Ministerialblatt (MBl. NRW.)
Ausgabe 2008 Nr. 20 vom 4.8.2008 Seite 375 bis 388
Rechtsschutz für Landesbeschäftigte
203030
Rechtsschutz für
Landesbeschäftigte
Gem. RdErl. d.
Innenministeriums - 24 - 1.42 - 2/08 -
u.d. Finanzministeriums - IV - B 1110-85.4-IV A 2-
vom 7. 7. 2008
Bei der Gewährung
von Rechtsschutz für Beschäftigte des Landes Nordrhein-Westfalen (NRW) ist wie
folgt zu verfahren:
I. Geltungsbereich
1.
Dieser Gemeinsame Runderlass gilt für Beschäftigte des Landes Nordrhein -
Westfalen. Beschäftigte sind Beamtinnen und Beamte, Richterinnen und Richter,
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie Auszubildende des Landes NRW. Satz 2
gilt auch für Ehemalige.
2.
Auf die in einem öffentlich-rechtlichen Amtsverhältnis zum Land stehenden
Personen sowie Personen, die in einem öffentlich-rechtlichen Amtsverhältnis zum
Land gestanden haben, sind die Regelungen entsprechend anzuwenden.
II. Rechtsschutz in Strafverfahren
1.
Ist gegen Beschäftigte des Landes wegen einer dienstlichen Tätigkeit oder eines
Verhaltens, das mit einer dienstlichen Tätigkeit im unmittelbaren Zusammenhang
steht, ein strafrechtliches Ermittlungs- oder ein Bußgeldverfahren eingeleitet,
die öffentliche Klage im strafgerichtlichen Verfahren, Privatklage (§ 374 StPO)
oder Nebenklage (§ 395 StPO) erhoben, der Erlass eines Strafbefehls beantragt
oder ein Bußgeldbescheid erlassen worden, kann auf Antrag zur Bestreitung der
notwendigen Kosten der Rechtsverteidigung ein Vorschuss oder, wenn Dienstbezüge
oder Entgelt nicht gezahlt werden, ein zinsloses Darlehen gewährt werden.
2.
Voraussetzung für die Gewährung des Vorschusses oder Darlehens ist, dass
a)
ein dienstliches Interesse an einer zweckentsprechenden Rechtsverteidigung
besteht,
(Ein
dienstliches Interesse liegt beispielsweise vor, wenn bei Verurteilung von
Beschäftigten mit Schadensersatzansprüchen gegen das Land zu rechnen ist; dies
ist in der Regel in Verfahren gegen Polizeivollzugsbeamtinnen und -beamte sowie
Justizvollzugsbeamtinnen und -beamte gegeben, soweit sie Vollzugsaufgaben
wahrnehmen oder in Wahrnehmung hoheitlicher Befugnisse Zwang ausüben.)
b)
die Verteidigungsmaßnahme, etwa die Bestellung eines Verteidigers bzw. einer
Verteidigerin oder die Einholung eines Gutachtens, wegen der Eigenart der Sach-
oder Rechtslage geboten erscheint,
c)
nach den Umständen des Falles anzunehmen ist, dass den Beschäftigten kein oder
nur ein geringes Verschulden trifft,
d)
die vorläufige Übernahme der Kosten den Beschäftigten im Hinblick auf die Art
des Rechtsverfahrens und das in Streit stehende
Verhalten oder Tätigwerden nicht zugemutet werden kann,
e)
von anderer Seite - ausgenommen von Berufsverbänden - kostenfreier Rechtsschutz
nicht zu erlangen ist.
3.
Werden Beschäftigte im Strafverfahren freigesprochen, so werden die nicht anderweitig
gedeckten notwendigen Kosten der Rechtsverteidigung endgültig vom Land getragen.
