Historische SMBl. NRW.

 Aufgehobener Erlass: Aufgehoben durch Erlassbereinigung 2003 (§ 9 VV v. 29.8.1961).

 


Historisch: Richtlinien zur Anwendung des § 6 des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG) RdErl. d. Ministers für Arbeit, Gesundheit und Soziales v. 20. 2.1980 -IV C.l-9010.1.1¹)

 

Historisch:

Richtlinien zur Anwendung des § 6 des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG) RdErl. d. Ministers für Arbeit, Gesundheit und Soziales v. 20. 2.1980 -IV C.l-9010.1.1¹)

20.2.80 (1)

140. Ergänzung - SMB1. NW. - (Stand 1.11.1980 - MB1. NW. Nr. 107 einschl.)

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Richtlinien

zur Anwendung des § 6 des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG)

RdErl. d. Ministers für Arbeit, Gesundheit und Soziales v. 20. 2.1980 -IV C.l-9010.1.1¹)

1. Allgemeines

Nach § 6 BVFG ist deutscher Volkszugehöriger, wer sich in seiner Heimat zum deutschen Volkstum bekannt hat, sofern dieses Bekenntnis durch bestimmte Merkmale wie Abstammung, Sprache, Erziehung, Kultur bestätigt wird.

1.1 Das deutsche Volkstum ist in diesem Sinne als nationalgeprägte Kulturgemeinschaft zu verstehen, d. h. als Gemeinschaft, bei der zu sprachlicher und kultureller Übereinstimmung auch das Bewußtsein nationaler Verbundenheit hinzutreten muß. Dieses Bewußtsein von der Zugehörigkeit zu einer politischen, insbesondere nationalsozialistischen .Organisation abhängig zu machen, stellt selbstverständlich wie bisher eine unzulässige Eingrenzung dar.

1.2 Die deutsche Volkszugehörigkeit im Sinne 'des § 6 BVFG ist kein ethnologischer, sondern ein Rechtsbegriff. Sie ist nicht identisch mit dem ethnologischen Begriff des Deutschstämmigen. Sie ist keine Tatsache, . sondern eine Rechtsfolge, die sich ausschließlich aus. den in § 6 BVFG aufgeführten beiden Begriffen, nämlich des Bekenntnisses (subjektives Erfordernis) und der sogenannten Bestätigungsmerkmale (objektive Merkmale) herleitet. Zwischen diesen beiden Begriffen ist zu unterscheiden. Denn das Bekenntnis und die sogenannten Bestätigungsmerkmale stellen zwei selbständige, nebeneinanderstehende und voneinander unabhängige Rechtsvoraussetzungen für die Rechtsfolge der deutschen Volkszugehörigkeit dar.

1.3 Demnach erfüllt die Voraussetzungen des § 6 BVFG, wer

a) sich in seiner Heimat - subjektiv - zum deutschen Volkstum bekannt hat und wenn

b) objektive Merkmale dieses Bekenntnis bestätigen.

1.4 Der Gesetzgeber hat im Entschädigungs- und Vertrie-benenrecht unterschieden zwischen

a) Personen, die dem deutschen Sprach- und Kulturkreis zuzuordnen sind und im Rahmen wiedergutmachungsrechtlicher Vorschriften (z. B. § 150 Abs. l BEG") Entschädigungen für Schäden erhalten, die durch nationalsozialistische Verfolgungsmaßnahmen eingetreten sind, auch wenn sie ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum nicht abgelegt haben, und

b) Personen, die im Rahmen vertriebenenrechtlicher Vorschriften Rechte und Vergünstigungen wegen der durch fremde Staaten durchgeführten Vertrei-bungs- und Verfolgungsmaßnahmen nur erhalten, wenn sie sich über den Gebrauch der deutschen Sprache .und die Verbindung zum deutschen Kulturkreis hinaus auch zum deutschen Volkstum bekannt haben.

2 Bekenntnis

2.1 Das Bekenntnis zum deutschen Volkstum ist nach § 6 BVFG als Rechtsbegriff Voraussetzung für die Annahme der deutschen Volkszugehörigkeit. Es liegt vor, wenn die festgestellten Tatsachen ergeben, daß der Antragsteller durch sein Verhalten das Bewußtsein und den Willen', dem deutschen Volkstum und keinem anderen anzugehören, für Dritte als Teil der Allgemeinheit wahrnehmbar verbindlich kundgetan hat.

