Ministerialblatt (MBl. NRW.)
Ausgabe 2014 Nr. 25 vom 5.9.2014 Seite 485 bis 510

 

Änderung der Weiterbildungsordnung der Psychotherapeutenkammer NRW vom 23.5.2014

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Änderung der Weiterbildungsordnung der Psychotherapeutenkammer NRW
vom 23.5.2014

Aufgrund des § 42 Abs. 1 des Heilberufsgesetzes (HeilBerG) vom 9. Mai 2000 (GV. NRW. S.  403), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 30. April 2013 (GV. NRW. S. 202), hat die Kammerversammlung der Psychotherapeutenkammer NRW in ihrer Sitzung am 23. Mai 2014 folgende Änderung der Weiterbildungsordnung vom 16. Dezember 2006 (MBl. NRW. 2007 S. 406), zuletzt geändert am 24. März 2012 (MBl. NRW. S. 582) beschlossen:

Artikel I

1.      In „Abschnitt A – Paragraphenteil“ werden in § 2 Abs. 2 nach den Worten „Ein Bereich ist“ folgende Worte eingefügt

„entweder

2.1 ein wissenschaftlich anerkanntes psychotherapeutisches Verfahren, das zeitlich nach Inkrafttreten des PsychThG durch den Wissenschaftlichen Beirat zur Psychotherapeutinnen- und Psychotherapeutenausbildung empfohlen wurde,

oder

2.2 “.

2.      In „Abschnitt B: Bereiche“ wird vor der Überschrift „Klinische Neuropsychologie“ die Ziffer „I.“ eingefügt.

3.      In „Abschnitt B: Bereiche“ wird nach Nummer 9 des Bereiches „Klinische Neuropsychologie“ folgender neuer Text angefügt:

„II. Systemische Therapie

1
Definition

Die Systemische Therapie ist ein gemäß § 11 PsychThG wissenschaftlich anerkanntes psychotherapeutisches Verfahren zur Feststellung, Heilung und Linderung von Störungen mit Krankheitswert, bei denen Psychotherapie indiziert ist. In der Systemischen Therapie liegt ein besonderer Fokus auf dem sozialen Kontext psychischer Störungen. Deshalb werden häufig zusätzlich zu der Patientin oder dem Patienten weitere Mitglieder des für sie oder ihn bedeutsamen sozialen Systems einbezogen. Die Therapie fokussiert auf die Interaktionen zwischen Mitgliedern der Familie oder des Systems und deren weiterer sozialer Umwelt.

Die Systemische Therapie betrachtet wechselseitige intrapsychische (kognitiv-emotive) und biologisch-somatische Prozesse sowie interpersonelle Zusammenhänge von Individuen und Gruppen als wesentliche Aspekte von Systemen.

2
Weiterbildungsziel

Ziel der Weiterbildung im Bereich Systemische Therapie ist die Erlangung der Berechtigung zur Führung der Zusatzbezeichnung „Systemische Therapie“ nach Ableistung der vorgeschriebenen Weiterbildungszeiten und Weiterbildungsinhalte sowie nach Bestehen der vorgeschriebenen Prüfung.

3
Bestandteile der Weiterbildung und Weiterbildungszeit

Die Weiterbildung erstreckt sich über einen Zeitraum von mindestens zwei Jahren. Die Weiterbildung besteht aus den folgenden Inhalten:

-          Mindestens 240 Stunden theoretische Weiterbildung,

-          mindestens 280 Behandlungsstunden unter Supervision im Umfang von mindestens 70 Stunden,

-          mindestens 100 Stunden Selbsterfahrung,

-          mindestens 70 Stunden Intervision.

4
Weiterbildungsinhalte

Die Weiterbildungsinhalte bauen durchgängig auf den spezifischen Kompetenzen der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutinnen und –psychotherapeuten sowie der Psychologischen Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten auf. Sie berücksichtigen deren unterschiedliche Anwendungsfelder, Aufgabenstellungen und den besonderen Zuschnitt der Behandlungen auf die jeweilige Altersgruppe. Aufgrund großer Überschneidungsbereiche können viele Weiterbildungsteile berufsgruppenübergreifend durchgeführt werden.

