auch unverheiratete Elternpaare mit leiblichen oder adoptierten Kindern unter 14 Jahren (vergleiche BGH, Beschluss vom 17.06.2010, Aktenzeichen V ZB 127/10 für faktische Lebensgemeinschaften). Soweit bei Eltern mit einem oder mehreren Kindern die Betreuung des Kindes oder der Kinder sichergestellt und im Einzelfall die Anordnung von Abschiebungshaft unerlässlich ist, darf nur ein Elternteil in Haft genommen werden (§ 62 Absatz 1 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes, BGH, Beschluss vom 17.06.2010, Aktenzeichen V ZB 9/10).

Vor der Inhaftierung von Minderjährigen sind unter Beachtung des besonderen Schutzauftrages das nach dem Achten Buch des Sozialgesetzbuches - Kinder und Jugendhilfe - vom 26. Juni 1990 (BGBl. I S.1163) in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. September 2012 (BGBl. I. S. 2022), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 28. Oktober 2015 (BGBl. I. S. 1802) geändert worden ist, zuständige Jugendamt sowie das Jugendamt am Haftort unverzüglich zu benachrichtigen. Dies gilt nicht, wenn ausnahmsweise die Inhaftnahme zusammen mit einem Erziehungsberechtigten erfolgt.

6. Sachliche und Örtliche Zuständigkeiten

6. 1 Sachliche Zuständigkeit der Ausländerbehörde

Der Vollzug der richterlichen Haftanordnung ist gemäß § 422 Absatz 3 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit in Verbindung mit § 71 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes Aufgabe der zuständigen Ausländerbehörde.

6.2 Örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts

Die örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts richtet sich nach § 416 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit in Verbindung mit der Verordnung über die Zuständigkeit der Amtsgerichte in Strafsachen gegen Erwachsene, in Jugendstrafsachen, in Bußgeldverfahren und Abschiebungshaftsachen vom 5. Juli 2010 (GV. NRW. S. 422).

Gericht im Sinne des § 427 Absatz 1 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit ist das für die Entscheidung in der Hauptsache zuständige Gericht. Danach ist nach § 106 Absatz 2 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes, § 416 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit das Gericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk die betroffene Person ihren (tatsächlichen) gewöhnlichen Aufenthalt hat. Lässt sich der gewöhnliche Aufenthalt nicht feststellen, ist das Gericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk das Erfordernis für die Freiheitsentziehung entsteht (siehe zum „gewöhnlichen Aufenthaltsort“ Nummer 10.2.2.3).

Nach § 427 Absatz 1 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit kann das Gericht durch einstweilige Anordnung eine vorläufige Freiheitsentziehung anordnen, wenn dringliche Gründe für die Annahme bestehen, dass die Voraussetzungen für die Anordnung einer Freiheitsentziehung gegeben sind und dringender Bedarf für ein sofortiges Tätigwerden besteht.

Die Ausländerbehörde kann, wenn über die Fortdauer der Haft zu entscheiden ist, bei dem für die Erstanordnung zuständigen Amtsgericht anregen, gemäß  § 106 Absatz 2 Satz 2 des Aufenthaltsgesetzes das Verfahren durch unanfechtbaren Beschluss an das Gericht abzugeben, in dessen Bezirk die Zurückweisungs- oder Abschiebungshaft vollzogen wird, andernfalls bleibt das Amtsgericht zuständig, das die Freiheitsentziehung angeordnet hat.

Eine besondere sachliche Zuständigkeit besteht für die Zentralen Ausländerbehörden nach § 3 Absatz 2 Nummer 1 der Verordnung über die Zuständigkeiten im Ausländerwesen vom 15. Februar 2005 (GV. NRW. S. 50), die zuletzt durch Artikel 12 der Verordnung vom 27. Juni 2014 (GV. NRW. S. 376) geändert worden ist.

6.3 Örtliche Zuständigkeit der Ausländerbehörde

Gemäß § 71 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes in Verbindung mit § 4 Absatz 1 des Ordnungsbehördengesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. Mai 1980 (GV. NRW. S. 528), das zuletzt durch Artikel 8 des Gesetzes vom 2. Oktober 2014 (GV. NRW. S. 622) geändert worden ist, ist in NRW diejenige Ausländerbehörde für den Haftantrag und damit auch für eine vorläufige Festnahme im Sinne des § 62 Absatz 5 des Aufenthaltsgesetzes zuständig, in deren Bezirk die zu schützenden Interessen verletzt oder gefährdet werden. In der Regel ist dies die Ausländerbehörde, in deren Bezirk die ausländische Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat oder im Falle des „Untertauchens“ hatte (siehe zum „gewöhnlichen Aufenthaltsort“ Nummer 10.2.2.3).

Der so definierte Maßstab kann in NRW je nach Fallsituation zur Zuständigkeit auch mehrerer Ausländerbehörden führen. Bestehen hinlänglich Anhaltspunkte dafür, dass die ausländische Person an ihren letzten Wohn- oder Aufenthaltsort vor der Inhaftierung zurückkehren wird, etwa weil sie ihre dortige Wohnung beibehalten oder familiäre oder andere Bindungen dorthin aufrechterhalten hat, so ist zusätzlich auch die Ausländerbehörde örtlich zuständig, in deren Bezirk der Wohn- oder Aufenthaltsort liegt.

Handelt es sich um eine bisher unbekannte, sich illegal aufhaltende ausländische Person, ist dies die Ausländerbehörde, in deren Bezirk die ausländische Person ihren selbstbestimmten Aufenthalt genommen hatte. Liegen keine Anhaltspunkte vor, ist die Ausländerbehörde zuständig, in deren Bezirk die ausländische Person aufgegriffen wurde.

Sofern die Voraussetzungen von § 15a des Aufenthaltsgesetzes vorliegen, richtet sich die Zuständigkeit nach diesem Verfahren.

Darüber hinaus hat die für den Aufgriffsort zuständige Ausländerbehörde im Rahmen der sog. außerordentlichen Zuständigkeit die Abschiebungshaft zu beantragen, soweit dies durch die zuständige Ausländerbehörde nicht oder nicht rechtzeitig erfolgen kann und damit Gefahr im Verzug besteht (vergleiche § 6 Absatz 1 des Ordnungsbehördengesetzes).
Für Haftfolgeanträge bleibt grundsätzlich die Zuständigkeit der erstzuständigen Ausländerbehörde bestehen. Die allgemein zuständige Ausländerbehörde ist daher von der außerordentlich zuständigen Behörde über die getroffenen Maßnahmen gemäß § 6 Absatz 3 des Ordnungsbehördengesetzes unverzüglich zu unterrichten.

Bei Unzuträglichkeiten, die sich aus Doppel- oder Mehrfachzuständigkeiten ergeben, kann die Aufsichtsbehörde nach § 4 Absatz 2 beziehungsweise § 9 Absatz 2 des Ordnungsbehördengesetzes eine Weisung im Einzelfall erteilen.

Die örtliche Zuständigkeit in anderen Ländern richtet sich nach deren Landesrecht. Die örtliche Zuständigkeit wird danach vielfach durch den gewöhnlichen Aufenthalt begründet (§ 3 Absatz 1 Nummer 3 Buchstabe a des Verwaltungsverfahrensgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen in der Fassung der Bekanntmachung vom 12. November 1999 (GV. NRW. S. 602), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 20. Mai 2014 (GV. NRW. S. 294) geändert worden ist.

6.4 Haftanträge in Amtshilfefällen

In zulässigen Amtshilfefällen hat die zuständige Ausländerbehörde den Haftantrag der ersuchten Behörde zu übersenden und diese zu bitten, den Antrag beim zuständigen Amtsgericht zu stellen. Gemäß § 3 Absatz 2 der Verordnung über die Zuständigkeiten im Ausländerwesen können bei Haftfolgeanträgen im Wege der Amtshilfe auch die Zentralen Ausländerbehörden in Anspruch genommen werden. Amtshilfe kommt nur im Rahmen der durch § 5 des Verwaltungsverfahrensgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen bestimmten Voraussetzungen und Grenzen in Betracht.

Zu beachten ist, dass Amtshilfe nur eine auf Ersuchen einer anderen Behörde geleistete, „ergänzende“ Hilfe umfasst. Ein Amtshilfeersuchen muss sich auf bestimmte Teilakte eines Verwaltungsverfahrens beschränken. Die pauschale Bitte einer vollständigen Übernahme von Verwaltungsaufgaben ist nicht zulässig. Auch aus verfassungsrechtlicher Sicht geht die dem Grundsatz nach in Artikel 35 Absatz 1 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland normierte Amtshilfe nicht über eine Aushilfe im Einzelfall hinaus. Amtshilfe besteht demnach in dem lediglich ergänzenden Beistand, den eine Behörde einer anderen leistet, um dieser die Durchführung ihrer öffentlichen Aufgaben zu ermöglichen oder zu erleichtern. Sie beschränkt sich auf ein punktuelles Zusammenwirken mit Ausnahmecharakter.

7. Haftantrag

Das Abschiebungshaftverfahren ist ein Antragsverfahren. Das Gericht ist an die Anträge gebunden. Zulässig ist ein Haftantrag, wenn er den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung nach § 417 Absatz 2 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit entspricht. Genügt die Begründung nicht den gesetzlichen Anforderungen,  ist die Anordnung der Haft rechtswidrig und kann nachträglich nicht geheilt werden (BGH, Beschluss vom 29.04.2010, Aktenzeichen V ZB 218/09).

Jeder Haftantrag ist von der Ausländerbehörde umfassend und schlüssig zu begründen (BGH, Beschluss vom 15.11.2012, Aktenzeichen V ZB 119/12).

Erforderlich sind neben den personenbezogenen Daten der ausländischen Person folgende Angaben:

a) Darlegung der zweifelsfreien Ausreisepflicht,

b) der Haftgrund (Benennung der Rechtsgrundlagen, auf der die gerichtliche Haftanordnung erfolgen soll),

c) Darlegung, welche Maßnahmen bisher zur Vorbereitung der Abschiebung getroffen worden sind,

d) nachvollziehbare Darlegung, ob und gegebenenfalls welche Haftalternativen geprüft wurden und warum mildere Mittel zur Vermeidung von Abschiebungshaft im Sinne der Nummer 2 der Richtlinie (Haftvermeidung) nicht in Frage kommen,

e) Darlegung, warum die Abschiebung ohne Inhaftnahme nicht gewährleistet ist,

f) Zur Frage der Durchführbarkeit der Haft gehört die Nennung des Zielstaates, in den die betroffene Person abgeschoben werden soll (BGH, Beschluss vom 6.11.2011, Aktenzeichen V ZB 140/11).

g) Voraussichtliche Dauer des Abschiebungsverfahrens und der Abschiebungshaft.

