Ministerialblatt (MBl. NRW.)
Ausgabe 2000 Nr. 35 vom 16.6.2000 Seite 623 bis 648

Verwaltungsvorschrift zur Anwendung der nationalen Vorschriften zur Umsetzung der Richtlinien 92/43/EWG (FFH-RL) und 79/409/EWG (Vogelschutz-RL) (VV-FFH)
Normkopf
Norm
Normfuß
 
zugehörige Anlagen :
Anlage1
Anlage2
Anlage3
Anlage4
Anlage5
Anlage6
 

Verwaltungsvorschrift zur Anwendung der nationalen Vorschriften zur Umsetzung der Richtlinien 92/43/EWG (FFH-RL) und 79/409/EWG (Vogelschutz-RL) (VV-FFH)

791

Verwaltungsvorschrift
zur Anwendung der nationalen Vorschriften
zur Umsetzung der Richtlinien 92/43/EWG (FFH-RL)
und 79/409/EWG (Vogelschutz-RL)
(VV-FFH)

Rd.Erl. d. Ministeriums für Umwelt, Raumordnung und Landwirtschaft
v. 26 .4.2000, - III B 2 - 616.06.01.10 -

Inhaltsübersicht

1 Vorbemerkungen

1.1 Allgemeines

1.2 Naturschutzrechtliche Rechtsgrundlagen

1.3 Sonstige Rechtsgrundlagen

2 Meldung der Gebiete

2.1 Pflicht zur Meldung

2.2 Verfahren zur Auswahl

2.3 Meldung der Gebiete an die Europäische Kommission

2.4 Mitwirkung des Landes im Konzertierungsverfahren nach Art.5 FFH-RL

3 Vorläufige Schutzwirkungen der Bekanntmachung im Bundesanzeiger

3.1 Schutzgegenstand und Umfang

3.2 Mitteilung der Gebiete

4 Schutzmaßnahmen

4.1 Schutzpflicht

4.2 Raumordnerische Umsetzung

4.3 Naturschutzmaßnahmen

5 Verträglichkeit von Projekten

5.1 Begriffsbestimmungen

5.2 Notwendigkeit der Durchführung einer FFH-Verträglichkeitsprüfung (Prüfungsveranlassung)

5.3 Maßstäbe (Prüfungsumfang)

5.4 Verknüpfung mit anderen Verfahren

5.5 Unzulässigkeit (Prüfungsergebnis)

5.6 Ausnahmen

5.7 Bestandsschutz

6 Verträglichkeit von Plänen

6.1 Begriffsbestimmungen

6.2 Abstände in der Bauleitplanung

6.3 Plangewährleistung

7 Emissionsbedingte Belastungen

8 Gewässerbenutzungen

9 Verhältnis zu anderen Rechtsvorschriften

9.1 Baurecht

9.2 Naturschutzrecht

10 Verfahren zur Durchführung der FFH-Verträglichkeitsprüfung

10.1 Verfahren bei Projekten

10.2 Verfahren bei Plänen

11 Anwendung der FFH-RL auf potentielle FFH- oder Europäische Vogelschutzgebiete

11.1 Umfang

11.2 FFH-Verträglichkeitsprüfung

11.3 Auskunft über potentielle FFH- oder Europäische Vogelschutzgebiete

12 Geltungsdauer

Anlage
"Kriterien zur Auswahl der FFH- und Vogelschutzgebiete für das europäische Schutzgebietssystem "Natura 2000"

1
Vorbemerkungen

1.1
Allgemeines

Die zum Erhalt des Europäischen Naturerbes erlassene FFH-RL und die Vogelschutz-RL dienen neben dem unmittelbaren Artenschutz dem Aufbau und dem Schutz des Europäischen ökologischen Netzes "Natura 2000", insbesondere dem Schutz der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung und der Europäischen Vogelschutzgebiete.

1.2
Naturschutzrechtliche Rechtsgrundlagen

Die rechtliche Umsetzung der Vogelschutz-RL ist in Deutschland durch das Gesetz zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes vom 10. Dezember 1986 (BGBl. I S. 2349) und durch das Zweite Gesetz zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes vom 30. April 1998 (BGBl. I S. 823), die der FFH-RL durch das Zweite Gesetz zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes vom 30. April 1998 (BGBl. I S. 823) erfolgt. Weitere Umsetzungsvorschriften für das Land Nordrhein-Westfalen enthält das Gesetz zur Sicherung des Naturhaushalts und zur Entwicklung der Landschaft (Landschaftsgesetz – LG).

Folgende Vorschriften aus dem Bundesnaturschutzgesetz gelten gem. § 4 Satz 3 BNatSchG in diesem Zusammenhang unmittelbar:

- § 19a Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 bis 4 (Europäisches Netz "Natura 2000", Begriffsbestimmungen)

- § 19b Abs. 1 Satz 2 und 3 (Benennung und Meldung der Gebiete an die Europäische Kommission)

- § 19d Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 (Anwendung der FFH-Verträglichkeitsprüfung auf Pläne)

- § 19e (Anwendung der FFH-Verträglichkeitsprüfung auf genehmigungsbedürftige Anlagen nach dem BImSchG)

- § 19f Abs. 1 Satz 1 (Vorhaben in Gebieten mit Bebauungsplänen)

- § 19f Abs. 1 Satz 2 (Vorhaben im unbeplanten Innenbereich und im Außenbereich).

Ergänzend gelten die landesrechtlichen Vorschriften des Abschnitts VIa des Landschaftsgesetzes (Europäisches ökologisches Netz "Natura 2000"):

- § 48a (Allgemeine Vorschriften)

- § 48b (Ermittlung und Vorschlag der Gebiete)

- § 48c (Schutzausweisung oder Gewährleistung gleichwertigen Schutzes)

- § 48d (Verträglichkeit und Unzulässigkeit von Projekten, Ausnahmen, Anwendung auf Pläne)

- § 48e (Verhältnis zu anderen Rechtsvorschriften).

1.3
Sonstige Rechtsgrundlagen

Daneben sind für die Umsetzung der oben genannten EU-Richtlinie noch folgende, in anderen Gesetzen enthaltene Vorschriften maßgebend:

- § 6 Abs. 2 WHG (Anwendung der FFH-Verträglichkeitsprüfung in wasserrechtlichen Verfahren)

- § 7 Abs. 7 ROG (Anwendung der FFH-Verträglichkeitsprüfung bei Raumordnungsplänen, Rahmenrecht)

- § 1a Abs. 2 Nr. 4 BauGB (Anwendung der FFH-Verträglichkeitsprüfung bei der Bauleitplanung)

- § 29 Abs. 3 BauGB (FFH-Verträglichkeitsprüfung bei Vorhaben im Innenbereich nach § 34 BauGB)

2
Meldung

2.1
Pflicht zur Meldung der Gebiete

Nach Art. 3 Abs. 1 FFH-RL ist ein kohärentes europäisches Netz besonderer Schutzgebiete mit der Bezeichnung "Natura 2000" zu errichten. Dieses Netz umfasst Gebiete mit natürlichen Lebensräumen und Habitaten für Tier- und Pflanzenarten von gemeinschaftlichem Interesse sowie die aufgrund der Vogelschutz-RL ausgewiesenen besonderen Schutzgebiete.

Von besonderer Bedeutung sind dabei die in Art. 4 Abs. 2 FFH-RL genannten Gebiete mit einem oder mehreren prioritären natürlichen Lebensraumtyp(en) oder einer oder mehreren prioritären Art(en). Von den in Anhang I und II der FFH-RL mit einem Sternchen (*) gekennzeichneten prioritären Lebensraumtypen oder Arten kommen in Nordrhein-Westfalen vor:

- Salzwiesen im Binnenland -1340-

- Lückige basophile oder Kalk-Pionierrasen (Alysso-Sedion albi) –6110-

- Naturnahe Kalk-Trockenrasen und deren Verbuschungsstadien (Festuco-Brometalia) (besondere Bestände mit bemerkenswerten Orchideen) -6210-

- Artenreiche montane Borstgrasrasen (und submontan auf dem europäischen Festland) auf Silikatböden -6230-

- Lebende Hochmoore -7110-

- Kalkreiche Sümpfe mit Cladium mariscus und Arten des Caricion davallianae -7210-

- Kalktuffquellen (Cratoneurion) -7220-

- Kalkhaltige Schutthalden der collinen bis montanen Stufe Mitteleuropas -8160-

- Schlucht- und Hangmischwälder Tilio-Acerion -9180-

- M oorwälder -91D0-

- Auenwälder mit Alnus glutinosa und Fraxinus excelsior (Alno-Padion, Alnion incanae, Salicion Albae) -91E0-

- Spanische Flagge ( Callimorpha (Euplagia, Panaxia) quadripunctaria)

- Eremit (Osmoderma eremita).

Die Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Meldung der Gebiete ergibt sich aus Art. 4 Abs. 1 der FFH-RL sowie aus Art. 4 Abs. 1 und 2 der Vogelschutz-RL.

Die Auswahl der Gebiete ist nach naturschutzfachlichen Kriterien zu treffen. Diese ergeben sich für die Gebiete nach der FFH-RL aus deren Anhängen I bis III, für die Gebiete nach der Vogelschutz-RL aus deren Anhang I sowie den in Art. 4 Abs. 2 für Zugvogelarten genannten Maßgaben.

Andere als die vorgenannten naturschutzfachlichen Kriterien haben nach ständiger Rechtsprechung und der herrschenden Meinung in der Literatur (vgl. zuletzt EuGH, Urteil vom 11. Juli 1996 - "Lappel Bank"- NuR 1997, S. 36, BVerwG Urteil vom 19. Mai 1998 – 4A9.97 – S. 35, Zeitschrift für Umweltrecht 98, S. 203 ff., Apfelbacher, Adenauer und Iven, NuR 1999, S. 63 ff., Schink, Gewerbearchiv 1998, S. 41 ff.) bei der Auswahl der Gebiete außer Betracht zu bleiben.

2.2
Verfahren zur Auswahl der Gebiete

2.2.1
Die LÖBF/LAfAO ermittelt nach den in Art. 4 Abs. 1 der FFH-RL sowie den in Art. 4 Abs. 1 und 2 der Vogelschutz-RL genannten Kriterien die Gebiete, die Bestandteile des ökologischen Netzes werden sollen. Hierfür steht ihr nur ein fachlicher Beurteilungsspielraum zur Verfügung.

Dazu identifiziert sie zunächst die Gebiete, in denen die in Anhang I der FFH-RL aufgeführten natürlichen Lebensräume und die in Anhang II dieser Richtlinie aufgeführten Tier- und Pflanzenarten sowie die in Anhang I der Vogelschutz-RL und die in Art. 4 Abs. 2 dieser Richtlinie genannten Vogelarten sowie deren Lebensräume vorkommen.

Sodann beurteilt sie die relative Bedeutung der nach Anhang I und II der Richtlinie ermittelten Gebiete unter Zugrundelegung der in Anhang III (Phase 1) der FFH-RL genannten Kriterien mit naturräumlichem, ggf. länderübergreifendem Bezug.

Maßgebend für die Auswahl der FFH-Gebietsvorschläge ist Teil I der fachlichen "Kriterien zur Auswahl der FFH-Gebiete und Vogelschutzgebiete für das europäische Schutzgebietssystem Natura 2000" (Anlage).

Die Gebietsvorschläge sind in einer Karte im Maßstab 1:25.000 (TK 25) - zugleich in digitalisierter Form - darzustellen und mit einer Gebietsbeschreibung zu versehen, die die Bezeichnung des Gebietes, seine geographische Lage, seine Größe sowie die Daten enthalten, die sich aus der Anwendung der Kriterien in Anhang III (Phase 1) der FFH-RL ergeben. Außerdem ist für jedes Gebiet der nach Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 2 FFH-RL von der Europäischen Kommission vorgeschriebene Standarddatenbogen zu erstellen.

Die Beurteilung der Gebiete nach der Vogelschutz-RL richtet sich nach den in Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie aufgeführten Maßstäben, d. h., nur die für die Erhaltung der Arten zahlen- und flächenmäßig geeignetesten Gebiete kommen als Bestandteile des ökologischen Netzes "Natura 2000" in Betracht. Entsprechendes gilt auch für die Vermehrungs-, Mauser- und Überwinterungsgebiete der regelmäßig auftretenden Zugvogelarten gem. Art. 4 Abs. 2 der Vogelschutz-RL.

Auch die Vogelschutzgebiete sind in einer Karte im Maßstab 1:25.000 (TK 25) - zugleich in digitalisierter Form - darzustellen und mit einer Gebietsbeschreibung zu versehen, die der für die FFH-Gebiete entspricht. Außerdem ist der von der Europäischen Kommission vorgeschriebene Standarddatenbogen zu erstellen.

Maßgebend für die Auswahl Vogelschutzgebietsvorschläge ist Teil II bzw. III der fachlichen "Kriterien zur Auswahl der FFH- Gebiete und Vogelschutzgebiete für das europäische Schutzgebietssystem Natura 2000" (Anlage).

Die LÖBF/LAfAO legt die von ihr ausgearbeitete Gebietsliste der obersten Landschaftsbehörde vor.

2.2.2
Die oberste Landschaftsbehörde prüft die Liste und leitet das Beteiligungsverfahren durch eine Erörterung mit den kommunalen Spitzenverbänden, den Land- und Forstwirtschaftsverbänden, den anerkannten Naturschutzverbänden und weiteren Spitzenverbänden, soweit erforderlich, sowie den höheren Landschaftsbehörden und der LÖBF/LAfAO ein. Dabei werden die Verfahrensabläufe für die Beteiligung und Anhörung nach Nr. 2.2.3 festgelegt.

2.2.3
Über die von der LÖBF/LAfAO ermittelten Gebiete führt die höhere Landschaftsbehörde eine Beteiligung der betroffenen Behörden und Stellen analog dem Verfahren nach § 42b LG und eine Anhörung der Eigentümer und sonstigen Berechtigten analog dem Verfahren nach § 42c Abs. 1 LG durch. Zu diesem Zweck unterrichtet die höhere Landschaftsbehörde die Öffentlichkeit in einem Ortstermin, der angemessene Zeit vorher ortsüblich bekannt gemacht wird, über Ziele, Zweck und Auswirkungen der vorgesehenen Gebietsmeldungen und gibt den betroffenen Behörden und Stellen sowie Eigentümern und sonstigen Berechtigten Gelegenheit zur Äußerung innerhalb einer angemessenen Frist, die mindestens einen Monat betragen soll. Die Beteiligung und Anhörung der Betroffenen bezieht sich mindestens auf

- die fachliche Begründung für die Gebietsauswahl unter Einbeziehung der Standarddatenbögen einschließlich der räumlichen Darstellung der für die Gebietsauswahl maßgeblichen Lebensraumtypen und Arten und Begründung für deren Einordnung als Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung oder als Europäische Vogelschutzgebiete,

- die Erläuterung der zum Schutz der Gebiete notwendigen Erhaltungsziele,

und soweit möglich im Einvernehmen

- die Festlegung der Gebietsgrenzen im Rahmen des fachlichen Ermessens und

- die Abstimmung von Einzelheiten für notwendige Schutzgebietsausweisungen und der sie ergänzenden oder ersetzenden vertraglichen Regelungen gemäß § 19b Abs. 2 bis 4 BNatSchG.

