Ministerialblatt (MBl. NRW.)
Ausgabe 2004 Nr. 20 vom 11.5.2004 Seite 499 bis 512

Vorsorgeplanungen für die gesundheitliche Versorgung  bei Großschadensereignissen RdErl. d. Ministeriums für Gesundheit,  Soziales, Frauen und Familie v. 12.2.2004 – III 8 – 0713.7.4 -
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Vorsorgeplanungen für die gesundheitliche Versorgung  bei Großschadensereignissen RdErl. d. Ministeriums für Gesundheit,  Soziales, Frauen und Familie v. 12.2.2004 – III 8 – 0713.7.4 -

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Vorsorgeplanungen für die gesundheitliche Versorgung
 bei Großschadensereignissen

RdErl. d. Ministeriums für Gesundheit,
 Soziales, Frauen und Familie v. 12.2.2004
– III 8 – 0713.7.4 -

Als Anlage gebe ich nach erfolgter Anhörung des Innenministeriums NRW, des Ministeriums für Wissenschaft und Forschung NRW, des Ministeriums für Umwelt und Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz NRW, der Krankenhausgesellschaft NW, der Ärztekammern Nordrhein und Westfalen-Lippe, der Psychotherapeutenkammer NRW, der Kassenärztlichen Vereinigungen Nordrhein und Westfalen-Lippe, des Landkreistages NRW sowie des Städtetages NRW die „Empfehlungen an die Krankenhäuser in Nordrhein-Westfalen zu Vorsorgeplanungen bei Großschadensereignissen" bekannt.

Für die Zusammenarbeit der Behörden mit den Krankenhäusern und den sonstigen Einrichtungen des Gesundheitswesens gilt Folgendes:

Zu Nummer 1 der Empfehlungen

1
Zusammenarbeit

Aus der gemeinsamen Verantwortung für die gesundheitliche Versorgung der Bevölkerung ergibt sich insbesondere bei Großschadensereignissen die Notwendigkeit einer engen Zusammenarbeit der Beteiligten, um auch für eine größere Zahl von Verletzten oder Erkrankten organisierte Hilfe leisten zu können.

1.1
Die Krankenhäuser sorgen hierbei nach ihrer Aufgabenstellung und im Rahmen ihrer Leistungsfähigkeit durch innerorganisatorische Maßnahmen für die Aufnahme und Behandlung einer größtmöglichen Zahl von Notfallpatientinnen und -patienten. Die Aufnahmekapazität sollte vorher im Rahmen der Vorsorgeplanungen festgelegt und dem Träger des Rettungsdienstes mitgeteilt werden.

1.2
Die zuständigen Behörden unterstützen die Krankenhäuser bei der Erfüllung ihrer Aufgaben.

1.3
Aufgaben der unteren Gesundheitsbehörden und der Rettungsdienstträger

Die Abwehr von Gefahren für die gesundheitliche Versorgung ist, unbeschadet davon, auf welcher gesetzlichen Grundlage (RettG NRW, OBG, FSHG) sie durchzuführen ist, primär Aufgabe der unteren Gesundheitsbehörden und des Rettungsdienstes. Bei den Kreisen und kreisfreien Städten obliegt der Leitung der unteren Gesundheitsbehörde die Sorge für die Funktionserhaltung der verschiedenen Teilbereiche des Gesundheitswesens. In dieser Eigenschaft gehört sie zur Leitungs- und Koordinierungsgruppe (LuK).

1.3.1
In die Gefahrenabwehrpläne oder in sonstige Einsatzpläne sind alle für eine Hilfeleistung im Gesundheitswesen in Betracht kommenden Einrichtungen, Stellen und Einzelpersonen aufzunehmen.

1.3.1.1
Der Träger des Rettungsdienstes erfasst:

- die Krankenhäuser innerhalb des festgelegten Versorgungsgebietes
- - mit Bettenzahlen, unterteilt nach Fachrichtungen
- - ggf. Möglichkeiten für die Erweiterung der Behandlungs- und Bettenkapazitäten
- - ggf. speziellen Behandlungsmöglichkeiten für Brandverletzte und Strahlengeschädigte
- - ggf. speziellen Behandlungsmöglichkeiten für psychisch traumatisierte Personen

und nimmt bei Bedarf wegen möglicher Hilfeleistungen Kontakt mit der Bundeswehr, dem Bundesgrenzschutz und Stationierungsstreitkräften auf.

