Geltende Erlasse (SMBl. NRW.) mit Stand vom 30.8.2024
Verfahren in Gnadensachen bei Verkehrsordnungswidrigkeiten RdErl. d. Innenministeriums v. 5.8.2002 - 44.3 – 277
Verfahren in Gnadensachen bei Verkehrsordnungswidrigkeiten RdErl. d. Innenministeriums v. 5.8.2002 - 44.3 – 277
Verfahren in Gnadensachen
bei Verkehrsordnungswidrigkeiten
RdErl. d.
Innenministeriums v. 5.8.2002 - 44.3 – 277
1
Gnadenbehörden
1.1
Auf Grund der mir mit Erlass des Ministerpräsidenten über die Ausübung des
Rechts der Begnadigung vom 12. November 1951 (GV. NRW. S. 569), zuletzt
geändert durch Erlass vom 18. Mai 1990 (GV. NRW. S. 293), - SGV. NRW. 321 - in
Artikel 2 Nr. 3 erteilten Ermächtigung übertrage ich die Ausübung des
Begnadigungsrechts für Geldbußen bis zur Höhe von 500,-- Euro, die von den
Kreisordnungsbehörden wegen Verkehrsordnungswidrigkeiten festgesetzt worden
sind, auf die Bezirksregierungen.
1.2
Soweit ein Gericht im Einspruchsverfahren gegen einen Bußgeldbescheid über die
Festsetzung der Geldbuße entschieden hat, sind die Gnadenbehörden der Justiz
für die Erteilung oder Ablehnung eines Gnadenerweises zuständig.
2
Inhalt des Begnadigungsrechts
Das
Begnadigungsrecht umfasst die Befugnis, Geldbußen zu erlassen, zu ermäßigen
oder ihre Vollstreckung auszusetzen. Das gilt auch für Nebenfolgen (z.B.
Fahrverbot) und Kosten (Gebühren und Auslagen).
Das Begnadigungsrecht umfasst nicht die Befugnis, im Gnadenweg selbständige
Entscheidungen über die vorzeitige Tilgung von Eintragungen im
Verkehrszentralregister zu treffen. Derartige Anträge sind nach § 29 Abs. 3
StVG zu behandeln.
Zuständig sind gem. § 73 Absatz 1 Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) i.V.m. § 2 der
Verordnung über die Bestimmung der zuständigen Behörden nach dem
Straßenverkehrsgesetz und der Fahrerlaubnis-Verordnung (ZuständigkeitsVO
StVG/FeV - ZustVO StVG/FeV) die Bezirksregierungen.
3
Gnadenverfahren
3.1
Das Gnadenverfahren setzt grundsätzlich die Rechtskraft der
verwaltungsbehördlichen Bußgeldentscheidung voraus. Ist ein Verfahren nach § 52
OWiG im Gange, so ruht das Gnadenverfahren bis zur Entscheidung über den
Wiedereinsetzungsantrag.
3.2
Die Erteilung eines Gnadenerweises wird auf Antrag (Gesuch) oder von Amts wegen
geprüft. Gnadengesuche sollen im Regelfall bei den Kreisordnungsbehörden
gestellt werden. Dies kann schriftlich oder mündlich geschehen. Im letzteren
Fall ist eine Niederschrift aufzunehmen und vom Gesuchsteller zu unterzeichnen.
3.3
Gnadengesuche hemmen die Vollstreckung an sich nicht. Sobald das Gnadengesuch
gestellt wird, soll die Kreisordnungsbehörde jedoch von der Beitreibung einer
Geldbuße bis zur Entscheidung über das Gesuch absehen.
3.4
Die bei den Kreisordnungsbehörden eingehenden Gesuche sind mit einer
Stellungnahme nebst Vorschlag unter Beifügung der Verwaltungsvorgänge der Bezirksregierung
zuzuleiten.
3.5
Gnadengesuche, die Fahrverbote betreffen, sind Eilsachen.