Es ist darzulegen, auf Grund welcher konkreten Maßnahmen und in welchem konkreten Zeitraum die zu sichernde aufenthaltsbeendende Maßnahme zu erwarten ist. Darzulegen sind die Voraussetzungen und Durchführbarkeit der Abschiebung im Hinblick auf den konkret in Aussicht genommenen Zielstaat, in den abgeschoben werden soll (LG Osnabrück, Beschluss vom 05.03.2013, Aktenzeichen 11 T 9/13). Anzugeben ist unter anderem, wie lange das Verfahren zur Beschaffung eines Passersatzdokuments dauern wird (BGH, Beschluss vom 08.07.2010, Aktenzeichen V ZB 89/10) sowie, ob und innerhalb welchen Zeitraums Abschiebungen in diesen Zielstaat üblicherweise möglich sind (BGH, Beschluss vom 26.01.2012, Aktenzeichen V Z 234/11). Erforderlich sind konkrete Angaben zum Ablauf des Verfahrens und eine Darstellung, in welchem Zeitraum die einzelnen Schritte unter normalen Bedingungen durchlaufen werden (BGH, Beschluss vom 03.05.2012, Aktenzeichen V ZB 4/11; BGH, Beschluss vom 29.11.2012, Aktenzeichen V ZB 170/12; BGH, Beschluss vom 07.03.2013, Aktenzeichen V ZB 116/12). Das Beschleunigungsgebot schließt in diesen Fällen einen organisatorischen Spielraum der Behörde bei der Umsetzung der Abschiebung nicht aus  (BGH, Beschluss vom 21.10 2010, Aktenzeichen V ZB 56/10 mit weiteren Nachweisen zum verbleibenden Organisationspielraum der Ausländerbehörden),

h) Darlegung, dass die Beschaffung eines Heimreisedokumentes innerhalb von drei Monaten realistisch ist. Vor der Beantragung von Abschiebungshaft ist deshalb hierüber eine Auskunft der zuständigen Zentralen Ausländerbehörde einzuholen,

i) Angabe eines nach dem Kalendertag bestimmten Haftendes (zur Vermeidung der Gefahr unzulässiger Überschreitungen der in § 62 des Aufenthaltsgesetzes vorgegebenen Zeitgrenzen für die Dauer der Abschiebungshaft),

j) Hinweis, ob ein oder mehrere Ermittlungs-/Strafverfahren anhängig ist, ob das Einverständnis für jedes einzelne der Ermittlungs-/Strafverfahren von der Staatsanwaltschaft nach § 72 Absatz 4 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes vorliegt oder wann mit dem Abschluss des staatsanwaltschaftlichen Verfahrens zu  rechnen ist, oder ob ein Einvernehmen entbehrlich ist, da nur ein geringes Strafverfolgungsinteresse besteht (begleitende Straftaten), siehe auch Nummer 11.5),

k) Informationen über den letzten bekannten Wohn- oder Aufenthaltsort,

l) Angaben, ob Rechtsschutzanträge nach den §§ 80, 123 der Verwaltungsgerichtsordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. März 1991 (BGBl. I S. 686), die zuletzt durch Artikel 3 des Gesetzes vom 21. Dezember 2015 (BGBl. I S.2490) geändert worden ist, gegen die Abschiebung vorliegen.

In diesen Fällen kann unter Umständen nicht von einer Abschiebungsmöglichkeit innerhalb der nächsten drei Monate ausgegangen werden (BGH, Beschluss vom 21.10.2010, Aktenzeichen V ZB 56/10).

m) Bei einer mehr als einem Jahr geduldeten ausländischen Person ist nachzuweisen, dass die durch Widerruf vorgesehene Abschiebung nach § 60a Absatz 5 Satz 4 des Aufenthaltsgesetzes mindestens ein Monat vorher angekündigt wurde. Bei einem Wegfall der Duldung durch den Eintritt einer auflösenden Bedingung genügt ein Hinweis auf die bestehende Ausreiseverpflichtung und die nach wie vor geplante Abschiebung.

n) Hinweis, ob ein Asylfolgeantrag gestellt worden ist und die Mitteilung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge nach § 71 Absatz 5 Satz 2 des Asylgesetzes vorliegt beziehungsweise wann mit dessen Bescheidung zu rechnen ist,

o) Hinweise über Krankheiten oder Schwangerschaften und Mitteilung über das Ergebnis ärztlicher Untersuchungen,

p) sonstige einzelfallbezogene Informationen, die für die Haftprüfung erforderlich sind.

Sofern der Ausländerbehörde der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge und die Zustellungsurkunde oder ein sonstiger Zustellungsnachweis vorliegen, sind diese beizufügen. An Stelle der Zustellungsurkunde kann auch gegebenenfalls die Mitteilung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge über die Vollziehbarkeit der Abschiebungsandrohung beigefügt werden.

Bei einem Haftverlängerungsantrag müssen zusätzlich die Maßnahmen aufgelistet werden, die während der Haftzeit getroffen worden sind, um die Abschiebung tatsächlich zu vollziehen.

Können die notwendigen Angaben unmittelbar nach der Verhaftung der betroffenen Person nach § 62 Absatz 5 des Aufenthaltsgesetzes noch nicht gemacht werden, ist die zuständige Behörde darauf beschränkt, eine einstweilige Anordnung nach § 427 Absatz 1 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit zu beantragen (BGH, Beschluss vom 30.03.2012, Aktenzeichen V ZB 59/12). Die einstweilige Anordnung ist so kurz wie möglich zu beantragen. In der Begründung des Antrages auf einstweilige Anordnung ist darzulegen, warum nur eine einstweilige Anordnung beantragt werden kann und welche Schritte in welchem Zeitraum unternommen werden, um den eigentlichen Haftantrag zu stellen.

8. Bekanntgabe des Haftantrags, Unterrichtung der konsularischen Vertretung

Haft- und Haftverlängerungsanträge sind der betroffenen Person rechtzeitig in der jeweiligen Muttersprache beziehungsweise in einer der zu inhaftierenden Person verständlichen Sprache mitzuteilen, damit diese sich auf den Anhörungstermin vorbereiten kann. Eine Übermittelung vor dem Anhörungstermin ist erforderlich, wenn die betroffene Person ohne vorherige Kenntnis des Antragsinhaltes nicht in der Lage ist, zur Sachverhaltsaufklärung beizutragen und ihre Rechte wahrzunehmen. Die Eröffnung des Haftantrages zu Beginn der Anhörung genügt deshalb nur, wenn der Sachverhalt einfach gelagert und die betroffene Person nicht mit neuen Sachverhalten überrascht wird und deshalb ohne weiteres zur Auskunft fähig ist (BGH Beschluss vom 21.07.2011, Aktenzeichen V ZB 141/11, Beck RS 2011, 21586; BGH Beschluss vom 27.09.2012, Aktenzeichen V ZB 50/12; Beck RS 2012, 22247). Dann kann auch eine mündliche Übersetzung ausreichen.

Der Haftantrag oder Haftverlängerungsantrag ist der betroffenen Person als Kopie auszuhändigen oder zuzustellen. Übersetzung und Übergabe müssen in dem Anhörungsprotokoll oder an einer anderen Aktenstelle schriftlich dokumentiert sein, ansonsten ist der Haftantrag der betroffenen Person nicht ordnungsgemäß bekannt gemacht worden im Sinne des § 23 Absatz 2 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit, mit der Folge der Rechtswidrigkeit der Haftanordnung, (BGH, Beschluss vom 18.04.2013 Aktenzeichen V ZB 67/12, Beck RS 2013, 08294). Eine Heilung mit Wirkung für die Zukunft kann dann nur noch im Rahmen einer erneuten richterlichen Anhörung erfolgen (BGH, Beschluss vom 06.12.2012, Aktenzeichen V ZB 224/11 in FGPrax 2013, S. 87).

Die Ausländerbehörde hat gegenüber dem Gericht darauf hinzuwirken, dass die Rechte der zu inhaftierenden Personen aus Artikel 36 Absatz 1 Buchstabe b Satz 1 und 3 des Wiener Übereinkommens über konsularische Beziehungen (WÜK) gewahrt werden und dies im gerichtlichen Anhörungsprotokoll dokumentiert wird. Das Gericht hat neben der Belehrung über das Recht auf Information des zuständigen Konsulates über die Inhaftierung sicherzustellen, dass eine verlangte Unterrichtung der konsularischen Vertretung unverzüglich erfolgt. Die Nichtbeachtung der Belehrung über das Recht auf Unterrichtung der konsularischen Vertretung über die Inhaftierung und sofern von diesem Recht Gebrauch gemacht wird, das Unterlassen der Unterrichtung, stellen einen grundlegenden Verfahrensmangel dar, der die Rechtswidrigkeit der Freiheitsentziehung zur Folge hat (vergleiche BGH, Beschluss vom 18.11.2010, Aktenzeichen V ZB 165/10, Beck RS 2010, 31043). Die Belehrung der betroffenen Person, ihre Entscheidung hierzu und, sofern dies verlangt wurde, die unverzügliche Unterrichtung der konsularischen Vertretung sind zu dokumentieren. Unterbleibt dies, kann nicht festgestellt werden, dass die Verfahrensgarantien des WÜK gewahrt worden sind; dies wirkt zugunsten der betroffenen Person (BGH, Beschluss vom 18.11.2010, Aktenzeichen V ZB 165/10, BeckRS 2010, 31043; BGH, Beschluss vom 29.04.2010, Aktenzeichen V ZB 218/09, InfAuslR 2010, S. 359, 360).

Eine Ausfertigung des Haftantrages nebst Anlagen und eine Kopie des Haftbeschlusses ist der Leitung der Abschiebungshaftanstalt zu übermitteln.

9. Aktenvorlage

Nach § 417 Absatz 2 Satz 3 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit soll die beteiligte Behörde mit der Antragstellung die Akte der betroffenen Person dem zuständigen Amtsgericht vorlegen. Die vollständige Akte ist regelmäßig notwendige Grundlage der richterlichen Entscheidung. Die richterliche Aufklärungspflicht nach § 26 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit erfordert deshalb in aller Regel die Beiziehung der Akte der betroffenen Person (BGH, Beschluss vom 04.03.2010, Aktenzeichen V ZB 222/09). Spätestens für die Prüfung des Beschleunigungsgebots muss die Akte dem Gericht vorliegen. Denn ohne die Akten oder den entsprechenden vollständigen Aktenauszug ist diese Prüfung nicht möglich (BGH, Beschluss vom 10.06.2010, Aktenzeichen V ZB 204/09; BGH, Beschluss vom 17.06.2010, Aktenzeichen V ZB 127/10). Liegt der Ausländerbehörde in Aufgriffsfällen die Akte nicht vor, ist eine einstweilige Anordnung nach § 427 Absatz 1 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit zu beantragen (siehe auch Nummer 7 letzter Absatz).