') § ISO Abs. l BEG: Der Verfolgte aus den Vertreibungsgebieten, der dem deutschen Sprach- und Kulturkreis angehört hat, hat Anspruch auf Entschädigung für Schaden an Körper oder Gesundheit, für Schaden an Freiheit,für Schaden durch Zahlung von Sonderabgaben und für Schaden im beruflichen Fortkommen.

Das Bekenntnis muß aus Tatsachen subsumiert werden, die durch die entscheidende Stelle festzustellen sind. Die Aussage, jemand habe sich zum deutschen Volkstum bekannt, ist zwar noch keine • Bekundung einer solchen Tatsache, verpflichtet aber die entscheidende Behörde, nach tatsächlichen Anhaltspunkten zu forschen.

Der Begriff des Bekenntnisses zum deutschen Volkstum ist in wertungsfreiem Sinne zu .verstehen. Er soll nicht dazu dienen, Verdienste um das Deutschtum oder Treue zu diesem zu belohnen, sondern hat allein den Zweck, eine tatbestandsmäßige Abgrenzung des Personenkreises zu ermöglichen.

2.2 Das Bekenntnis kann abgegeben worden sein a) durch ausdrückliche Erklärung durch schlüssiges Verhalten.

2.2.1 Als ausdrückliche Erklärungen kommen in erster Linie die Erklärungen in Betracht, die der Betreffende in 'seiner Heimat bei der amtlichen Aufforderung, seine Volkszugehörigkeit zu bezeichnen, abgegeben hat.

Hierzu zählen beispielsweise: Erklärungen bei

- amtlichen Volkszählungen,

- der Ausstellung von Pässen und Personalausweisen,

- der Einschulung von Kindern (rumänische Abiturzeugnisse .z. B. enthalten die Eintragungen der Volkszugehörigkeit),

- der Anmeldung von Personenstandsveränderungen, »

- der Erfassung zum Wehrdienst (rumänische und sowjetische Militärpässe z. B. enthalten die Eintragung der Volkszugehörigkeit),

- der Bewerbung zur Anstellung im öffentlichen Dienst.

2.2.2 Ein Bekenntnis durch schlüssiges Verhalten kann sowohl durch bestimmte Einzelhandlungen als auch durch das Gesamtverhalten zum Ausdruck gebracht werden. Ein durch Gesamtverhalten bekundetes Bekenntnis liegt vor, wenn sich der Betreffende selbst als zum deutschen Volkstum gehörend angesehen, sich so in dieser Einstellung nach außen erkennbar verhalten hat und dementsprechend von seiner Umwelt als deutscher Volkszugehöriger betrachtet worden -ist. Ist jedoch ein 'Bekenntnissachverhalt gegebenenfalls von der Umgebung nicht richtig gewürdigt worden, darf dies nicht zu Lasten des Antragstellers gehen. Soll demnach ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum aus dem Gesamtverhalten abgeleitet werden, muß dieses im einzelnen ermittelt und gewürdigt werden. Das Ergebnis muß unter Berücksichtigung der politischen, ethnologischen und geographischen Verhältnisse den Schluß auf ein Bekenntnis zulassen.

Ein im vorstehend dargelegten Sinne abgelegtes Bekenntnis zu einem anderen Volkstum schließt ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum aus. Die Eheschließung ist grundsätzlich bekenntnisneutral. Weder kann die Ehe mit einem deutschen Volkszugehörigen als Bekenntnis zum deutschen Volkstum, noch kann die Ehe mi't einem nichtdeutschen Volkszugehörigen als Bekenntnis zu einem anderen Volkstum gewertet werden. Im Einzelfalle kann aus besonderen Gegebenheiten eine andere Beurteilung notwendig werden.

2.3 Da - wie unter Nr. l ausgeführt - Bekenntnis und Bestätigungsmerkmale zwei selbständige, nebeneinanderstehende und voneinander unabhängige Rechtsvoraussetzungen sind, können die Bestätigungsmerkmale das Bekenntnis nicht ersetzen. Demnach stellen der Gebrauch der deutschen Sprache und die Verbindung zum deutschen Kulturkreis sowie eine deutschfreundliche Einstellung für sich allein kein Bekenntnis zum deutschen Volkstum dar.

') MBL NW. 1»80 S. 1782.

