Ministerialblatt (MBl. NRW.)
Ausgabe 2011 Nr. 29 vom 21.11.2011 Seite 419 bis 432

 

Hochwasserkrisenmanagement in Nordrhein-Westfalen Gem. RdErl. d. Ministeriums für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz und des Ministeriums für Inneres und Kommunales v. 28.10.2011

20020

Hochwasserkrisenmanagement
 in Nordrhein-Westfalen
Gem. RdErl. d. Ministeriums für Klimaschutz,
Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz
und des Ministeriums für Inneres und Kommunales
v. 28.10.2011

Mit diesem Erlass soll ein strukturiertes Zusammenwirken aller beteiligten Behörden und Einrichtungen für den Fall eines akuten (drohenden) Hochwassers sichergestellt werden. Durch entsprechende Vorplanungen sollen Aufgabenverteilung, Abläufe und Informationsflüsse so aufeinander abgestimmt werden, dass sie im Ereignisfall eine effektive und effiziente Gefahrenabwehr sicherstellen.

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Einführung

Das Auftreten von Hochwasserereignissen an den Fließgewässern ist ein natürliches Phänomen und lässt sich zum Teil mehrere Jahrhunderte zurückverfolgen. Dabei wird es vielfach durch anthropogene Einflüsse verstärkt. Eine Zunahme solcher Ereignisse auf Grund des Klimawandels ist nicht auszuschließen.

Die Entwicklung von Hochwasserereignissen ist dabei sehr unterschiedlich und hängt mit der Fließlänge der Gewässer und ihrer Lage im Berg oder Flachland zusammen. Am Rhein entwickelt sich Hochwasser z.B. langsam, die hohen Wasserstände können aber mehrere Wochen erhalten bleiben. An kleineren Fließgewässern entstehen Hochwasser überwiegend durch kleinräumige Niederschlagsereignisse hoher Ergiebigkeit, die kurzzeitig zu enorm rasch steigenden, aber nachfolgend wieder relativ schnell sinkenden Wasserständen führen.

Mit präventiven Maßnahmen wie der Festsetzung von Überschwemmungsgebieten und der Erhaltung deren Rückhaltefunktion, der Erstellung von Hochwassergefahren- bzw. Hochwasserrisikokarten und Hochwasserrisikomanagementplänen sowie baulichen Maßnahmen (insbesondere Deiche) wird dem Entstehen beziehungsweise den Folgen eines Hochwassers entgegen gewirkt. Trotz dieser Maßnahmen werden sich Hochwasser nicht vermeiden lassen. Insofern ist es erforderlich, sich auf ein solches Ereignis in Form eines umfassenden Krisenmanagements vorzubereiten.

Unabhängig von der Ursache und der Erscheinungsform des Hochwassers bedarf es im Ereignisfalle zur Schadensverhinderung bzw. Schadensminimierung eines koordinierten Vorgehens aller beteiligten Behörden und Einrichtungen im Lande. Dem Hochwasserkrisenmanagement kommt damit besondere Bedeutung zu.

Sofern eine Gefährdung von Leben und Gesundheit zahlreicher Menschen oder erheblicher Sachwerte durch das Hochwasser vorliegt und damit einen über das gewöhnliche Maß hinausgehenden hohen Koordinierungs- und Entscheidungsbedarf verursacht, können auf den verschiedenen Verwaltungsebenen (kreisfreie Stadt, Kreis, Bezirksregierung, Landesregierung) Krisenstäbe entsprechend dem RdErl. d. Innenministeriums v. 14.12.2004 (SMBl. NRW. 20020) „Krisenmanagement durch Krisenstäbe bei den kreisfreien Städten, Kreisen und Bezirksregierungen bei Großschadensereignissen (§ 1 Abs. 3 FSHG) im Lande Nordrhein-Westfalen (Krisenstabserlass)“ eingerichtet werden. In diesem Falle hat der Krisenstab im Auftrag der/des politisch Gesamtverantwortlichen alle mit dem Ereignis im Zusammenhang stehenden Verwaltungsmaßnahmen zu koordinieren und zu treffen; Zuständigkeiten von Behörden und Einrichtungen bleiben unberührt.