10. Voraussetzungen der Abschiebungshaft

10.1 Vorbereitungshaft (§ 62 Absatz 2 des Aufenthaltsgesetzes)

Die Vorbereitungshaft setzt neben den Anforderungen des § 62 Absatz 2 des Aufenthaltsgesetzes voraus, dass der Erlass einer Ausweisungsverfügung rechtlich möglich und mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Zweck der Haft ist es, der Behörde die notwendige Zeit einzuräumen, die notwendig ist, die Ausreisepflicht durch Erlass einer Ausweisungsverfügung zu begründen. Vorbereitungshaft ist nur statthaft, falls eine Ausweisung beabsichtigt ist. Die Ausweisung darf noch nicht ausgesprochen sein, sie muss aber hinreichend sicher bevorstehen; es müssen konkrete Umstände vorliegen, die den Erlass einer Ausweisungsverfügung mit Wahrscheinlichkeit erwarten lassen (OLG München, Beschluss vom 16.11.2005  Aktenzeichen 34 Wx 147/05; BGH, Beschluss vom 09.02.2012 Aktenzeichen V ZB 305/10).

Die Ausweisungsverfügung muss erforderlich sein, den Aufenthalt zu beenden, was in den Fällen der Zurückschiebung gemäß § 57 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder der Ausreiseverpflichtung kraft Gesetzes nach § 58 Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 des Aufenthaltsgesetzes nicht der Fall ist. Eine Ausreisepflicht muss noch nicht vorliegen. Über die Ausweisung kann nicht sofort entschieden werden, wenn dazu noch Ermittlungen oder eine Anhörung der ausländischen Person erforderlich sind, die mehr als nur wenige Stunden in Anspruch nehmen. Ergeht die Ausweisungsverfügung während der Vorbereitungshaft, bedarf es keiner erneuten Gerichtsentscheidung, es sei denn, die angeordnete Haftdauer ist abgelaufen. Es kann also nach Erlass der Ausweisung von der Vorbereitungs- zur Sicherungshaft übergegangen werden (BGH, Beschluss vom 06.12.1979, Aktenzeichen VII ZB 11/79;  BGHZ 75, 375). Die Anordnung von Vorbereitungshaft ist nicht zulässig, wenn es allein an der für die Vollstreckung der Abschiebung der vollziehbar ausreisepflichtigen ausländischen Person erforderlichen Androhung fehlt und daher keine Sicherungshaft nach § 62 Absatz 3 des Aufenthaltsgesetzes angeordnet wurde (BGH, Beschluss vom 12.07.2013, Aktenzeichen V ZB 92/12).

10.2 Sicherungshaft (§ 62 Absatz 3 des Aufenthaltsgesetzes)

10.2.1 Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht

Da die Sicherungshaft die Abschiebung gemäß der §§ 58, 59 des Aufenthaltsgesetzes sichern soll, ist zunächst Voraussetzung, dass die Ausreisepflicht vollziehbar ist gemäß § 58 Absatz 2 des Aufenthaltsgesetzes.

Der Vollziehbarkeit stehen angesichts der aufschiebenden Wirkung entgegen:

a) ein Antrag nach § 80 Absatz 5 der Verwaltungsgerichtsordnung in Verbindung mit §§ 34a Absatz 2 Satz 2 des Asylgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl. I S. 1798), das zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 11. März 2016 (BGBl. I S. 394) geändert worden ist; 36 Absatz 3 Satz 8 des Asylgesetzes,

b) eine Klage bei Vorliegen des § 37 Absatz 1 des Asylgesetzes,

c) eine Klage bei Vorliegen des § 38 des Asylgesetzes oder

d) eine Klage nach § 73, 73b und 73 c des Asylgesetzes.

Keine aufschiebende Wirkung nach § 75 des Asylgesetzes haben

a) eine Klage bei Vorliegen der §§ 26a, 27a, 29, 29a oder 30 des Asylgesetzes oder

b) eine Klage nach § 75 Satz 2 des Asylgesetzes.

In Fällen des § 14 Absatz 3 des Asylgesetzes steht die Asylantragstellung der Anordnung oder Aufrechterhaltung von Abschiebungshaft nicht entgegen. Näheres wird in § 14 Absatz 3 des Asylgesetzes  geregelt. Nach § 14 Absatz 3 Satz 3 des Asylgesetzes ist die Abschiebungshaft mit der Zustellung der Entscheidung des Bundesamtes zu beenden. Dies gilt nicht, wenn ein Aufnahme- oder Wiederaufnahmeersuchen an einen anderen Staat aufgrund von Gemeinschaftsrecht oder Völkerrecht gerichtet oder der Asylantrag als unbeachtlich oder offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde. Die Wirkungen eines Asylfolgeantrages nach § 71 Absatz 1 des Asylgesetzes regeln § 71 Absätze 5, 6 und 8 des Asylgesetzes. Nach § 71 Absatz 8 des Asylgesetzes steht ein Folgeantrag oder Zweitantrag der Anordnung von Abschiebungshaft nicht entgegen, es sei denn, es wird ein weiteres Asylverfahren durchgeführt.

Eine Duldung als zeitlich befristete Aussetzung der Abschiebung steht der Anordnung der Abschiebungshaft nicht entgegen. Unbeschadet einer noch bestehenden Duldung ist grundsätzlich eine Voraussetzung für den Haftantrag, dass eine Abschiebung innerhalb der nächsten drei Monate durchführbar ist (BVerfG, Beschluss vom 06.03.2003 - Aktenzeichen 2 BvR 397/02 Randnummer 39 mit weiteren Nachweisen). Gegebenenfalls ist zu prüfen, ob die Duldung gemäß § 60a Absatz 5 Satz 2 des Aufenthaltsgesetzes zu widerrufen ist.

10.2.2 Vorliegen eines Haftgrundes

10.2.2.1 Einzelfallprüfung

Damit Sicherungshaft angeordnet werden kann, muss ein Haftgrund vorliegen. Die Haftgründe sind in § 62 Absatz 3 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes abschließend aufgeführt. Nach § 62 Absatz 3 Satz 1 Nummer 5 des Aufenthaltsgesetzes kann eine ausländische Person in Sicherungshaft genommen werden, wenn im Einzelfall Gründe vorliegen, die auf den in § 2 Absatz 14 des Aufenthaltsgesetzes festgelegten Anhaltspunkten beruhen und deshalb der begründete Verdacht besteht, dass sie sich der Abschiebung durch Flucht entziehen werde. Die Erfüllung eines Haftgrundes löst nicht zwingend die Anordnung von Abschiebungshaft aus. Ihnen kommt allenfalls eine indizielle Bedeutung zu. Sie entbinden nicht von der konkreten Einzelfallprüfung. Abschiebungshaft unterliegt als Grundrechtseingriff dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Ihre Beantragung setzt voraus, dass eine Inhaftnahme geeignet, erforderlich und angemessen ist.

10.2.2.2 Unerlaubte Einreise (§ 62 Absatz 3 Satz 1 Nummer 1 des Aufenthaltsgesetzes)

Dieser Haftgrund liegt vor, wenn die ausländische Person unerlaubt eingereist ist und sich seitdem ununterbrochen illegal in Deutschland aufhält.

Gemäß § 62 Absatz 3 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes kann ausnahmsweise davon abgesehen werden, Sicherungshaft nach § 62 Absatz 3 Satz Nummer 1 des Aufenthaltsgesetzes anzuordnen, wenn die ausländische Person glaubhaft macht, dass sie sich der Abschiebung nicht entziehen will.

Indizien für die Glaubhaftmachung können sein, dass die ausländische Person für die Ausländerbehörde erreichbar ist, über ein gültiges Heimreisedokument und ausreichende Eigenmittel beziehungsweise ein gültiges Flugticket für die Rückreise verfügt und ihre Ausreisebereitschaft glaubhaft gegenüber der Ausländerbehörde erklärt. Sofern ein gültiges Heimreisedokument noch nicht vorliegt, muss die ausländische Person bei der Passersatzpapierbeschaffung im erforderlichen Umfang mitwirken. Im Rahmen der Beurteilung kann den sozialen Bindungen, insbesondere den familiären Bindungen des Betroffenen besonderes Gewicht zukommen (BayObLG, Beschluss vom 24.07.2000, Aktenzeichen 3 Z BR 219/00 in NVwZ 2000 Beilage I S. 150 f. = InfAuslR 2001, 174).

Sofern Eigenmittel nicht vorhanden sind, können die Heimreisekosten aus dem Reintegration and Emigration Programm for Asylum Seekers in Germany and Government Assisted Repatriation Programm (REAG/GARP-Programme) der International Organisation for Migration (IOM) beglichen werden. Auch die Kostenübernahmeerklärung eines Dritten kommt in Betracht.

In diesen Fällen ist für die ausländische Person für die kurze Dauer des Aufenthalts eine Duldung anzuordnen, die Ausstellung einer Grenzübertrittsbescheinigung reicht nicht aus (vergleiche OVG NRW, Beschluss vom 18.06.2012, Aktenzeichen 18 E 491/12).

10.2.2.3 Ablauf der Ausreisefrist und Wechsel des Aufenthaltsortes (§ 62 Absatz 3 Satz 1 Nummer 2 des Aufenthaltsgesetzes)

Der Haftgrund nach § 62 Absatz 3 Satz 1 Nummer 2 des Aufenthaltsgesetzes greift nur nach schriftlicher Belehrung des über die Mitteilungsverpflichtung gemäß § 50 Absatz 4 des Aufenthaltsgesetzes (vorherige Anzeige eines Wohnungswechsels oder des Verlassens des Bezirks der Ausländerbehörde für mehr als drei Tage) sowie über die Folgen eines Verstoßes. Diese Belehrung ist unverzüglich nach Eintritt der Ausreiseverpflichtung durch die zuständige Ausländerbehörde vorzunehmen.

Der erforderliche Hinweis ist einer betroffenen Person, die Deutsch nicht beherrscht, in ihre Muttersprache oder eine andere Sprache, die sie versteht zu übersetzen (BGH, Beschluss vom 14.01.2016, Aktenzeichen V ZB 178/14).