Die höhere Landschaftsbehörde fasst das Ergebnis der Anhörung zusammen und leitet es zusammen mit einer eigenen Stellungnahme sowie einer Schätzung der Kosten, die für die Erfüllung der Verpflichtungen nach Art. 6 Abs. 1 FFH-RL sowie als Ausgleich für die Landwirtschaft aufgewendet werden müssen, der obersten Landschaftsbehörde zu. Die Schätzung der Kosten des Ausgleichs für die Landwirtschaft erfolgt auf der Grundlage eines unter Beteiligung der Landwirtschaftskammern erarbeiteten Berechnungsmusters. Entsprechendes gilt für den Ausgleich in der Forstwirtschaft.

2.2.4
Die oberste Landschaftsbehörde prüft nach Maßgabe von Art. 4 Abs. 1 der FFH-RL die Begründetheit der von der höheren Landschaftsbehörde mit ihrer Stellungnahme vorgelegten Gebietsvorschläge sowie die Kostenschätzung. Entsprechendes gilt für die nach der Vogelschutz-RL zu meldenden Gebiete mit Ausnahme der Kostenschätzung. Sie gibt den zu beteiligenden Ministerien im Rahmen einer Ressortabstimmung Gelegenheit, sich zu den Gebietsvorschlägen zu äußern.

Die Landesregierung entscheidet abschließend über die Gebietsvorschläge, die als Beitrag des Landes Nordrhein-Westfalen zum ökologischen Netz über das BMU an die Europäische Kommission gemeldet werden sollen.

2.3
Meldung der Gebiete an die Europäische Kommission

2.3.1
Die von der Landesregierung zur Meldung beschlossenen FFH-Gebiete werden vom MURL dem BMU zur Benehmensherstellung (§ 19b Abs. 1 S. 2 BNatSchG) und zur Weiterleitung an die Europäische Kommission übermittelt. Die Gebietsmeldung ist mit den in Art. 4 Abs. 2 der FFH-RL vorgeschriebenen Informationen zu versehen, die von der LÖBF/LAfAO bereits im Rahmen der Gebietsauswahl (vgl. Nr. 2.2.1) erstellt worden sind. Außerdem sind die Kostenschätzung und gegebenenfalls abgeschlossene vertragliche Vereinbarungen beizufügen (vgl. Nr. 2.2.2). Über Bedenken des BMU, deren Berücksichtigung eine Änderung der Gebietsauswahl zur Folge hat, ist eine erneute Abstimmung der beteiligten Landesministerien herbeizuführen.

2.3.2
Entsprechendes gilt für die Benennung von Gebieten nach der Vogelschutz-RL mit Ausnahme der Kostenschätzung.

2.3.3
Über die endgültige Aufnahme der FFH-Gebiete in die Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung entscheidet die Europäische Kommission im Einvernehmen mit der Bundesrepublik Deutschland (Art. 4 Abs. 2 und 3 FFH-RL).

Die Europäische Kommission kann grundsätzlich nur eine Auswahl aus denjenigen Gebieten treffen, die die Mitgliedstaaten mit den nationalen Listen oder nachträglich vorgeschlagen haben. Dies gilt nicht für Gebiete, die prioritäre natürliche Lebensraumtypen oder prioritäre Arten aufweisen. Die Mitgliedstaaten haben damit einen entscheidenden Einfluss auf die Auswahl der Gebiete, weil das Einvernehmen des Mitgliedstaates über die Gebietsauswahl erforderlich ist.

2.3.4
Das BMU macht die von der Europäischen Kommission als Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung bezeichneten Gebiete sowie die Europäischen Vogelschutzgebiete im Bundesanzeiger bekannt. Die für das Land NRW im Bundesanzeiger bekannt gemachte Gebietsliste wird im Ministerialblatt für das Land Nordrhein-Westfalen veröffentlicht.

2.4
Mitwirkung des Landes im Konzertierungsverfahren nach Art. 5 FFH-RL

2.4.1
Konzertierungsgebiete i.S.d. Art. 5 der FFH-RL sind solche Gebiete, in denen die Europäische Kommission ausnahmsweise feststellt, dass ein Gebiet mit einem prioritären natürlichen Lebensraumtyp oder einer prioritären Art in der nationalen Liste nicht aufgeführt ist, obwohl dies ihres Erachtens aufgrund von zuverlässigen einschlägigen wissenschaftlichen Daten für den Fortbestand dieses prioritären natürlichen Lebensraumtyps oder das Überleben dieser prioritären Art unerlässlich ist und deswegen ein bilaterales Verfahren zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Kommission zum Vergleich der auf beiden Seiten verwendeten wissenschaftlichen Daten eingeleitet worden ist. Die Konzertierungsgebiete werden vom BMU im Bundesanzeiger bekannt gemacht.

2.4.2
Auf ein entsprechendes Ersuchen des BMU gibt das MURL eine Stellungnahme zum Konzertierungsgebiet ab. Es legt nach naturschutzfachlicher Prüfung durch die LÖBF/LAfAO dar, dass die Voraussetzungen für eine Aufnahme des Gebietes in das Europäische ökologische Netz "Natura 2000" nicht vorliegen oder es leitet ggf. ein Auswahl- und Meldeverfahren (nach Nr. 2.2 und 2.3) für dieses Gebiet ein.

2.4.3
Auch im Falle eines Konzertierungsgebietes ist eine Aufnahme in die Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung nur zulässig, wenn der betroffene Mitgliedstaat der Aufnahme zustimmt. Dies ergibt sich aus dem Einstimmigkeitserfordernis des Ratsbeschlusses nach Art. 5 Abs. 3 FFH-RL.

3
Vorläufige Schutzwirkungen der Bekanntmachung im Bundesanzeiger

3.1
Schutzgegenstand und Umfang

Für die im Bundesanzeiger bekannt gemachten Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung, Konzertierungsgebiete und Europäischen Vogelschutzgebiete gilt Folgendes:

1. In einem Gebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung bis zu dessen Unterschutzstellung oder einer sie ersetzenden Regelung nach Nr. 4.3.2,

2. in einem Konzertierungsgebiet bis zur Beschlussfassung des Rates über den Vorschlag der Europäischen Kommission und

3. in einem Europäischen Vogelschutzgebiet, soweit dafür nicht schon besondere Schutzvorschriften nach §§ 20, 21 und 42a ff LG oder alternative Schutzmaßnahmen nach Nr. 4.3.2 gelten, sind nach § 48c Abs. 4 LG alle Handlungen (Vorhaben, Maßnahmen, Veränderungen, Störungen) unzulässig, sofern sie zu erheblichen Beeinträchtigungen des Gebiets in seinen für die Erhaltungsziele maßgeblichen Bestandteilen (Lebensraumtypen oder Arten) führen können.

Für eine Verträglichkeitsprüfung von Projekten und Plänen finden die Nrn. 5 und 10 Anwendung.

Für Gebiete, die bereits nach §§ 20, 21 und 42a ff LG als Natur- und Landschaftsschutzgebiete festgesetzt oder ausgewiesen sind oder nach § 62 LG gesetzlich geschützt sind, gilt die Veränderungssperre nach § 48c Abs.4 LG nicht, da in diesen Fällen die notwendigen Ge- und Verbote zur Erreichung des Schutzzwecks bereits abschließend geregelt sind.

3.2
Mitteilung der Gebiete

Die oberste Landschaftsbehörde teilt den betroffenen Kreisen und kreisfreien Städten über die höheren Landschaftsbehörden die für ihren Verwaltungsbezirk im Bundesanzeiger aufgeführten Gebiete unter Beifügung einer Karte im Maßstab 1:25.000 (TK 25) und der Standarddatenbögen mit. Die unteren Landschaftsbehörden machen die in ihrem Gebiet gelegenen Gebiete ortsüblich mit einer Kartendarstellung bekannt. Die unteren Landschaftsbehörden unterrichten die kreisangehörigen Gemeinden. In der Bekanntmachung ist auf die Schutzwirkung des § 48c Abs. 4 LG hinzuweisen. Außerdem sind die für die Erhaltungsziele maßgeblichen Bestandteile, die Voraussetzung für die Meldung des Gebietes waren, zu nennen.

4
Schutzmaßnahmen

4.1
Schutzpflichten

4.1.1
Verpflichtungen des Naturschutzes

Die im Bundesanzeiger bekannt gemachten Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung sind so schnell wie möglich - spätestens aber bis zum 05.06.2004 (ausgehend von den Umsetzungsfristen in Art. 4 FFH-RL) - als besondere Schutzgebiete nach Art. 4 Abs.4 der FFH-RL auszuweisen. Dies kann durch eine Rechts- oder Verwaltungsvorschrift (Ausweisung als Natur- oder Landschaftsschutzgebiet gemäß §§ 20, 21 und 42a ff LG) und/oder auf Grund vertraglicher Vereinbarungen nach § 48c Abs. 3 LG geschehen. Deshalb haben die zuständigen Landschaftsbehörden jeweils zu prüfen, ob die Ziele der FFH-RL gemäß Art. 4 Abs. 4 FFH-RL auch durch vertragliche Vereinbarungen zu erzielen sind.

Dies gilt mit Ausnahme der datierten Umsetzungsfrist für die Europäischen Vogelschutzgebiete entsprechend, d.h. die notwendigen Schutzmaßnahmen dafür sind unverzüglich vorzunehmen (Art. 4 Abs. 4 Vogelschutz-RL i.V.m. der ständigen Rechtsprechung des EuGH, vgl. sog. "Lappel Bank-Urteil" vom 11.7.1996).

Bei der Verpflichtung, Schutzmaßnahmen (Schutzausweisung oder eine sie ersetzende Regelung nach Nr. 4.3.2) zu treffen, scheidet eine Abwägung hinsichtlich der Frage aus, ob eine Schutzerklärung nach § 48c Abs. 1 LG zu erfolgen hat, nicht aber hinsichtlich ihrer inhaltlichen Ausgestaltung und räumlichen Differenzierung (Kern- und Pufferzonen).

4.1.2
Handlungsbedarf für die Raumordnung

Vor Erlass der nach Nr. 4.1.1 vorzunehmenden naturschutzrechtlichen Schutzmaßnahmen sind im Gebietsentwicklungsplan entsprechende Ziele zum Schutz von Natur und Landschaft darzustellen, soweit nicht die Voraussetzungen des § 19c Abs. 3 oder Abs. 4 BNatSchG vorliegen.

Die naturschutzrechtlichen Schutzmaßnahmen haben gemäß § 16 Abs. 2 S. 1 und § 42a Abs. 1 S. 1 LG die Ziele der Raumordnung und Landesplanung zu beachten und die sonstigen Erfordernisse der Raumordnung zu berücksichtigen.

Dementsprechend muss auch die regionalplanerische Sicherung so schnell wie möglich - spätestens aber bis zum 31.12.2002 - im Zuge der Fortschreibung oder Änderung der Gebietsentwicklungspläne nach § 15 Abs. 5 u. 4 LPlG erfolgen. Entsprechende naturschutzrechtliche Verfahren können zeitlich parallel zu den regionalplanerischen Planverfahren geführt werden.

4.2
Raumordnerische Umsetzung

4.2.1
Art der regionalplanerischen Darstellung

Die Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung und die Europäischen Vogelschutzgebiete werden in den Gebietsentwicklungsplänen grundsätzlich als Freiraum mit der Funktion "Schutz der Natur (BSN)" und "Schutz der Landschaft und landschaftsorientierte Erholung (BSL)" dargestellt, wobei sich die jeweilige Schutzkategorie nach dem Schutzbedürfnis der jeweiligen Flächen richtet.

Wegen der Großflächigkeit der Gebiete werden häufig teilräumliche Differenzierungen des Schutzes notwendig sein. Dies betrifft vor allem großräumige Europäische Vogelschutzgebiete, aber auch großräumige Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung; sie werden nur in ihren wesentlichen Teilen als BSN und im Übrigen als BSL gesichert werden. Zur regionalplanerischen Darstellung holt die Bezirksplanungsbehörde eine Empfehlung der LÖBF/LAfAO ein.

Um im Gebietsentwicklungsplan kenntlich zu machen, welche der dargestellten Bereiche für den Schutz der Natur/Schutz der Landschaft den Rechtsfolgen der §§ 19a bis 19f BNatSchG bzw. §§ 48a bis 48e LG unterliegen, sollen die entsprechenden Gebiete schon nach erfolgter Meldung an die Europäische Kommission in einer Erläuterungskarte des Gebietsentwicklungsplans nachrichtlich dargestellt werden.

4.2.2
Überprüfung bestehender raumordnerischer Ziele

Im Meldeverfahren ist eine Abwägung zwischen einer naturschutzfachlich erforderlichen Gebietsmeldung und entgegenstehenden sozio-ökonomischen Ansprüchen unzulässig. Insofern ist es möglich, dass von der Landesregierung auch Gebiete gemeldet werden, für die andere, dem Naturschutz entgegenstehende raumordnerische Ziele festgelegt sind. Diese zum Zeitpunkt der Gebietsmeldung bestehenden Ziele der Raumordnung bleiben nur unberührt,

- wenn sie bereits in Pläne mit Plangewährleistung (vgl. Nr. 6.3) bzw. vorhabenbezogene Genehmigungen (vgl. Nr. 5.7) umgesetzt wurden oder

- wenn im Verfahren zu ihrer Aufstellung eine FFH-Verträglichkeitsprüfung gemäß Nr. 10.2 hinsichtlich der betroffenen Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung und der Europäischen Vogelschutzgebiete durchgeführt wurde.

Bestehende Ziele der Raumordnung, welche die oben genannten Voraussetzungen nicht erfüllen, bedürfen nach der Bekanntmachung der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung und der Europäischen Vogelschutzgebiete im Bundesanzeiger bezüglich bestehender Konflikte einer Überprüfung (FFH-Verträglichkeitsprüfung - vgl. Nr. 10.2) und gegebenenfalls Änderung gemäß § 15 Abs. 4 oder 5 LPlG. Eine Beibehaltung bestehender, beeinträchtigender raumordnerischer Ziele ist nur dann möglich, wenn zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses bestehen und zumutbare Alternativen im Sinne von § 19c Abs. 3 BNatSchG nicht gegeben sowie bei prioritären Lebensräumen oder prioritären Arten die Voraussetzung des § 19c Abs. 4 BNatSchG erfüllt sind.

