Ministerialblatt (MBl. NRW.)
Ausgabe 2007 Nr. 5 vom 14.2.2007 Seite 91 bis 104

Änderung der Berufsordnung der Ärztekammer Westfalen-Lippe vom 25. November 2006
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Änderung der Berufsordnung der Ärztekammer Westfalen-Lippe vom 25. November 2006

21220

Änderung der
Berufsordnung der Ärztekammer Westfalen-Lippe
vom 25. November 2006

Die Kammerversammlung der Ärztekammer Westfalen-Lippe hat in ihrer Sitzung am 25. November 2006 aufgrund § 31 des Heilberufsgesetzes vom 9. Mai 2000 (GV. NRW. S. 403), zuletzt geändert durch Gesetz vom 1. März 2005 (GV. NRW. S. 148), folgende  Änderung der Berufsordnung beschlossen, die durch Erlass des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen vom 15.12.2006 – III 7-0810.53 – genehmigt worden ist.

Artikel I

Die Anlage F. der Berufsordnung der Ärztekammer Westfalen-Lippe vom 27. November 2004 (SMBL. NRW. 21220) wird wie folgt neu gefasst:

„F. Anlage: Richtlinie zur Durchführung der assistierten Reproduktion gem. § 13 und Kapitel D IV Nr. 15

1. Begriffsbestimmungen

Als assistierte Reproduktion wird die ärztliche Hilfe zur Erfüllung des Kinderwunsches eines Paares durch medizinische Hilfen und Techniken bezeichnet. In der Regel wird im Zusammenhang mit diesen Verfahren eine hormonelle Stimulation durchgeführt. Darunter versteht man den Einsatz von Medikamenten zur Unterstützung der Follikelreifung, sodass im Zyklus ein oder mehrere Follikel heranreifen.

Die alleinige Insemination (ohne hormonelle Stimulation) sowie die alleinige hormonelle Stimulation (ohne Insemination) sind als Methode nicht von dieser Richtlinie erfasst.

1.1 Insemination

Unter Insemination versteht man das Einbringen des Nativspermas in die Zervix (intrazervikale Insemination) oder des aufbereiteten Spermas in den Uterus (intrauterine Insemination) oder in die Eileiter (intratubare Insemination).

1.2 GIFT

Unter GIFT (Gamete-Intrafallopian-Transfer; intratubarer Gametentransfer) versteht man den Transfer der männlichen und weiblichen Gameten in den Eileiter.

1.3 Extrakorporale Befruchtung

1.3.1 IVF

Unter In-vitro-Fertilisation (IVF), auch als „extrakorporale Befruchtung“ bezeichnet, versteht man die Vereinigung einer Eizelle mit einer Samenzelle außerhalb des Körpers.

1.3.2 ICSI

Unter der intrazytoplasmatischen Spermieninjektion (ICSI) versteht man ein Verfahren der IVF, bei dem eine menschliche Samenzelle in eine menschliche Eizelle injiziert wird.

1.4 ET

Die Einführung des Embryos in die Gebärmutter wird als Embryotransfer (ET) bezeichnet, unabhängig davon, ob es sich um den Transfer von einem Embryo (Single-Embryo-Transfer /  SET), von zwei Embryonen (Double-Embryo-Transfer / DET) oder drei Embryonen handelt.

1.5 homologer / heterologer Samen

Als homolog gilt der Samen des Ehemannes oder des Partners in stabiler Partnerschaft. Als heterolog gilt der Samen eines Samenspenders.

1.6 PKD

Bei der Polkörperdiagnostik (PKD) wird eine mütterliche, genetische oder chromosomale Veränderung des haploiden weiblichen Chromosomensatzes durch Beurteilung des ersten und – wenn möglich – auch des zweiten Polkörpers im Ablauf einer IVF vor der Bildung des Embryos untersucht. Es handelt sich um eine indirekte Diagnostik der Eizelle.

1.7 PID

Bei der Präimplantationsdiagnostik (PID) werden in einem sehr frühen Entwicklungsstadium ein oder zwei Zellen eines durch extrakorporale Befruchtung entstandenen Embryos entnommen und auf eine Chromosomenstörung oder eine spezifische genetische Veränderung hin untersucht. Diese Form einer PID ist nicht als Regelungsgegenstand zugrunde gelegt, da sie in Deutschland nicht durchgeführt wird.