139. Ergänzung - SMB1. NW. - (Stand 1. 9. 1980 = MB1. NW. Nr. 86 einschl.)

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2.3.1 Bei Personen aus dem Deutschen Reich in den Grenzen vom 31.12.1937, Danzig und dem Sudetenland, die die deutsche Staatsangehörigkeit nicht besaßen, aber die Bestätigungsmerkmale des § 6 BVFG erfüllen, spricht die Vermutung für ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum, wenn sie sich entsprechend der vom deutschen Volkstum geprägten Umgebung verhalten haben. Das erforderliche Bekenntnis liegt dann in ihrem Gesamtverhalten,' das sich aus ihrem Aufgehen im deutschen Volkstum ergibt. Von diesen Personen ist ein Bekenntnis durch ausdrückliche Erklärung nicht zu verlangen. Es genügt, daß ihr Gesamtverhalten keine demonstrative Hinwendung zu einem anderen Volkstum erkennen läßt.

2.3.2 Der Gebrauch der deutschen Sprache als Umgangssprache in aller Öffentlichkeit und die Verbindung zur deutschen Kultur deuten auf ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum hin.

2.3.3 Bei Personen, die aus Gebieten kommen, in denen es neben einer deutschen Volksgruppe noch andere Volksgruppen gab, die auch die deutsche Sprache gebrauchten und sich auch der deutschen Kultur verbunden fühlten, ist ein Bekenntnis zum Deutschtum anzunehmen

a) bei ausdrücklicher Erklärung (vgl. 2.2.1) oder

b) durch schlüssiges Verhalten (vgl. 2.2.2), wenn der Gebrauch der deutschen Sprache und die Verbindung zur deutschen Kultur über den insoweit bekenntnis- und volkstumsneutralen Lebensgewohnheiten der anderen Volksgruppe lagen. Dem Besuch deutscher kultureller Veranstaltungen, der Einschulung der Kinder in deutsche Schulen, der Teilnahme an einem Kreis, der sich der Pflege der deutschen Sprache und Literatur widmete, der Mitwirkung in einer deutschen Theatergruppe, schriftstellerische Tätigkeit in deutscher Sprache und ähnlichen Aktivitäten ist Bekenntnischarakter beizumessen, wenn die Voraussetzungen des Buchstaben b) vorliegen.

2.4. Zeitpunkt des Bekenntnisses

Ein Bekenntnis setzt die Fähigkeit voraus, eine volkstumsmäßige Entscheidung zu treffen (Bekenntnisfähigkeit). Die hierzu erforderliche Einsichtsfähigkeit kann bei einem Alter von 16 Jahren an. spätestens mit Eintritt der Volljährigkeit, angenommen werden.

2.4.1 Der maßgebende Zeitpunkt für ein Bekenntnis liegt unmittelbar vor Beginn der gegen die deutsche Bevölkerung gerichteten Verfolgungs- und Vertreibungsmaßnahmen. Das ergibt sich aus dem Zweck des Bundesvertriebenengesetzes, der nur auf die Begünstigung von Personen gerichtet ist, deren Vertreibung im Zusammenhang mit den Ereignissen des zweiten Weltkrieges steht (§ l Abs. l BVFG). Dieser Zusammenhang ergibt sich bei Aussiedlern (§ l Abs. 2 Nr. 3 BVFG), die als Nachzügler der allgemeinen Vertreibung anzusehen sind, aus dem durch die allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen entstandenen und in der Vereinsamung der Betreffenden fortwirkenden Vertreibungsdruck. Die Festlegung des maßgebenden Zeitpunkts für ein Bekenntnis auf die Zeit unmittelbar vor Beginn der allgemeinen Verfolgungs- • und Vertreibungsmaßnahmen bedeutet jedoch nicht, daß der Bekenntnissachverhalt immer für diesen Zeitpunkt nachzuweisen ist. Es genügt, daß ein früher abgegebenes Bekenntnis bis zum maßgebenden Zeitpunkt aufrechterhalten worden ist. Davon ist im allgemeinen auszugehen, wenn sich aus dem Verhalten des Betreffenden keine Anhaltspunkte für eine Abwendung vom deutschen Volkstum ableiten lassen. Eine solche Abwendung liegt nicht vor, wenn sich der Betreffende von der nationalsozialistischen Umgebung distanziert hat. Unerheblich ist ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum oder die Verleugnung des deutschen Volkstums nach dem' maßgebenden Zeitpunkt. Das Verhalten des Betreffenden nach dem maßgebenden Zeitpunkt kann aber Indizwirkung für das