Regelungsinhalt ist nicht, eine Verletzung der Meldepflicht zu ahnden, sondern wegen des Verdachts des Untertauchens die Abschiebung zu sichern. Die Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 62 Absatz 3 Satz 1 Nummer 2 des Aufenthaltsgesetzes ist für sich allein noch nicht ausreichend für die Anordnung der Sicherungshaft. Hinzukommen muss der Verdacht, dass sich die ausländische Person der Abschiebung entziehen will. Nur der Aufenthaltsort, nicht die Wohnung muss gewechselt sein. Aufenthaltsort ist aber mehr als der Ort des jeweiligen Sich-Aufhaltens. Der gewöhnliche Aufenthalt einer Person ist nach der Regel Nummer 9 der Entschließung des Ministerkomitees des Europarates (72) I vom 18. Januar 1972 zur Vereinheitlichung der Rechtsgrundbegriffe „Wohnsitz“ und „Aufenthalt“ dort gegeben, wo die Dauer und die Beständigkeit des Aufenthaltes sowie andere Umstände persönlicher und beruflicher Natur die dauerhafte Beziehung zwischen einer Person und ihrem Aufenthalt anzeigen. Eine Legaldefinition im deutschen Recht  findet sich in § 30 Absatz 3 Satz 2 des ersten Buchs Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil - (Artikel 1 des Gesetzes vom 11. Dezember 1975, BGBl. I S. 3015), das zuletzt durch Artikel 1b des Gesetzes vom 21. Dezember 2015 (BGBl. I S. 2408) geändert worden ist, und in § 9 der Abgabenordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 1. Oktober 2002 (BGBl. I S. 3866; 2003 I S. 61), die zuletzt durch Artikel 5 des Gesetzes vom 3. Dezember 2015 (BGBl. I. S. 2178) geändert worden ist. Dort wird bestimmt: „Den gewöhnlichen Aufenthalt hat jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt.“ Er wird nicht schon durch eine Reise aufgegeben, gleich, ob sie weniger oder mehr als drei Tage dauert und aus dem Bezirk der Ausländerbehörde hinausführt oder nicht. Allein der Umstand, dass die betroffene Person bei einem Abschiebungsversuch in ihrer Unterkunft nicht aufgegriffen werden konnte und daher am selben Tag ihre Abmeldung bei der Meldebehörde veranlasst wurde, reicht hierfür nicht aus. Mit einem einmaligen Nichtantreffen der betroffenen Person an einem bestimmten Tag lässt sich ohne weitere Feststellungen ein Wechsel des Aufenthaltsortes nicht belegen (BGH, Beschluss vom 12.05.2011, Aktenzeichen V ZB 299/10). Sofern allerdings Anhaltspunkte vorliegen, dass eine nicht angetroffene ausreisepflichtige Person sich gezielt der Abschiebung entziehen will, kann ein Fall des „Untertauchens“ im Sinne des § 62 Absatz 3 Satz 1 Nummer 4 des Aufenthaltsgesetzes vorliegen (siehe hierzu Nummer 10.2.2.5).

10.2.2.4 Nichtantreffen (§ 62 Absatz 3 Satz 1 Nummer 3 des Aufenthaltsgesetzes)

Seit dem Inkrafttreten des Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes am 24.10.15 darf gemäß § 59 Absatz 1 Satz 6 des Aufenthaltsgesetzes Personen, die abgeschoben werden sollen, nachdem die Frist zur freiwilligen Ausreise abgelaufen ist, der Termin ihrer Abschiebung nicht mehr genannt werden. § 62 Absatz 3 Satz 1 Nummer 3 des Aufenthaltsgesetzes ist deshalb derzeit außerhalb der Dublin-Überstellungen und der Abschiebung von Inhaftierten weitgehend ohne Anwendungsbereich. Da in Verfahren von Dublin-Überstellungen und gegenüber inhaftierten Personen keine Frist zur freiwilligen Ausreise gesetzt wird, greift die Verpflichtung des § 59 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes nicht, sodass diese Überstellungen und Abschiebungen angekündigt werden können.

Für Dublin-Überstellungen und andere verbleibende Fälle gilt: Wird die ausreisepflichtige Person aus von ihr zu vertretenden Gründen nicht zu einem für die Abschiebung angekündigten Termin an dem von der Ausländerbehörde angegebenen Ort angetroffen, genügt diese Tatsache für sich allein genommen noch nicht für die Anordnung von Sicherungshaft. Das Nichterscheinen muss vielmehr  Anlass für die begründete Annahme sein, die ausreisepflichtige Person werde auch künftig die zeitlichen und räumlichen Vorgaben für den Abschiebungsvollzug missachten. Die Ausländerbehörde hat hierbei die Gründe der ausreisepflichtigen Person für das Nichtantreffen zu hinterfragen, um bewerten zu können, inwieweit diese die Vereitelung der Abschiebung zu vertreten hat.

10.2.2.5 Entziehen in sonstiger Weise (§ 62 Absatz 3 Satz 1 Nummer 4 des Aufenthaltsgesetzes)

Dieser Haftgrund kommt nur in Betracht, wenn die Ausländerbehörde nach Vorliegen aller Abschiebungsvoraussetzungen die zwangsweise Durchsetzung der Ausreisepflicht tatsächlich durchführen wollte und die ausländische Person diese konkrete Abschiebung durch ihr Verhalten gezielt verhindert hat. Als Auffangtatbestand werden Verhaltensweisen erfasst, die nicht schon in § 62 Absatz 3 Satz 1 Nummer 2 und 3 des Aufenthaltsgesetzes geregelt sind oder die dortigen Voraussetzungen nicht vollständig erfüllen. Wegen der nicht mehr zugelassenen Ankündigung des Abschiebungstermins ist in den Fällen des „Untertauchens“ die Fallgruppe der Nummer 4 nunmehr regelmäßig zu prüfen. „Entziehen in sonstiger Weise“ erfordert aber außer der Verhinderung der Abschiebung einen dahingehenden, mindestens billigenden  Vorsatz. Die Passlosigkeit allein ist kein Verhinderungstatbestand, wohl aber die Verletzung gesetzlicher Mitwirkungspflichten, insbesondere die Verpflichtung aus  § 15 Absatz 2 Nummer 6 des Asylgesetzes, an der Beschaffung eines Identitätspapiers mitzuwirken (OLG Frankfurt, Beschluss vom  4.12.1997, Aktenzeichen 20 W 432/97 – EZAR 048 Nummer 40 mit weiteren Nachweisen).

Anwendungsbeispiele sind das Verstecken von Ausweispapieren (BGH, Beschluss vom 06.12.1979, Aktenzeichen VII ZB 11/79 – BGHZ 75, 375), ein gewaltsames Verwehren des Zutritts zum Aufenthaltsort, der aktive Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte oder ein „Untertauchen“. Das Ausschöpfen rechtlicher Möglichkeiten gegen die Abschiebung zählt nicht dazu. Ein „Untertauchen“ kann in Betracht kommen, wenn die ausreisepflichtige Person am Tag des Abschiebungstermins nicht angetroffen wird, diese aber kurze Zeit später in die Unterbringungseinrichtung zurückkehrt, ohne dass die Abwesenheit plausibel erklärbar ist oder hierüber falsche Angaben gemacht werden und daraus der Schluss gezogen werden kann, dass das Entfernen vom gewöhnlichen Aufenthaltsort zum Zwecke der Entziehung erfolgte. In diesen Fällen kann alternativ auch die Beantragung von Ausreisegewahrsam nach § 62b des Aufenthaltsgesetzes geprüft werden.

10.2.2.6 Fluchtgefahr (§ 62 Absatz 3 Satz 1 Nummer 5 in Verbindung mit § 2 Absatz 14 des Aufenthaltsgesetzes)

Zur Annahme eines begründeten Verdachts, wonach sich die ausländische Person einer Abschiebung durch Flucht entziehen will (Fluchtgefahr), müssen im Einzelfall Gründe vorliegen, die auf folgenden Anhaltspunkten beruhen (siehe Gesetzesbegründung des Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung vom 27. Juli 2015 (BGBl. I. S. 1386), Bundestagsdrucksache 18/4097):

a) die ausländische Person hat sich bereits in der Vergangenheit einem behördlichen Zugriff entzogen, indem sie ihren Aufenthaltsort trotz Hinweises auf die Anzeigepflicht nicht nur vorübergehend gewechselt hat, ohne der zuständigen Behörde eine Anschrift anzugeben, unter der sie erreichbar ist. Ein Untertauchen ist jedoch nicht gegeben, wenn der behördliche Zugriff trotz fehlender Anzeige auf anderem Wege, etwa durch eine Anwältin oder Anwalt der ausländischen Person, gewährleistet war (vergleiche OLG Köln, Beschluss vom 01.09.1997, Aktenzeichen 16Wx 237/97). Liegt das einschlägige Verhalten der ausländischen Person bereits länger zurück, verliert ein solcher Vorfall mit der Zeit zunehmend an Aussagekraft mit Blick auf die Annahme einer Fluchtgefahr (BGH, Beschluss vom 28.04.2011, Aktenzeichen V ZB 14/10, Randnummer 8),

b) die ausländische Person täuscht über ihre Identität, insbesondere durch Unterdrückung oder Vernichtung von Identitäts- oder Reisedokumenten oder das Vorgeben einer falschen Identität. Die Täuschung muss nicht im zeitlichen Zusammenhang mit einer bevorstehenden Abschiebung erfolgen. Die ursprünglich vorgesehene Einengung auf Täuschungen im Zusammenhang mit einer bevorstehenden Abschiebung wurde im Gesetzgebungsverfahren nicht umgesetzt. Es muss eine aktuelle Täuschung oder ein andauerndes Täuschungsverhalten vorliegen, welches zum Ausdruck bringt, dass sich die ausländische Person der Abschiebung entziehen will. Beruht die Täuschung auf anderen Motiven, fehlt es am erforderlichen Zusammenhang.

c) die ausländische Person hat gesetzliche Mitwirkungshandlungen zur Feststellung der Identität verweigert oder unterlassen und aus den Umständen des Einzelfalls kann geschlossen werden, dass diese Person einer Abschiebung aktiv entgegenwirken will. Ein entsprechender Rückschluss ist nur zulässig, wenn das gesamte Verhalten, als eine Form des Unterlassens, einem aktiven Entgegenwirken gleichkommt. Insoweit sind die Umstände des Einzelfalles zu betrachten: Voraussetzung ist in jedem Fall, dass die ausländische Person vorher auf ihre Mitwirkungspflichten hingewiesen wurde und dass die gesetzlichen Voraussetzungen für die jeweilige Mitwirkungspflicht vorgelegen haben.

d) die ausländische Person hat zu ihrer unerlaubten Einreise erhebliche Geldbeträge an einen Dritten für dessen Handlung nach § 96 des Aufenthaltsgesetzes aufgewandt, die für sie nach den Umständen derart maßgeblich sind, dass darauf geschlossen werden kann, dass sie die Abschiebung verhindern wird, damit die Aufwendungen nicht vergeblich waren,

e) die ausländische Person hat ausdrücklich erklärt, dass sie sich der Abschiebung entziehen will. Die Erklärung muss klar und zielgerichtet zum Ausdruck bringen, dass die ausländische Person keinesfalls freiwillig in den in der Abschiebungsandrohung genannten Zielstaat reisen werde und sich vor allem auch behördlichem Zwang zur Durchsetzung der Rückführung durch Untertauchen oder andere Handlungen entziehen werde,

f) die ausländische Person hat, um sich der bevorstehenden Abschiebung zu entziehen, sonstige konkrete Vorbereitungshandlungen von vergleichbarem Gewicht vorgenommen, die nicht durch Anwendung unmittelbaren Zwangs überwunden werden können. Hierzu gehören beispielweise Manipulationen biometrischer Merkmale (etwa der Fingerkuppen), um die Identitätsklärung und die Abfrage von Datenbeständen zu verhindern, aber auch das Verhalten an Bord eines Flugzeugs, das den Ausschluss von der Beförderung in den Zielstaat der Rückführung durch den verantwortlichen Flugzeugführer zur Folge hat.