1.3.1.2
Die untere Gesundheitsbehörde erfasst mit Hilfe der zuständigen Heilberufskammern:

-        niedergelassene Ärztinnen und Ärzte nach Fachgebieten

-        Ärztinnen und Ärzte mit besonderen Spezialkenntnissen (z. B. nach der Strahlenschutzverordnung ermächtigte Ärztinnen und Ärzte)

-        die als Leitende Notärztinnen/Notärzte für die Einsatzleitungen vorgesehenen Ärztinnen und Ärzte

-        als Leitende Notfallpsychologinnen und -psychologen für die Einsatzleitungen vorgesehene Psychologische Psychotherapeutinnen und -therapeuten sowie Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutinnen und -therapeuten

-        niedergelassene Psychologische Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten sowie Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutinnen und -therapeuten (mit entsprechender Fortbildung in Psychotraumatologie und Notfallpsychologie)

-        Apotheken, Arzneimittel-Hersteller und -Großhandlungen

-        Blutspendedienste, Notdepots für Sera und Plasmaderivate

in ihrem Bezirk.

1.3.1.3
Erhebungen zu den Krankenhäusern nach Nummer 1.3.1.1 führt der örtlich zuständige Träger des Rettungsdienstes durch. Er leitet die Information den benachbarten Behörden und der Bezirksregierung zu.

1.3.2
Bei Schadensereignissen unterhalb eines Großschadensereignisses mit gesundheitlichen Gefahren für einen größeren Personenkreis (z, B. Seuchen, Chemie-Unfälle) sind nach Bedarf Einsatzleitungen aus Vertreterinnen bzw. Vertretern des Rettungsdienstträgers, der unteren Gesundheitsbehörde und der beteiligten Fachämter zu bilden. Entsprechendes gilt bei einem Massenanfall von Verletzten (MANV).

1.4
Leitstelle für den Feuerschutz und Rettungsdienst

Die Leitstelle für den Feuerschutz und Rettungsdienst führt ihre rettungsdienstlichen Aufgaben in eigener Verantwortung durch. Sie beachtet hierbei die für den Anfall einer größeren Zahl von Notfallpatientinnen und -patienten getroffenen Vorbereitungen. Die erforderlichen Unterlagen aus den Gefahrenabwehrplänen und den sonstigen Einsatzplänen müssen ihr zur Verfügung stehen. Nach Übernahme der Gesamtleitung durch den Hauptverwaltungsbeamten arbeitet die Leitstelle als nachrichtentechnisches Führungsmittel nach Weisung. Eine ausreichende personelle Ausstattung ist bereits in der Vorplanung zu regeln.

Zu Nummer 2 der Empfehlungen

2
Zur Versorgung einer größeren Zahl von Notfallpatientinnen und -patienten sind neben den Vorsorgeplanungen in Krankenhäusern ergänzende Maßnahmen für den Rettungsdienst, die ambulante ärztliche und für die psychotherapeutische Versorgung erforderlich.

2.1
Rettungsdienst

Die Zuständigkeit des Rettungsdienstes bleibt auch bei einer größeren Zahl von Notfallpatientinnen und -patienten grundsätzlich unberührt. Bei Bedarf sind zusätzliche Rettungsmittel im Rahmen der nachbarlichen Hilfe anzufordern. Das gleiche gilt für die Anforderung von Rettungshubschraubern, Intensivtransporthubschraubern und nach dem 3. Abschnitt des RettG NRW genehmigten Hubschraubern von privaten Luftfahrtunternehmen.
Je nach Gefahrenlage ist der Rettungsdienst im gebotenen Umfang durch hierzu geeignete niedergelassene Ärztinnen und Ärzte sowie Ärztinnen und Ärzte aus Krankenhäusern zu verstärken. Die entsprechenden Regelungen sind in die Einsatzpläne aufzunehmen und mit den Beteiligten abzustimmen.