2. Medizinische Voraussetzungen für die assistierte Reproduktion

Jeder Anwendung der Maßnahmen der assistierten Reproduktion hat eine sorgfältige Diagnostik bei beiden Partnern vorauszugehen, die alle Faktoren berücksichtigt, die sowohl für den unmittelbaren Therapieerfolg als auch für die Gesundheit des Kindes von Bedeutung sind. Bei der Wahl der Methode sollten die Dauer des Kinderwunsches und das Alter der Frau Berücksichtigung finden.

2.1 Methoden und Indikationen

Die Voraussetzungen für die Methoden der alleinigen Insemination (ohne hormonelle Stimulation) und der alleinigen hormonellen Stimulation (ohne Insemination) sind durch die Richtlinie nicht geregelt.

2.1.1 Hormonelle Stimulation der Follikelreifung

Indikationen:

- Follikelreifungsstörungen

- leichte Formen männlicher Fertilitätsstörungen

2.1.2 Homologe Insemination

Indikationen:

- leichte Formen männlicher Fertilitätsstörungen

- nicht erfolgreiche hormonelle Stimulationsbehandlung

- somatische Ursachen (z. B. Hypospadie, retrograde Ejakulation, Zervikal-Kanal-Stenose)

- idiopathische Unfruchtbarkeit

2.1.3 Homologe In-vitro-Fertilisation mit intrauterinem Embryotransfer (IVF mit ET) von einem (SET), von zwei (DET) oder drei Embryonen

Uneingeschränkte Indikationen:

- Tubenverschluss bzw. tubare Insuffizienz

- männliche Fertilitätsstörungen nach erfolgloser Insemination

Eingeschränkte Indikationen:

- Endometriose von hinreichender Bedeutung

- idiopathische Unfruchtbarkeit

Eine unerklärbare (idiopathische) Unfruchtbarkeit kann nur als Indikation für eine assistierte Reproduktion im Sinne einer IVF-Behandlung angesehen werden, wenn alle diagnostischen Maßnahmen durchgeführt und hormonelle Stimulation, intrauterine und / oder intratubare Insemination nicht erfolgreich waren.

2.1.4 Intratubarer Gametentransfer (GIFT) 

Indikationen:

- einige Formen männlicher – mit anderen Therapien einschließlich der intrauterinen Insemination nicht behandelbarer – Fertilitätsstörungen

- idiopathische Unfruchtbarkeit

2.1.5 Intrazytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI)

Indikationen:

-  schwere Formen männlicher Fertilitätsstörungen

-  fehlende oder unzureichende Befruchtung bei einem IVF-Versuch

2.1.6 Heterologe Insemination

Indikationen:

- schwere Formen männlicher Fertilitätsstörungen

- erfolglose Behandlung einer männlichen Fertilitätsstörung mit intrauteriner und / oder intratubarer Insemination und / oder In-vitro-Fertilisation und / oder intrazytoplasmatischer Spermieninjektion im homologen System

- ein nach humangenetischer Beratung festgestelltes hohes Risiko für ein Kind mit schwerer genetisch bedingter Erkrankung

Voraussetzung sind funktionsfähige, offene Eileiter.

Beim Einsatz heterologer Spermien sind die unter 5.3 genannten Voraussetzungen zu beachten.

2.1.7 Heterologe In-vitro-Fertilisation mit intrauterinem Embryotransfer (IVF mit ET),
heterologe intrazytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI mit ET)

Indikationen:

- schwere Formen männlicher Fertilitätsstörungen

- erfolgloser Einsatz der intrauterinen und / oder intratubaren Insemination und / oder der In-vitro-Fertilisation und / oder der intrazytoplasmatischen Spermieninjektion im homologen System (nach Vorliegen der jeweiligen Indikation)

- erfolgloser Einsatz der heterologen Insemination

- ein nach humangenetischer Beratung festgestelltes hohes Risiko für ein Kind mit schwerer genetisch bedingter Erkrankung

Beim Einsatz heterologer Spermien sind die unter 5.3 genannten Voraussetzungen zu beachten.

2.1.8 Polkörperdiagnostik (PKD)

Die PKD ist ein in Erprobung befindliches Verfahren.

Indikationen:

-  Erkennung eines spezifischen genetischen einschließlich chromosomalen kindlichen Risikos mittels indirekter Diagnostik der Eizelle

-  Erkennung unspezifischer chromosomaler Risiken im Rahmen von IVF zur möglichen Erhöhung der Geburtenrate

Eine Erhöhung der Geburtenrate ist bisher nicht hinreichend belegt.