Die Verweigerung der freiwilligen Ausreise allein rechtfertigt noch nicht die Annahme, die ausländische Person wolle sich der Abschiebung entziehen. Es müssen weitere, den Verdacht begründete Tatsachen hinzukommen, die im Abschiebungshaftantrag aufzuführen sind. So muss sich etwa aus Erklärungen oder dem Verhalten der ausländischen Person oder aus sonstigen Umständen ergeben, dass eine Abschiebung in einer Weise behindert werden wird, die nicht durch einfachen Zwang überwunden werden kann. Es muss der Verdacht bestehen, dass die Abschiebung ohne Anwendung freiheitsentziehender Maßnahmen nicht durchgeführt werden kann.

10.3 Zurückschiebungshaft und Sicherungshaft zur Durchsetzung von Zurückweisungen nach § 15 Absatz 5 in Verbindung mit § 62 Absatz 4 des Aufenthaltsgesetzes

Der Zurückweisungshaft gemäß §§ 57, 62 des Aufenthaltsgesetzes unterfallen ausländische Personen, die nach ihrer unerlaubten Einreise vollziehbar ausreisepflichtig sind und in den Staat unmittelbar zurückgeschoben werden sollen, aus dem sie eingereist sind. Dies betrifft Asylsuchende, die auf dem Luftweg oder über die Binnengrenzen der Europäischen Union nach Deutschland einreisen und unmittelbar nach der Einreise in Haft genommen wurden und keinen förmlichen Asylantrag stellen. Seit der unmittelbaren Anwendung der Regelungen zur Überstellungshaft in Artikel 28 der Dublin III-Verordnung zum 1. Januar 2014 ist die Zurückschiebungshaft gegen asylsuchende ausländische Personen nicht mehr zulässig. Artikel 1 der Dublin III-Verordnung schreibt vor, dass die Verordnung bei einem Asylantrag in irgendeinem Mitgliedstaat der EU anwendbar ist. Zurückschiebungshaft ist daher nur noch in den Fällen unerlaubter Einreise ohne jeglichen Asylbezug zulässig.

Nachdem eine Zurückweisung nach § 15 Absatz 5 des Aufenthaltsgesetzes unter Beachtung eventueller Zurückweisungshindernisse im Sinne des § 60 Absatz 1 bis 3, 5 und 7 bis 9 des Aufenthaltsgesetzes rechtmäßig ergangen ist, der begründete Verdacht besteht, dass die ausländische Person sich dem Vollzug der Zurückweisung entziehen will und die Haft zur Sicherung der Zurückweisung verhältnismäßig wäre, beantragt die Grenzbehörde die Sicherungshaft gemäß den §§ 15 Absatz 5, 62 Absatz 4 des Aufenthaltsgesetzes in Verbindung mit den §§ 417, 427 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit.

10.4 Überstellungshaft „Dublin-Fälle“

Die Überstellungshaft gemäß Artikel 28 Absatz 2 der Dublin III-Verordnung findet auf ausländische Personen Anwendung, die in den für die Prüfung eines Asylantrags gemäß der Dublin III-Verordnung zuständigen Staat überstellt werden sollen. Rechtsgrundlage für die Inhaftierung ist aufgrund des Vorrangs der Dublin III-Verordnung gemäß Artikel 288 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union ausschließlich Artikel 28 Absatz 2 der Dublin III-Verordnung in Verbindung mit § 62 Absatz 3 Satz 1 Nummer 2 und 3, 5 und § 2 Absatz 14, 15 des Aufenthaltsgesetzes.

Die für die Überstellungshaft erforderlichen „gesetzlich geregelten Kriterien“, die eine Fluchtgefahr im Sinne des Artikels 28 Absatz 2 der Dublin III-Verordnung begründen, hat der Gesetzgeber in § 2 Absatz 14 und 15 des Aufenthaltsgesetzes geregelt.

Die Überstellungshaft ist in der Regel nur zulässig nach Zustellung des Überstellungsbescheides (BGH, Beschluss vom 16.05.2013, Aktenzeichen V ZB 44/12).

Ausweislich der nachfolgend wiedergegebenen Gesetzesbegründung des Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung (Bundestagsdrucksache 18/4097):

„… regeln die Sätze 1 und 2 von § 2 Absatz 15 die Anhaltspunkte für die Annahme einer Fluchtgefahr im Sinne der Verordnung (EU) Nr. 604/2013. Satz 1 nimmt dabei auf § 2 Absatz 14 Bezug. Dort wiederum werden die Anhaltspunkte für die Annahme einer Fluchtgefahr in den ähnlich gelagerten Fällen einer Abschiebung nach der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. L 348 vom 24.12.2008, S. 98) festgelegt.

In Absatz 15 Satz 2 ist dagegen ein spezifischer, nur für die Inhaftnahme im Verfahren nach der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 relevanter, möglicher Anhaltspunkt geregelt. Dabei wird berücksichtigt, dass allein die Tatsache, dass eine ausländische Person dem in der genannten Verordnung geregelten Verfahren unterliegt, nicht zu ihrer Inhaftnahme führen darf (vgl. Artikel 28 Absatz 1 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013). Satz 2 regelt vielmehr die Fälle, in denen eine ausländische Person, die bereits in einem anderen Mitgliedstaat einen Asylantrag gestellt hat, trotz entsprechender Belehrung gemäß der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 118/2014 vom 30. Januar 2014 (ABl. L 39 vom 08.02.2014, S. 1) in das Bundesgebiet gereist ist und die Umstände ihrer Feststellung im Bundesgebiet konkret darauf hindeuten, dass sie den für die Bearbeitung des Asylantrags zuständigen Mitgliedstaat nicht (wieder) aufsuchen möchte. Insoweit kann insbesondere von Bedeutung sein, wie und mit welcher Zielrichtung der Betroffene im Bundesgebiet unterwegs ist. Mit der Einfügung von § 2 Absatz 15 werden indessen nur die objektiven Kriterien für die Annahme einer Fluchtgefahr im Sinne von Artikel 2 Buchstabe n der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 festgelegt, auf denen im Einzelfall die Gründe beruhen können, die zu der Annahme Anlass geben, dass sich der Betroffene, gegen den ein Überstellungsverfahren läuft, diesem Verfahren möglicherweise durch Flucht entziehen könnte. Zudem darf eine Inhaftnahme zwecks Sicherstellung des Überstellungsverfahrens nach Artikel 28 Absatz 2 der Verordnung nur dann erfolgen, wenn eine Einzelfallprüfung ergibt, dass die Fluchtgefahr erheblich und die Haft verhältnismäßig ist und sich weniger einschneidende Maßnahmen nicht wirksam anwenden lassen. Der Begriff der „erheblichen“ Fluchtgefahr ist dabei als Begriff des Europarechts autonom auszulegen (Bundestagsdrucksache 18/4097).“

Die Annahme einer erheblichen Fluchtgefahr kann insbesondere dann in Betracht kommen, wenn eine der indiziellen Verhaltensweisen in besonderer Schwere oder wiederholt oder im Zusammenspiel mit anderen indiziellen Verhaltensweisen an den Tag gelegt wurde.

10.5 Hafthindernisse (§ 62 Absatz 3 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes)

10.5.1 Dreimonatsfrist

Die Anordnung der Sicherungshaft setzt voraus, dass die Maßnahme in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der alsbaldigen Abschiebung steht. Gemäß § 62 Absatz 2 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes ist die Sicherungshaft daher unzulässig, wenn feststeht, dass aus Gründen, die die ausländische Person nicht zu vertreten hat, die Abschiebung nicht innerhalb der nächsten drei Monate durchgeführt werden kann. Die Zulässigkeit der Haft setzt nicht den Nachweis der Durchführbarkeit der Abschiebung in den nächsten drei Monaten voraus.

10.5.2 Vertreten müssen

Die betroffene Person hat ein Abschiebungshindernis gemäß § 62 Absatz 3 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes nur dann zu vertreten, wenn dessen Beseitigung von ihrem eigenen Willen abhängt. Es muss daher geprüft werden, ob ein Verhinderungsverhalten vorliegt und, ob dieses Verhalten ursächlich für das Abschiebungshindernis ist. Das Verhinderungsverhalten muss maßgebliche Ursache für die Verzögerung sein. Die Feststellungslast liegt für beide Merkmale bei der Verwaltung.

Zu vertreten ist die Verzögerung bei der Passersatzbeschaffung bereits durch die Einreise in die Bundesrepublik Deutschland ohne Pass oder unter Zuhilfenahme von Schleusern. Sofern die Mitwirkung bei der Passersatzpapierbeschaffung erst während der Haft erfolgt, ist für die Frage, ob die Haft über drei Monate hinaus angeordnet werden kann, entscheidend, ob die ausländische Person alle Mitwirkungspflichten erfüllt. Nicht zu vertreten ist eine Verzögerung, wenn die Behörden des Heimatlandes die Ausstellung von Heimreisedokumenten trotz umfassender aktiver Mitwirkung des Betroffenen nur schleppend oder gar nicht betreiben.

10.5.3 Scheitern der Abschiebung (§ 62 Absatz 4a des Aufenthaltsgesetzes)

Eine Abschiebung ist gescheitert, wenn sie in absehbarer Zeit tatsächlich nicht möglich ist. Eine Abschiebung gilt erst mit der Überstellung der betroffenen Person in den Zielstaat als vollendet. Die Abschiebung verhindert auch, wer in deren Verlauf seinen Rückflug nach Deutschland erzwingt. Dabei spielt es keine Rolle, ob das Verhinderungsverhalten der ausländischen Person sich noch im Inland oder erst im Ausland, etwa bei einem Zwischenstopp oder gar erst im vorgesehenen Zielland abspielt. Maßgeblich ist, dass der Abschiebungsvorgang, nämlich die Übergabe an die Behörden des Ziellandes oder aber die Einreise im Zielland, nicht erfolgreich abgeschlossen, sondern der Rückflug nach Deutschland erzwungen wird. Damit ist die Ausreisepflicht nicht erfüllt, deren Vollstreckung die Abschiebung als Maßnahme des Verwaltungszwangs dient (BVerwG Beschluss vom 20.06.1990, Aktenzeichen I B 80/89; NVwZ 1991,273; BayObLGZ Beschlüsse vom 19.07.2006 - 34 Wx74/06/34 und Wx 074/06; Renner Ausländerrecht, 8. Auflage; § 58 des Aufenthaltsgesetzes Randnummer 2). Nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 23.09.2010, Aktenzeichen - 2 BvR 1143/08 - besteht eine Haftanordnung auch nach einem der Einleitung der Zwangsrückführung eingetretenen Scheitern der Abschiebung fort, sofern dies der Gesetzgeber angeordnet hat (was zwischenzeitlich für alle Fälle des „Scheiterns“ erfolgt ist).

Anders als bei der früheren Rechtslage kommt es nicht mehr darauf an, ob die ausländische Person das Scheitern der Abschiebungsmaßnahme zu vertreten hat.

Einer erneuten gerichtlichen Haftanordnung nach der Einleitung der Rückführung aus der Haft und einer danach gescheiterten Rückführung bedarf es somit nicht, sofern die Haftvoraussetzungen fortbestehen.