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Grundlegende Informationen

Die Einschätzung bezüglich der Entwicklung eines Hochwassers erfolgt auf der Basis von Wasserstandsinformationen. Über die Internetseite „Hochwassermeldedienst“ des LANUV sind entsprechende Informationen zu einzelnen Gewässern verfügbar (http://www.lanuv.nrw.de/wasser/aktuellhochwa.htm).

Ggfs. sind Informationen auch bei den regional tätigen Wasserverbänden abrufbar.

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Zuständigkeiten

Wasserbehörden sind die Kreise und kreisfreien Städte (untere Wasserbehörden), die Bezirksregierungen (obere Wasserbehörden) und das für die Aufgaben nach dem Landeswassergesetz fachlich zuständige Ministerium (oberste Wasserbehörde). Auch im Hochwasserfalle verbleiben den Wasserbehörden ihre Aufgaben gemäß Wasserhaushaltsgesetz (WHG) und Landeswassergesetz (LWG) in Verbindung mit der Zuständigkeitsverordnung Umweltschutz (ZustVU) in ihrer jeweils gültigen Fassung.

Die Zuständigkeiten der Gemeinden, Kreise und kreisfreien Städte nach dem Gesetz über den Feuerschutz und die Hilfeleistung (FSHG) in der jeweils gültigen Fassung bleiben unberührt. Bei Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung können auch die örtlichen Ordnungsbehörden sofort tätig werden.

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Aufgaben der Wasserbehörden

4.1
Aufgabenverteilung

Gemäß § 100 WHG und § 116 Abs. 1 Nr. 5 und 6 LWG in Verbindung mit der ZustVU sind die Wasserbehörden u.a. zuständig für die Überwachung von Talsperren und Rückhaltebecken sowie Deichen (hierunter fallen alle linienförmigen Hochwasserschutzanlagen). Zu beachten sind ferner die Aufgaben nach § 121 LWG (Deichschau) und § 122 LWG (Wassergefahr). Die Überwachung obliegt insbesondere bei Talsperren und Rückhaltebecken bei einer Höhe des Absperrbauwerkes von 5 Metern und mehr und 100.000 Kubikmetern Inhalt (§ 105 Abs.1 LWG) sowie an Gewässern 1. Ordnung (s. Anlage 2 zu § 3 Abs.1 Nr.1 LWG) den oberen Wasserbehörden (Bezirksregierungen), bei den anderen Rückhaltebecken und Gewässern obliegt die Überwachung in der Regel bei den unteren Wasserbehörden (Kreise und kreisfreie Städte) (s.a. ZustVU). Gerade im Hochwasserfall kommt dieser Aufgabe eine besondere Bedeutung zu. In Zusammenarbeit mit den in erster Linie für die Betriebsüberwachung der Hochwasserschutzbauwerke im Hochwasserfall verantwortlichen Wasser- / Deichverbände bzw. Kommunen beziehen sich die Überwachungsaufgaben dann im Wesentlichen auf die rechtzeitige Erkennung von Besonderheiten an den Hochwasserschutzanlagen und deren fachliche Bewertung. Dies kann ggfs. bis zur Anordnung von ersten Maßnahmen zur Sicherung der Hochwasserschutzanlage gehen.