Die PKD ist an die Anwendung der IVF und ICSI geknüpft, obwohl eine Fertilitätsstörung nicht vorliegen muss. Soweit diese Untersuchungen vor Bildung des Embryos erfolgen, ist das Embryonenschutzgesetz nicht berührt.

2.2 Kontraindikationen

Absolute Kontraindikationen:

- alle Kontraindikationen gegen eine Schwangerschaft

Eingeschränkte Kontraindikationen:

- durch eine Schwangerschaft bedingtes, im Einzelfall besonders hohes medizinisches Risiko für die Gesundheit der Frau oder die Entwicklung des Kindes

- psychogene Fertilitätsstörung: Hinweise auf eine psychogene Fertilitätsstörung ergeben sich insbesondere dann, wenn Sexualstörungen als wesentlicher Sterilitätsfaktor angesehen werden können (seltener Geschlechtsverkehr, Vermeidung des Verkehrs zum Konzeptionsoptimum, nicht organisch bedingte sexuelle Funktionsstörung). In diesem Fall soll zuerst eine Sexualberatung / -therapie des Paares erfolgen.

2.3 Humangenetische Beratung

Eine humangenetische Beratung soll die Partner in die Lage versetzen, auf der Grundlage ihrer persönlichen Wertmaßstäbe eine Entscheidung in gemeinsamer Verantwortung über die Vornahme einer genetischen Untersuchung im Rahmen der assistierten Reproduktion und über die aus der Untersuchung zu ziehenden Handlungsoptionen zu treffen. Im Rahmen dieser Beratung sollen ein mögliches genetisches Risiko und insbesondere die mögliche medizinische und ggf. psychische und soziale Dimension, die mit einer Vornahme oder Nicht-Vornahme einer genetischen Untersuchung sowie deren möglichem Ergebnis verbunden ist, erörtert werden.

Eine genetische Untersuchung darf erst vorgenommen werden, nachdem die betreffende Person schriftlich bestätigt hat, dass sie gemäß dem oben genannten Verfahren über die Untersuchung aufgeklärt wurde und in diese eingewilligt hat.

3. Allgemeine Zulassungsbedingungen

Bei der assistierten Reproduktion handelt es sich mit Ausnahme der alleinigen Insemination (ohne hormonelle Stimulation) und der alleinigen hormonellen Stimulation (ohne Insemination) um besondere medizinische Verfahren gem. § 13 Berufsordnung. Die Ärztin / der Arzt hat bei der Anwendung dieser Verfahren insbesondere das Embryonenschutzgesetz und diese Richtlinie zu beachten.

3.1 Rechtliche Voraussetzungen

3.1.1 Statusrechtliche Voraussetzungen

Methoden der assistierten Reproduktion sollen unter Beachtung des Kindeswohls grundsätzlich nur bei Ehepaaren angewandt werden. Dabei darf grundsätzlich nur der Samen des
Ehemannes verwandt werden; sollen Samenzellen eines Dritten verwandt werden, sind die unter 5.3 genannten Voraussetzungen zu beachten.

Methoden der assistierten Reproduktion können auch bei einer nicht verheirateten Frau angewandt werden. Dies gilt nur, wenn die behandelnde Ärztin / der behandelnde Arzt zu der Einschätzung gelangt ist, dass

- die Frau mit einem nicht verheirateten Mann in einer festgefügten Partnerschaft zusammenlebt und

- dieser Mann die Vaterschaft an dem so gezeugten Kind anerkennen wird.

Dabei darf grundsätzlich nur der Samen des Partners verwandt werden; sollen Samenzellen eines Dritten verwandt werden, sind die unter 5.3 genannten Voraussetzungen zu beachten.

3.1.2 Embryonenschutzrechtliche Voraussetzungen

Für die Unfruchtbarkeitsbehandlung mit den genannten Methoden dürfen maximal drei Embryonen einzeitig auf die Mutter übertragen werden (§ 1 Abs. 1 Nrn. 3 u. 5 ESchG). An den zum Transfer vorgesehenen Embryonen dürfen keine Maßnahmen vorgenommen werden, die nicht unmittelbar der Erhaltung der Embryonen dienen. Beim Einsatz der oben genannten Methoden dürfen nur die Eizellen der Frau befruchtet werden, bei der die Schwangerschaft herbeigeführt werden soll.