2.1.1
Leitende Notärztin/Leitender Notarzt

Für die Einsatzleitung am Schadensort ist ein/e in der Notfallmedizin besonders erfahrene/r Ärztin/Arzt als Leitende Notärztin bzw. Leitender Notarzt (Mitglied der Einsatzleitung) zu bestimmen. Sie/er leitet im Zusammenwirken mit der organisatorischen Einsatzleitung die medizinischen Maßnahmen am Schadensort. Ihr/ihm obliegt insbesondere

-        die Festlegung des rettungsdienstlichen Bedarfs (personell/materiell) und die Anforderung der notwendigen Rettungsmittel

-        der Einsatz des rettungsdienstlichen Personals einschließlich der Notärztinnen und Notärzte

-        der Einsatz der auf Veranlassung der zuständigen Behörde zur Hilfeleistung herangezogenen Ärztinnen und Ärzte und des anderen medizinischen Personals

-        die Koordinierung der Zusammenarbeit zwischen Rettungsdienst und Sanitätsdienst sowie

-        die Zuweisung der Notfallpatientinnen und -patienten in die nach der Verletzungsart fachlich geeigneten Krankenhäuser in Abstimmung mit der gemeinsamen Leitstelle oder der Einsatzleitung nach Nummer 1.3.2.

Der Träger des Rettungsdienstes bestimmt die Zahl der Leitenden Notärztinnen und -ärzte und regelt deren Einsatz.

Die Leitende Notärztin und der Leitende Notarzt werden bei Bedarf durch die Leitende Notfallpsychologin oder den Leitenden Notfallpsychologen kooperativ unterstützt.

2.2
Ambulante ärztliche und psychotherapeutische Versorgung

Zur Entlastung der Krankenhäuser sind im Benehmen mit den Kreisstellen der Ärztekammern, den Kreisstellen/Bezirksstellen der Kassenärztlichen Vereinigungen und den Hilfsorganisationen Maßnahmen zur ambulanten ärztlichen Versorgung von leichter Verletzten in Arztpraxen oder Rettungsstellen vorzusehen.

Im Fall der akutpsychotherapeutischen Versorgung sind im Benehmen mit der Psychotherapeutenkammer, mit den Kreisstellen/Bezirksstellen der Kassenärztlichen Vereinigungen und den Hilfsorganisationen Maßnahmen zur ambulanten psychotherapeutischen Versorgung von leichter psychisch Verletzten in den Praxen niedergelassener ärztlicher und psychologischer Psychotherapeutinnen und -therapeuten bzw. Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutinnen und ‑therapeuten vorzusehen.

2.3
Zuweisung der Notfallpatientinnen und -patienten zu den Krankenhäusern

Bei der Verteilung der Notfallpatientinnen und -patienten auf die Krankenhäuser ist zu berücksichtigen, dass die Planung der Krankenhausstrukturen auf Versorgungsgebiete abstellt. Insbesondere beim Anfall einer größeren Zahl von Notfallpatientinnen und -patienten sind daher in die Verteilung alle Krankenhäuser des Versorgungsgebietes, ggf. darüber hinaus einzubeziehen.

Zu Nummer 3 der Empfehlungen

3
Behandlungsmöglichkeiten für Brandverletzte und Strahlengeschädigte

Die Aufnahmekapazität für Brandverletzte und Strahlengeschädigte ist auf der Grundlage meiner für die gemeinsamen Leitstellen für den Feuerschutz und Rettungsdienst sowie die Gesundheitsbehörden herausgegebenen Verzeichnisse festzulegen. Auf die Zentrale Anlaufstelle für die Vermittlung von Betten für Schwerbrandverletzte bei der Feuerwehr Hamburg wird hingewiesen.

3.1
Behandlungsmöglichkeiten für Strahlengeschädigte in der Umgebung kerntechnischer Anlagen
Das Verzeichnis „Krankenhäuser in Nordrhein-Westfalen mit Behandlungsmöglichkeiten bei Strahlenunfällen" enthält Krankenhäuser, die sich zur Mitwirkung bereit erklärt haben. Die für diese Unfälle festgelegten Kriterien sind unter den Bedingungen von Notfallmaßnahmen für Großschadensereignisse wie folgt zu erweitern:

3.1.1
In die Versorgung von Strahlengeschädigten sind bei einer größeren Anzahl alle geeigneten Krankenhäuser einzubeziehen.