Bei Beibehaltung der entgegenstehenden raumordnerischen Ziele kann im Gebietsentwicklungsplan angegeben werden, in welchen Bereichen die bei Realisierung der entgegenstehenden Ziele erforderlichen Ausgleichsmaßnahmen zur Sicherung der Kohärenz des europäischen Schutzgebietsnetzes durchzuführen sind.

Solange die Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung und die Europäischen Vogelschutzgebiete noch nicht in den Gebietsentwicklungsplänen dargestellt sind, haben die nachgeordneten Planungsträger bei der Bezirksplanungsbehörde anzufragen, ob für Plandarstellungen, die im Konflikt zu den Zielen der FFH- oder Vogelschutz-RL stehen könnten, bereits auf der Gebietsentwicklungsplanebene eine FFH-Verträglichkeitsprüfung durchgeführt worden ist. Ist dies nicht der Fall, ist die FFH-Verträglichkeitsprüfung vom Planungsträger durchzuführen.

4.3
Naturschutzmaßnahmen

4.3.1
Schutzausweisung

Bei der Ausweisung als geschützte Teile von Natur und Landschaft gemäß §§ 20, 21 und 42a LG (Natur- und Landschaftsschutzgebiete) sind der Schutzgegenstand, der Schutzzweck sowie die zur Erreichung des Schutzzwecks notwendigen Gebote und Verbote im Hinblick auf die jeweiligen Erhaltungsziele nach der FFH- oder Vogelschutz-RL zu bestimmen.

In Bezug auf den besonderen Schutzzweck soll auch dargestellt werden, ob prioritäre Biotope oder prioritäre Arten zu schützen sind und ggf. durch welche Pflege- und Entwicklungsmaßnahmen die Erhaltung oder Wiederherstellung des Gebietes in einem dem Schutzzweck entsprechenden Zustand gewährleistet werden sollen. Über ggf. aufzustellende Pflege- und Entwicklungspläne sind die Eigentümer und sonstigen Berechtigten mit der Möglichkeit zur Stellungnahme zu informieren.

4.3.2
Alternative Schutzmaßnahmen

Eine Ausweisung als geschützter Teil von Natur und Landschaft kann unterbleiben, soweit unter Berücksichtigung einer jeweils erforderlichen Drittwirkung einer Schutzausweisung ein gleichwertiger Schutz nach anderen Rechtsvorschriften, nach Verwaltungsvorschriften, durch die Verfügungsbefugnis eines öffentlichen oder gemeinnützigen Trägers oder durch vertragliche Vereinbarungen gewährleistet ist. So wird in vielen Fällen der Schutzzweck auch durch vertragliche Vereinbarungen, die eine Grundschutzausweisung ergänzen oder ersetzen, gewährleistet werden können.

Zu den gleichwertigen, den Schutzzweck gewährleistenden anderen Rechtsvorschriften können insbesondere auch § 62 LG (Gesetzlich geschützte Biotope), § 49 LFoG (Schutzwald, Naturwaldzellen), § 19 WHG/§ 14 LWG (Wasserschutzgebiete) gehören.

5
Verträglichkeit von Projekten

5.1
Begriffsbestimmungen

Nach § 48d Abs. 1 Satz 1 LG ist vor der Zulassung oder Durchführung eines Projektes dessen Verträglichkeit mit den Erhaltungszielen eines Gebietes von gemeinschaftlicher Bedeutung oder eines Europäischen Vogelschutzgebietes zu überprüfen (FFH-Verträglichkeitsprüfung). Dies gilt jedenfalls nicht für Projekte, die vor dem 9. Mai 1998 (Inkrafttreten des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes) bestandskräftig zugelassen waren.

5.1.1
Projekte sind nach § 19a Abs. 2 Nr. 8 BNatSchG

a) Vorhaben und Maßnahmen innerhalb eines Gebiets von gemeinschaftlicher Bedeutung oder eines Europäischen Vogelschutzgebietes, sofern sie einer behördlichen Entscheidung oder einer Anzeige an eine Behörde bedürfen oder von einer Behörde durchgeführt werden,

b) Eingriffe in Natur und Landschaft im Sinne des § 8 BNatSchG und § 4 LG, sofern sie einer behördlichen Entscheidung oder einer Anzeige an eine Behörde bedürfen oder von einer Behörde durchgeführt werden und

c) nach dem BImSchG genehmigungsbedürftige Anlagen sowie Gewässerbenutzungen, die nach dem WHG einer Erlaubnis oder Bewilligung bedürfen,

soweit sie einzeln oder im Zusammenwirken mit anderen Projekten oder Plänen (Summation) geeignet sind, ein Gebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung oder ein Europäisches Vogelschutzgebiet erheblich zu beeinträchtigen.

Durch den im Buchstaben a) genannten Tatbestand wird das gesamte Störpotential erfasst, das von Vorhaben und Maßnahmen innerhalb des Gebietes ausgehen kann. Dazu können auch Vorhaben und Maßnahmen gehören, welche die Tatbestände der Buchstaben b) und c) erfüllen.

Projekte, die von außerhalb ein Gebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung oder ein Europäisches Vogelschutzgebiet nachteilig beeinflussen können, können also nur Projekte im Sinne der Buchstaben b) und c) sein. Darunter fallen auch Eingriffe, die nach § 6 Abs. 4 LG genehmigungspflichtig sind, wie z.B. Energieleitungen nach dem EnWG.

Die Tätigkeiten oder Maßnahmen der täglichen Wirtschaftsweise in der Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft nach den Grundsätzen der guten fachlichen Praxis sind keine Projekte nach § 19a Abs. 2 Nr. 8 BNatSchG, wenn sie keiner behördlichen Entscheidung oder Anzeige an eine Behörde bedürfen. Entsprechendes gilt für Genehmigungen nach § 3 Abs. 4 Düngeverordnung.

5.1.2
Erhaltungsziele sind nach § 19a Abs. 2 Nr. 7 BNatSchG Erhaltung oder Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustands (s. Art. 1 Buchstabe e) 2. Abs. FFH-RL)

a) der in Anhang I der FFH-RL aufgeführten natürlichen Lebensräume und der in Anhang II dieser Richtlinie aufgeführten Tier- und Pflanzenarten, die in einem Gebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung vorkommen,

b) der in Anhang I der Vogelschutz-RL aufgeführten und der in Art. 4 Abs. 2 dieser Richtlinie genannten Vogelarten sowie ihrer Lebensräume, die in einem Europäischen Vogelschutzgebiet vorkommen.

5.2
Notwendigkeit der Durchführung einer FFH-Verträglichkeitsprüfung (Prüfungsveranlassung)

Eine FFH-Verträglichkeitsprüfung ist immer dann durchzuführen, wenn die Möglichkeit besteht, dass das Projekt einzeln oder im Zusammenwirken mit anderen Projekten oder Plänen (Summation) eines der vorgenannten Gebiete erheblich beeinträchtigen könnte (vgl. Art. 6 Abs. 3 Satz 1 FFH-RL).

Die Frage, ob das Projekt tatsächlich zu einer erheblichen Beeinträchtigung führen kann, ist dagegen erst im Rahmen der FFH-Verträglichkeitsprüfung selbst zu beantworten (vgl. § 48d Abs. 4 LG) (siehe auch Nr. 5.5.2).

Vorkehrungen zur Vermeidung oder Minderung schädlicher Auswirkungen des Projektes auf ein Gebiet können bei der Feststellung, ob eine FFH-Verträglichkeitsprüfung durchgeführt werden muss, nur dann schon berücksichtigt werden, wenn durch sie offensichtlich und eindeutig eine erhebliche Beeinträchtigung ausgeschlossen werden kann.

Die Frage, ob die Durchführung einer FFH-Verträglichkeitsprüfung notwendig ist, prüft und entscheidet die verfahrensführende Behörde (s. Nr. 10.1.1) im Benehmen mit der Landschaftsbehörde ihrer Verwaltungsebene. Dafür hat der Vorhabenträger diejenigen Unterlagen und Angaben beizubringen, die die Beurteilung zulassen, ob eine erhebliche Beeinträchtigung des Gebietes eintreten kann oder nicht.

5.3
Maßstäbe (Prüfungsumfang)

Die Maßstäbe für die Verträglichkeit eines Projektes ergeben sich aus den besonderen Erhaltungszielen für das jeweilige Gebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung oder für das jeweilige Europäische Vogelschutzgebiet. Soweit dafür eine Schutzgebietsausweisung vorliegt, ergeben sich die Maßstäbe für die Verträglichkeit aus dem besonderen Schutzzweck und den dazu erlassenen Geboten und Verboten sowie aus den für die Europäische Kommission erstellten Meldeunterlagen.

Liegt (noch) keine Schutzgebietsausweisung vor, so sind auch andere fachliche Vorgaben des Naturschutzes und der Landschaftspflege für das betreffende Gebiet (z.B. im Fachbeitrag des Naturschutzes und der Landschaftspflege nach § 15a LG, Biotopkataster NRW, Meldeunterlagen) unter Berücksichtigung der besonderen Ziele der FFH- oder der Vogelschutz-RL heranzuziehen, soweit sie eine Bewertung der gemeinschaftlichen Bedeutung beinhalten.

Bei der Bewertung der Verträglichkeit wird zur Sachverhaltsfeststellung empfohlen, vergleichbare naturschutzfachliche Bewertungsmethoden und -maßstäbe wie bei der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung zu berücksichtigen.

5.4
Verknüpfung mit anderen Verfahren

Die Verträglichkeitsprüfung nach § 48d Abs. 4 LG wird im Rahmen des behördlichen Verfahrens durchgeführt, das für die Gestattung des Projektes oder zu seiner Anzeige vorgeschrieben ist.

Zur Durchführung der FFH-Verträglichkeitsprüfung kann ggf. an eine für das Projekt notwendige Umweltverträglichkeitsprüfung oder an eine Prüfung nach der Eingriffsregelung angeknüpft werden. Die Anknüpfung bezieht sich jedoch nur auf die Frage, ob das Projekt zu einer erheblichen Beeinträchtigung des Gebiets in seinen für die Erhaltungsziele oder den Schutzzweck maßgeblichen Bestandteilen führen kann. Die Umweltverträglichkeitsprüfung und die Prüfung nach der Eingriffsregelung haben in diesem Fall die vorgenannten besonderen Prüfungsvorgaben der FFH- und der Vogelschutz-RL in einem eigenen Kapitel gesondert darzustellen und zu bewerten. Soweit bereits eine Umweltverträglichkeitsprüfung oder eine Prüfung nach der Eingriffsregelung durchgeführt worden ist, macht das eine FFH-Verträglichkeitsprüfung nicht entbehrlich.

Eine Anknüpfung an bereits durchgeführte Umweltverträglichkeitsstudien ist nur dann möglich, wenn darin bereits auch das Datenmaterial und die besonderen Aspekte der Verträglichkeit nach der FFH-RL enthalten sind. In diesem Fall ist eine ergänzende FFH-Verträglichkeitsprüfung erforderlich.

5.5
Unzulässigkeit (Prüfungsergebnis)

Ergibt die Prüfung, dass das Projekt einzeln oder im Zusammenwirken mit anderen Projekten oder Plänen (Summation) zu einer erheblichen Beeinträchtigung des Gebietes in seinen für die Erhaltungsziele oder den Schutzzweck maßgeblichen Bestandteilen führen kann, ist es unzulässig; es sei denn, es liegt eine Ausnahme nach Nr. 5.6 vor.

5.5.1 Eine Beeinträchtigung liegt dann vor, wenn entweder einzelne Faktoren eines Wirkungsgefüges, z.B. eines Ökosystems, oder das Zusammenspiel der Faktoren derart beeinflusst werden, dass die Funktionen des Systems gestört werden (Flächen- und/oder Funktionsverluste).

Erheblich ist eine Beeinträchtigung, wenn die Veränderungen und Störungen in ihrem Ausmaß oder in ihrer Dauer dazu führen, dass ein Gebiet seine Funktionen in Bezug auf die Erhaltungsziele der FFH- bzw. Vogelschutz-RL oder die für den Schutzzweck maßgeblichen Bestandteile nur noch in eingeschränktem Umfang erfüllen kann.

Je schutzwürdiger das Habitat oder die Art ist, um derentwillen das besondere Schutzgebiet eingerichtet ist, desto eher wird eine erhebliche Beeinträchtigung anzunehmen sein. Von dieser Annahme ist immer dann auszugehen, wenn nicht nur kleinflächige räumliche Teile oder nicht nur unwesentliche Funktionen des besonderen Schutzgebietes verloren gehen.

Ob eine erhebliche Beeinträchtigung vorliegt, kann letztlich nur im Einzelfall beurteilt werden.

5.5.2
Von einer erheblichen Beeinträchtigung kann z.B. in folgenden Fällen in der Regel nicht ausgegangen werden:

- Privilegierte Vorhaben im Außenbereich gemäß § 35 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 BauGB im räumlichen Zusammenhang mit der vorhandenen Hofstelle des land- oder forstwirtschaftlichen Betriebes oder des Gartenbaubetriebes

- Begünstigte Vorhaben im Außenbereich nach § 35 Abs. 4 BauGB

- Schließung von Baulücken im unbeplanten Innenbereich nach § 34 BauGB

- Vorhaben und Maßnahmen nach § 4 Abs. 3 Landschaftsgesetz

- Unterhaltung und Ausbau von Wirtschaftswegen und sonstigen gemeindlichen Wander- und Radwegen

- Unterhaltung und Instandsetzung von Ver- und Entsorgungsleitungen/-anlagen

- Unterhaltung von Deichen

- Nutzungsänderungen im vorhandenen Gebäudebestand einschließlich der bisherigen nicht landwirtschaftlichen Nutzung

- Ordnungsgemäße Gewässerunterhaltung und Unterhaltung von Dränungen

- Ausübung von Sport, Freizeit- und Erholungstätigkeiten in der freien Landschaft und im Wald, soweit nicht Rechtsvorschriften entgegenstehen

- Nach § 6b LFoG anzeigepflichtige Maßnahmen des forstlichen Wegebaus zum Aus- und Rückbau sowie zur Instandsetzung vorhandener Forstwirtschaftswege

- Bestandsorientierte Ausbaumaßnahmen bestehender Verkehrswege (z.B. Anbau von Rad- und Gehwegen, Kurvenstreckungen, Verbreiterungen oder Bau von P+R-Parkplätzen an Bahnhöfen), es sei denn, die Trassenführung überlagert unmittelbar prioritäre Lebensräume oder Lebensräume von prioritären Arten oder Brutplätze der nach Art. 4 Abs. 1 und 2 Vogelschutz-RL zu schützenden Vogelarten. Beim Ausbau bestehender Autobahnen oder Verkehrsanlagen des ÖPNV können ebenfalls je nach Art und Umfang der Baumaßnahme erhebliche Beeinträchtigungen nicht gegeben sein.