3.1.3 Sozialversicherungsrechtliche Voraussetzungen    

Sofern Leistungen der Verfahren zur assistierten Reproduktion von der Gesetzlichen Krankenversicherung getragen werden, sind ferner die Bestimmungen des Sozialgesetzbuches V (insbes. §§ 27a, 92, 121a und 135 ff. SGB V) und die Richtlinien über ärztliche Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung des Gemeinsamen Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen in der jeweils gültigen Fassung zu beachten.

3.1.4 Berufsrechtliche Voraussetzungen

Jede Ärztin / jeder Arzt, der solche Maßnahmen durchführen will und für sie die Gesamtverantwortung trägt, hat die Aufnahme der Tätigkeit bei der Ärztekammer anzuzeigen und nachzuweisen, dass die fachlichen, personellen und technischen Voraussetzungen erfüllt sind, außerdem hat sie / er an den Maßnahmen der Qualitätssicherung teilzunehmen. Änderungen sind der Ärztekammer unverzüglich anzuzeigen.

Eine Ärztin / ein Arzt kann nicht dazu verpflichtet werden, entgegen ihrer / seiner Gewissensüberzeugung Verfahren der assistierten Reproduktion durchzuführen.

3.2Information, Aufklärung, Beratung und Einwilligung

Das Paar muss vor Beginn der Behandlung durch die behandelnde Ärztin / den behandelnden Arzt über die vorgesehene Behandlung, die Art des Eingriffs, die Einzelschritte des Verfahrens, seine zu erwartenden Erfolgsaussichten, Komplikationsmöglichkeiten, Risiken, mögliche Alternativen, sonstige Umstände, denen erkennbar Bedeutung beigemessen wird, und die Kosten informiert, aufgeklärt und beraten werden.

3.2.1 Medizinische Aspekte

Im Einzelnen sind Information, Aufklärung und Beratung insbesondere zu folgenden Punkten zu geben:

- Ablauf des jeweiligen Verfahrens

- Erfolgsrate des jeweiligen Verfahrens

- Möglichkeit einer behandlungsunabhängigen Schwangerschaft

- Zystenbildung nach Stimulationsbehandlung

- Überstimulationsreaktionen

- Nebenwirkungen von Medikamenten

- operative Komplikationen bei Follikelpunktionen

- Festlegung der Höchstzahl der zu transferierenden Embryonen

- Kryokonservierung für den Fall, dass Embryonen aus unvorhergesehenem Grund nicht transferiert werden können

- Abortrate in Abhängigkeit vom Alter der Frau

- Eileiterschwangerschaft

- durch die Stimulation bedingte erhöhte Mehrlingsrate und den damit verbundenen mütterlichen und kindlichen Risiken (u.a. mit Folge der Frühgeburtlichkeit)

- möglicherweise erhöhtes Risiko von Auffälligkeiten bei Kindern, insbesondere nach Anwendung der ICSI-Methode

- mögliche Risiken bei neuen Verfahren, deren endgültige Risikoeinschätzung nicht geklärt ist.

Neben diesen behandlungsbedingten Risiken müssen Faktoren, die sich auf das Basisrisiko auswirken (z. B.  erhöhtes Alter der Partner, Verwandtenehe), Berücksichtigung finden. Hierzu sollte eine Stammbaumerhebung beider Partner über mindestens drei Generationen hinweg (u. a. Fehlgeburten, Totgeburten, Personen mit körperlichen oder geistigen Behinderungen, andere Familienmitglieder mit Fertilitätsstörungen) durchgeführt werden. Ergeben sich Hinweise auf Chromosomenstörungen oder auf Erkrankungen, die genetisch bedingt sein könnten, so muss über Information und Aufklärung hinaus das Angebot einer humangenetischen Beratung erfolgen und dies dokumentiert werden.

3.2.2 Psychosoziale Aspekte

Im Einzelnen sind Information, Aufklärung und Beratung insbesondere zu folgenden Punkten zu geben:

- psychische Belastung unter der Therapie (der psychische Stress kann belastender erlebt werden als die medizinischen Schritte der Behandlung)

- mögliche Auswirkung auf die Paarbeziehung

- mögliche Auswirkung auf die Sexualität

- mögliche depressive Reaktion bei Misserfolg

- mögliche Steigerung des Leidensdrucks der Kinderlosigkeit bei erfolgloser Behandlung

- Alternativen (Adoption, Pflegekind, Verzicht auf Therapie)

- mögliche psychosoziale Belastungen bei Mehrlingen.

