Ministerialblatt (MBl. NRW.)
Ausgabe 2000 Nr. 13 vom 10.3.2000 Seite 165 bis 174

Richtlinien für die Anerkennung von Einrichtungen zur Behandlung betäubungsmittelabhängiger Straftäter nach dem 7. Abschnitt des Betäubungsmittelgesetzes
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Richtlinien für die Anerkennung von Einrichtungen zur Behandlung betäubungsmittelabhängiger Straftäter nach dem 7. Abschnitt des Betäubungsmittelgesetzes

2128

Richtlinien
für die Anerkennung von Einrichtungen
zur Behandlung betäubungsmittelabhängiger
Straftäter nach dem 7. Abschnitt
des Betäubungsmittelgesetzes

RdErl.d.Ministeriums für Frauen,Jugend,Familie und Gesundheit
v. 28.12.1999 - III A 2 - 0390.1

I

Das Betäubungsmittelgesetz - BtMG – in der Fassung der Bekanntmachung vom 1. März 1994 (BGBl.I S.358), zuletzt geändert durch Verordnung v. 7. Oktober 1998 (BGBl. I S. 3176), macht die Zurückstellung der Strafvollstreckung (§ 35, auch i.V.m. § 38 Abs. 1 BtMG), das Absehen von der öffentlichen Klage (§ 37 Abs. 1, auch i.V.m. § 38 Abs. 2 BtMG) und die vorläufige Einstellung des Verfahrens (§ 37 Abs. 2, auch i.V.m. § 38 Abs. 2 BtMG) davon abhängig, dass der Verurteilte oder Beschuldigte sich wegen seiner Abhängigkeit in einer seiner Rehabilitation dienenden Behandlung befindet oder zusagt (Ausnahme: § 37 BtMG), sich einer Behandlung zu unterziehen, deren Beginn gewährleistet ist.

Die Behandlung kann in einer stationären, teilstationären oder auch ambulanten Behandlungseinrichtung erfolgen.

Ob eine Einrichtung eine Behandlung im Sinne des § 35 Abs. 1 BtMG durchführt, wird von den Justizbehörden nicht gesondert geprüft, wenn die Einrichtung staatlich anerkannt worden ist. Die staatliche Anerkennung ist zugleich eine der Voraussetzungen dafür, dass die Therapiezeit auf die erkannte Strafe angerechnet wird (§ 36 Abs. 1, auch i.V.m § 38 Abs. 1 BtMG).

Die Entscheidung, ob von der Ermächtigung der §§ 35 bis 38 BtMG Gebrauch gemacht wird, obliegt den Justizbehörden. Die Kriterien für die staatliche Anerkennung der Behandlungseirichtungen orientieren sich überwiegend an therapeutischen Erfordernissen.

II

Ziele der Behandlung Drogenabhängiger sind

- die Beseitigung physischer und psychischer Abhängigkeit von illegalen Suchtmitteln einschließlich nicht zugelassener Ersatzstoffe oder die Beseitigung einer Mehrfachabhängigkeit,

- die Behebung einer der Abhängigkeit zu Grunde liegenden Verhaltensstörung,

- die Nachreifung der durch die Abhängigkeit entstandenen Verzögerung in der Persönlichkeitsentwicklung,

- die Befähigung zu einem im Rahmen sozialer Beziehungen selbstbestimmten Leben.

Diese Ziele sind bestimmend für die Behandlungsart und -dauer sowie für die Inanspruchnahme eines mehrdimensionalen Behandlungsangebotes.

Der stationären Entwöhnungsbehandlung geht in der Regel eine stationäre körperliche Entgiftungsmaßnahme voraus. Bei medikamentengestützten ambulanten Behandlungen entfällt in aller Regel eine klinische Vorbehandlung.

Bei der ambulanten Behandlung sind Begleitmaßnahmen zur beruflichen und sozialen Wiedereingliederung Drogenabhängiger als Querschnittsaufgabe unverzichtbarer Bestandteil aller Bemühungen zum Erreichen einer Gesamtrehabilitation und daher sicherzustellen. Die hier zur Verfügung stehenden komplementären Dienste auf kommunaler und betrieblicher Ebene sind zu nutzen.

Die Behandlungsart ist vom jeweiligen Einzelfall abhängig. Ist eine ambulante Behandlungsmaßnahme angezeigt und gerichtlich verfügt worden, ist die Einschaltung des jeweiligen Sozialleistungsträgers auf der Grundlage der "Empfehlungsvereinbarung über die Leistungen zur ambulanten Rehabilitation Alkohol-, Medikamenten- und Drogenabhängiger" vom 7. Januar 1991 oder des Sozialamtes erforderlich. Die sachlichen, therapeutischen und personellen Bedingungen der genannten Vereinbarung sind von den Einrichtungsträgern insgesamt zu erfüllen.

Eine einmal erreichte Motivation zur Behandlung bzw. zum Durchhalten einer Behandlung ist bei Drogenabhängigen keine Konstante. Sie muss ständig gestützt und bestärkt sowie nach Zusammenbrüchen erneut aufgebaut werden. Die Definition eines Abbruchs der Behandlung nach §§ 35 ff BtMG unterliegt daher auch therapeutischen Gesichtspunkten.