- Genehmigungsfreie Vorhaben gemäß § 65 Abs. 1 bis 3 BauO NW mit Ausnahme der Vorhaben im baulichen Außenbereich nach Nr. 10, 12, 15, 17, 23, 26, 31 und 32, soweit letztere innerhalb eines Gebietes von gemeinschaftlicher Bedeutung oder eines Europäischen Vogelschutzgebietes liegen

- Bauliche Anlagen im Sinne von § 2 Abs.1 der BauO NW außerhalb eines Gebietes von gemeinschaftlicher Bedeutung oder eines Europäischen Vogelschutzgebietes bei Einhaltung eines Mindestabstands von 300 Metern mit Ausnahme der Anlagen nach § 2 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 BauO NW (Abgrabungen), es sei denn, es bestehen Anhaltspunkte dafür, dass im konkreten Fall trotz Einhaltung des Mindestabstands wegen der Besonderheiten des Projekts eine erhebliche Beeinträchtigung hervorgerufen wird. Sollen bauliche Anlagen innerhalb des Mindestabstandes von 300 m errichtet werden, ist im Einzelfall zu prüfen, ob tatsächlich eine erhebliche Beeinträchtigung der Gebiete vorliegen kann.

Für Windenergieanlagen gilt der Gemeinsame RdErl. vom 29.11.1996 (MBl. NW.S. 1864/SMBl. NW. 2310) in der jeweils geltenden Fassung.

Sofern Erweiterungen vorhandener, legal ausgeübter Nutzungen (dazu gehören auch solche im Bereich von Sport, Freizeit und Erholung) und genehmigter Anlagen nach Art und Umfang den Verboten und Geboten für das betroffene Naturschutzgebiet oder Landschaftsschutzgebiet oder sonstigen Rechtsvorschriften nicht zuwiderlaufen, stellen sie in der Regel keine erhebliche Beeinträchtigung der für die Erhaltungsziele maßgeblichen Bestandteile des FFH- oder Europäischen Vogelschutzgebietes dar, so dass in diesen Fällen eine FFH-Verträglichkeitsprüfung nicht erforderlich ist.

5.6
Ausnahmen

Wenn ein Projekt zu einer erheblichen Beeinträchtigung eines FFH- oder Europäischen Vogelschutzgebiets führen kann, darf es abweichend von § 48d Abs. 4 LG nur zugelassen werden, wenn folgende Voraussetzungen vorliegen:

5.6.1
Eine zumutbare Alternative darf nicht gegeben sein, d.h. der mit dem Projekt verfolgte Zweck kann an anderer Stelle ohne oder mit geringeren Beeinträchtigungen nicht erreicht werden (§ 48d Abs. 5 Nr. 2 LG).

Bei der Prüfung, ob eine Alternative vorhanden ist, ist von den Zielen auszugehen, die mit dem Projekt erreicht werden sollen. Es stellt sich somit die Frage, ob es Alternativlösungen für den Standort oder die Ausführungsart gibt, nicht jedoch, ob auf das Projekt ganz verzichtet werden kann. Durch die Alternative müssen allerdings die mit dem Projekt angestrebten Ziele jeweils im wesentlichen in vergleichbarer Weise verwirklicht werden können; den durch das Projekt verfolgten Interessen muss durch die Wahl eines anderen Standortes oder einer anderen Art der Ausführung entsprochen werden können. Bei der Beurteilung der Zumutbarkeit von Alternativen ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Betriebswirtschaftliche Erwägungen allein sind dafür nicht ausschlaggebend, da auch finanziell aufwendigere Lösungen grundsätzlich als "zumutbare Alternativen" in Betracht kommen.

5.6.2
Das Projekt ohne zumutbare Alternative nach Nr. 5.6.1 muss aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses einschließlich solcher sozialer und wirtschaftlicher Art notwendig sein (§ 48d Abs. 5 Nr. 1 LG).

Als öffentliches Interesse kommen alle Belange in Betracht, die dem Wohl der Allgemeinheit dienen. Private, nicht zugleich öffentlichen Interessen dienende Projekte kommen damit als Rechtfertigung für die Zulassung von Ausnahmen von vornherein nicht in Betracht. Zu den öffentlichen Interessen gehören auch solche wirtschaftlicher oder sozialer Art. Deshalb können auch private Projekte im Einzelfall im öffentlichen Interesse liegen.

Allerdings genügt nicht jedes öffentliche Interesse, um ein Projekt zu rechtfertigen. Vielmehr muss das öffentliche Interesse, das mit dem Projekt verfolgt wird, im einzelnen Fall gewichtiger sein als die im konkreten Fall betroffenen und mit der FFH- und Vogelschutz-RL geschützten Interessen (überwiegendes öffentliches Interesse). Die Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses müssen zwingend sein.

5.6.3
Das Verfahren zur Zulassung von Ausnahmen aus Gründen im Sinne des § 48d Abs. 5 Nr. 1 LG ist durch § 48 d Abs. 6 LG modifiziert, wenn sich in dem von dem Projekt betroffenen Gebiet prioritäre Biotope oder prioritäre Arten befinden und diese gemäß Nr. 5.5.1 erheblich beeinträchtigt werden.

Zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses sind in diesem Fall zunächst nur solche im Zusammenhang mit der Gesundheit des Menschen, der öffentlichen Sicherheit einschließlich der Landesverteidigung und des Schutzes der Zivilbevölkerung oder Projekte, die maßgeblich günstige Auswirkungen auf die Umwelt haben.

Andere zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses können nur berücksichtigt werden, wenn zuvor die zuständige Behörde über das BMU eine Stellungnahme der Europäischen Kommission eingeholt hat (vgl. Nr. 10.1.4).

Die Stellungnahme der Europäischen Kommission ist in der Abwägung über die Zulassung oder Durchführung des Projekts zu berücksichtigen. Die Behörde hat sich also mit der Kommissionsauffassung inhaltlich auseinander zu setzen, ist aber nicht daran gebunden (vgl. Nr.10.1.5).

5.6.4
Wird ein Projekt nach § 48d Abs. 5 oder 6 LG zugelassen oder durchgeführt, sind alle notwendigen Maßnahmen zur Sicherung des Zusammenhangs des Europäischen ökologischen Netzes "Natura 2000" (Maßnahmen) oder die dafür erforderlichen Kosten dem Projektträger aufzuerlegen (§ 48d Abs. 7 Satz 1 LG). Art und Umfang der Maßnahmen sind einer Abwägung nicht zugänglich, d.h. es hat ein vollständiger Funktionsausgleich für das Europäische ökologische Netz "Natura 2000" zu erfolgen.

Falls nur geringe Funktionsbeeinträchtigungen auftreten, kann es ausreichend sein, die Beeinträchtigungen innerhalb des konkret betroffenen Gebietes auszugleichen. Bei Flächenverlusten und schweren Funktionsbeeinträchtigungen wird es dagegen nötig sein, neue Lebensräume für das Netzwerk "Natura 2000" zu schaffen und nachzumelden.

Die zuständige Behörde unterrichtet nach ihrer Entscheidung über das Projekt die Europäische Kommission über die angeordneten Ausgleichsmaßnahmen (§ 48d Abs. 7 Satz 2 LG). Die Unterrichtung erfolgt in gleicher Weise wie die Einholung der Stellungnahme der Europäischen Kommission nach Nr. 5.6.3 (vgl. zum Verfahren Nr.10.1.4).

5.7
Bestandsschutz

Zulassungen von Vorhaben und Maßnahmen, die Rechte und Pflichten begründen, bleiben von der Verpflichtung zur Durchführung einer FFH-Verträglichkeitsprüfung nach § 48d LG jedenfalls dann unberührt, wenn sie vor dem 9. Mai 1998 bestandskräftig geworden sind. Gleiches gilt für durch Gesetz oder durch Rechtsverordnung zugelassene oder vorgeschriebene Maßnahmen.

Dazu zählen bestandskräftige Verwaltungsakte (z.B. Baugenehmigung, immissionsschutzrechtliche Genehmigung, wasserrechtliche Erlaubnis und Bewilligung, Planfeststellung nach Straßen-, Wasser- und Luftverkehrsrecht, bergrechtliche Betriebsplanzulassungen oder Abgrabungsgenehmigung), durch die ein Vorhaben zugelassen worden ist.

Zu den gesetzlich zugelassenen oder vorgeschriebenen Maßnahmen zählen z.B. die ordnungsgemäße Unterhaltung von Straßen und Gewässern oder technische Einrichtungen zur Einhaltung des Standes der Technik bei bestehenden Anlagen.

Im übrigen wird auf die Regelungen in Nr. 5.5.2 letzter Absatz hingewiesen.

6
Verträglichkeit von Plänen

6.1
Begriffsbestimmungen

Nach § 19d BNatSchG/§ 48d Abs. 8 LG sind auch Pläne auf die Verträglichkeit mit den Erhaltungszielen eines Gebietes von gemeinschaftlicher Bedeutung oder eines Europäischen Vogelschutzgebietes entsprechend § 19c BNatSchG/§48d Abs. 1 bis 7 LG zu überprüfen.

Pläne im Sinne der Vorschrift von § 19a Abs. 2 Nr. 9 BNatSchG sind z.B.

a) Gesamtplanungen

- Raumordnungspläne:

Landesentwicklungsplan NRW (§ 13 LPlG)

Gebietsentwicklungsplan (§ 14 LPlG)

Braunkohlenplan (§ 24 LPlG)

- Bauleitplanung:

Flächennutzungsplan (§ 5 BauGB)

Bebauungsplan (§ 30 BauGB) einschließlich vorhabenbezogener Bebauungsplan (§ 12 BauGB)

Ergänzungssatzungen nach § 34 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 BauGB

b) Fachplanungen

- Linienbestimmung bzw. Linienabstimmung nach

§ 16 Bundesfernstraßengesetz (FStrG),

§ 13 Bundeswasserstraßengesetz (WaStrG),

§ 2 Abs. 1 Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz,

§ 37 Straßen- und Wegegesetz (StrWG)

c) sonstige Pläne i.S.d. § 19a Abs. 2 Nr. 9 BNatSchG

- wasserwirtschaftlicher Rahmenplan (§ 36 WHG, § 20 LWG)

- wasserwirtschaftlicher Bewirtschaftungsplan (§ 36b WHG, § 21 LWG)

- Abwasserbeseitigungsplan (§ 18 a WHG, §§ 55, 56 LWG)

- Abfallwirtschaftsplan (§ 29 Abs. 1 KrW-/AbfG)

- Luftreinhalteplan (§ 47 BImSchG)

- Lärmminderungsplan (§47a BImSchG).

Die Verpflichtung zur Durchführung der FFH-Verträglichkeitsprüfung für Raumordnungspläne sowie Bauleitpläne und Satzungen nach § 34 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 BauGB ergibt sich unmittelbar aus den für diese Planungen geltenden besonderen gesetzlichen Bestimmungen (§ 19d Satz 1 Nr. 2 und Satz 2 BNatSchG).

6.2
Abstände in der Bauleitplanung

Von einer erheblichen Beeinträchtigung von Gebieten von gemeinschaftlicher Bedeutung und von Europäischen Vogelschutzgebieten durch in Flächennutzungsplänen darzustellende Bauflächen im Sinne des § 1 Abs. 1 BauNVO / § 5 Abs. 2 BauGB und in Bebauungsplänen auszuweisende Baugebiete im Sinne des § 1 Abs. 2 BauNVO / § 9 Abs. 1 BauGB kann bei Einhaltung eines Mindestabstands von 300 m zu den Gebieten in der Regel nicht ausgegangen werden.

Diese Regelvermutung gilt nicht für

- Planfeststellungsersetzende Festsetzungen und

- bauliche Anlagen nach § 2 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 BauO NW (Aufschüttungen, Abgrabungen).

Sie gilt ferner nicht, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass durch die beabsichtigte Darstellung von Bauflächen bzw. die Ausweisung von Baugebieten trotz Einhaltung des Mindestabstandes erhebliche Beeinträchtigungen hervorgerufen werden können (z.B. bei Industriegebieten).

Ansonsten gilt für die FFH-Verträglichkeitsprüfung die Nr. 5 entsprechend.

6.3
Plangewährleistung

Jedenfalls Pläne, in denen über die Behördenverbindlichkeit hinaus vor dem 9. Mai 1998 Rechte für Dritte begründet worden sind, deren Entzug den Tatbestand einer Enteignung oder einer entschädigungspflichtigen Inhaltsbestimmung des Eigentums darstellen würde, bleiben von den Verpflichtungen der §§ 19c ff BNatSchG/§ 48d LG unberührt.

Beispiele für solche Pläne sind u.a. rechtsverbindliche Bebauungspläne (§ 30 BauGB) und rechtsverbindliche Ergänzungssatzungen (§ 34 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 BauGB).

Beispiele für Pläne ohne Plangewährleistung sind der Landesentwicklungsplan NRW, die Gebietsentwicklungspläne, Linienbestimmungen und in der Regel die Flächennutzungspläne.

7
Emissionsbedingte Belastungen

§ 19e BNatSchG betrifft den Sonderfall der FFH-Verträglichkeitsprüfung im immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren. Die Vorschrift tritt an die Stelle des § 19c Abs. 2 BNatSchG und enthält insofern eine abschließende Regelung für die Genehmigung von Anlagen nach dem BImSchG im Hinblick auf ihre Verträglichkeit mit den Zielen der FFH- und Vogelschutz-RL.

Inhaltliche Abweichungen bestehen für die Durchführung der FFH-Verträglichkeitsprüfung nicht. Es kann daher auf die Ausführungen zu Nr. 5 verwiesen werden.

8
Gewässerbenutzungen

Die FFH-Verträglichkeitsprüfung für die Erlaubnis und Bewilligung von Gewässerbenutzungen richtet sich nach der Sondervorschrift des § 6 Abs. 2 WHG. Sie tritt an die Stelle des §19c BNatSchG und enthält insoweit eine besondere Voraussetzung für die wasserrechtliche Zulassung von Gewässerbenutzungen im Hinblick auf ihre Verträglichkeit mit den Zielen der FFH- und Vogelschutz-RL. Sie weist gleichzeitig darauf hin, dass der Anwendungsbereich der FFH-Verträglichkeitsprüfung sich auch auf die Konzertierungsgebiete i.S.d. § 19a Abs. 2 Nr. 3 BNatSchG erstreckt.

Inhaltliche Abweichungen für die Durchführung der FFH-Verträglichkeitsprüfung bestehen nicht. Es wird daher auf die Ausführungen zu Nr. 5 verwiesen.