Kann die Abschiebung nach objektiven Umständen (zum Beispiel bei Flugverschiebung oder Flugausfall) innerhalb der Anordnungsfrist nachgeholt werden, bedarf es keiner neuen Haftanordnung. Es werden auch die Fälle erfasst, bei denen der gescheiterte Abschiebungsversuch während der in § 62 Absatz 2 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes geregelten Fortdauer der Haft zur Sicherung der Abschiebung erfolgt ist.

Eine neue Haftanordnung ist hingegen erforderlich, wenn das Scheitern der Abschiebung auf Hindernissen beruht, die innerhalb der Dauer der Haftanordnung oder einer Haftverlängerung voraussehbar nicht behoben werden können, etwa die fehlende Aufnahmebereitschaft des Zielstaates.

11. Haftdauer (§ 62 Absatz 4 des Aufenthaltsgesetzes)

11.1 Grundsatz

Für die Dauer der Haft ist grundsätzlich nicht das bisherige Verhalten der ausländischen Person in der Bundesrepublik Deutschland entscheidend, sondern die Frage, welchen Zeitraum die Ausländerbehörde unter Beachtung des Beschleunigungsgebots für die Durchführung der Abschiebung benötigt.

11.2 Drei-Monats-Regel

Sicherungshaft nach § 62 Absatz 4 des Aufenthaltsgesetzes ist aus Gründen der Verhältnismäßigkeit in der Regel höchstens für drei Monate zu beantragen, bei Minderjährigen nur für sechs Wochen zu beantragen.

11.3 Vorzeitige Beendigung der Haft

Die Ausländerbehörde ist verpflichtet, in regelmäßigen Abständen zu prüfen, ob einer der Haftgründe gemäß § 62 Absatz 3 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes, auf die sich der Abschiebungshaftbeschluss stützt, für die Fortsetzung der Abschiebungshaft noch vorliegt. Sollte kein Haftgrund (mehr) vorliegen, ist unverzüglich die Entlassung der ausländischen Person aus der Abschiebungshaft zu veranlassen.

Steht nicht fest, dass die Abschiebung innerhalb der nächsten drei Monate unmöglich ist oder hat die ausländische Person die Verzögerungen nicht zu vertreten, kommt eine Aufhebung der Abschiebungshaft in Betracht, wenn durch Maßnahmen der Haftvermeidung, insbesondere durch das Stellen einer „Vertrauensperson“ die Durchführung der Abschiebung sichergestellt werden kann (siehe hierzu Nummer 2).

Zuständig für die aus der Haft Entlassenen ist die Ausländerbehörde der Zuweisungsgemeinde beziehungsweise der Erstantragsgemeinde. Bei illegal Eingereisten, die keinen Asylantrag gestellt haben, ist die aktenführende Ausländerbehörde zuständig, ansonsten die Ausländerbehörde, die den Haftantrag gestellt hat.

Eine Haftanordnung steht der Gewährung einer freiwilligen Ausreise aus der Abschiebungshafteinrichtung nicht generell entgegen. Die untergebrachte Person hat keinen Anspruch auf Gewährung einer freiwilligen Ausreise. An die Glaubhaftmachung der Bereitschaft zur freiwilligen Ausreise sind unter Berücksichtigung der konkreten Haftgründe und der Bewertung der bislang bereits vor der Haftanordnung unterbreiteten Angebote zur freiwilligen Ausreise erhöhte Anforderungen zu stellen und kommt deshalb nur ausnahmsweise in Betracht (siehe hierzu auch Nummer 12).

11.4 Haftverlängerung

Die Inhaftnahme ist auf die kürzest mögliche Dauer zu beschränken. Die Ausländerbehörde hat unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgebots (siehe auch Nummer 2) zu prüfen, ob eine Verlängerung der Haftdauer auf bis zu sechs Monate erforderlich ist. Der Haftverlängerungsantrag ist der inhaftierten Person rechtzeitig mitzuteilen, es gelten die Grundsätze zum Haftantrag.

Minderjährige:

Entsprechend den Grundsätzen der Nummer 2 wird eine Haftverlängerung für ausländische Personen unter 18 Jahren über drei Monate hinaus nicht beantragt. Dies gilt nicht in den Fällen, in denen sich die Betroffenen bereits mehrfach der Abschiebung entzogen haben, bei Straffälligkeit oder wenn dies aus sonstigen Gründen besonders geboten ist.

11.4.1 Verlängerung bis zu 18 Monaten (§ 62 Absatz 4 Satz 2 des Aufenthaltsgesetzes)

Die Haft kann im Fall des § 62 Absatz 4 Satz 2 des Aufenthaltsgesetzes um höchstens zwölf auf insgesamt bis zu 18 Monate verlängert werden.

Die eigene Abschiebung im Sinne  des § 62 Absatz 4 Satz 2 des Aufenthaltsgesetzes verhindert, wer durch das eigene gesamte Verhalten zeigt, dass bewusst Umstände geschaffen werden, die seine Abschiebung hinauszögern oder unmöglich machen (zum Beispiel Unterlassung zumutbarer Mitwirkungshandlungen; Verstoß gegen die Passvorlagepflicht nach § 48 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes; Weigerung, sich der Auslandsvertretung des Heimatstaates oder eines Drittstaates vorzustellen; Widerstandshandlungen, die die Abschiebung erschweren oder unmöglich machen).

Die Abschiebung ist in den Fällen des § 60a Absatz 2 des Aufenthaltsgesetzes auszusetzen.

Nach der Hafthöchstdauer ist die ausländische Person aus der Abschiebungshaft zu entlassen. Vorangegangene Haftzeiten bleiben ausnahmsweise unberücksichtigt,

a) wenn die ausländische Person nach dem Verlassen der Bundesrepublik Deutschland wieder eingereist ist und damit einen neuen ausländerrechtlichen Sachverhalt geschaffen hat oder

b) wenn eine Abschiebungsverfügung aufgehoben wurde und aufgrund eines neuen ausländerrechtlichen Sachverhaltes eine erneute Abschiebungsverfügung vorliegt.

11.4.2 Fristberechnung

Der die Freiheitsentziehung anordnende Beschluss wird gemäß § 422 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit mit Rechtskraft wirksam. Die Berechnung der Frist richtet sich nach dem Zeitpunkt der Wirksamkeit des Beschlusses.

In den wenigen Fällen, in denen die sofortige Wirksamkeit nicht angeordnet worden ist und auf Grund einer eingelegten Beschwerde die Rechtskraft erst zu einem späteren Zeitpunkt eintritt, ist der Beginn der Frist aus der Bescheinigung über die Rechtskraft zu ersehen. Der Tag der Rechtskraft der freiheitsentziehenden Entscheidung ist der erste Tag für die Fristberechnung der Dauer der Abschiebungshaft.

11.5 Abschiebungshaft neben anderen Freiheitsentziehungen, insbesondere Strafhaft

Die Haft zur Sicherung der Abschiebung darf nicht „auf Vorrat“ angeordnet werden, indem ihr Beginn an das Ende einer laufenden Straf- oder Untersuchungshaft und damit an einen in der Zukunft liegenden ungewissen Zeitpunkt geknüpft wird.

Sie kann jedoch parallel zu einer laufenden Straf- oder Untersuchungshaft angeordnet werden, sofern die üblichen Voraussetzungen hierfür vorliegen; obwohl die Abschiebungshaft erst nach dem Ende der Straf- oder Untersuchungshaft beziehungsweise sonstigen Freiheitsentziehung vollzogen werden kann, berechnet sich der Haftzeitraum in diesen Fällen von der Haftanordnung an. Insbesondere muss die Haft auf die kürzest mögliche Dauer beschränkt werden (§ 62 Absatz 1 Satz 2 des Aufenthaltsgesetzes). Zudem darf die Behörde während der Untersuchungshaft beziehungsweise der Vollstreckung der Freiheitsstrafe nicht untätig bleiben (BGH, Beschluss vom 04.12.2014, Aktenzeichen V ZB 77/14 mit weiteren Nachweisen).

Es darf nicht feststehen, dass die Abschiebung aus Gründen, welche die ausländische Person nicht zu vertreten hat, nicht innerhalb der nächsten drei Monate durchgeführt werden kann (§ 62 Absatz 3 Satz 4 des Aufenthaltsgesetzes (vergleiche BGH, Beschluss vom 12.05.2011, Aktenzeichen V ZB 309/10)).

Die Ausländerbehörde muss bereits während der Haft oder sonstigen Freiheitsentziehung unverzüglich alle Maßnahmen für die Vorbereitung der Abschiebung, insbesondere für die Beschaffung der Heimreisedokumente, veranlassen. Bei der Beurteilung der Erforderlichkeit der Haft und deren Dauer ist unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (siehe Nummer 2) die Angemessenheit und Zumutbarkeit im Einzelfall zu prüfen; bei der vorzunehmenden Abwägung kommt dem Ausmaß des zur Vorbereitung der Abschiebung notwendigen Verwaltungsaufwandes eine wesentliche Bedeutung zu. Sofern nicht alle Vollzugsschritte in der Sphäre der Ausländerbehörde liegen, ist es zulässig, einen zeitlichen Puffer vorzusehen. Auch das Beschleunigungsgebot schließt in diesen Fällen einen organisatorischen Spielraum der Behörde bei der Umsetzung der Abschiebung nicht aus (BGH, Beschluss vom 21.10.2010, Aktenzeichen VZB 56/10 mit weiteren Nachweisen zum verbleibenden Organisationspielraum der Ausländerbehörden).

Bei laufender Untersuchungshaft kann die Abschiebungshaft nur angeordnet werden, wenn das Einvernehmen der Staatsanwaltschaft vorliegt (§ 72 Absatz 4 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes). Ist dieses erteilt worden, kann davon ausgegangen werden, dass der Haftbefehl der Abschiebung nicht entgegenstehen und die Staatsanwaltschaft gegebenenfalls dessen Aufhebung beantragen wird gemäß § 120 Absatz 3 des Strafprozessordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. April 1987 (BGBl. I S. 1074, S. 1319), die zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 21. Dezember 2015 (BGBl. I S. 2525) geändert worden ist. Sofern mehrere staatsanwaltschaftliche Verfahren vorliegen, ist darzulegen, welche Staatsanwaltschaft wann und durch wen für welche Verfahren das Einvernehmen erteilt hat (BGH, Beschluss vom 31.05.2012, Aktenzeichen V ZB 167/11).