Die Kosten in
Strafverfahren können ganz oder teilweise übernommen werden, wenn
a)
das Verfahren nicht nur vorläufig eingestellt oder nicht eröffnet wird oder
b)
von einer Strafverfolgung gegen Beschäftigte abgesehen wird und feststeht oder
zumindest die Annahme gerechtfertigt ist, dass kein oder nur ein geringes
Verschulden vorliegt.
Wird gegen
Rechtsschutzsuchende rechtskräftig eine Strafe oder eine Geldbuße verhängt oder
das Ermittlungsverfahren nach § 153 a StPO endgültig eingestellt, so ist der
Vorschuss oder das Darlehen in angemessenen Raten zu tilgen. Das gleiche gilt
für Verfahrenskosten und Auslagen, die Rechtsschutzsuchende durch eine
schuldhafte Säumnis verursacht haben und die aus diesem Grund nicht der
Staatskasse auferlegt worden sind.
4.
Werden Beschäftigte im Strafverfahren verurteilt, müssen diese grundsätzlich
die Kosten der Rechtsverteidigung selbst tragen. Liegt nach den Feststellungen
des Gerichts nur ein geringes Verschulden vor, können die anderweitig nicht
gedeckten notwendigen Rechtsverteidigungskosten zu einem angemessenen Teil,
ausnahmsweise aus Billigkeitsgründen auch in voller Höhe, endgültig vom Land
übernommen werden.
5.
Werden Beschäftigte im Bußgeldverfahren freigesprochen oder der Bescheid
zurückgenommen und das Verfahren eingestellt, werden die anderweitig nicht
gedeckten Kosten der Rechtsverteidigung vom Land getragen. Wird das
Bußgeldverfahren aus anderen Gründen eingestellt, können die Kosten ganz oder
teilweise vom Land übernommen werden.
III. Rechtsschutz in Zivilverfahren
1.
Wollen Beschäftigte des Landes wegen einer dienstlichen Tätigkeit oder eines Verhaltens,
das mit der dienstlichen Tätigkeit in unmittelbarem Zusammenhang steht, in
einem Zivilverfahren eigene zivilrechtliche Ansprüche aus Rechtsverletzungen,
die im unmittelbaren Zusammenhang mit der dienstlichen Tätigkeit stehen, gegen
Dritte gerichtlich durchsetzen (Aktivprozess), kann auf Antrag zur Bestreitung
der notwendigen Kosten der Rechtsverteidigung ein Vorschuss oder zinsloses
Darlehen gewährt werden. Entsprechendes gilt, wenn Beschäftigte von Dritten in
Anspruch genommen werden (Passivprozess).
2.
Für die Gewährung eines Vorschusses oder Darlehens gilt Abschnitt II Nr. 2
entsprechend.
3.
Unberührt bleibt ein Anspruch nach § 2 Abs. 2 des Gesetzes über die
Pflichtversicherung für Kraftfahrzeughalter (Pflichtversicherungsgesetz – PflVG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 5. April 1965
(BGBl. I S. 213) in Verbindung mit § 101 Abs. 1 Satz 2 und 3 des Gesetzes über
den Versicherungsvertrag in der im Bundesgesetzblatt Teil III,
Gliederungsnummer 7632-1, veröffentlichten bereinigten Fassung. Ferner bleibt
unberührt ein auf allgemeinen Rechtsgrundsätzen über die Beschränkung der
Arbeitnehmerhaftung beruhender Anspruch der Beschäftigten gegen den Dienstherrn
oder Arbeitgeber auf Übernahme der notwendigen Kosten der Rechtsverteidigung
sowie auf Freistellung von den auferlegten gerichtlichen Kosten.
4.
Soweit Beschäftigte im Zivilverfahren obsiegen, werden die anderweitig nicht
gedeckten notwendigen Kosten der Rechtsverfolgung endgültig vom Land getragen.
Gleiches gilt, wenn ein Kostenerstattungsanspruch wegen Zahlungsunfähigkeit des
Prozessgegners oder aus anderen Gründen nicht durchsetzbar ist. Der
Kostenerstattungsanspruch ist in diesem Fall an den Dienstherrn oder
Arbeitgeber abzutreten.