9
Verhältnis zu anderen Rechtsvorschriften

9.1
Baurecht

9.1.1
Die FFH-Verträglichkeitsprüfung gemäß § 19c BNatSchG wird auf Vorhaben im Sinne des § 29 BauGB in Gebieten mit Bebauungsplänen nach § 30 BauGB nicht angewendet, weil sie nach § 1a Abs. 2 Nr. 4 BauGB schon bei der Aufstellung des Bebauungsplans ggf. durchzuführen ist. Der vorhabenbezogene Bebauungsplan nach § 12 BauGB ist ein Unterfall des Bebauungsplans nach § 30 BauGB, so dass Vorhaben danach keiner FFH-Verträglichkeitsprüfung mehr unterliegen. Eine FFH-Verträglichkeitsprüfung ist ferner nicht für Vorhaben erforderlich, die nach § 33 BauGB während der Aufstellung eines Bebauungsplans zugelassen werden, da auch hier die FFH-Verträglichkeitsprüfung bei der Aufstellung des Bebauungsplans erfolgt.

Die Nrn. 7 und 8 bleiben unberührt.

9.1.2
Vorhaben innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile nach § 34 BauGB, Vorhaben im Außenbereich nach § 35 BauGB sowie die eine Planfeststellung ersetzenden Bebauungspläne erfordern dagegen eine FFH-Verträglichkeitsprüfung nach § 19c BNatSchG (§ 29 Abs. 3 BauGB). Ist die FFH-Verträglichkeitsprüfung schon beim Erlass einer Ergänzungssatzung nach § 34 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 BauGB durchgeführt worden, bedarf es einer solchen bei der Zulassung eines Vorhabens im Bereich dieser Satzung nicht mehr.

Wie unter Nr. 5.5.2 im Einzelnen aufgeführt, bedarf es in den dort genannten Fällen einer FFH-Verträglichkeitsprüfung grundsätzlich nicht bei der Schließung von Baulücken innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile nach § 34 BauGB sowie bei privilegierten Vorhaben im Außenbereich gemäß § 35 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BauGB und bei begünstigten Vorhaben im Außenbereich nach § 35 Abs. 4 BauGB.

9.2
Naturschutzrecht

9.2.1
Die Vorschrift des § 48e Abs. 1 LG befasst sich mit dem Verhältnis der FFH-Verträglichkeitsprüfung zu anderen Vorschriften über geschützte Teile von Natur und Landschaft und für gesetzlich geschützte Biotope. Danach sollen die Vorschriften über die FFH-Verträglichkeitsprüfung nur insoweit Anwendung finden, als die Schutzvorschriften z.B. in Naturschutzverordnungen oder nach § 62 LG keine strengeren Regeln für die Zulassung von Projekten enthalten. Das Gesetz folgt hier dem Grundsatz, dass die jeweils strengeren Vorschriften zum Schutz der Natur einschließlich der Vorschriften für Ausnahmen und Befreiungen Anwendung finden sollen.

Gleichwohl verbleibt es bei der Verpflichtung zur Beteiligung und Unterrichtung der Europäischen Kommission nach Nr. 5.6.3 und 5.6.4 (vgl. zum Verfahren Nrn. 10.1.4 und 10.1.5).

Die Maßstäbe für die Verträglichkeit eines Projekts mit den Erhaltungszielen oder dem Schutzzweck nach der FFH- und der Vogelschutz-RL sind also der (Schutz-)Festsetzung des Landschaftsplans oder der ordnungsbehördlichen Verordnung oder dem Tatbestand des § 62 LG zu entnehmen, soweit diese strengere Voraussetzungen für die Zulässigkeit des Projektes enthalten.

Die Notwendigkeit der Erteilung einer Ausnahme oder Befreiung nach den Vorschriften oder auf Grund des LG erlassener Vorschriften bleibt unberührt.

Die Ausnahme oder Befreiung ersetzt keine FFH-Verträglichkeitsprüfung; umgekehrt ersetzt auch die FFH-Verträglichkeitsprüfung nicht die Befreiung. Die für die Ausnahme oder Befreiung geltenden Maßstäbe werden jedoch auch für die FFH-Verträglichkeitsprüfung verwandt, soweit sie strengere Voraussetzungen für die Zulassung des Projektes enthalten.

9.2.2
Bei § 48e Abs. 2 LG handelt es sich um eine Klarstellung: Die FFH-Verträglichkeitsprüfung nach der FFH-RL ersetzt nicht die Anwendung der Eingriffsregelung nach den §§ 4 bis6 LG und den Vorschriften über die Integration der Eingriffsregelung in die Bauleitplanung gemäß § 8a BNatSchG. Auch die Vorschrift des § 9 BNatSchG (Verfahren der Beteiligung von Behörden des Bundes) ist weiterhin anzuwenden.

10
Verfahren zur Durchführung der FFH-Verträglichkeitsprüfung

10.1
Verfahren bei Projekten

10.1.1
Die Verträglichkeit des Projekts wird von der Behörde geprüft, die nach anderen Rechtsvorschriften für die behördliche Gestattung oder die Entgegennahme einer Anzeige zuständig ist (sog. Huckepack-Verfahren durch die verfahrensführende Behörde). Sie trifft ihre Entscheidung im Benehmen mit der Landschaftsbehörde ihrer Verwaltungsebene oder bei Planfeststellungsverfahren unter Berücksichtigung der Vorschläge dieser Landschaftsbehörde (§ 48d Abs. 2 LG).

Wenn für die Zulassung oder Durchführung des Projekts eine Umweltverträglichkeitsprüfung oder eine Prüfung nach der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung stattfindet, soll die FFH-Verträglichkeitsprüfung nach § 48d LG soweit wie möglich mit den Prüfschritten dieses Verfahrens verbunden werden.

Die Notwendigkeit einer Anhörung der Öffentlichkeit i. S. d. Art. 6 Abs. 3 Satz 2 FFH-RL richtet sich nach den Vorschriften, die für die Zulassung des jeweiligen Projekts maßgebend sind.

Bei gestuften Genehmigungen und Zulassungen ist die FFH-Verträglichkeitsprüfung - soweit möglich - in einem frühen Verfahren entsprechend seinem Konkretisierungsgrad und, soweit der Gegenstand des Verfahrens es zulässt, abschließend durchzuführen.

10.1.2
Bei Projekten, die ein Gebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung oder ein Europäisches Vogelschutzgebiet einzeln oder im Zusammenhang mit anderen Projekten und Plänen erheblich beeinträchtigen können, hat der Projektträger in den nach anderen Rechtsvorschriften vorgeschriebenen behördlichen Gestattungs- oder Anzeigeverfahren alle Angaben zu machen, die zur Beurteilung der Verträglichkeit des Projekts erforderlich sind (§ 48d Abs. 3 LG).

Zur optimalen Verfahrensvorbereitung empfiehlt es sich in der Regel bei UVP-pflichtigen Projekten in einem Scoping-Termin Gegenstand, Umfang und Methoden der durchzuführenden FFH-Verträglichkeitsprüfung sowie sonstige für ihre Durchführung erheblichen Fragen zu erörtern. In diesem Falle sind, sofern nicht ohnehin bei der Zulassung des Projekts nach Bundes- oder Landesrecht eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen ist, die Bestimmungen des § 5 UVPG (Unterrichtung über den voraussichtlichen Untersuchungsrahmen) entsprechend anzuwenden.

In Anlehnung an die Darlegungslast der Eingriffsregelung im § 6 Abs. 2 LG sind daher vom Projektträger insbesondere folgende Angaben zu machen:

- Benennung und Beschreibung des Gebiets unter Hervorhebung der prioritären Lebensräume und der Lebensräume prioritärer Arten sowie der Brutplätze der nach Art. 4 Abs. 1 und 2 Vogelschutz-RL zu schützenden Vogelarten.

- Hinweis auf bestehende naturschutzrechtliche Schutzausweisungen sowie deren beabsichtigte Überwindung (z.B. Ausnahme oder Befreiung) oder anderer Schutzausweisungen.

- Beschreibung des Projekts und Prognose seiner Auswirkungen auf das betroffene Gebiet (incl. möglicherweise betroffener prioritärer Lebensräume oder Lebensräume prioritärer Arten oder Brutplätze von nach Art. 4 Abs. 1 und 2 Vogelschutz-RL zu schützenden Vogelarten) unter Berücksichtigung möglicher Summationseffekte.

- Alternativenprüfung.

- Darlegung der zwingenden Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses für die beabsichtigte Zulassung des Projekts.

- Darstellung der vorgesehenen Ausgleichsmaßnahmen und ihre Eignung zur Sicherstellung der Kohärenz von "Natura 2000".

Bei UVP-pflichtigen Projekten empfiehlt sich in der Regel zur Konzentration und Beschleunigung der FFH-Verträglichkeitsprüfung, dass der Projektträger sich bei der Erstellung der von ihm zu erbringenden Darlegungen eines besonderen Sachverständigengutachtens bedient.

10.1.3
Die verfahrensführende Behörde holt zur Vorbereitung ihrer Entscheidung über die Verträglichkeit des Projekts eine Stellungnahme der Landschaftsbehörde ihrer Verwaltungsebene ein. Dazu übersendet sie der Landschaftsbehörde die Antragsunterlagen einschließlich der vom Projektträger nach Nr. 10.1.2 gemachten Angaben.

Die Landschaftsbehörde gibt ihre Stellungnahme innerhalb einer Frist von einem Monat ab, soweit keine abweichende Fristregelung in anderen Verfahrensvorschriften besteht. Eine Fristverlängerung durch die verfahrensführende Behörde kommt nur dann in Betracht, wenn Art und Umfang des geplanten Projekts dies erfordern.

Die Landschaftsbehörde hat sich in ihrer Stellungnahme insbesondere zu folgenden Punkten zu äußern:

- Beurteilung der Beeinträchtigung eines FFH- oder Vogelschutzgebietes sowie der Betroffenheit von prioritären Biotopen oder Arten.

- Beurteilung der Ge- oder Verbote bestehender naturschutzrechtlicher Schutzausweisungen und Beurteilung von Möglichkeiten ihrer Überwindung (Erteilung einer Ausnahme oder Befreiung).

- Beurteilung der Alternativen aus naturschutzfachlicher Sicht.

- Beurteilung von möglichen Summationswirkungen.

- Beurteilung von Art und Umfang der zur Erhaltung der Kohärenz von "Natura 2000" notwendigen Ausgleichsmaßnahmen; sie holt dazu in bedeutenden Fällen eine Stellungnahme der LÖBF/LAfAO ein.

- Gewichtung des öffentlichen Naturschutzinteresses im Verhältnis zu den dargelegten zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses für die beantragte Zulassung des Projekts.

- Entscheidungsvorschlag aus der Sicht der Landschaftsbehörde für die verfahrensführende Behörde (Untersagung, Zulassung, Auflagen).

Bei komplexen UVP-pflichtigen Projekten kann es sich ebenfalls empfehlen, für die behördlichen Entscheidungen, die im Rahmen der Anwendung der FFH-Verträglichkeitsprüfung zu treffen sind, zur Auswertung der nach Nr. 10.1.2 vorgelegten Unterlagen die Hilfe einer Gutachterin oder eines Gutachters in Anspruch zu nehmen.

Zur Verfahrensvereinfachung kann es in diesem Falle auch hilfreich sein, wenn sich die beteiligten Behörden schon im Scoping- Termin nach Nr. 10.1.2 mit dem Projektträger auf eine gemeinsame Sachverständige oder einen gemeinsamen Sachverständigen und die Formulierung eines detaillierten Auftrages für ein Gutachten einigen, das sowohl den Anforderungen an die Darlegungslast des Projektträgers genügt als auch den zuständigen Behörden eine sachverständige Hilfe bei den Entscheidungen im Rahmen der Anwendung der FFH-Verträglichkeitsprüfung bietet.

10.1.4
Befinden sich in dem vom Projekt betroffenen Gebiet prioritäre Biotope oder prioritäre Arten so ist in den Fällen des § 48d Abs. 6 Satz 2 LG vor der Entscheidung über das Projekt von der verfahrensführenden Behörde eine Stellungnahme der Europäischen Kommission einzuholen (vgl. Nr. 5.6.3).Die verfahrensführende Behörde übersendet zu diesem Zweck dem BMU unmittelbar die zur Beurteilung durch die Europäische Kommission notwendigen Unterlagen und unterrichtet gleichzeitig die oberste Landschaftsbehörde und ihre zuständige oberste Landesbehörde auf dem Dienstweg durch Übersendung einer Kopie der Unterlagen.

Ist für die Zulassung oder Durchführung eines Projekts eine Bundesbehörde zuständig, erfolgt die Unterrichtung der obersten Landschaftsbehörde durch die in diesem Verfahren beteiligte Landschaftsbehörde.

Die Unterlagen umfassen die nach Nr. 10.1.2 vom Projektträger im Zulassungsantrag gemachten Angaben, ergänzt um die nach Nr. 10.1.3 von der beteiligten Landschaftsbehörde abgegebene Stellungnahme und die von der verfahrensführenden Behörde danach vorgesehene Entscheidung.

10.1.5
Die verfahrensführende Behörde bezieht die Stellungnahme der Landschaftsbehörde in ihre Entscheidung über Zulassung oder Durchführung des Projektes ein. Das Gleiche gilt ggf. für die nach Nr. 10.1.4 eingeholte Stellungnahme der Europäischen Kommission. Sie ist dabei zwar nicht an die Stellungnahme der Landschaftsbehörde bzw. der Europäischen Kommission gebunden, kann davon jedoch nur in sachlich begründeten Fällen abweichen.

In der Entscheidung werden, soweit erforderlich, die zur Kompensation des Eingriffs und zur Erhaltung der Kohärenz von "Natura 2000" notwendigen Ausgleichsmaßnahmen ggf. als Nebenbestimmungen festgesetzt.

Die Europäische Kommission ist nach der in Nr. 10.1.4 beschriebenen Verfahrensweise von der verfahrensführenden Behörde über die festgesetzten Ausgleichsmaßnahmen zu unterrichten.

10.2
Verfahren bei Plänen

10.2.1
Die Verträglichkeit eines Plans wird in dem für seine Aufstellung oder Änderung vorgeschriebenen Verfahren von der für dieses Verfahren zuständigen Behörde geprüft. Bei mehrstufigen Planungen ist die FFH-Verträglichkeitsprüfung im Rahmen der Regelungsbefugnis der einzelnen Pläne und entsprechend ihrem jeweiligen Konkretisierungsgrad durchzuführen. Dies bedeutet auch, dass die Prüfung der Zulässigkeit (einschließlich Alternativenprüfung und Ausnahmegrund) und die Festlegung des erforderlichen Ausgleichs unter Umständen auf verschiedene Plan- oder Genehmigungsverfahren verteilt werden muss.

Im Übrigen gelten für das Verfahren zur Prüfung der Verträglichkeit die Nrn. 10.1.1 bis 10.1.5, soweit erforderlich, sinngemäß.