Nach Eintritt der Rechtskraft ist der Führerschein in Verwahrung zu nehmen,
sofern nicht ein Fall des § 25 Absatz 2a Satz 1 StVG vorliegt.
Der Betroffene ist darauf hinzuweisen, dass er trotz seines Gnadengesuchs eine
Straftat nach § 21 StVG begeht, wenn er verbotswidrig ein Kraftfahrzeug führt.
3.6
Das Gnadenverfahren ist vertraulich. Gnadenvorgänge unterliegen nicht der
Akteneinsicht.
4
Gnadenentscheidung
4.1
Bei der Entscheidung über die Gnadenfrage sind die persönlichen Verhältnisse
des Betroffenen und der Zweck der Geldbuße und etwaiger Nebenfolgen zu
berücksichtigen.
4.1.1
Im Rahmen der persönlichen Verhältnisse sind die finanziellen Belastungen des
Betroffenen sowie der etwa drohende Verlust des Arbeitsplatzes auf Grund eines
Fahrverbots besonders zu bewerten.
4.1.2
Die Vollstreckung eines Fahrverbotes kann durch den Gnadenbescheid in
Ausnahmefällen über den Fall des § 25 Absatz 2a Satz 1 StVG hinaus bis zur
Dauer von 3 Monaten und in Härtefällen, in denen nachweislich der Verlust des
Arbeitsplatzes droht, bis zur Dauer von 6 Monaten ausgesetzt werden; eine
Aufteilung der Vollstreckung in mehr als 2 Abschnitte sollte unterbleiben, da
sie dem Zweck des Fahrverbotes nicht gerecht wird.
Wird die Aufhebung eines Fahrverbotes erwogen, weil dem Betroffenen der Verlust
seines Arbeitsplatzes droht, ist zu prüfen, ob in Anbetracht des Zwecks des
Fahrverbotes eine Aufhebung nur auf solche Fahrzeugarten zu beschränken ist,
die für die Berufsausübung benötigt werden. Die Benutzung des Kraftfahrzeugs
für Privatfahrten ist zu untersagen. Der Führerschein bleibt in Verwahrung. Dem
Betroffenen ist durch die Kreisordnungsbehörde (Straßenverkehrsbehörde) eine
entsprechende Bescheinigung zu erteilen.
Wird das Fahrverbot aufgehoben, kann durch die Gnadenstelle die Zahlung eines
Geldbetrages bis zur Höhe des Bußgeldes an eine der Verkehrserziehung
verpflichtete gemeinnützige Organisation verlangt werden.
4.2
Angestrebte Zahlungserleichterungen sind nicht im Wege einer
Gnadenentscheidung, sondern nach Maßgabe des § 93 OWiG durch die
Kreisordnungsbehörde zu behandeln.
4.3
Wird ein Gnadengesuch gestellt, weil nach Angaben des Betroffenen auf Grund
seiner wirtschaftlichen Verhältnisse eine Zahlung in absehbarer Zeit nicht zu
erwarten ist, sind von der Kreisordnungsbehörde zunächst die Voraussetzungen
des § 95 Abs. 2 OWiG zu prüfen.
4.4
Von einer Gnadenentscheidung soll ebenfalls Abstand genommen werden, wenn die Voraussetzungen
für eine Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 85 OWiG vorliegen.
4.5
Die Gnadenbehörde (Bezirksregierung) kann anordnen, dass die Vollstreckung
einer Geldbuße vorübergehend bis zur Gnadenentscheidung ausgesetzt wird,
a)
a) wenn das
Gnadengesuch unmittelbar bei ihr gestellt wird,
b)
b) wenn Einwendungen gegen die
Gnadenentscheidung geltend gemacht werden und dem Innenministerium der Vorgang
zur Entscheidung vorgelegt wird,
c)
c) unter der Bedingung, dass der Betroffene
innerhalb eines bestimmten Zeitraumes nicht wegen eines einschlägigen
Verkehrsdelikts erneut in Erscheinung tritt,
d)
d) wenn sie zu
ihrer Entscheidung die Vorlage weiterer Unterlagen (Urkunden, Bescheinigungen
usw.) benötigt, die der Gesuchsteller innerhalb einer angemessenen Frist
vorzulegen hat,
e)
e) in besonders
gelagerten Einzelfällen, denen die Nummern 4.2 bis 4.4 nicht gerecht werden.