4.1
Theoretische Weiterbildung
(mindestens 240 Unterrichtsstunden / UE)

4.1.1
Systemisches Basiswissen (60 UE)

-          Wissenschaftstheoretische und epistemologische Positionen, systemwissenschaftliche Grundlagen

-          Geschichte der Familientherapie / Systemischen Therapie

-          Familientherapeutische / systemische Schulen / Ansätze: zirkuläre, strukturelle, lösungs- und ressourcenorientierte, strategische, mehrgenerationale, narrative, wachstums- und erlebnisorientierte, dialogische Perspektive

-          Schnittstellen zu anderen therapeutischen Richtungen und zwischen den Berufsgruppen

-          Einbeziehung von gesellschaftlichen und institutionellen Kontexten

4.1.2
Systemische Diagnostik (mindestens 20 UE)

-          Systemische Modelle für die Beschreibung und Erklärung psychischer, psychosomatischer und körperlicher Störungen und Symptome, von Konflikten und Problemen, von kommunikativen Mustern, Beziehungsstrukturen, Verarbeitungs- und Bewältigungsformen, Ressourcen und Lösungskompetenzen

-          Risiko- und Schutzfaktoren

-          Indikationen und Kontraindikationen

4.1.3
Therapeutischer Kontrakt (mindestens 20 UE)

-          Therapeutische Grundhaltung: Allparteilichkeit, engagierte Neutralität, Zirkularität, Neugier / empathisches Interesse, Wertschätzung / Respekt

-          Gestaltung von Therapiekontext und -prozess in der Behandlung von Kindern und Jugendlichen bzw. von Erwachsenen:
Indikations- und Kontextklärung, Aufbau, Entwicklung, Beendigung einer therapeutischen Beziehung, Kooperation mit Patientinnen und Patienten, deren Angehörigen sowie mit anderen relevanten Akteurinnen und Akteuren im sozialen Kontext der Patientin oder des Patienten, Anerkennung und Förderung der systemeigenen Ressourcen der Patientin oder des Patienten, Reflexion der Rolle als Therapeutin oder Therapeut und des Arbeitskontextes

4.1.4
Systemische Methodik (mindestens 140 UE)

Vermittlung und Training systemischer Methoden und Techniken, die auf den theoretischen Grundannahmen der Systemischen Therapie beruhen, z. B.

-          Techniken auf der Grundlage zirkulärer Methoden:

-         Zirkuläres Interviewen/zirkuläres Fragen

-         Hypothesenbildung

-         Allparteilichkeit /engagierte Neutralität

-         Abschlusskommentar / Schlussintervention

-          Techniken auf der Grundlage struktureller Methoden:

-         Joining zum Aufbau einer therapeutischen Beziehung

-         Strukturanalyse

-         Umstrukturieren / Verändern von Koalitionen und Grenzen

-         Erstellen von Zielhierarchien

-         Hausaufgaben

-          Techniken auf der Grundlage lösungsorientierter Methoden:

-         Hypothetische und zukunftsorientierte Fragen

-         Ausnahme- und Bewältigungsfragen

-         Skalierungen

-          Techniken auf der Grundlage strategischer Methoden:

-         Positive Umdeutungen / Reframing

-         Symptomverschreibungen

-          Techniken auf der Grundlage mehrgenerationaler Methoden:

-         Genogramm

-         Photogramm

-          Techniken auf der Grundlage narrativer Methoden:

-         Dekonstruktion leiderzeugender Geschichten

-         Externalisierungen

-         Inneres Parlament

-         Therapeutische Briefe

-          Techniken auf der Grundlage erlebnisaktivierender Methoden:

-         Genogramm

-         Familienskulptur

-         Familienrekonstruktion

-          Techniken auf der Grundlage dialogischer Methoden:

-         Reflecting Team

-         Open Dialogue

-          Methoden und Techniken in unterschiedlichen Settings und Kontexten in der systemischen Therapie von Kindern und Jugendlichen bzw. von Erwachsenen, z. B.

-         Einzel-, Paar-, Familiensetting

-         Arbeit in spezifischen Familiensystemen

-         Aufsuchende Familientherapie (AFT)

-         Mehrfamilientherapie (MFT).