3.2.3 Aspekte der humangenetischen Beratung

Dem Paar muss über Information und Aufklärung hinaus eine humangenetische Beratung (vgl. Kapitel „Humangenetische Beratung“) insbesondere angeboten werden bei:

- Anwendung der ICSI-Methode im Zusammenhang mit einer schweren Oligoasthenoteratozoospermie oder nicht entzündlich bedingter Azoospermie

- genetisch bedingten Erkrankungen in den Familien

- einer Polkörperdiagnostik (PKD)

- habituellen Fehl- und Totgeburten

- Fertilitätsstörungen in der Familienanamnese.

3.2.4 Aspekte der behandlungsunabhängigen Beratung

Unabhängig von dieser Art der Information, Aufklärung und Beratung muss die behandelnde Ärztin / der behandelnde Arzt dem Paar die Möglichkeit einer behandlungsunabhängigen ärztlichen Beratung empfehlen und auf die Möglichkeit einer psychosozialen Beratung hinweisen.

3.2.5 Aspekte der Kostenübernahme

Fragen zur Übernahme der Kosten der Behandlung durch gesetzliche oder private Krankenkassen bzw. Beihilfeträger sind zu erörtern.

3.2.6 Aspekte der Dokumentation

Die erfolgte Information, Aufklärung, Beratung und die Einwilligung der Partner zur Behandlung müssen dokumentiert und von beiden Partnern und der aufklärenden Ärztin / dem aufklärenden Arzt unterzeichnet werden.

4. Fachliche, personelle und technische Voraussetzungen

Die Durchführung der Methoden

-  homologe Insemination nach hormoneller Stimulation

-  IVF mit ET

-  GIFT

-  ICSI mit ET

-  heterologe Insemination nach hormoneller Stimulation

-  heterologe IVF / ICSI

-  PKD

als Verfahren setzt die Erfüllung der nachstehend festgelegten fachlichen, personellen und technischen Mindestanforderungen voraus. Die Anzeige umfasst den Nachweis, dass die sachgerechte Durchführung der erforderlichen Leistungen sowohl fachlich (Ausbildungs- und Qualifikationsnachweis) als auch personell und sachlich (räumliche und apparative Ausstattung) auf den nachstehend genannten Teilgebieten gewährleistet ist.

4.1 Homologe Insemination nach Stimulation

4.1.1 Fachliche Voraussetzungen

Die anwendende Fachärztin / der anwendende Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe muss über den Schwerpunkt bzw. über die fakultative Weiterbildung „Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin“ verfügen.

4.1.2 Technische Voraussetzungen

Folgende Einrichtungen müssen ständig verfügbar bzw. einsatzbereit sein:

- Hormonlabor

- Ultraschalldiagnostik

- Labor für Spermiendiagnostik und Spermienpräparation.

4.2 Heterologe Insemination nach Stimulation

Es gelten die gleichen fachlichen und technischen Voraussetzungen wie für die homologe Insemination nach Stimulation (siehe hierzu: 4.1.1 und 4.1.2).

4.3 IVF mit ET, GIFT, ICSI, PKD

Diese Methoden setzen für die Patientenbetreuung das Zusammenwirken in einer ständig einsatzbereiten interdisziplinären Arbeitsgruppe voraus.

4.3.1 Fachliche Voraussetzungen

Die Leitung bzw. die stellvertretende Leitung der Arbeitsgruppe obliegt Fachärztinnen/Fachärzten für Frauenheilkunde und Geburtshilfe mit dem Schwerpunkt bzw. mit der fakultativen Weiterbildung „Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin“. Ihnen obliegen die verantwortliche Überwachung der in dieser Richtlinie festgeschriebenen Maßnahmen.

Die Mitglieder der Arbeitsgruppe müssen über folgende Kenntnisse und Erfahrungen verfügen:

- Endokrinologie der Reproduktion

- Gynäkologische Sonographie

- Operative Gynäkologie

- Reproduktionsbiologie mit dem Schwerpunkt der In-vitro - Kultur

- Andrologie

- Psychosomatische Grundversorgung.

Von diesen sechs Bereichen können nur zwei gleichzeitig von einer Ärztin oder Wissenschaftlerin/einem Arzt oder Wissenschaftler der Arbeitsgruppe neben der Qualifikation der Psychosomatischen Grundversorgung verantwortlich geführt werden.