4.2
Einsatzplan

Die Wasserbehörden organisieren ihre gesetzlichen Überwachungsaufgaben (§ 100 WHG und § 116 Abs. 1 Nr. 5 und 6 LWG in Verbindung mit der ZustVU) im Hochwasserfall mittels eines Einsatzplanes. Dieser gilt für die Situation steigender Wasserstände sowie bei außergewöhnlichen Betriebszuständen bis zu deren Absinken auf ein unschädliches Niveau. In der Regel ist der Einsatzplan in Bezug auf die Intensität der Aufgabenwahrnehmung an der Entwicklung der Wasserstände auszurichten. Der Einsatzplan soll die Grundlage für das Handeln der Wasserbehörde im Hochwasserfall darstellen und insbesondere die eigene Aufgabenwahrnehmung sowie die Kommunikation und Abstimmung mit anderen verantwortlichen Dienststellen und Institutionen regeln. Dabei sind insbesondere folgende Punkte zu berücksichtigen:

- Beschreibung der Aufgabenwahrnehmung
Dabei sind z.B. folgende Punkte von Bedeutung:
-- Regelung zur Zusammenarbeit mit den für das Bauwerk verantwortlichen Institutionen (Wasser- / Deichverbände bzw. Kommunen) sowie Kontrolle deren Aufgabenwahrnehmung,
-- Regelung zur gezielten eigenen Überwachung kritischer Stellen,
-- Regelung zur Durchführung von Lageeinschätzungen zur Standsicherheit betroffener Bauwerke im Hochwasserfall,
-- Regelung zur ggf.erforderlichen Anordnung von ersten Maßnahmen zur Verteidigung einer Hochwasserschutzanlage,
-- Regelung zum Informationsaustausch,
- Erstellung eines Ablaufplanes in Abhängigkeit von zu erwartenden Wasserständen,
- Regelung des Personaleinsatzes zur Aufgabenwahrnehmung im Hochwasserfall,
- Festlegung einer regelmäßigen Fortschreibung des Einsatzplans.

4.3
Übergang der Verantwortlichkeit

Die Wasserbehörden nehmen ihre gesetzliche Überwachungstätigkeit gemäß Einsatzplan wahr. Bei Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung leisten die Wasserbehörden daneben die fachliche Zuarbeit für notwendige Entscheidungen der Gefahrenabwehrbehörde / des Krisenstabes. Dies umfasst insbesondere die fachlichen Lageeinschätzungen hinsichtlich der Standsicherheit der Hochwasserschutzanlagen und daraus abzuleitende Sicherungsmaßnahmen sowie fachliche Beurteilungen zu möglichen Evakuierungsmaßnahmen.

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Aufgaben der Gefahrenabwehrbehörden

Nach dem Gesetz über den Feuerschutz und die Hilfeleistung (FSHG) haben die örtlichen Feuerwehren u.a. bei solchen öffentlichen Notständen Hilfe zu leisten, die durch Naturereignisse, Explosionen oder ähnliche Vorkommnisse verursacht werden. Sofern von dem Hochwasser eine konkrete Gefahr für eine unbestimmte Zahl von Menschen oder zahlreiche Sachen von insgesamt hohem Wert oder eine die Allgemeinheit betreffende Notlage ausgeht, ist die Feuerwehr zur Hilfeleistung verpflichtet (§1 Abs. 1 FSHG).

Liegt eine Gefährdung von Leben und Gesundheit zahlreicher Menschen oder erheblicher Sachwerte durch das Hochwasser vor und ist aufgrund eines erheblichen Koordinierungsbedarfs eine rückwärtige Unterstützung der Einsatzleitung der Feuerwehr erforderlich, die von einer kreisangehörigen Gemeinde nicht geleistet werden kann, leiten und koordinieren die für Großschadensereignisse zuständigen Kreise („Katastrophenschutzbehörden“) unter Berücksichtigung der bereits im Vorfeld erstellten Gefahrenabwehr- und Evakuierungspläne den Einsatz (§ 1 Abs. 3 FSHG).