4.2
Behandlungsstunden unter Supervision

Die Weiterbildung umfasst mindestens 280 Behandlungsstunden, die supervidiert werden müssen. Der Weiterbildungsteilnehmer oder die Weiterbildungsteilnehmerin führt Behandlungen sowohl im Einzel- als auch im Mehrpersonensetting durch. Diese Behandlungen müssen sich auf mindestens drei verschiedene Störungsbilder beziehen. Vier Behandlungen mit jeweils mindestens fünf Sitzungen sind ausführlich darzustellen.

Die Supervision dient der Reflexion des diagnostischen und systemischen Handelns sowie der therapeutischen Rolle unter Berücksichtigung des jeweiligen Kontextes.

Die Supervision umfasst 70 Stunden. Davon sollen mindestens 40 Stunden in einer Kleingruppe von Weiterbildungsteilnehmerinnen und/oder Weiterbildungsteilnehmern stattfinden. Mindestens zwei Therapiesitzungen sind vollständig per Video-, Audio-Mitschnitt oder live in der Supervision vorzustellen.

Die Supervision wird von gem. 6.1 befugten Supervisorinnen und Supervisoren durchgeführt.

4.3
Intervision (mindestens 70 Stunden)

Intervision dient der Reflexion der eigenen Behandlungstätigkeit in Kleingruppen von Weiterbildungsteilnehmerinnen und/oder Weiterbildungsteilnehmern. Die Intervisionen sind der Weiterbildungsstätte z.B. durch die Vorlage von Sitzungsprotokollen nachzuweisen.

4.4
Selbsterfahrung (mindestens 100 Stunden)

Selbsterfahrung in Systemischer Therapie bezieht sich auf die Herkunftsfamilie sowie die aktuellen Lebens- und Berufskontexte. Die Selbsterfahrung soll ein Familienrekonstruktionsseminar im Gruppensetting (mit mindestens 25 Stunden) beinhalten. Sie darf nicht bei einem der Supervisorinnen und Supervisoren gemäß 4.2 der jeweiligen Weiterbildungsteilnehmerin oder des jeweiligen Weiterbildungsteilnehmers stattfinden.

5
Zeugnisse und Nachweise

Dem Antrag auf Anerkennung der Weiterbildung nach § 10 sind beizufügen:

-          Zeugnisse und Bescheinigungen über die abgeleistete Weiterbildungszeit und Weiterbildungsinhalte entsprechend § 9,

-          Dokumentation von vier Falldarstellungen (gemäß 4.2).

6
Weiterbildungsbefugnis

Die Weiterbildungsbefugnis kann für einzelne oder mehrere Teile der Weiterbildung erteilt werden, sofern die Voraussetzungen gemäß § 6 Absatz 4 sowie die im Folgenden genannten, spezifischen Voraussetzungen erfüllt sind.

6.1
Befugnis für die Weiterbildungsteile Supervision und Selbsterfahrung

Aufgaben

Den zu den Weiterbildungsteilen Supervision und Selbsterfahrung Befugten obliegt die kontinuierliche fallbezogene Supervision der von den Weiterbildungsteilnehmerinnen und Weiterbildungsteilnehmern durchgeführten Untersuchungen und Behandlungen bzw. die Leitung der Selbsterfahrung.

Voraussetzungen

Für die Erteilung einer Weiterbildungsbefugnis für die Weiterbildungsteile Supervision und Selbsterfahrung gelten über die in § 6 Abs. 4 und 5 genannten Anforderungen hinaus folgende Voraussetzungen:

-          der Nachweis mindestens weiterer 320 Behandlungsstunden und mindestens zweier weiterer Behandlungsfälle (insgesamt mindestens 6 Behandlungsfälle mit mindestens 600 Behandlungsstunden)

-          der Nachweis einer mindestens dreijährigen Tätigkeit als Dozentin oder Dozent im Fachgebiet der Systemischen Therapie

-          die Tätigkeit an einer anerkannten Weiterbildungsstätte gemäß § 6 Abs. 2, an der die Supervision und/oder Selbsterfahrung erbracht wird.

Die Befugnis zur Supervision wird grundsätzlich für die Weiterbildung der eigenen Berufsgruppenangehörigen erteilt. Psychologische Psychotherapeutinnen und Psychologische Psychotherapeuten können zur Supervision von Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutinnen und -psychotherapeuten befugt werden, wenn sie Kinder und Jugendliche behandeln. Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutinnen und -psychotherapeuten können die Supervision von Psychologischen Psychotherapeutinnen und Psychologischen Psychotherapeuten bei der Behandlung von Kindern und Jugendlichen übernehmen.