Kein Einverständnis der Staatsanwaltschaft bedarf es gemäß § 74 Absatz 4 Satz 3 bis 5 des Aufenthaltsgesetzes, wenn nur ein geringes Strafverfolgungsinteresse besteht. Dies ist der Fall, wenn die Erhebung der öffentlichen Klage oder die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens wegen einer Straftat nach § 95 des Aufenthaltsgesetzeses oder nach § 9 des Freizügigkeitsgesetzes/EU vom 30. Juli 2004 (BGBl. I S. 1950, 1986), das zuletzt durch Artikel 6 des Gesetzes vom 22. Dezember 2015 (BGBl. I S. 2557) geändert worden ist, und begleitender Straftaten nach dem Strafgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. November 1998 (BGBl. I S. 3322), das zuletzt durch Artikel 5 des Gesetzes vom 10. Dezember 2015 (BGBl. I S. 2218) geändert worden ist, mit geringem Unrechtsgehalt erfolgt ist. Insoweit sind begleitende Straftaten mit geringem Unrechtsgehalt Straftaten nach § 113 Absatz 1, den §§ 123, 185, 223, 242, 263 Absatz 1, 2 und 4, den §§ 265a, 267 Absatz 1 und 2, § 271 Absatz 1, 2 und 4, den §§ 273, 274, 281, 303 des Strafgesetzbuches, es sei denn, diese Strafgesetze werden durch verschiedene Handlungen mehrmals verletzt oder es wird ein Strafantrag gestellt.

Kontaktaufnahme mit den Justizvollzugseinrichtungen:

Insbesondere bei Untersuchungshaft und bei Ersatzfreiheitstrafen ist ein ständiger Kontakt mit den Justizvollzugseinrichtungen aufrecht zu erhalten, um rechtzeitig von dort über Haftprüfungstermine oder Entlassungstermine informiert zu werden. Es ist durch die zuständigen Ausländerbehörden sicherzustellen, dass in Falle der Freilassung eine Inobhutnahme zur Überführung in eine Abschiebungshafteinrichtung erfolgen kann. Bei organisatorischen Schwierigkeiten ist die Amtshilfe anderer Ausländerbehörden in Anspruch zu nehmen.

12. Ausreisegewahrsam (§ 62b des Aufenthaltsgesetzes)

§ 62b des Aufenthaltsgesetzes dient der Sicherstellung der Durchführbarkeit von Abschiebungsmaßnahmen, insbesondere bei Abschiebungen, die einen erheblichen organisatorischen Aufwand erfordern. Beispiele sind Abschiebungen in Zielstaaten mit seltenen Flugverbindungen oder enge zeitliche Korridore für Abschiebungsmaßnahmen wegen eingeschränkter Gültigkeitsdauer von Reisedokumenten. Das Ausreisegewahrsam kann berücksichtigen, dass etwa im Rahmen einer Sammelchartermaßnahme zusätzliche belastende Verzögerungen oder andere negative Folgen, wie etwa eine Erhöhung der Abschiebungskosten bei zu geringer Auslastung vermieden werden können. Gemeinsam ist den Fallgruppen, dass eine exakte Verfügbarkeit der ausreisepflichtigen Personen innerhalb des vorgesehen viertägigen Anordnungszeitraumes erforderlich ist. Stets muss jedoch ein in der Person der Ausreisepflichtigen begründeter Anordnungsgrund vorliegen. Der Unterschied des Inhaftierungsgrundes des Ausreisegewahrsams zum Haftgrund der Fluchtgefahr der Abschiebungshaft liegt darin, dass nicht die Anforderungen im Sinne von § 2 Absatz 14 des Aufenthaltsgesetzes vorliegen müssen, um einen Haftantrag stellen zu können. Es reicht vielmehr aus, dass die ausreisepflichtige Person ein Verhalten gezeigt hat, das erwarten lässt, dass die ausreisepflichtige Person die Abschiebung erschweren oder vereiteln wird, etwa durch fortgesetzte Verletzung gesetzlicher Mitwirkungspflichten oder wenn über die Identität oder Staatsangehörigkeit getäuscht wurde.

Um diese Absenkung der Voraussetzung für eine Inhaftierung auszugleichen, wird die Förderung der freiwilligen Ausreise besonders betont und die Dauer der Haft auf vier Tage begrenzt. Um eine schnelle freiwillige Ausreise zu gewährleisten, muss das Ausreisegewahrsam im Transitbereich eines Flughafens oder in einer Unterkunft vollzogen werden, von wo aus die Ausreise der ausländischen Person möglich ist. Letztere Fallgruppe können auch Einrichtungen sein, die in unmittelbarem Einflussbereich eines Flughafens liegen.

Im Bereich der Flughäfen vorgehaltene Einrichtungen können nur dann für einen Ausreisegewahrsam genutzt werden, sofern  die baulichen Voraussetzungen für eine „geschlossene“ Unterbringung (Ingewahrsamnahme) und eine personelle Bewachung, die einer Hafteinrichtung angenähert sein müssen, vorliegen.

Die Formulierung in § 62b Absatz 2 des Aufenthaltsgesetzes ist in dem Sinne zu verstehen, dass eine freiwillige Ausreise der Ausreisepflichtigen möglich bleiben muss. Dies ist ein weiterer Unterschied zur Abschiebungshaft. Dies bedeutet aber nicht, dass eine ausreisepflichtige Person mit der bloßen Absichtserklärung, freiwillig ausreisen zu wollen, den Ausreisegewahrsam verlassen kann. Die Ausreiseabsicht muss vielmehr glaubhaft dargelegt werden. Hierzu muss die ausreisepflichtige Person im Rahmen einer Freiwilligkeitserklärung einen Zielstaat benannt und alle notwendigen, in ihrer Sphäre liegenden Maßnahmen wie die Beschaffung der noch erforderlichen Reisedokumente einschließlich des Reisetickets vorgenommen haben. Hierzu zählen auch die Abgabe einer Erklärung über die Rücknahme eines Asyl- oder Asylfolgeantrages und die Erklärung eines Rechtsmittelverzichts. Schließlich kann die Glaubhaftmachung in diesen Fällen durch eine begleitete Zuführung zum Flugplatz zur Flugausreise sichergestellt werden.

Nicht ausgeschlossen ist es, einen Ausreisegewahrsam in Einrichtungen des Abschiebungshaftvollzuges in Flughafennähe durchzuführen, sofern den so Untergebrachten die Möglichkeit zur freiwilligen Ausreise während der Dauer des Gewahrsams verbleibt. § 62 b Absatz 3 des Aufenthaltsgesetzes verweist insoweit auf § 62 a Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes. Somit kommt die Unterbringungseinrichtung für Ausreisepflichtige in Büren für das Ausreisegewahrsam in Betracht. Dies ist auch anzunehmen, wenn Zielstaaten nicht unmittelbar angeflogen werden können, aber Umsteigemöglichkeiten bestehen.

13. Organisatorische Maßnahmen zur Vorbereitungs- und Sicherungshaft

13.1 Haftverlängerung über sechs Monate

Bei einer Haftverlängerung über sechs Monate hinaus leiten die Ausländerbehörden jeden Erst- und Verlängerungsantrag an das Amtsgericht sowie die ergangenen Haftbeschlüsse unter Beifügung relevanter Auszüge aus der Ausländerakte unverzüglich an die zuständige Bezirksregierung weiter. Gleiches gilt für jeden weiteren Verlängerungsantrag.

In diesem Bericht ist darzulegen,

a) ob der Inhalt der Haftanträge den Vorgaben der Nummer 2 entspricht,

b) warum die Abschiebung bislang nicht durchgeführt werden konnte,

c) warum ein Absehen von der Abschiebungshaft nicht möglich ist,

d) warum eine vorzeitige Beendigung der Haft nicht in Betracht kommt,

e) welche Haftgründe vorliegen und warum die Abschiebung nur durch die Abschiebungshaft gesichert werden kann und

f) ob die Aufrechterhaltung der Abschiebungshaft, besonders mit Blick auf die Erfolgsaussicht der Erlangung von Passersatzpapieren, noch zweckmäßig ist.

13.2 Inhaftierung von Minderjährigen

Bei jeder Beantragung von Abschiebungshaft für Minderjährige hat die in Nummer 13.1 geregelte Berichterstattung entsprechend zu erfolgen.

Die Ausländerbehörde hat ergänzend über das Ergebnis ihrer Kontaktaufnahme zu dem nach dem Achten Buch des Sozialgesetzbuches - Kinder und Jugendhilfe - vor Ort zuständigen Jugendamt sowie dem Jugendamt am Haftort (Nummer 2.2) zu berichten, warum eine Inobhutnahme beziehungsweise eine Unterbringung in einer Jugendhilfeeinrichtung nicht in Betracht kommt.

Wird eine betroffene Person, die behauptet minderjährig zu sein, ohne einen Nachweis zu erbringen oder erbringen zu können, von der Ausländerbehörde als offensichtlich volljährig eingestuft, hat sie ergänzend darzulegen, worauf sie diese Einschätzung stützt.

13.3 Ankündigung des Abschiebungstermins gegenüber inhaftierten Personen

Seit dem Inkrafttreten des Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes am 24. Oktober 2015 darf gemäß § 59 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abzuschiebenden Personen bei allen Abschiebungsandrohungen, die mit einer Fristsetzung zur freiwilligen Ausreise verbunden sind, der Termin ihrer Abschiebung nicht mehr genannt werden.

Dieses Verbot gilt nicht für inhaftierte Personen. Gemäß § 59 Absatz 5 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes bedarf es in den Fällen des § 58 Absatz 3 Nummer 1 des Aufenthaltsgesetzes (Haft oder Gewahrsam) keiner Fristsetzung. Abschiebungstermine sollen deshalb gemäß § 59 Absatz 5 Satz 2 des Aufenthaltsgesetzes mindestens eine Woche vorher angekündigt werden.

Bei den Dublin-Überstellungen erfolgt keine Fristsetzung zur freiwilligen Ausreise, die Überstellungstermine können deshalb angekündigt werden.

14. Vorläufige Festnahme zur Sicherung der richterlichen Vorführung
(§ 62 Absatz 5 des Aufenthaltsgesetzes)

Eine vorläufige Ingewahrsamsnahme zur Sicherung der Haftanordnung ist in § 62 Absatz 5 des Aufenthaltsgesetzes geregelt. In diesem Fall ist die richterliche Entscheidung unverzüglich herbeizuführen (Artikel 104 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland, § 62 Absatz 5 Satz 2 des Aufenthaltsgesetzes).

Die Nachholung der richterlichen Entscheidung ist auch dann nicht entbehrlich, wenn der Freiheitsentzug vor Ablauf der Frist des Artikels 104 Absatz 3 Satz 3 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland (bis zum Ende des Tages nach dem Ergreifen) endet.

Die Ausländerbehörde ist verpflichtet, ihr Vorgehen bei Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung so zu gestalten, dass der zur Sicherung des Grundrechts auf Freiheit der Person (Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 der Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland) bestehende Richtervorbehalt praktisch wirksam wird.

Ist eine Abschiebung konkret geplant oder planbar, bedarf es regelmäßig einer vorherigen richterlichen Anordnung. Eine vorläufige Festnahme scheidet in diesen Fällen aus. Eine Freiheitsentziehung ohne vorherige richterliche Anordnung ist nur in gesetzlich geregelten Eilfällen zulässig. Ein Eilfall liegt nur dann vor, wenn der mit der Freiheitsentziehung verfolgte Zweck nicht erreichbar wäre, wenn der Festnahme die richterliche Entscheidung vorausgehen würde (BVerfGE 22, S. 311 (317 f.)).