10.2.2
Für die Verträglichkeit von Bauleitplänen wird auf den Einführungserlass zum Bau- und Raumordnungsgesetz 1998 (BauROG - Gem. RdErl. des MBW, MSKS und MURL vom 3.3.1998), insbesondere Nr. 3.3.4, verwiesen.

Zum Verfahren bei der Gebietsentwicklungsplanung wird auf Nr. 4.2.2 verwiesen.

Für die übrigen von § 19d BNatSchG/§ 48d Abs. 8 LG erfassten Pläne gelten Nrn. 10.1.1 bis 10.1.5 sinngemäß.

11
Anwendung der FFH-RL auf potentielle FFH- oder Europäische Vogelschutzgebiete

11.1
Umfang

Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur Vogelschutz-RL gilt das Schutzregime der einschlägigen EU-Richtlinien aus dem Gebot der Vertragstreue auch für Gebiete, die pflichtwidrig noch nicht zu Schutzgebieten im Sinne der Vogelschutz-RL erklärt worden sind (vgl. zuletzt EuGH-Urteil vom 11. Juli 1996 - NuR 1997 S. 36, "Lappel Bank" -).

Die jüngste Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 19. Mai 1998 - 4 A 9.97 - "Bundesautobahn A 20") geht davon aus, dass auch für Gebiete, die als potentielle FFH-Gebiete anzusehen sind und pflichtwidrig der Europäischen Kommission noch nicht gemeldet worden sind, eine Prüfung erforderlich ist, ob das in Art. 6 Abs. 2 bis 4 FFH-RL vorgesehene Schutzregime eingehalten werden kann.

11.2
FFH-Verträglichkeitsprüfung

Daraus folgt, dass zur Beachtung des Verbots einer Verschlechterung der potentiellen FFH- oder Europäischen Vogelschutzgebiete auch in diesen Fällen die Prüfung der Verträglichkeit von Plänen und Projekten durchzuführen ist. Die Nrn. 5 bis 10 gelten entsprechend.

11.3
Auskunft über potentielle FFH- oder Europäische Vogelschutzgebiete

Bis zur Einleitung der Anhörung und Beteiligung nach Nr. 2.2.3 wird empfohlen, bei der LÖBF/LAfAO nachzufragen, ob durch das Projekt oder den Plan ein künftiges Gebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung oder ein Europäisches Vogelschutzgebiet betroffen sein könnte.

12
Geltungsdauer

Dieser Runderlass tritt mit sofortiger Wirkung in Kraft. Seine Geltungsdauer ist auf fünf Jahre begrenzt.

Dieser Erlass ergeht im Einvernehmen mit dem Chef der Staatskanzlei, dem Innenministerium, dem Justizministerium, dem Finanzministerium, dem Ministerium für Arbeit, Soziales und Stadtentwicklung, Kultur und Sport, dem Ministerium für Bauen und Wohnen und dem Ministerium für Wirtschaft und Mittelstand, Technologie und Verkehr.

Anlage zur VV-FFH

Kriterien zur Auswahl
der FFH- und Vogelschutzgebiete

für das europäische Schutzgebietssystem
"Natura 2000"

I.
FFH-Gebiete

Ausgangslage

Auswahlverfahren

Bewertungsrahmen für FFH-Gebiete

Ausfüllen der Standard-Datenbögen

Angrenzung der FFH-Gebietsvorschläge

Schutzgebiete für Arten nach Anhang II

II.
Vogelschutzgebiete

Ausgangslage

Kriterien zur Ermittlung von besonderen Vogelschutzgebieten (SPA)

III.
Anwendung der Kriterien auf das
Vogelschutzgebiet "Unterer Niederrhein"

Tabellen

I.
FFH-Gebiete

Ausgangslage

Die Richtlinie des Rates der EU vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen (Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie/FFH-Richtlinie; Richtlinie 92/43/EWG des Rates) zielt auf die Wiederherstellung oder Wahrung eines günstigen Erhaltungszustandes der natürlichen Lebensräume und der Arten von gemeinschaftlichem Interesse. Hauptziel ist es, die Erhaltung der biologischen Vielfalt zu fördern, wobei wirtschaftliche, soziale und kulturelle Anforderungen berücksichtigt werden sollen.

Zu diesem Zweck sind besondere Schutzgebiete auszuweisen, um nach einem genau festgelegten Zeitplan ein zusammenhängendes europäisches ökologisches Netz von Schutzgebieten zu schaffen – das Gebietsnetz "Natura 2000". In dieses Schutzgebietsnetz sind die nach der Richtlinie 79/409/EWG des Rates vom 2. April 1979 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten derzeit oder künftig als besondere Vogelschutzgebiete (SPA) ausgewiesenen Flächen einzugliedern.

Die Gebiete, die als besondere Schutzgebiete ausgewiesen werden könnten, werden von den Mitgliedsstaaten auf der Grundlage der im Anhang III der Richtlinie genannten Kriterien ausgewählt.

Die Lebensräume und Arten von gemeinschaftlichem Interesse werden in den Anhängen I und II zur Richtlinie aufgeführt. Für besondere "prioritäre" Lebensräume und Arten sind weitergehende Anforderungen zur Auswahl und Meldung der Gebiete für das Schutzgebietsnetz "Natura 2000" vorgegeben.

Auswahlverfahren

Die Auswahl der für den Aufbau des Netzes "Natura 2000" geeignetsten Gebiete erfolgt aufgrund der in Anhang III der Richtlinie genannten Kriterien in zwei Stufen.

Dabei erfolgt in Stufe 1 zunächst eine Beurteilung der Bedeutung der Gebiete für die natürlichen Lebensraumtypen des Anhangs I (Tab. 1) und/oder die in Nordrhein-Westfalen vorkommenden in Anhang II genannten Arten (Tab. 2). In die Liste werden diejenigen Gebiete aufgenommen, die aufgrund ihres relativen Wertes für die Erhaltung jedes/jeder der in Anhang I bzw. II genannten natürlichen Lebensraumtypen bzw. Arten eine besondere Bedeutung besitzen. Besonders umfangreich sind hierbei die Gebiete mit prioritären natürlichen Lebensraumtypen und Arten zu melden.

In der zweiten Stufe wird die Beurteilung der gemeinschaftlichen Bedeutung der in den nationalen Listen enthaltenen Gebiete vorgenommen.

Hierbei werden alle von den Mitgliedsstaaten in Stufe 1 ermittelten Gebiete, die prioritäre natürliche Lebensraumtypen bzw. Arten beherbergen, als Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung betrachtet. Die Beurteilung der anderen Gebiete für das Netz "Natura 2000" erfolgt anhand ihrer Bedeutung zur Wahrung oder Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes eines natürlichen Lebensraumes des Anhangs I oder einer Art des Anhangs II. Hierbei wird insbesondere der relative Wert des Gebietes auf nationaler Ebene oder die geographische Lage des Gebietes, die Gesamtfläche oder die Zahl der in diesem Gebiet vorkommenden natürlichen Lebensraumtypen des Anhangs I und der Arten des Anhangs II u. a. bewertet.

Art. 3 der FFH-Richtlinie bestimmt, dass jeder Staat im notwendigen Umfang seiner Verpflichtung zur Meldung von natürlichen Lebensraumtypen und Habitaten der entsprechenden Arten nachkommt, um das Schutzgebietsnetz "Natura 2000" aufzubauen.

Die fachliche Bewertung der in den nationalen Listen vorgeschlagenen Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung erfolgt über das European Topic Centre on Natur Conservation (ETC/NC) in den in Anhang III der Richtlinie dargestellten zwei Phasen (BOILLOT, VIGNAULT & de BENITO 1997).

In der ersten Phase wird überprüft, ob in den vorgeschlagenen Gebieten die in der jeweiligen betrachteten biogeographischen Region vorkommenden Arten und Lebensraumtypen hinreichend repräsentiert sind. Hierbei dienen numerische Grenzwerte zur Orientierung:

- Wenn weniger als 20 Prozent der Gesamtfläche eines Lebensraumtyps in der vorgeschlagenen Gebietsliste erfasst sind, wird von einer unzureichenden Berücksichtigung ausgegangen.

- Wenn mehr als 60 Prozent der Gesamtfläche durch die vorgeschlagenen Gebiete erfasst sind, wird von einer ausreichenden Berücksichtigung ausgegangen.

- Für Werte zwischen 20 und 60 Prozent müssen Einzelfallbetrachtungen angestellt werden.

In der zweiten Phase werden verschiedene Kriterien nacheinander angewendet und überprüft:

Vorkommen prioritärer Arten und Lebensraumtypen,

Einzigartigkeit, hohe Qualität, hohe Diversität,

Kohärenz des "Natura 2000"-Netzes.

Diese Methodik wurde vom ETH/NC entwickelt, um eine halbautomatische Auswahl geeigneter Gebiete durchführen zu können. Alle vorgeschlagenen Gebiete, die nach dieser Methodik nicht ausgewählt werden, müssen einer Einzelfallbeurteilung unterzogen werden.

Anhang III der FFH-Richtlinie liefert einen ersten Ansatz für die Auswahl der geeigneten Gebiete. Die dort genannten Kriterien müssen jedoch für die jeweilige Region konkretisiert werden. Im Rahmen einer gemeinsamen Arbeitsgruppe der Landesanstalten und Landesämter mit dem Bundesamt für Naturschutz wurden die Kriterien zur Auswahl der Gebiete weiter operationalisiert und standardisiert. Der Abschlussbericht der Arbeitsgruppe wurde im Juni 1994 den jeweiligen Länderministerien mit den länderspezifischen Gebietslisten vorgelegt.

Für die Auswahl der Gebiete werden die folgenden Schritte vorgeschlagen:

- Schritt 1 erfasst die Kernzonen bestehender Nationalparke, Biosphärenreservate, der Feuchtgebiete internationaler Bedeutung (RAMSAR-Gebiete) – und die Gebiete von "gesamtstaatlich repräsentativer Bedeutung", d. h. Gebiete, für die eine Bundesförderung erfolgt (in NRW: Altrhein Bienen-Praest, Bislicher Insel, Ahr 2000).

- Schritt 2 erfasst die Naturschutzgebiete > 75 ha, also landesplanerisch gesicherte Gebiete, soweit sie nach den Kriterien des Anhangs III für das Netz "Natura 2000" von Relevanz sind. Die Naturschutzgebiete werden sowohl aus naturschutzfachlichen als auch aus Gründen der Verwaltungsklarheit in ihren durch Verordnung oder Landschaftsplan festgelegten Abgrenzungen vorgeschlagen – also in der Regel als Biotopkomplexe, die häufig und in unterschiedlichem Umfang auch Lebensraumtypen mit beinhalten können, die nicht im Anhang I der FFH-Richtlinie aufgeführt sind.

- Schritt 3 ergänzt die relevanten Gebiete (s.o.), die als Naturschutzgebiete > 75 ha vorgeschlagenen sind, also ebenfalls i.d.R. landesplanerisch gesichert sind.

- Schritt 4 prüft, inwieweit es fachlich entweder zum Schutz der Lebensraumtypen oder der Tier- und Pflanzenarten nach Anhang II erforderlich ist, Gebiete < 75 ha zu benennen.

Unter Beachtung des übergeordneten Zieles der Richtlinie – Erhaltung und Wiederherstellung der biologischen Diversität – erfolgte die Bewertung und Auswahl der für das Gebietsnetz vorgeschlagenen Gebiete unter Beachtung der naturräumlichen Verhältnisse. Bezugssystem für die Bewertung ist daher nicht das Bundesland in seinen Verwaltungsgrenzen, sondern sind die naturräumlichen Haupteinheiten (vgl. SSYMANK 1994 sowie BfN-Handbuch 1998).

Diese Vorgehensweise orientiert sich nicht eng an den Anforderungen der FFH- Richtlinie. Sie ist jedoch ein pragmatisches Verfahren zur Ermittlung der besonders geeigneten Gebiete, die in der Regel auch den höchsten Schutzstatus besitzen. Die FFH-Gebiete in Nordrhein-Westfalen werden abschließend nach dem hier vorgelegten operationalisierten Bewertungsrahmen ermittelt.

Bewertungsrahmen für FFH-Gebiete

Unter Beachtung der naturräumlich differenzierten Verbreitungsmuster der einzelnen Lebensraumtypen (vgl. BfN-Handbuch 1998) wurde das Auswahlverfahren weiter konkretisiert. Folgende Bewertungsschritte werden dabei durchlaufen:

Die FFH-Richtlinie nennt in Art. 4 Abs. 2 die biogeographischen Regionen als Bezugssystem für die Gebietsauswahl. Diese Aussage bezieht sich aber auf die Gesamtliste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung, die von der Kommission jeweils im Einvernehmen mit den Mitgliedsstaaten erstellt wird. Diese Gesamtliste kann erst bearbeitet werden, nachdem für die jeweiligen biogeographischen Regionen sämtliche Gebietsmeldungen vorliegen.

Das Auswahlverfahren in Nordrhein-Westfalen stellt die hierzu notwendige Vorphase dar: Für den nordrhein-westfälischen Teil der entsprechenden biogeographischen Region werden Gebiete auf der Basis der naturräumlichen Haupteinheiten benannt, um die genetische Vielfalt in den verschiedenen Naturräumen einer biogeographischen Einheit in geeigneter Weise zu sichern.

In der Klageschrift der EU vom 1. März 1999 zum Vertragsverletzungsverfahren bezüglich Umsetzung der FFH-Richtlinie durch die Bundesrepublik Deutschland wird ausdrücklich der Bezug zu den jeweiligen naturräumlichen Einheiten als Bezugsebene für eine ausreichende Meldung der FFH-Lebensraumtypen hergestellt und diese Vorgehensweise damit bestätigt.

1. Schritt: Beurteilung des Repräsentativitätsgrades der einzelnen FFH-Lebensraumtypen in den fünf naturräumlichen Haupteinheiten NRWs

D 34: Münsterländische Tieflandsbucht

D 35: Niederrheinisches Tiefland und Kölner Bucht

D 36: Weser- und Weser-Leine-Bergland

D 38: Bergisches Land, Sauerland

D 45: Eifel

Außerdem werden die geeignetsten Gebiete in den naturräumlichen Haupteinheiten ermittelt, die nur zu einem geringen Teil in NRW liegen:

D 30: Dümmer Geestniederung und Ems-Hunte Geest

D 44: Mittelrheingebiet (mit Siebengebirge)

D 39: Westerwald

Für jeden FFH-Lebensraumtyp wird ermittelt, ob er in der jeweiligen naturräumlichen Haupteinheit mit einem Haupt- oder einem Nebenvorkommen – bezogen auf die Verbreitung in Deutschland – vertreten ist. In den Hauptvorkommen wird eine besonders große europäische Verpflichtung des Landes NRW zum Schutz dieser Biotoptypen gesehen, da hier der Lebensraumtyp im Naturraum einen Verbreitungsschwerpunkt besitzt. Es wird hierbei nicht unterschieden, ob es sich um wenige großflächige oder zahlreiche kleinflächige Vorkommen handelt.