III

Für die staatliche Anerkennung von stationären, teilstationären oder ambulanten Einrichtungen zur Behandlung betäubungsmittelabhängiger Straftäter nach dem 7. Abschnitt des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) gelten folgende Richtlinien:

1
Mindestanforderungen

1.1
Die Behandlung muss nach einem fachlich anerkannten Konzept erfolgen, das Aussagen über Art, therapeutischen Inhalt und Dauer der Behandlung enthält. Bei ambulanten oder teilstätionären Behandlungsmaßnahmen erfolgt die fachliche Anerkennung des Konzepts durch den Abschluss eines Belegungsvertrags mit dem Rehabilitationsträger nach Maßgabe der genannten Empfehlungsvereinbarung oder nach Vorgaben des örtlich und sachlich zuständigen Trägers der Sozialhilfe. Die Behandlungsdauer wird bei ambulanten und teilstationären Behandlungsmaßnahmen im allgemeinen von den Justizbehörden festgelegt. Bei medikamentengestützten ambulanten Behandlungsmaßnahmen ist das örtlich zuständige Gesundheitsamt nach Maßgabe der Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung -BtMVV - vom 20. Januar 1998 (BGBl.I S.74) in der jeweils geltenden Fassung zu beteiligen.

1.2
Einrichtungen zur Durchführung stationärer Behandlungsmaßnahmen müssen im Konzept die Voraussetzungen bezeichnen, bei deren Vorliegen aus therapeutischer Sicht ein Abbruch der Therapie anzunehmen ist. Das unbefugte Entfernen aus der Einrichtung für einen Zeitraum von mehr als 7 Tagen ist in jedem Fall als Abbruch der Maßnahme anzusehen. Die Einrichtung hat schriftlich zu erklären, dass sie sich im Falle der staatlichen Anerkennung an die im Konzept dargestellte Verpflichtung hält. Darüber hinaus muss das Konzept Hinweise enthalten, mit welchen Stellen die Einrichtung im Falle eines Therapieabbruchs im Einzelfall zusammenarbeitet oder wie eine evtl. notwendige Überleitung in eine andere Einrichtung geregelt ist.

1.3
Einrichtungen zur Durchführung ambulanter Behandlungsmaßnahmen schreiben im Behandlungskonzept fest, dass ein Therapieabbruch dann anzunehmen ist, wenn vereinbarte Einzel- oder Gruppengespräche unentschuldigt versäumt werden, und zwar

- dreimal innerhalb von zwei Monaten bei täglich oder wöchentlich angesetzten Terminen,

- einmal bei zweiwöchentlicher Terminierung.

Das unentschuldigte Fernbleiben ist zu dokumentieren.

1.4
Die Einrichtung muss über Hausregeln verfügen, die die therapeutisch erforderliche Beschränkung der Lebensführung enthalten. Es muss ersichtlich sein, wann die Einrichtung ihrerseits eine Behandlungsmaßnahme abbricht.

1.5
Die Einrichtung muss sich schriftlich verpflichten, nach Maßgabe des § 35 Abs. 4 BtMG Behandlungsabbrüche unverzüglich der Vollstreckungsbehörde zu melden.

1.6
Die Einrichtungen dürfen Überweisungen in andere Einrichtungen nur mit Zustimmung der Vollstreckungsbehörde vornehmen. Es muss sichergestellt sein, dass die Anschlussbehandlung ohne Unterbrechung aufgenommen werden kann.

1.7
Stationäre Behandlungseinrichtungen müssen mit mindestens einem Kostenträger eine Pflegesatzvereinbarung abgeschlossen haben. Änderungen sind der obersten Landesgesundheitsbehörde unverzüglich mitzuteilen. Einrichtungen, die die Voraussetzungen zur Durchführung ambulanter Behandlung erfüllen, müssen mit den Trägern der Kranken- und Rentenversicherung Vereinbarungen auf der Grundlage der genannten Empfehlungsvereinbarung oder mit den örtlich und sachlich zuständigen Trägern der Sozialhlfe abschließen.

1.8
Die Behandlung muss allgemein multidisziplinär durch Fachpersonal in ausreichender Zahl durchgeführt werden. Mindestens die Mitwirkung einer Ärztin oder eines Arztes, einer Psychologin oder eines Psychologen und einer Sozialarbeiterin oder eines Sozialarbeiters, einer Sozialpädagogin oder eines Sozialpädagogen soll gesichert sein.

Bei ambulanten Behandlungseinrichtungen ergibt sich die personelle Ausstattung aus der genannten Empfehlungsvereinbarung.

1.9
Abhängig vom Einrichtungstyp muss diese über ausreichende Räume mit der erforderlichen Ausstattung für die Behandlung und den Aufenthalt verfügen. Für Einrichtungen, in denen substituiert wird, müssen zusätzlich entsprechende Sicherheitsvorkehrungen zur Einhaltung der Bestimmungen über den Verkehr mit Betäubungsmitteln getroffen werden.

1.10
Einrichtungen, die aus konzeptionellen Gründen das Kriterium der Nummer 1.8 nicht erfüllen, können in begründeten Einzelfällen ausnahmsweise anerkannt werden.

2
Antragstellung

Anträge auf staatliche Anerkennung sind mir mit den Angaben zu den Nummern 1.1 bis 1.9, gfls. mit der rechtsverbindlichen Vereinbarung zur Durchführung ambulanter Rehabilitation sowie der Konzeption in dreifacher Ausfertigung vorzulegen.

3
Überwachung

Die Einrichtung wird durch eine Besuchskommission entsprechend den in § 23 des Gesetzes über Hilfen und Schutzmassnahmen bei psychischen Krankheiten vom 17. Dezember 1999 (GV. NRW. S. 662) in der jeweils geltenden Fassung genannten Grundsätzen überwacht.

IV

Der RdErl. d. Ministers für Arbeit, Gesundheit und Soziales v. 22.9.1982 (SMBl. NRW.2128) wird aufgehoben.

V

Dieser Runderlass ergeht im Einvernehmen mit dem Justizministerium und gilt bis zum Ablauf des 31.12.2005.

MBl. NRW 2000 S. 167