4.6
Die für die Entscheidung maßgeblichen Erwägungen sind in einem Vermerk zum
Gnadenvorgang niederzulegen. Die Entscheidung bedarf keiner Begründung. In Ausnahmefällen
kann ein kurzer Hinweis gegeben werden, warum dem Gesuch nicht entsprochen
wurde.
4.7
Gnadenentscheidungen sind dem Betroffenen durch die Kreisordnungsbehörden
mitzuteilen, es sei denn, dass das Gnadengesuch unmittelbar an die
Bezirksregierung gerichtet wurde. Bei einem unmittelbaren Bescheid durch die
Bezirksregierung ist der Kreisordnungsbehörde eine Durchschrift der
Entscheidung zuzuleiten.
4.8
Bei positiven Gnadenerweisen, die ein Fahrverbot betreffen, soll die
Entscheidung den Kreisordnungsbehörden zur Vermeidung von Verzögerungen
fernschriftlich vorab mitgeteilt werden (Telex oder Telefax).
5
Weiterleitung von Gnadengesuchen
5.1
Bei Einwendungen gegen ablehnende Gnadenentscheidungen der Bezirksregierungen
sind diese dem Innenministerium zur Entscheidung vorzulegen, sofern die
Bezirksregierung auf Grund der Einwendungen nicht abhilft. Das Innenministerium
entscheidet auch bei Geldbußen über 500,-- Euro, beim dritten Fahrverbot oder
in Einzelfällen, zu denen sich das Innenministerium die Entscheidung
vorbehalten hat.
5.2
Sieht die Kreisordnungsbehörde keine Abhilfemöglichkeit bei Gnadengesuchen, die
zunächst nach Maßgabe der Nummern 4.2 und 4.3 zu prüfen sind, leitet sie das
Gnadengesuch gemäß Nummer 3.4 an die Gnadenbehörde weiter.
5.3
Wird das Gnadengesuch direkt bei einer Bezirksregierung gestellt, soll
diese beim offensichtlichen Vorliegen der Voraussetzungen der Nummern 4.2 bis
4.4 die Angelegenheit an die Kreisordnungsbehörde abgeben.
5.4
Soweit das Innenministerium entscheidet, sind die Vorgänge unter Beachtung der
Nummer 3.4 auf dem Dienstweg vorzulegen.
6
Mitteilung an das Kraftfahrt-Bundesamt
Ergeht ein Gnadenerweis zu einer im Verkehrszentralregister eingetragenen Entscheidung, hat die Kreisordnungsbehörde dies dem Kraftfahrt-Bundesamt zum Verkehrszentralregister mitzuteilen (§ 28 Abs. 4 StVG). Gleichzeitig ist die Entscheidung nach Nr. 2 Satz 4 mitzuteilen.
7
Örtliche Ordnungsbehörden
Dieser RdErl.
gilt entsprechend für die örtlichen Ordnungsbehörden, soweit sie in
Verkehrsangelegenheiten einen Bußgeldbescheid erlassen haben.
8
Der Runderlass vom 15.06.1990 (SMBl. NRW. 20510) tritt mit der
Veröffentlichung dieses Erlasses im Ministerialblatt NRW außer Kraft.
9
Der RdErl. ergeht im Einvernehmen mit dem Justizministerium und dem Ministerium
für Wirtschaft und Mittelstand, Energie und Verkehr.