5.1
Krisenstäbe

Bei erheblicher Gefährdung von Leben oder Gesundheit zahlreicher Menschen und Tiere oder erheblicher Sachwerte durch ein Hochwasser und des damit verbundenen, über das gewöhnliche Maß hinausgehenden erhöhten Koordinierungs- und Entscheidungsbedarfs sollen lageabhängig auf den verschiedenen Verwaltungsebenen (kreisfreie Stadt, Kreis, Bezirksregierung, Landesregierung) Krisenstäbe entsprechend dem „Krisenstabserlass“ einberufen werden. In diesem Falle hat der Krisenstab im Auftrag der/des politisch Gesamtverantwortlichen alle mit dem Ereignis im Zusammenhang stehenden Verwaltungsmaßnahmen zu koordinieren und zu treffen, wobei die Zuständigkeiten von Behörden und Einrichtungen unberührt bleiben. Die Umsetzung der Entscheidungen des Krisenstabes erfolgt in der bestehenden Aufbauorganisation der Behörde. Mit Blick auf die gezielte Bündelung von Informationen und Entscheidungen sollten die Krisenstäbe auf der unteren Ebene im Hochwasserfall frühzeitig aktiviert werden.

5.1.1
Krisenstab auf Ebene Kreis bzw. kreisfreie Stadt

Ist in einem Kreis oder in einer kreisfreien Stadt ein Krisenstab auf der Grundlage des „Krisenstabserlasses“ eingerichtet, sind alle mit dem Hochwasser in Verbindung stehenden Maßnahmen zwischen Krisenstab und Einsatzleitung abzustimmen.

5.1.2
Krisenstab auf Bezirks- oder Landesebene

Ist auf Bezirks- oder Landesebene ein Krisenstab auf der Grundlage des „Krisenstabserlasses“ eingerichtet, geht die Aufgabe der übergreifenden Koordiniation und Regelung auf ihn über.

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Gegenseitige Information und Weiterleitung von Meldungen

Alle im Hochwasserfalle tätigen Behörden und Einrichtungen (z.B. Wasserbehörden, örtliche Ordnungsbehörden, Gefahrenabwehrbehörden) informieren sich gegenseitig und unverzüglich über die von ihnen getroffenen Maßnahmen im Zusammenhang mit der Hochwasserabwehr. Die zuständige Wasserbehörde unterrichtet die Leitstelle für den Feuerschutz und den Rettungsdienst (§ 21 FSHG). Diese meldet erforderlichenfalls entsprechend dem RdErl. d. Ministeriums für Inneres und Kommunales v. 20.9.2010 (SMBl. NRW. 2133) „Meldungen an die Aufsichts- und Ordnungsbehörden über außergewöhnliche Ereignisse im Bereich der nicht-polizeilichen Gefahrenabwehr sowie Warnung und Information der Bevölkerung“ (Meldeerlass) weiter. Eine möglichst frühzeitige Kontaktaufnahme zwischen Wasser- und Gefahrenabwehrbehörden bei auflaufendem Hochwasser ist zu empfehlen. Ein geeigneter Zeitpunkt hierfür (z.B. das Erreichen eines bestimmten Referenzwasserstandes mit steigender Tendenz) sollte im Vorfeld abgestimmt werden.

Die untere Wasserbehörde informiert die obere und oberste Wasserbehörde, die obere Wasserbehörde die oberste Wasserbehörde unverzüglich, wenn im Hochwasserfall Gefahren oder Schäden
- eine überregionale oder länderübergreifende Bedeutung haben oder erlangen können oder
- ein überregionales Interesse der Öffentlichkeit und der Medien finden.

In diesen Fällen erfolgt unter dem Kennwort „Hochwasseralarm“ eine Meldung an die Meldeköpfe der zuständigen oberen und der obersten Wasserbehörde.

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Übungen und Fortbildungsmaßnahmen

Zu Übungszwecken wird empfohlen, im Rahmen der Krisenmanagementübungen nach dem „Krisenstabserlass“ das Szenario „Hochwasser“ zu berücksichtigen sowie entsprechende Aus- / Fortbildungen zu ermöglichen.

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Inkrafttreten

Dieser RdErl. tritt am Tag nach Veröffentlichung in Kraft und mit Ablauf des 30.6.2016 außer Kraft.

-MBl. NRW. 2011 S. 420