Die Zuordnung in Haupt- und Nebenvorkommen (Tab. 3) erfolgt in der Regel in Anlehnung an das BfN-Handbuch (1998). Im Einzelfall wurde aus fachlichen Gründen davon abgewichen: Der FFH-Lebensraumtyp "Feuchtheide" hat z. B. in den naturräumlichen Haupteinheiten D30, D34, D35 ein Hauptvorkommen und in den Naturräumen D36, D38, D45 ein Nebenvorkommen.

Grundsätzlich sind hinreichend genaue Kenntnisse zur flächenmäßigen Ausdehnung der Lebensraumtypen nach Anhang I bzw. der Verbreitung der Arten nach Anhang II in den dem jeweiligen Mitgliedsstaat zuzuordnenden Teil der betreffenden biogeographischen Region notwendig. Orientierende Angaben zur Verbreitung der einzelnen Lebensraumtypen, deren Differenzierung in Haupt- und Nebenvorkommen sowie einer "guten" und "schlechten" Ausprägung finden sich im BfN-Handbuch. Bei der abschließenden Bearbeitung der FFH-Gebiete (Tranche 2) wird - wie für die Erörterung der Gebiete der Tranche 1 b - für jeden Lebensraumtyp die Gesamtfläche in der jeweiligen naturräumlichen Haupteinheit halbquantitativ ermittelt, da diese Daten Bezugssystem für den Umfang der in den Haupt- bzw. Nebenvorkommen zu meldenden Flächen ist.

2. Schritt: Ermittlung der Größenverteilung der FFH-Lebensraumtypen in den naturräumlichen Haupteinheiten

Hierzu wird das Biotopkataster mit seinen biotoptypbezogenen Flächenangaben ausgewertet. Dann wird – ggf. unter Beteiligung weiterer Experten – halbquantitativ die Gesamtfläche des jeweiligen Lebensraumtyps bestimmt. Außerdem werden für jeden Lebensraumtyp naturraumbezogen Mindestflächengrößen festgelegt (z. B. artenreiche Mähwiesen im Niederrheinischen Tiefland und der Kölner Bucht: > 10 ha).

Lebensräume, die diese Flächengrößen unterschreiten, werden für eine Gebietsmeldung für das kohärente europäische Schutzgebietssystem nicht berücksichtigt, sofern sie nicht im Komplex mit anderen FFH-Lebensraumtypen vorkommen.

Für die nach dem Biotopkataster ausgewerteten Lebensraumtypen liegen Verbreitungskarten und Häufigkeitsangaben sowie für die naturräumlichen Haupteinheiten Größenklassendiagramme vor.

3. Schritt: Festlegung der Meldekulisse (siehe Tabelle 4)

Die Auswahl der zu meldenden Gebiete erfolgt in Anlehnung an die ETC/NC-Verfahren (BOILLOT et al. 1997) nach folgenden Kriterien:

1. Hat ein Lebensraumtyp im Naturraum ein Hauptvorkommen, so werden die zehn besten Gebiete – mindestens aber 50 % der Fläche des Biotoptyps gemeldet.

2. Hat ein Lebensraumtyp im Naturraum ein Nebenvorkommen, so werden die fünf besten Gebiete – mindestens aber 20 % der Fläche des Biotoptyps gemeldet.

Die Auswahl der Gebiete erfolgt absteigend nach der Flächengröße des FFH-Lebensraumtyps unter Berücksichtigung ergänzender Kriterien wie Verbund von FFH-Lebensräumen, Qualität der Ausprägung sowie Vorkommen von Arten nach Anhang II und IV.

Es entspricht dem Sinn der FFH-Richtlinie, auch Gebiete mit weniger gut ausgeprägten Lebensräumen zu melden, wenn in einem Naturraum nur noch solche vorzufinden sind. Ziel der Richtlinie ist der Aufbau eines kohärenten ökologischen Netzes auch durch Wiederherstellung von ursprünglich in einem Naturraum gut ausgeprägten, heute aber degradierten Lebensraumtypen. Gerade für schlecht ausgeprägte Lebensraumtypen, die in der Vergangenheit besonders stark verändert wurden, sind Entwicklungsmaßnahmen notwendig (vgl. Art. 4 Abs. 2 FFH-Richtlinie). Die Auswahl der Flächen für solche Maßnahmen orientiert sich z. B. am Entwicklungspotential, der Größe des Gebietes, der aktuellen Ausprägung und der Verbundfunktion.

Ausfüllen der Standard-Datenbögen

Hierzu werden entsprechend den Vorgaben der Standard-Datenblätter die folgenden Daten ermittelt:

a) Repräsentativität

Anhand des Repräsentativitätsgrades ist zu entscheiden, "wie typisch" ein Lebensraum in der naturräumlichen Haupteinheit ausgeprägt ist. Hierbei wird für jedes Gebiet einzeln der Beeinträchtigungsgrad und damit verbunden der aktuelle Erhaltungszustand ermittelt. Unter Zugrundelegung dieser Parameter werden dann, wenn eine hervorragende Repräsentativität gegeben ist, bei einem Hauptvorkommen maximal die fünf besten Gebiete in die Stufe A (hervorragende Repräsentativität) und die weiteren fünf besten Gebiete in die Stufe B (gute Repräsentativität) eingestuft. Es erfolgt keine pauschale Einstufung in die Kategorien A und B ausschließlich nach dem relativen Kriterium der "besten Gebiete". Im Einzelfall ist es also möglich, dass die Kategorie A (bzw. B) nicht vergeben wird:

Hauptvorkommen

Stufe A (hervorragende Repräsentativität): Vergabe maximal an die 5 besten Gebiete

Stufe B (gute Repräsentativität): Vergabe maximal an die Gebiete 6 bis 10

Stufe C (signifikante Repräsentativität): Vergabe in der Regel an Gebiete mit einer Rangnummer > 10

Nebenvorkommen

Stufe A: Vergabe maximal an die 2 besten Gebiete

Stufe B: Vergabe maximal an die Gebiete 3 bis 5

Stufe C: Vergabe in der Regel an Gebiete mit einer Rangnummer > 5

Sollten in einer Haupteinheit nur Lebensraumtypen in einem relativ schlechten Erhaltungszustand vorhanden sein, so wird dies durch Zuordnung zur Kategorie C zum Ausdruck gebracht. Durch dieses Verfahren wird der EU eine transparente Beurteilung für die Berücksichtigung dieser Fläche in der jeweiligen biogeographischen Region ermöglicht.

b) Relative Fläche

Die Bewertung erfolgt unter Zugrundelegung der Flächenangaben über den Gesamtbestand der schutzwürdigen Vorkommen der jeweiligen Lebensraumtypen (s. o.).

c) Erhaltungszustand

Die Beurteilung erfolgt aufgrund der vorliegenden Informationen (Biotopkataster, Naturschutzarchiv, Pflege- und Entwicklungspläne) und aktuellen Gebietskenntnissen. In der Richtlinie wird dies als "bester Sachverstand" bezeichnet.

d) Gesamtbeurteilung

Nach "bestem Sachverstand" erfolgt die Gesamtbeurteilung auf Grundlage der vorgenannten, im Standard-Datenbogen aufgeführten Bewertungspunkte. Hierbei stellt die integrale Bewertung gemäß EU-Richtlinie 97/266/EWG nach Ziffer 3.1 eine Gesamtbeurteilung der vorherigen Kriterien dar, unter Berücksichtigung des unterschiedlichen Gewichts, das diese für den betreffenden Lebensraum haben können.

Neben dieser systematischen Auswertung der vorliegenden Datenbestände erfolgen vor einer abschließenden Benennung der Gebietsliste (Tranchen 1a, 1b und 2) Plausibilitätsprüfungen durch die regionalen Gebietsspezialisten in der LÖBF.

Abgrenzung der FFH-Gebietsvorschläge:

Gemäß Art. 4 Abs. 1 legt jeder Mitgliedsstaat eine Liste von Gebieten vor, in denen die dort vorkommenden natürlichen Lebensraumtypen des Anhang I und einheimische Arten des Anhang II aufgeführt sind. Die Richtlinie spricht also von Gebieten, in denen die entsprechenden Lebensraumtypen repräsentativ vertreten sind.

Bei bestehenden Naturschutzgebieten werden im Regelfall deren Grenzen zugrunde gelegt, da die entsprechenden Lebensraumtypen und ihre Biozönosen nur dann dauerhaft geschützt werden können, wenn ausreichende Pufferzonen z. B. zur Sicherung des hydrologischen Regimes, der Aktivitätsräume von Tierarten der FFH-Lebensräume oder zur Verhinderung von Nährstoffeintrag vorhanden sind. Diese werden so gewählt, dass der Schutzzweck dauerhaft gesichert ist. Darüber hinaus sind bei der Ausweisung dieser Gebiete im Rahmen der wissenschaftlichen Grundlagenerhebung als auch bei der Beteiligung der Träger öffentlicher Belange die möglichen fachlichen und privatrechtlichen Konfliktfälle abgewogen worden. Diese Vorgehensweise bei der Meldung von Naturschutzgebieten mit FFH-Lebensräumen wird grundsätzlich in allen Bundesländern angewandt. Eine weitergehende Begründung z. B. zur Größe der Pufferflächen ist weder in der FFH-Richtlinie noch in der Richtlinie zur Ausfüllung der Standarddatenbögen vorgesehen.

Der Entwicklungsaspekt wird dort berücksichtigt, wo eine entsprechende Entwicklung aktuell eingeleitet ist. So wird der FFH-Lebensraumtyp "Magere Flachland-Mähwiesen" nur dann berücksichtigt, wenn Flächen heute schon entsprechend genutzt werden.

Von der Meldung der Gesamtfläche bestehender Naturschutzgebiete kann im Einzelfall dann abgesehen werden, wenn eins der folgenden Kriterien erfüllt ist:

- Der Anteil der FFH-Lebensraumtypen ist kleiner als 10 Prozent der NSG-Fläche.

- Das NSG besteht aus räumlich und funktional getrennten, im Gelände eindeutig erkennbaren Bereichen, und die FFH-Lebensraumtypen liegen nur in einem dieser Bereiche.

- Bei Naturschutzgebieten größer 500 ha können Flächen mit hoher Nutzungsintensität wie Äcker und Fichtenforste aus der FFH-Kulisse herausgenommen werden, wenn es sich um eine zusammenhängende Fläche größer 50 ha in Randlage und ohne Verbundfunktion handelt.

Schutzgebiete für Arten nach Anhang II

Entsprechend der Vorgehensweise bei den Lebensraumtypen sollen auch hier die jeweils geeignetsten Vorkommen geschützt werden (Richtwert: Hauptvorkommen – zehn wichtigste Populationen; Nebenvorkommen – fünf wichtigste Populationen). In der Regel werden aber keine eigenen Schutzgebiete für Einzelarten nach Anhang II vorgeschlagen. Soweit möglich, soll der Bestand dieser Arten in erster Linie dadurch geschützt werden, dass deren Vorkommen in FFH-Gebieten zum Schutz der Lebensraumtypen nach Anhang I gesichert/verbessert wird.

Quantitative Bestandsangaben zur Verbreitung der Arten nach Anhang II sind sowohl für NRW als auch für Deutschland und natürlich erst recht für den Gesamtbereich der Europäischen Union – wenn überhaupt – nur lückenhaft vorhanden. Angaben zur Populationsgröße sind deshalb gegenwärtig in der Regel nicht möglich. Da dieses Problem auch von der EU gesehen wird, weist sie in der Richtlinie zum Ausfüllen der Standarddatenbögen darauf hin: "Insbesondere bei Säugetieren, Amphibien/Reptilien und Fischen sind unter Umständen überhaupt keine Angaben verfügbar. In diesem Fall sollte in Bezug auf die Größe/Dichte der Population angegeben werden, ob die Art häufig, selten oder sehr selten vorkommt. Falls keinerlei Populationsdaten vorliegen, ist anzugeben, ob die Art vorhanden ist."

Sofern FFH-Gebiete ausschließlich aufgrund der dort lebenden Arten nach Anhang II gemeldet werden, ist Voraussetzung hierfür ein seit Jahren bestehendes Vorkommen der entsprechenden Art. Bei verschiedenen Arten, die über die lebensraumbezogenen FFH-Gebiete nicht geschützt werden können (z. B. Großes Mausohr - Vermehrungsstätten in Gebäuden), wird es kaum sinnvoll sein, eine FFH-Meldung vorzunehmen.

II.
Vogelschutzgebiete

Ausgangslage

Die Richtlinie des Rates der EU vom 2. April 1979 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten (79/409/EWG) betrifft die Erhaltung sämtlicher wildlebender Vogelarten, die im europäischen Gebiet der Mitgliedsstaaten heimisch sind. In dieser Richtlinie werden die Mitgliedsstaaten verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen zum Schutz dieser Arten durchzuführen.

Für die im Anhang I aufgeführten Vogelarten (Tab. 5), die in der Regel im Bereich der Mitgliedsstaaten besonders bedroht sind, müssen besondere Schutzmaßnahmen zur Erhaltung und Entwicklung ihrer Lebensräume durchgeführt werden. Hierzu haben sich die Mitgliedsstaaten bereit erklärt, die für die Erhaltung dieser Arten zahlen- und flächenmäßig geeignetsten Gebiete als Schutzgebiete auszuweisen.

In gleicher Weise sind auch Schutzgebiete für die nicht in Anhang I aufgeführten regelmäßig auftretenden Zugvogelarten zum Schutz ihrer Vermehrungs-, Mauser- und Überwinterungsgebiete sowie der Rastplätze in ihren Wanderungsgebieten auszuweisen (Tab. 6). Zu diesem Zweck messen die Mitgliedsstaaten dem Schutz der Feuchtgebiete und ganz besonders der international bedeutsamen Feuchtgebiete besondere Bedeutung bei (Art. 4 Abs. 2 Vogelschutz-RL).

Art. 4 der Vogelschutzrichtlinie bestimmt, dass besondere Schutzgebiete (SPA, Special Protected Areas) auszuweisen sind. Dies gilt sowohl für die Arten aus Anhang I wie auch für die geeignetsten Gebiete zum Schutz ziehender europäischer Vogelarten. Gerade im "Lappel Bank"-Urteil des europäischen Gerichtshofes vom 11. Juli 1996, bei dem es vorrangig um den Schutz eines Gebietes geht, das für wandernde Arten internationale Bedeutung besitzt, wurde herausgestellt, dass besondere Schutzgebiete sowohl nach Art. 4 Abs. 1 als auch nach Art. 4 Abs. 2 auszuweisen sind:

Leitsatz 2 des "Lappel Bank"-Urteils: "Ein Mitgliedstaat darf bei der Auswahl und Abgrenzung eines besonderen Schutzgebietes gemäß Art. 4 Abs. 1 oder 2 der Richtlinie 79/409 wirtschaftliche Erfordernisse nicht als Gründe des Allgemeinwohls, die Vorrang vor den mit dieser Richtlinie verfolgten Umweltbelastungen haben, berücksichtigen."

