Geltende Gesetze und Verordnungen (SGV. NRW.)  mit Stand vom 17.4.2024

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§ 30 (Fn 2)
Zwangsmaßnahmen zur Gefahrenabwehr auf dem Gebiet der Gesundheitsfürsorge

(1) Medizinische Untersuchung und Behandlung sowie Ernährung sind gegen den natürlichen Willen der Untersuchungsgefangenen nur bei gegenwärtiger Lebensgefahr sowie gegenwärtiger schwerwiegender Gefahr für die Gesundheit der Untersuchungsgefangenen oder anderer Personen zulässig, wenn die oder der Untersuchungsgefangene zur Einsicht in die Notwendigkeit der Maßnahme oder zum Handeln nach dieser Einsicht krankheitsbedingt nicht in der Lage ist. Maßnahmen nach Satz 1 dürfen nur angeordnet werden, wenn
1. erfolglos versucht worden ist, die Zustimmung der Untersuchungsgefangenen zu der Maßnahme zu erwirken,
2. die Anordnung der Maßnahme den Untersuchungsgefangenen angekündigt wurde und sie über Art, Umfang und Dauer der Maßnahme informiert wurden,
3. die Maßnahme zur Abwendung der Gefahr geeignet, in Art, Umfang und Dauer erforderlich und für die Beteiligten zumutbar ist,
4. der von der Maßnahme zu erwartende Nutzen die mit der Maßnahme verbundenen Belastungen deutlich überwiegt und
5. die Maßnahme nicht mit einer erheblichen Gefahr für das Leben der Untersuchungsgefangenen verbunden ist.

(2) Maßnahmen nach Absatz 1 Satz 1 werden ärztlich angeordnet, geleitet und überwacht. Die Anordnung erfolgt im Einvernehmen mit der Anstaltsleitung und bedarf der Einwilligung des nach § 126 der Strafprozessordnung zuständigen Gerichts, es sei denn, diese kann nicht mehr rechtzeitig eingeholt werden. In diesem Fall ist die gerichtliche Zustimmung unverzüglich nachzuholen. Das Vorliegen der Voraussetzungen nach Absatz 1 sowie die ergriffenen Maßnahmen, einschließlich ihres Zwangscharakters, der Durchsetzungsweise und der Wirkungsüberwachung, sowie der Untersuchungs- und Behandlungsverlauf sind zu dokumentieren.

(3) Erfordert die Beurteilung der Gefahrenlage und die Abschätzung der Notwendigkeit einer Behandlung psychischer Erkrankungen eine angemessene Zeit der Beobachtung der Untersuchungsgefangenen oder droht der oder dem Untersuchungsgefangenen aufgrund einer anderen Erkrankung eine schwerwiegende Gesundheitsbeeinträchtigung, darf die Behandlung zwangsweise unter den weiteren Voraussetzungen der Absätze 1 und 2 nur begonnen werden, wenn
1. die Maßnahme der oder dem Untersuchungsgefangenen mindestens eine Woche vor ihrer Umsetzung schriftlich und mündlich unter Angabe der Gründe sowie Art, Umfang und Dauer in einer dem Gesundheitszustand entsprechenden Weise angekündigt worden ist,
2. vor dem Eingriff durch ein von der behandelnden Einrichtung unabhängiges fachpsychiatrisches oder fachärztliches Votum bestätigt wird, dass
a) die oder der zu behandelnde Untersuchungsgefangene einsichtsunfähig ist,
b) die Vorteile des medizinischen Eingriffs gegenüber den damit verbundenen Nachteilen und Risiken deutlich überwiegen,
c) die Maßnahme nicht mit einer erheblichen Gefahr für das Leben der oder des Untersuchungsgefangenen verbunden ist,
d) eine schwerwiegende Gefahr für die Gesundheit der oder des Untersuchungsgefangenen droht, und
3. die Fachaufsichtsbehörde oder eine von ihr beauftragte Anstaltsärztin oder ein von ihr beauftragter Anstaltsarzt, die oder der an der Anordnung und Durchführung der Maßnahme nicht beteiligt ist, in die Maßnahme einwilligt.
Die Anordnung gilt höchstens für die Dauer von drei Monaten. Nach Ablauf dieser Zeit ist eine neue Anordnung zu treffen.

(4) Über Maßnahmen nach den Absätzen 1 und 3 sind Personensorgeberechtigte der Untersuchungsgefangenen unverzüglich zu unterrichten. Bei minderjährigen Untersuchungsgefangenen muss vor der Durchführung von Zwangsmaßnahmen erfolglos versucht worden sein, die Einwilligung der Personensorgeberechtigten einzuholen. Kann diese nicht rechtzeitig eingeholt werden, sind die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches anzuwenden.

(5) Zur Gewährleistung des Gesundheitsschutzes und der Hygiene ist die zwangsweise körperliche Untersuchung der Untersuchungsgefangenen über Absatz 1 hinaus zulässig, wenn sie nicht mit einem körperlichen Eingriff verbunden ist. Duldungspflichten der Untersuchungsgefangenen nach Vorschriften anderer Gesetze bleiben unberührt.

Abschnitt 8 (Fn 2)
Disziplinarmaßnahmen