Grundsätzlich müssen Ärztinnen/Ärzte mit der Zusatzbezeichnung „Andrologie“ in Diagnostik und Therapie im Rahmen der assistierten Reproduktion integriert sein.

Die regelmäßige Kooperation mit einer Humangenetikerin / einem Humangenetiker und einer ärztlichen oder Psychologischen Psychotherapeutin / einem Psychotherapeuten muss gewährleistet sein.

Es empfiehlt sich weiterhin eine Kooperation mit einer psychosozialen Beratungsstelle.

Falls eine PKD durchgeführt werden soll, obliegt die humangenetische Beratung und die zytogenetische oder molekulargenetische Diagnostik Fachärztinnen / Fachärzten für Humangenetik oder Ärztinnen / Ärzten mit der Zusatzbezeichnung „Medizinische Genetik“.

4.3.2 Technische Voraussetzungen

Folgende Einrichtungen müssen ständig verfügbar bzw. einsatzbereit sein:

- Hormonlabor

- Ultraschalldiagnostik

- Operationsbereitschaft mit Anästhesie-Team

- Labor für Spermiendiagnostik und -präparation

- Labor für In-vitro-Fertilisation, In-vitro-Kultur und ggf. Mikroinjektion

- EDV-gestützte Datenerfassung

- Möglichkeit der Kryokonservierung.

Falls eine PKD durchgeführt werden soll, muss die untersuchende Institution über diagnostische Erfahrung mittels molekulargenetischer und molekular-zytogenetischer Methoden an Einzelzellen verfügen.

5. Voraussetzungen für spezielle Methoden und Qualitätssicherung

5.1  Embryotransfer

Ziel einer Sterilitätstherapie ist die Herbeiführung einer Einlingsschwangerschaft, da diese Schwangerschaft im Vergleich zu Mehrlingsschwangerschaften das geringste Risiko für Mutter und Kind darstellt.

Zwillingsschwangerschaften beinhalten für die Mutter erhöhte Risiken (schwangerschaftsinduzierter Hypertonus, Präeklampsie), die in der Beratung mit zu berücksichtigen sind. Die Risiken für das Kind sind bei Zwillingen im Vergleich zu Einlingen ebenfalls erhöht, wobei besondere Komplikationen bei monozygoten Zwillingsschwangerschaften zu erwarten sind (z. B. fetofetales Transfusionssyndrom).

Höhergradige Mehrlinge (mehr als Zwillinge) sollen verhindert werden, da hierbei sowohl das Leben oder die Gesundheit der Mutter gefährdet als auch die Morbidität und Mortalität der meist frühgeborenen Kinder deutlich erhöht sein können.

Das Risiko besonders für höhergradige Mehrlinge mit allen gesundheitlichen und sozialen Problemen für Kinder und Eltern wiegt so schwer, dass das Ziel, eine Schwangerschaft herbeizuführen, untergeordnet werden muss. Zur Senkung des Mehrlingsrisikos müssen folglich die wesentlichen Parameter wie Alter der Mutter, Anzahl der bisherigen Versuche und Indikation zur Therapie abgewogen werden.

Es ist daher unter Berücksichtigung des aktuellen Wissensstandes zu empfehlen, bei Patientinnen unter 38 Jahren im ersten und zweiten IVF- und / oder ICSI-Versuch nur zwei Embryonen zu transferieren. Wenn von dem Paar der Transfer von drei Embryonen gewünscht wird, darf dies nur nach ausführlicher Information und Aufklärung über das erhöhte Risiko für höhergradige Mehrlingsschwangerschaften und den damit verbundenen Risiken für Mutter und Kind sowie nach entsprechender Dokumentierung der hiermit verbundenen Gefahren erfolgen.

5.2 Kryokonservierung

Kryokonservierung von Eizellen im Stadium der Vorkerne zur Behandlung der Infertilität von Patientinnen ist zulässig. Kryokonservierung von Embryonen ist nur in Ausnahmefällen zulässig, wenn die im Behandlungszyklus vorgesehene Übertragung nicht möglich ist.

Die weitere Kultivierung von Eizellen im Vorkernstadium darf nur zum Zwecke des Transfers und nur mit der Einwilligung beider Partner vorgenommen werden. Das Paar ist darauf hinzuweisen, dass über konservierte Eizellen im Vorkernstadium beide nur gemeinschaftlich verfügen können. Hierüber ist eine schriftliche Vereinbarung zu treffen.