5.
Soweit Beschäftigte im Zivilverfahren unterliegen, sind die Kosten der
Rechtsverfolgung grundsätzlich selbst zu tragen, es sei denn, es liegt ein
finanzieller Härtefall vor. Die Beschäftigten haben das Vorliegen eines
Härtefalles darzulegen.
6.
Soweit ein Zivilverfahren anders als durch Urteil endet (zum Beispiel
Vergleich, Anerkenntnis, Rücknahme), können die anderweitig nicht gedeckten
notwendigen Kosten der Rechtsverfolgung zu einem angemessenen Teil,
ausnahmsweise auch in voller Höhe, vom Land übernommen werden.
IV. Rechtsschutz vor parlamentarischen
Untersuchungsausschüssen
Beschäftigten
kann auf Antrag zur Bestreitung der notwendigen Kosten in Verfahren vor
parlamentarischen Untersuchungsausschüssen ein Vorschuss oder zinsloses Darlehen
in entsprechender Anwendung dieses Runderlasses gewährt werden, soweit nicht
nach § 25 des Gesetzes über Einsetzung und Verfahren von
Untersuchungsausschüssen des Landtages vom 18. Dezember 1984 (SGV. NRW. 1101)
eine Entschädigung oder Erstattung erfolgt.
V. Rechtsschutz auf Veranlassung des
Landes Nordrhein-Westfalen
Haben
Beschäftigte auf Veranlassung der obersten Dienstbehörde oder des jeweils
zuständigen Dienstvorgesetzten in einem zivilgerichtlichen Verfahren einen
Antrag gestellt oder eine Klage erhoben oder gegen eine straf- oder
zivilgerichtliche Entscheidung Rechtsbehelfe eingelegt, so sind auch bei deren
Erfolglosigkeit die dadurch entstandenen notwendigen Kosten der
Rechtsverteidigung und Rechtsverfolgung vom Land zu tragen. Die Kostenerstattung
gilt auch für die den Beschäftigten auferlegten Gerichtskosten sowie für die
notwendigen Auslagen von Nebenklägern. Auf Antrag ist Beschäftigten die
Übernahme der Kosten schriftlich zuzusichern.
Vl. Notwendige Kosten
1.
Die Notwendigkeit der Kosten richtet sich nach den in den Straf-, Bußgeld- und
Zivilverfahren geltenden Regelungen.
2.
Die Vereinbarung einer Vergütung im Sinne des § 4 des Gesetzes über die
Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte
(Rechtsanwaltsvergütungsgesetz - RVG) vom 5. Mai 2004 (BGBl. 1 S. 718, 788)
darf nur dann als notwendig anerkannt und bei der Bemessung der Höhe des
Vorschusses oder Darlehens berücksichtigt werden, wenn dies nach der Bedeutung
der Angelegenheit sowie nach Umfang und Schwierigkeiten der anwaltlichen
Tätigkeit gerechtfertigt erscheint.
VII. Zuständigkeit, Verfahren
1.
Zuständige Stelle für die nach diesem Runderlass zu treffenden Entscheidungen
ist der oder die Dienstvorgesetzte, für Personen nach Ziffer I Nr. 2 die
Staatskanzlei.
Die oberste
Dienstbehörde kann allgemein oder im Einzelfall eine andere Stelle benennen,
wenn die Entscheidung wegen der Eigenart der zu entscheidenden Fragen
zweckmäßigerweise von dieser Stelle getroffen wird.
2.
Der Antrag auf Gewährung eines Vorschusses oder Darlehens ist schriftlich für
jede Instanz neu zu stellen und auf dem Dienstweg der zuständigen Stelle
vorzulegen. Er soll enthalten:
a)
das Aktenzeichen der Verwaltungsbehörde oder des Gerichts,
b)
eine kurz gefasste Schilderung des Sachverhalts,
c)
die Gründe, welche die Rechtsschutzmaßnahme geboten erscheinen lassen,
d)
die Erklärung, dass Rechtsschutz von anderer Seite nicht zu erlangen ist,
e)
Namen und Anschrift des in Aussicht genommenen oder bereits beauftragten
Verteidigers sowie
f)
die voraussichtlichen Kosten des Rechtsschutzes.