6.2
Befugnis für den Weiterbildungsteil Theorie

Aufgaben

Den zum Weiterbildungsteil Theorie Befugten obliegt einzeln oder gemeinsam die Vermittlung der unter 4.1 genannten theoretischen Weiterbildungsinhalte. Die Befugten können im Rahmen von unter ihrer Leitung durchgeführten Lehrveranstaltungen für einzelne Inhalte entsprechend qualifizierte Dozentinnen und Dozenten hinzuziehen.

Voraussetzungen

Voraussetzung für die Erteilung einer Weiterbildungsbefugnis für den Weiterbildungsteil Theorie ist in Ergänzung zu den in § 6 Abs. 4 und 5 genannten Voraussetzungen die Tätigkeit an einer anerkannten Weiterbildungsstätte gemäß § 6 Abs. 2 sowie eine mindestens dreijährige Tätigkeit als Dozentin oder Dozent im Fachgebiet Systemische Therapie.

6.3
Weiterbildungsstätten

Als Weiterbildungsstätte können Einrichtungen der medizinischen und psychotherapeutischen Versorgung anerkannt werden, die alle Teile der Weiterbildung vorhalten und eine adäquate personelle, räumliche und materielle Ausstattung nachweisen. Voraussetzung für die Anerkennung einer Weiterbildungsstätte ist ferner die systemisch-therapeutische Behandlung von Patientinnen und Patienten mit Störungen von Krankheitswert, bei denen Psychotherapie indiziert ist.

Patientenbehandlungen im Rahmen der Weiterbildung können jedoch auch in der Praxis der Weiterbildungsteilnehmerin oder des Weiterbildungsteilnehmers stattfinden, wenn sie unter Supervision von gemäß § 6 Abs. 4 befugten Personen erfolgen und eine Gefährdung von Patientinnen und Patienten nicht zu befürchten ist.

Antragstellerinnen und Antragsteller, die einzeln nicht die Kriterien einer Anerkennung als Weiterbildungsstätte erfüllen, können sich zum Zwecke der Weiterbildung in Systemischer Therapie zu Verbünden zusammenschließen. Einem Verbund kann die Anerkennung als Weiterbildungsstätte erteilt werden, wenn in der vorgelegten Kooperationsvereinbarung eine hauptverantwortliche Partnerin oder ein hauptverantwortlicher Partner benannt ist und gewährleistet ist, dass die Weiterbildungsteilnehmerin oder der Weiterbildungsteilnehmer alle in der Weiterbildungsordnung geforderten Weiterbildungsteile und -inhalte fachlich und zeitlich aufeinander abgestimmt ohne Unterbrechung absolvieren kann.

7
 Übergangsbestimmungen

§ 15 Abs. 1 und 2 gelten für den Bereich Systemische Therapie mit der Maßgabe, dass auf das Inkrafttreten des Abschnittes B - II. Systemische Therapie dieser Weiterbildungsordnung abgestellt wird. Sollten nach Ablauf der in § 15 Abs. 2 genannten Zeitspanne noch nicht drei Weiterbildungsstätten oder Weiterbildungsverbünde, an denen die gesamte Weiterbildung absolviert werden kann, erstmalig anerkannt worden sein, so gilt § 15 Abs. 2 bis zu diesem Zeitpunkt.

§ 15 Abs. 6 gilt bis zu dem Zeitpunkt, zu dem drei Weiterbildungsstätten oder Weiterbildungsverbünde, an denen die gesamte Weiterbildung absolviert werden kann, erstmalig anerkannt worden sind."

Artikel II

Diese Änderung der Weiterbildungsordnung tritt am Tag nach der Veröffentlichung im Ministerialblatt für das Land Nordrhein-Westfalen in Kraft.

Genehmigt.

Düsseldorf, den 29. Juli 2014

Ministerium für Gesundheit,
Emanzipation, Pflege und Alter
des Landes Nordrhein-Westfalen
Az.: 232 - 0810.107 -

Im Auftrag
G o d r y

Die vorstehende Änderung der Weiterbildungsordnung wird hiermit ausgefertigt.

Düsseldorf, den 4. August 2014

Monika K o n i t z e r
Präsidentin

MBl. NRW. 2014 S. 498