Auch das BfN weist in seinem Handbuch (BfN 1998) darauf hin, dass das Schutzgebietssystem "Natura 2000" gebildet wird von

- besonderen Schutzgebieten (SPA), die zum Schutz der 182 Vogelarten und Unterarten des Anhang I der Vogelschutzrichtlinie und der wandernden Vogelarten ausgewiesen werden müssen" (S. 7).

- Gebieten von gemeinschaftlicher Bedeutung zum Schutz der in den Anhängen der FFH-Richtlinie aufgeführten Lebensraumtypen und Arten.

Kriterien zur Ermittlung von
besonderen Vogelschutzgebieten (SPA)

Die Vogelschutzrichtlinie benennt in Anhang I zahlreiche Arten, für deren Erhaltung die zahlenmäßig geeignetsten Gebiete zu sichern sind. Entsprechende Maßnahmen sind auch für die nicht im Anhang I aufgeführten, aber regelmäßig auftretenden Zugvogelarten hinsichtlich ihrer Vermehrungs-, Mauser- und Überwinterungsgebiete sowie der Rastplätze in ihren Wanderungsgebieten vorzunehmen (s. o). Einen detaillierten und präzisen Bewertungsrahmen für die Auswahl der geeignetsten Gebiete enthält die Vogelschutzrichtlinie nicht.

Im Auftrage der Europäischen Kommission hat das International Waterfowl Research Bureau (IWRB) 1989 von Grimmett & Jones eine Erfassung der "Important Bird Areas in Europe" durchführen lassen. Die Auswahl der Gebiete orientierte sich an der vom ORNIS-Ausschuss der Kommission vorgelegten Kriterien für Vogelschutzgebiete in der europäischen Gemeinschaft. Von den dort genannten 15 Kriterien sind für Nordrhein-Westfalen insbesondere die folgenden sieben Kriterien relevant:

A) Brutgebiete

- regelmäßiger Brutplatz einer signifikanten Anzahl (> 1 % BRD- Bestand) von mindestens drei Anhang-I-Arten

- bei weitverbreiteten Arten: Gebiete mit besonders hoher Dichte bzw. Anzahl von Paaren

B) Durchzugs-, Rast- und Überwinterungsgebiete

- mindestens 1 % (mindestens 100 Ex.) des Flyway oder der biogeographischen Population einer Art

- Gebiete mit mindestens 20 000 Wasservögeln während der Zugzeit

- Gebiete, in denen sich regelmäßig eine signifikante Anzahl (> 1 % BRD-Bestand) von mindestens drei Anhang-I- Arten aufhält

C) sonstige Kriterien

- eines der 100 wichtigsten Gebiete in der EU für eine Art gemäß Anhang I

- eines der fünf wichtigsten Gebiete für eine Art oder Unterart in der Region (in Deutschland wird als Region das jeweilige Bundesland angesehen)

Für die Ausweisung eines Vogelschutzgebietes reicht die Erfüllung eines Kriteriums.

Auf die besondere nordrhein-westfälische Situation übertragen ergeben sich danach die folgenden Auswahlkriterien für SPAs:

a)
- Brutplätze und Aktionsräume (Nahrungsflächen) von mindestens drei Anhang-I-Arten, von denen > 1 % der deutschen Population in dem Gebiet regelmäßig vorkommen

- Vorkommen von sonstigen Arten des Anhangs I*

b)
- Rast- und Überwinterungsräume mindestens einer Anhang-I-Art, von der mindestens 1 % des Flyways oder der biogeographischen Population in dem entsprechenden Gebiet rastet.

- Vorkommen von weiteren rastenden Anhang-I-Arten*

c)
- eines der fünf wichtigsten Gebiete in Nordrhein-Westfalen für Arten gemäß Anhang 1 (Top-5-Gebiet)

d)
- regelmäßig aufgesuchte Brut-, Rast- und Überwinterungsräume von Arten nach Art. 4 Abs. 2 Vogelschutzrichtlinie, von denen mindestens 1 % des deutschen Bestandes im Gebiet vorkommt

- übrige Arten gemäß Art. 4 Abs. 2 Vogelschutzrichtlinie *

- Gebiete mit mindestens 20 000 Wasservögeln während der Zugzeit

e)
- eines der fünf wichtigsten Gebiete in Nordrhein-Westfalen für regelmäßig auftretende wandernde Vogelarten nach Art. 4 Abs. 2 Vogelschutzrichtlinie (Top-5-Gebiet)

Auch hier gilt, dass die Erfüllung eines Kriteriums für die Ausweisung eines Vogelschutzgebietes (SPA) ausreichend ist.

Eine Benennung als Vogelschutzgebiet erfolgt als "TOP-5-Gebiet" nur dann, wenn zusätzlich die beiden folgenden Kriterien erfüllt sind:

- Die jeweilige Art hat in dem Gebiet einen Verbreitungsschwerpunkt in Nordrhein-Westfalen; für annähernd gleichmäßig in bestimmten Regionen vorkommende Arten (z.B. Grauspecht) werden keine Schutzgebiete gemeldet.

- Das Schutzziel für die jeweils zu schützende Art ist nicht bereits durch die Ausweisung eines FFH-Gebietes mit vergleichbarem Schutzziel abgedeckt (z. B. Schutz des Mittelspechtes in den FFH-Gebieten "Davert" und "Kottenforst"; Schutzziel: v. a. Erhaltung und Entwicklung der Eichenwaldgesellschaften).

Im Einzelfall kann bei der Festlegung der fünf wichtigsten Gebiete einer Art von rein numerischen Kriterien abgewichen werden, wenn hierdurch die genetische Vielfalt in Nordrhein-Westfalen besser gesichert werden kann. Die Erhaltung der genetischen Vielfalt ist ein zentrales Ziel des Schutzgebietsnetzes "Natura 2000".

Für alle Vogelschutzgebiete sind neben einer zahlenmäßigen Eignung auch die von Grimmett und Jones (1989) genannten folgenden Kriterien berücksichtigt worden:

1.
Ein Gebiet sollte sich in seinem Charakter oder als Habitat oder in seinem ornithologischen Wert von der Umgebung unterscheiden.

2.
Ein Gebiet soll ein bereits bestehendes oder potentielles Schutzgebiet (mit oder ohne Pufferzone) sein oder eine Region darstellen, in der Maßnahmen für den Naturschutz möglich sind.

3.
Ein Gebiet soll eigenständig allein oder mit anderen Gebieten zusammen alle nötigen Lebensgrundlagen für die zu schützenden Arten bieten, solange diese Arten das Gebiet nutzen.

Zur Ermittlung der Bestandsgröße von Vogelarten nach Anhang I sowie Art. 4 Abs. 2 Vogelschutzrichtlinie sind mehrjährige Erfassungen sinnvoll. Das jeweilige quantitative Kriterium (s.o.) sollte außerdem in der Mehrzahl der untersuchten Jahre (z.B. 5 Jahre) erreicht werden. Nach BURDORF et al. (1997) muss bei nur kurzfristiger Untersuchungsdauer im Sinne des Vorsorgeprinzips davon ausgegangen werden, dass eine Bedeutung als Vogelschutzgebiet auch bei nur einmaligem Überschreiten des Kriterienwertes gegeben ist.

Für Nordrhein-Westfalen sind zur Zeit 15 Vogelschutzgebiete geplant; davon sind sechs bereits von der EU anerkannt (Unterer Niederrhein; Rieselfelder Münster; Weserstaustufe Schlüsselburg; Moore und Heiden des Westmünsterlandes; Möhnesee; Krickenbecker Seen).

III.
Anwendung der Kriterien auf das
Vogelschutzgebiet "Unterer Niederrhein"

Das flächenmäßig größte Vogelschutzgebiet in Nordrhein-Westfalen ist das in der Liste der anerkannten Vogelschutzgebiete geführte Feuchtgebiet Unterer Niederrhein (SPA-Nr. 060, "NATURA 2000"-Nr. 4203-401). In diesem Gebiet werden die vorgenannten Kriterien erfüllt.

Die großflächige Abgrenzung beruht vor allem auf dem Vorkommen von Bläß- und Saatgänsen (Bläßgans: mehr als 30 Prozent des Flyway; Saatgans: ca. 8 Prozent des Flyway; WILLE 1998). Sämtliche Acker- und Grünlandflächen innerhalb des Ramsar-Gebietes sind Rast- und Nahrungsflächen für diese wandernden Vogelarten.

Sofern innerhalb der Rheinaue die geeignetsten Flächen für die rastenden und überwinternden Gänse als SPA ausgewiesen werden sollen, ist es notwendig, entsprechende Auswahlkriterien zu formulieren. Aufgrund der starken räumlichen Fluktuation der Gänse innerhalb dieses Raumes ist anhand einzelner z. B. monatlicher Zählungen eine Festlegung von Schwerpunkträumen nicht möglich. Flächendeckend fehlen für das ca. 25000 ha große Gebiet entsprechende Daten.

Die relativ beste Datengrundlage zur Ermittlung der im Sinne von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie "geeignetsten", d. h. besonders regelmäßig aufgesuchten Flächen sind die Meldungen der Landwirte über festgestellte Gänsefraßschäden, die von den Kreisstellen der Landwirtschaftskammer vor Ort geprüft wurden. Die Qualität dieser Daten wird dadurch beeinträchtigt, dass

- von einzelnen Landwirten Gänsefraßschäden nicht oder nur teilweise gemeldet werden;

- innerhalb der einzelnen Fluren ein unterschiedlicher Anteil von Straßen, Hofstellen, Gehölzbeständen, Wasserflächen, also von den Gänsen nicht zu nutzenden Flächen, existiert, die Fraßschäden aber jeweils auf die Gesamtfläche der Flur bezogen werden.

Aufgrund der in den Jahren 1996 bis 1998 ermittelten Fraßschadensdaten (Anteil der in den einzelnen Fluren gemeldeten Flächen mit Gänsefraßschäden) lassen sich Schwerpunkte ableiten. Diese räumlichen Schwerpunkte sind vor allem von den Faktoren Störungsarmut und Futterqualität bestimmt. Letzterer ist abhängig von den jeweils angebauten Feldfrüchten, deren Verteilung z. T. jährlich wechselt (vgl. Vertragsangebote zur Anlage von Gänseäsungsflächen).

Zur Auswahl der geeignetsten Gebiete für die am Unteren Niederrhein überwinternden Bläß- und Saatgänse wurden die folgenden Kriterien zugrunde gelegt:

- Alle Fluren, in denen mindestens auf der Hälfte der von den Gänsen nutzbaren Fläche Gänsefraßschäden gemeldet wurden (Kernflächen). Grundlage sind die Daten der von der Landwirtschaftskammer Rheinland in den Winterhalbjahren 1995/96 bis 1997/98 gemeldeten Fraßschäden. Diese Auswahl der Kernflächen ist aus zwei Gründen sinnvoller als eine Mittelwertbildung über die drei o. g. Winterhalbjahre. Erstens: die räumlichen Verbreitungsschwerpunkte der Gänse schwanken in den einzelnen Jahren aufgrund der jeweils angebauten Feldfrüchte. Zweitens: die Gesamtbetrachtung der drei Winterhalbjahre ist annähernd repräsentativ für die klimatische Situation am Unteren Niederrhein.

- Bestehende Naturschutzgebiete, in denen auf mindestens 30 % der einzelnen Fluren Gänseäsungsschäden gemeldet wurden, werden ebenfalls als Kernflächen behandelt.

- Diese Schwerpunktflächen der Gänseverbreitung werden zu zusammenhängenden, sinnvoll und im Gelände nachvollziehbar abzugrenzenden Bereichen arrondiert. Hierbei wird der Anteil der gemeldeten Gänsefraßschäden (> 30 % der Flur) und die Verteilung der Grünlandflächen mit berücksichtigt.

Isoliert, d. h. mehr als zwei km von der nächsten regelmäßig genutzten Parzelle entfernt liegende Flächen werden nur dann berücksichtigt, wenn sie eine ausreichende Größe (mindestens 250 ha) besitzen und eine besondere funktionale Bedeutung für die rastenden Gänse besitzen, z. B. durch die Nähe zu einem Schlafplatz.

Die auf diese Weise ermittelten Kernflächen innerhalb des flächendeckend von den Gänsen im Winterhalbjahr aufgesuchten Feuchtgebietes Unterer Niederrhein decken sich weitgehend mit den Kernflächen, die in dem 1992 vorgelegten Niederrhein-Konzept (Landesanstalt für Ökologie, Landschaftsentwicklung und Forstplanung NRW 1992) dargestellt sind, sowie mit den von MOOIJ (z. B. 1991, 1993) publizierten Verbreitungsschwerpunkten. Die Biologischen Stationen am Unteren Niederrhein haben hierzu die ornithologischen Grundlagendaten bereitgestellt. Außerdem zeigen die aktuellen Schwerpunktflächen, dass die in den letzten Jahren (auch) zum Schutz der Wildgänse ausgewiesenen Naturschutzgebiete am Unteren Niederrhein eine besondere und zentrale Bedeutung für den Schutz dieser Tiere besitzen.

Trotz der im Einzelfall vorhandenen Unschärfen – bei flurstücksbezogener Analyse würde sich der Anteil der "Kernflächen" erhöhen – gibt die vorliegende Auswertung einen wichtigen Anhalt über die Raum-Zeit-Einbindung und die Verbreitungsschwerpunkte der Gänse.

Die mit einem Sternchen versehenen Kriterien dienen ergänzend zur Festlegung der Abgrenzung eines Vogelschutzgebietes; zur Auswahl der Gebiete werden sie in der Regel nicht herangezogen.

Hierbei werden im allgemeinen nur solche Arten berücksichtigt, die gleiche oder ähnliche Lebensräume wie die zur Auswahl des Gebietes relevanten Arten nutzen, d. h. durch ähnliche Schutzziele zu sichern sind.

Im Sinne der Richtlinie, die neben dem grundsätzlichen Schutz aller Vogelarten insbesondere die stark gefährdeten Arten durch geeignete Maßnahmen vor einer weiteren Bestandsabnahme bewahren will, ist es nur folgerichtig, auch Vorkommen dieser Arten mitzuberücksichtigen, selbst wenn ihr Bestand geringer als 1 Prozent der bundesdeutschen Population ist und auch das Top 5-Kriterium nicht zutrifft.

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MBl. NRW 2000 S. 624