3.1.2
Das Kriterium einer im Krankenhaus fest installierten Dekontaminationseinrichtung entfällt bei Großschadensereignissen. Im Rahmen der besonderen Gefahrenabwehrmaßnahmen für die Umgebung kerntechnischer Anlagen werden Personen, bei denen ein Verdacht auf Strahlenbelastung und/oder Kontamination besteht, zunächst über Notfallstationen geleitet, in denen sie, soweit erforderlich, dekontaminiert werden. Personen mit behandlungsbedürftigen akuten Strahlensyndromen werden daher in der Regel erst nach der Dekontamination in ein Krankenhaus eingewiesen. Für den Fall, dass kontaminierte Personen mit anderen Erkrankungen (auch Kombinationsschäden) unmittelbar in ein Krankenhaus eingeliefert werden, ist innerhalb des Krankenhauses eine behelfsmäßige Dekontaminationsmöglichkeit vorzusehen. Als behelfsmäßige Dekontaminationseinrichtung kommen die Bäderabteilung oder sonstige Wasch- und Duscheinrichtungen des Krankenhauses in Betracht. Der Bereich für die Aufnahme Kontaminierter sollte so weit wie nötig von den übrigen Bereichen abgegrenzt werden.
3.1.3
Zu erfassen ist die innerhalb von 12 Stunden verfügbare Bettenzahl.

3.1.4
Die Klinikkategorien werden zusammengefasst in:
Gruppe l
Krankenhäuser mit Möglichkeit zur internistisch-hämatologischen Intensivpflege (mit oder ohne Knochenmark- bzw. Stammzellentransplantationen),
Gruppe 2
Krankenhäuser mit Möglichkeit zur internistisch-hämatologischen Überbrückungstherapie, Gruppe 3
Krankenhäuser zur internistischen Versorgung von Strahlengeschädigten.

3.2
Soweit es nach der Wohndichte in der Umgebung einer kerntechnischen Anlage geboten erscheint, sind im Einvernehmen mit der Bezirksregierung in die Maßnahmen nach Nummer 3.1 auch benachbarte Krankenhäuser einzubeziehen.

Zu Nummer 5 der Empfehlungen

4
Kapazitätserweiterung in Krankenhäusern

Die Erweiterung der Behandlungs- und Bettenkapazität zur Einsatzstufe 3 ist in Absprache zwischen der Gefahrenabwehrbehörde und dem Krankenhaus festzulegen. Hierbei ist darauf zu achten, dass die Kapazitätserweiterung in einem angemessenen Verhältnis zur Personalausstattung des Krankenhauses bleibt.

Für das Aufstellen von Notbetten kommen sämtliche hygienisch und organisatorisch geeigneten Bereiche in Betracht.

Zu Nummer 6 der Empfehlungen

5
Hilfe der Gefahrenabwehrbehörde

Eine zusätzliche Bevorratung von Sanitätsmaterial durch die Gefahrenabwehrbehörde ist nicht vorgesehen. Es ist davon auszugehen, dass der Bedarf an Arzneimitteln, Verbandstoffen und sonstigen Verbrauchsmaterialien zunächst durch Bestände in den Krankenhäusern, insbesondere der an der zusätzlichen Arzneimittelbevorratung gemäß der Arzneimittelbevorratungsverordnung vom 30. August 2000 teilnehmenden Krankenhäuser, und Nachlieferungen gedeckt werden kann. Bei größerem Bedarf und bei Störung der Nachlieferungen hat die Gefahrenabwehrbehörde anderweitig vorhandene Ressourcen (Apotheken, pharmazeutische Unternehmen, pharmazeutischer Großhandel, Medizinproduktehersteller) verfügbar zu machen.

Zu Nummer 7 der Empfehlungen

6
Qualifikation

Die für Aufgaben der Gefahrenabwehr vorgesehenen Ärztinnen und Ärzte, Psychologische Psychotherapeutinnen und -therapeuten, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutinnen und -therapeuten sollen hierfür durch Teilnahme an entsprechenden Fortbildungsveranstaltungen geeignet sein. Die zuständige Behörde hat sie über die Aufgabe umfassend zu informieren. Die Qualifikation der Leitenden Notärztinnen und -ärzte soll den Empfehlungen der Bundesärztekammer entsprechen. Die Qualifikation der Leitenden Notfallpsychologinnen und -pychologen soll den Empfehlungen der Bundespsychotherapeutenkammer entsprechen.

Zu Nummer 8 der Empfehlungen

7
Übungen

In die Übungen der Gefahrenabwehrbehörden sollten neben den Krankenhäusern auch die Kreisstellen der Ärzte- und Psychotherapeutenkammern, die Kreisstellen/Bezirksstellen der Kassenärztlichen Vereinigungen sowie die Ärztinnen und Ärzte einbezogen werden, die in den Gefahrenabwehrplänen für spezielle Aufgaben vorgesehen sind.

8
Dieser RdErl. ersetzt den RdErl. d. Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales v. 8.1.1991.

Anlage

- MBl. NRW. 2004 S. 501