Die Kryokonservierung von Eizellen ist ebenfalls möglich, jedoch nicht so erfolgreich wie die Kryokonservierung von Eizellen im Vorkernstadium. Die Kryokonservierung von Ovarialgewebe ist als experimentell anzusehen.

Die Kryokonservierung von ejakulierten, epididymalen und testikulären Spermatozoen bzw. von Hodengewebe kann ohne Einschränkung durchgeführt werden.

5.3 Verwendung von heterologem Samen

5.3.1 Medizinische Aspekte

Der Einsatz von heterologem Samen ist medizinisch zu begründen, und es ist darzulegen, warum der Einsatz von homologem Samen nicht erfolgreich war oder nicht zum Einsatz kommen konnte (siehe 2.1.6).

Die Ärztin / der Arzt hat sicherzustellen, dass

-  kein Mischsperma verschiedener Samenspender verwendet wird,

-  kein frisches Spendersperma verwendet wird,

-  der Samenspender vor der ersten Samenprobe auf HIV 1 und 2 untersucht wurde,

-  weitere HIV-Kontrollen in regelmäßigen Abständen von sechs Monaten erfolgt sind,

-  die heterologe Insemination mit kryokonserviertem Sperma nur erfolgen darf, wenn es über eine Quarantänezeit von mindestens 180 Tagen gelagert wurde und wenn der Spender auch nach Ablauf dieser Zeit frei von HIV 1 - und 2 - Infektionen geblieben ist und

-  eine serologische Untersuchung auf Hepatitis B und C, Treponema pallidum, Cytomegalieviren (Verwendung von CMV-positivem Spendersperma nur für CMV-positive Frauen) durchgeführt wurde.

Dies gilt auch bei der Kooperation mit Samenbanken.

Eine Erfassung von medizinischen und phänotypischen Merkmalen wie Blutgruppe, Augenfarbe, Haarfarbe, Körpergröße, Körperstatur und Ethnie erscheint sinnvoll. Die Ärztin / der Arzt soll darauf achten, dass ein Spender nicht mehr als zehn Schwangerschaften erzeugt.

5.3.2 Psychosoziale Beratung

Vor einer heterologen Insemination müssen die künftigen Eltern über die möglichen psychosozialen und ethischen Probleme, welche die heterologe Insemination mit sich bringt, beraten werden. Dabei soll auf die künftige Entwicklung ihrer Beziehung sowie auf die Frage der künftigen Aufklärung des Kindes über seine Abstammung besonderes Gewicht gelegt werden. Die Beratung erfolgt im Rahmen eines ärztlichen Gesprächs; dabei soll den künftigen Eltern eine weiterführende, qualifizierte Beratung durch ärztliche oder Psychologische Psychotherapeuten oder auch psychosoziale Beratungsstellen angeboten werden.

5.3.3 Rechtliche Aspekte

Die behandelnde Ärztin / der behandelnde Arzt muss sich über die möglichen rechtlichen Folgen der Verwendung von heterologem Samen für alle Beteiligten unterrichten. Unbeschadet dieser eigenverantwortlich durchzuführenden Unterrichtung wird empfohlen, folgende Grundsätze zu beachten:

5.3.3.1 Unterrichtung über Rechtsfolgen

Die behandelnde Ärztin / der behandelnde Arzt sollte sich vor der Verwendung von heterologem Samen vergewissern, dass der Samenspender und die künftigen Eltern über mögliche rechtliche Konsequenzen unterrichtet worden sind.

5.3.3.2 Dokumentation der Beratung

Die behandelnde Ärztin / der behandelnde Arzt muss 

-  die Identität des Samenspenders und die Verwendung der Samenspende dokumentieren;

außerdem muss sie / er dokumentieren,

-  dass sich der Samenspender mit der Dokumentation von Herkunft und Verwendung der Samenspende und – für den Fall eines an sie / ihn gerichteten Auskunftsverlangens des Kindes – mit einer Bekanntgabe seiner Personalien einverstanden erklärt hat,

-  dass sich die künftigen Eltern mit der Verwendung von heterologem Samen und der  Dokumentation von Herkunft und Verwendung der Samenspende einverstanden erklärt haben und die behandelnde Ärztin / den behandelnden Arzt - für den Fall eines an diese / diesen gerichteten Auskunftsverlangens des Kindes oder eines der künftigen Elternteile – von ihrer / seiner  Schweigepflicht entbunden haben.