Ist eine Eilsituation entstanden, weil die Behörde es zuvor versäumt hat, den Richter rechtzeitig einzubinden, obwohl dies möglich gewesen wäre, scheidet ein Eilfall aus. Kann die richterliche Anordnung im Wege der einstweiligen Anordnung eingeholt werden, liegt ebenfalls keine Eilzuständigkeit vor.

Dies gilt auch, wenn die Ausländerbehörde die Polizei im Wege der Amtshilfe gebeten hat, eine ausländische Person in Gewahrsam zu nehmen.

Ist eine vollziehbar ausreisepflichtige ausländische Person jedoch untergetaucht, kann ihre Festnahme lediglich abstrakt für den Fall ihres Aufgreifens geplant werden. Daher kann sie bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 62 Absatz 5 des Aufenthaltsgesetzes zum Zwecke der Vorführung vor den Haftrichter ohne Verstoß gegen Artikel 104 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland durch die Exekutive in Gewahrsam genommen werden.

Für eine Ausschreibung zur Festnahme gemäß § 50 Absatz 6 des Aufenthaltsgesetzes ist keine richterliche Anordnung erforderlich, da die Ausschreibung keine Bindungswirkung entfaltet und die Entscheidung über die Ingewahrsamnahme derjenigen Behörde überlassen bleibt, die nach § 62 Absatz 5 des Aufenthaltsgesetzes tätig wird.

Für ein ohne vorherige richterliche Anordnung erfolgtes Festhalten oder Ingewahrsamsnahme müssen die Voraussetzungen des § 62 Absatz 5 des Aufenthaltsgesetzes kumulativ erfüllt sein. Gemäß § 428 Absatz 1 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit sowie § 62 Absatz 5 Satz 2 des Aufenthaltsgesetzes ist die richterliche Entscheidung unverzüglich herbeizuführen. Ist die Freiheitsentziehung nicht bis zum Ablauf des ihr folgenden Tages durch richterliche Entscheidung angeordnet, so hat die Freilassung zu erfolgen.

Können die notwendigen Angaben unmittelbar nach der Verhaftung des Betroffenen nach § 62 Absatz 5 des Aufenthaltsgesetzes noch nicht gemacht werden, ist die zuständige Behörde darauf beschränkt, eine einstweilige Anordnung nach § 427 Absatz 1 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit zu beantragen (BGH, Beschluss vom 30.08.2012, Aktenzeichen V ZB 59/12).

15. Aufnahmeersuchen an die Unterbringungseinrichtungen

Im Rahmen des Aufnahmeersuchens benötigt die Unterbringungseinrichtung neben dem Haftbeschluss und dem Haftantrag, die als Kopie zu übersenden sind, als Voraussetzung für eine geordnete Unterbringung die in dem nachfolgenden Musterantrag wiedergegebenen Angaben.

Unterbringungseinrichtung für Ausreisepflichtige Büren

Bereich

Mein Zeichen

Datum

Ausländerbehörde

Auskunft erteilt

Telefon

Telefax

Zimmer

E-Mail:

Aufnahmeersuchen zum Vollzug der Haft zur Sicherung der Abschiebung

Name:

Vorname:      

Geburtsdatum:      

Minderjährig                nein        ja

Geburtsort:     

Staatsangehörigkeit:      

Religionszugehörigkeit:            

Aliasnamen:       

Amtshilfe:     nein     ja, originär zuständige ABH      

Grund für die Aufenthaltsbeendigung:

 unerlaubter Aufenthalt

 Asylverfahren

 sonstiger Grund

 Straftaten und zwar:      

Gewaltpotential:

 Widerstand bei Festnahme

 Waffenbesitz

 Fluchtgefahr

 gewalttätig

 Mitglied einer kriminellen Vereinigung

Gesundheitsangaben:

 ansteckende Krankheiten

 drogenabhängig

 Suizidgefahr

 Selbstverletzung

 Schwangerschaft in der …. Woche

 seelische oder geistige Besonderheiten folgender Art:      

Familiäre Bindungen:

 Eltern:      

 Ehegattin oder Ehegatte:      

 sonstige Angehörige:      

Barbesitz:

 ja

 nein

Sicherheitsleistungen erhoben:

 ja

 nein

Sonstige Besonderheiten:          

 Es liegen zurzeit keine Erkenntnisse vor

16. Vorkehrung zur Sicherung der persönlichen Habe der Untergebrachten

Bei der Festnahme ist darauf zu achten, dass den festgenommenen Personen,  sofern dies mit vertretbarem Aufwand möglich ist,  die Gelegenheit gegeben wird, ihre persönlichen Wertgegenstände, Bargeld und Dokumente mit in die Unterbringungseinrichtung zu nehmen und dort in Verwahrung zu geben. Sofern die Mitnahme nicht möglich war, können sich die Untergebrachten über die Einrichtung an die zuständigen Ausländerbehörden wenden. Diese sollen, sofern der Aufwand vertretbar ist, Hilfestellungen anbieten, um die persönlichen Gegenstände im Rahmen von Besuchen von Verwandten oder Vertrauenspersonen oder auf Wunsch und auf Kosten der Untergebrachten per Post an die Unterbringungseinrichtung zu übersenden.

17. Feststellung der Reisefähigkeit

Bei Bedarf wird die Durchführung der Reisefähigkeitsuntersuchungen während der Unterbringung von den Unterbringungseinrichtungen auf schriftlichen Antrag für die zuständigen Ausländerbehörden gemäß § 28 Absatz 6 des Abschiebungshaftvollzugsgesetzes Nordrhein-Westfalen durchgeführt. Sofern sich während der Haft Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung der Reisefähigkeit, in den Fällen der Abschiebungen auf dem Luftweg der Flugtauglichkeit ergeben, unterrichtet die Einrichtung die zuständige Ausländerbehörde. Diese entscheidet dann, ob sie eine ärztliche Untersuchung für erforderlich hält und bittet die Unterbringungseinrichtung, diese durchzuführen. Über das Ergebnis der Begutachtung wird die zuständige Ausländerbehörde schnellstmöglich auf elektronischem Wege unterrichtet. Diese entscheidet bei längerfristigen oder nicht absehbaren Erkrankungen, welche die Reisefähigkeit beeinträchtigen, ob die Haftanordnung aufzuheben ist. Nach der Abholung der Untergebrachten zur Abschiebung oder nach einer Entlassung liegt die Zuständigkeit für die Feststellung der Reisefähigkeit und eine eventuelle ärztliche Begleitung wieder bei der zuständigen Ausländerbehörde.

18. Geltendmachung der Haftkosten

In Amtshilfefällen, die unmittelbar von einer Ausländerbehörde eines anderen Bundeslandes oder von der Bundespolizei der Unterbringungseinrichtung zugeführt werden, erstellt die Unterbringungseinrichtung den Leistungsbescheid. In den Fällen in eigener Zuständigkeit der Ausländerbehörden und in den „Aufgriffsfällen“, bei denen Ausländerbehörden des Landes für Ausländerbehörden anderer Bundesländer in Amtshilfe tätig werden, erstellen die zuständigen Ausländerbehörden den Leistungsbescheid. Die zuständige Ausländerbehörde erhält von der Unterbringungseinrichtung eine Aufstellung über die angefallenen Haftkosten.

19. Evaluation und Bericht

Das für Inneres zuständige Ministerium führt jährlich eine Evaluation aller Abschiebungshaftfälle, die in Nordrhein-Westfalen oder von anderen Bundesländern im Wege der Amtshilfe für Ausländerbehörden Nordrhein-Westfalens vollzogen wurden, durch. Bestandteil der Evaluation ist unter anderem eine Darstellung der Gründe, warum die zuständigen Behörden in den Fällen beantragter Abschiebungshaft ein milderes, ebenfalls ausreichendes anderes Mittel (siehe Nummer 2) verneint haben, warum in den Fällen beantragter Abschiebungshaft von Minderjährigen von dem Grundsatz, von einem Antrag abzusehen, abgewichen wurde (siehe Nummer 5).

Die Unterbringungseinrichtungen führen eine Statistik über die bei ihnen vollzogenen Haftfälle und Fälle des Ausreisegewahrsams.

Über Haftfälle und Fälle des Ausreisegewahrsams, die im Wege der Amtshilfe von anderen Bundesländern für die Ausländerbehörden Nordrhein-Westfalens vollzogen werden, berichten die Ausländerbehörden jährlich zum Ende des ersten Quartals des Folgejahres dem für Inneres zuständigen Ministerium mit den gleichen Angaben, die gegenüber der zuständigen Unterbringungseinrichtung  zu den einzelnen Haftfällen für die Statistik gemacht werden.

Sofern gegen Haftbeschlüsse Rechtsbehelfe eingelegt werden, ist das für Inneres zuständige Ministerium von der zuständigen Ausländerbehörde fortlaufend über den Ausgang des Verfahrens in den einzelnen Instanzen unter Vorlage der jeweiligen gerichtlichen Entscheidungen zu unterrichten.

In den Fällen der Haftentlassung ist der Unterbringungseinrichtung  der Entlassungsgrund mitzuteilen. In den Fällen einer gerichtlichen Aufhebung der Haftanordnung sind der Unterbringungseinrichtung die wesentlichen Gründe der gerichtlichen Entscheidung für die Statistik mitzuteilen.

20. Inkrafttreten und Außerkrafttreten

Diese Richtlinien treten am Tag nach der Veröffentlichung in Kraft und mit Ablauf des 31. Dezember 2021 außer Kraft.

Gleichzeitig mit dem Inkrafttreten dieser Richtlinien treten die folgenden Erlasse außer Kraft:

1. Richtlinien für den Abschiebungsgewahrsam im Land Nordrhein-Westfalen (Abschiebungshaftrichtlinien - AHaftRL) RdErl. des Innenministeriums -15-39.21.01-5-AHaftRL vom 19. Januar 2009 (MBl. NRW. S. 84),

2. Änderung der Richtlinien für den Abschiebungsgewahrsam im Land Nordrhein-Westfalen (Abschiebungshaftrichtlinien - AHaftRL) RdErl. des Ministeriums für Inneres und Kommunales - 15-39.16.02-5- 11/096(2604) vom 5. April 2012 (MBl. NRW. S. 222),

3. Gewährleistung des Abschiebungshaftvollzugs in NRW RdErl. des Ministeriums für Inneres und Kommunales - 15-39.16.04-2-13/339(2604) vom 5.3.2014,

4. EU-richtlinienkonformer Abschiebungshaftvollzug RdErl. des Ministeriums für Inneres und Kommunales - 15-39.16.04-2-13-339(2604) vom 24. Juli 2014,

5. Beschluss des BGH vom 25. Juli 2014 V ZB 137/14 Gewährleistung der Abschiebungshaft in Nordrhein-Westfalen RdErl. des Ministeriums für Inneres und Kommunales - 15-39.16.04-2-13-339(2604) vom 25. Juli 2014.

- MBl. NRW. 2016 S. 430