3.
Aktivprozesse sollen erst dann eingeleitet werden, wenn über die Gewährung des
Vorschusses oder Darlehens entschieden worden ist.
4.
Über die endgültige Kostenübernahme entscheidet die zuständige Stelle auf
Antrag. Antragsteller und Antragstellerinnen haben dabei die abschließende
Entscheidung sowie die Kostenrechnung unverzüglich vorzulegen.
Bei Vereinbarung
über die Vergütung darf erst nach Vorlage einer genauen Endabrechnung des
Rechtsanwalts oder der Rechtsanwältin entschieden werden.
Eine
Überschreitung der gesetzlichen Gebühr kann als notwendig anerkannt werden,
wenn dies nach der Bedeutung der Angelegenheit sowie nach Art und Schwierigkeit
der anwaltlichen Tätigkeit gerechtfertigt erscheint. Bei erheblicher
Überschreitung des gesetzlichen Gebührenrahmens hat die Behörde in
Zweifelsfällen eine Auskunft der Rechtsanwaltskammer über die Angemessenheit
der Vergütung einzuholen.
5.
Liegen die jeweiligen Voraussetzungen vor, können die den Beschäftigten
erwachsenen notwendigen Kosten der Rechtsverteidigung und Rechtsverfolgung auf
Antrag auch dann vom Land getragen werden, wenn bis zum Abschluss des
Verfahrens ein Vorschuss oder Darlehen nicht gewährt worden ist.
6.
Beschäftigte haben den Vorschuss oder das Darlehen zurückzuzahlen, soweit die
Kosten anderweitig gedeckt werden können oder nicht endgültig vom Land getragen
werden. Ratenzahlung kann unter den Voraussetzungen nach § 59 Abs. 1 Nr. 1 der
Landeshaushaltsordnung (LHO) in der Fassung der Bekanntmachung vom 26. April 1999 (GV. NRW. S. 158 / SGV. NRW. 630) vereinbart werden.
7.
Vorschüsse an Rechtsschutzsuchende, die Dienstbezüge, Entgelte aus
Landesmitteln erhalten, sind im Vorschussbuch zu buchen (§ 60 LHO). Soweit die
Kosten endgültig vom Land übernommen werden, sind sie bei Festtitel 546 01
(Vermischte Ausgaben) als Ausgabe zu buchen. Darlehen sind als Ausgabe bei
Festtitel 546 01 (Vermischte Ausgaben) und Einnahmen aus Tilgungen bei einem
Titel der Gruppe 182 (Sonstige Darlehensrückflüsse - Tilgung von Darlehen) zu
buchen.
VIII. Anwendungsempfehlung
Den Gemeinden
und Gemeindeverbänden sowie den sonstigen der Aufsicht des Landes NRW unterstehenden
Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts wird
empfohlen, entsprechend zu verfahren.
IX. Übergangsregelung
Für Verfahren,
deren Antrag auf Gewährung von Rechtsschutz vor Inkrafttreten dieses
Runderlasses bereits bewilligt wurde, gelten die bisherigen Regelungen.
X. Inkrafttreten und Außerkrafttreten
Dieser
Gemeinsame Runderlass tritt am 1.8.2008 in Kraft, er tritt zum 31.12.2013 außer
Kraft. Gleichzeitig tritt der Runderlass betr. Rechtsschutz für Landes für Beschäftigte in Strafsachen und Bußgeldverfahren vom 30.
Oktober 1967 (MBl. NRW. S. 1806), zuletzt
geändert durch Runderlass vom 16. September 1981 (MBl. NRW. S. 2092), außer Kraft.
MBl.
NRW. 2008 S. 376