Dies gilt auch für den Fall, dass die behandelnde Ärztin / der behandelnde Arzt mit einer Samenbank kooperiert; die Dokumentation kann nicht auf die Samenbank delegiert werden.

5.4 Verfahrens- und Qualitätssicherung

Erforderlich sind die Qualitätssicherung der medizinisch angewendeten Verfahren und deren Dokumentation.

5.4.1 Dokumentation

Zum Zwecke der Verfahrens- und Qualitätssicherung hat die Leiterin bzw. der Leiter der Arbeitsgruppe der Ärztekammer jährlich einen Bericht über die Arbeit der Arbeitsgruppe vorzulegen. Die Ärztin/der Arzt kann sich hierzu der Dokumentation gegenüber dem Deutschen IVF-Register = DIR bedienen.

In dem Bericht müssen im Einzelnen mindestens dokumentiert werden:

-  homologe Insemination nach hormoneller Stimulation

-  IVF mit ET

-  GIFT

-  ICSI

-  heterologe Insemination nach hormoneller Stimulation

-  heterologe IVF / ICSI

-  PKD

bezüglich:

-  Alter der Patientin

-  Indikation der Methoden

-  Verlauf der Stimulation

-  Anzahl und Befruchtungsrate der inseminierten Eizellen bei IVF / ICSI

-  Anzahl der transferierten Eizellen bei GIFT

-  Anzahl der transferierten Embryonen bei IVF / ICSI

-  Schwangerschaftsrate

-  Geburtenrate

-  Fehlgeburten

-  Eileiterschwangerschaften

-  Schwangerschaftsabbrüche

-  Mehrlingsrate

-  Fehlbildungen.

Die Datenerfassung hat den  Anforderungen an Prospektivität zu genügen. Die Prospektivität der Datenerhebung wird dadurch gewährleistet, dass die ersten Angaben zum Behandlungszyklus innerhalb von acht Tagen nach Beginn der hormonellen Stimulation eingegeben werden sollen. Dies ist notwendig, um eine nachträgliche Selektion nach erfolgreichen und nicht erfolgreichen Behandlungszyklen und somit eine bewusste oder unbewusste Manipulation der Daten zu vermeiden. Durch die prospektive Erfassung der Daten wird eine Auswertung  im Sinne der Qualitätssicherung ermöglicht, die nicht nur der interessierten Ärztin / dem interessierten Arzt, sondern auch der interessierten Patientin den Behandlungserfolg sowie die Bedeutung eventuell beeinflussender Faktoren transparent macht.

5.4.2 Weitere Regelungen

Soweit die Behandlung als Leistung der Gesetzlichen Krankenversicherung erbracht wird, sind neben den vorstehenden Regelungen die Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses gemäß § 92 SGB V zu beachten.

5.4.3 Ständige Kommission der Ärztekammer

Die Ärztekammer bildet eine „Ständige Kommission In-vitro-Fertilisation/Embryotransfer“, die die Einhaltung der in dieser Richtlinie definierten fachlichen, personellen und technischen Voraussetzungen prüft.  Die Kommission prüft ferner die Qualität der Arbeitsgruppen verfahrens- und ergebnisbezogen und berät sie. Ihr gehört neben geeigneten Ärztinnen /Ärzten mindestens eine Juristin/ein Jurist an. Mindestens eine Ärztin/ein Arzt muss Erfahrungen in der Reproduktionsmedizin haben. Die Kommission kann sich in speziellen Fragen durch Vertreter anderer Gebiete ergänzen.

5.4.4 Meldung von Verstößen

Verdacht auf Verstöße gegen die Richtlinie, auch auffälliges Ausbleiben der Dokumentationen nach 5.4.1, sind der Ärztekammer zu melden.“

Artikel II

Diese Änderung der Berufsordnung tritt am Tage nach der Veröffentlichung in Kraft.

Münster, den 27.11.2006

Dr. med. Theodor Windhorst
P r ä s i d e n t

Genehmigt:

Düsseldorf, den 15.12.2006

Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales
des Landes Nordrhein-Westfalen

- Az.: III  7 – 0810.53 -

Im Auftrag
(G o d r y)

Die Änderung der Berufsordnung wird hiermit ausgefertigt und im Ministerialblatt für das Land Nordrhein-Westfalen sowie im „Westfälischen Ärzteblatt“ bekannt gemacht.

Münster, den 22.12.2006

Dr. med. Theodor Windhorst
P r ä s i d e n t

- MBl. NRW. 2007 S. 93