bekenntnisrelevante Verhalten bis zum maßgeben-den Zeitpunkt haben. So rechtfertigt z. B. ein nach dem maßgebenden Zeitpunkt abgelegtes Bekenntnis den Schluß, daß ein für die Zeit bis zum maßgebenden Zeitpunkt behaupteter, schlüssig vorgetragener Bekenntnissachverhalt (ggf. in bezug auf die Eltern) tatsächlich vorgelegen hat. Umgekehrt rechtfertigt aber ein für die Zeit nach dem maßgebenden Zeitpunkt festgestelltes bekenntnisneutrales Verhalten oder eine für diese Zeit festgestellte Verleugnung des deutschen Volkstums nicht den Schluß, daß für die Zeit bis zum maßgebenden Zeitpunkt ein behaupteter, schlüssig vorgetragener Bekenntnissachverhalt tatsächlich nicht, vorgelegen hat. Infolge des nach dem maßgebenden Zeitpunkt fortwirkenden Vertreibungsdrucks war es den deutschen Volkszugehörigen nicht mehr zuzumuten, ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum abzulegen.

2.4.2 Bei Personen, die im maßgebenden Zeitpunkt noch nicht bekenntnisfähig waren (Frühgeborene) oder später geboren sind (Spätgeborene), kommt es auf das Bekenntnis der Eltern oder des das Volkstum des Kindes prägenden Elternteils zum maßgebenden Zeitpunkt an. Waren auch diese damals noch nicht bekenntnisfähig, ist auf das Bekenntnis von deren Eltern oder prägendem'Elternteil zum maß-gebenden'Zeitpunkt abzustellen.

2.4.2.1 Frühgeborene:

Bei der Prüfung der Frage, welcher Elternteil das Volkstum des Kindes geprägt hat, ist der Einfluß der Eltern von der Geburt des Kindes bis zum maßgebenden Zeitpunkt zu würdigen. Läßt sich ein dominierender Einfluß eines Elternteils nicht feststellen,- wird die Prägung durch den deutschen Elternteil vermutet.

Dies gilt auch für Kinder, die von nichtdeutschen Eltern abstammen, aber z. B. als Stief- oder Pflegekinder in einer deutschen oder teilweise deutschen Familie aufgewachsen sind.

Kinder, die von deutschen Eltern bzw. einem deutschen Elternteil abstammen, aber in einer nichtdeutschen Familie aufgewachsen sind, können das Bekenntnis zum deutschen Volkstum von den leiblichen Eltern bzw. dem leiblichen Elternteil ableiten, wenn zu diesen bzw. diesem Kontakt aufrechterhalten wurde. Gleiches gilt, wenn Kinder gegen den Willen der deutschen Eltern bzw. des deutschen Elternteils durch besondere Umstände der Erziehung der leiblichen Eltern bzw. des leiblichen Elternteils entzogen worden und in einer nichtdeutschen Umgebung aufgewachsen sind. Als besondere Umstände in diesem Sinne sind sowohl staatliche und mit freiheitlich-demokratischer Auffassung nicht zu vereinbarende Zwangsmaßnahmen (z.B. die Unterbringung eines Kindes wegen der deutschen Volkszugehörigkeit der Eltern bzw. des Elternteils in einem Kinderheim), als auch Trennungen anzusehen, die durch die Kriegs- und Nachkriegswirren verursacht worden sind. Für Waisen gilt Entsprechendes.

2.4.2.2 Spätgeborene:

Bei der Prüfung der Frage, welcher Elternteil das Volkstum des Kindes geprägt hat, ist der Einfluß der Eltern von der Geburt des Kindes bis zu dessen eigener Bekenntnisfähigkeit bzw. bis zur Aussiedlung zu würdigen.

Läßt sich ein dominierender Einfluß eines Elternteils nicht feststellen, wird die Prägung durch den deutschen Elternteil vermutet.

Dies gilt auch für Kinder, die von nichtdeutschen Eltern abstammen, aber z. B. als Stief- oder Pflegekinder in einer deutschen oder teilweise deutschen Familie aufgewachsen sind.

Kinder, die von deutschen Eltern bzw. einem deutschen Elternteil abstammen, aber in einer nichtdeutschen Familie aufgewachsen sind, können das Bekenntnis zum deutschen Volkstum von den leiblichen Eltern bzw. dem leiblichen Elternteil ableiten, wenn zu diesen bzw. diesem Kontakt bis zur

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eigenen Bekenntnisfähigkeit bzw. bis zur Aussiedlung aufrechterhalten wurde. Gleiches gilt, wenn Kinder gegen den Willen der deutschen Eltern bzw. des deutschen Elternteils durch besondere Umstände der Erziehung der leiblichen Eltern bzw. des leiblichen Elternteils entzogen worden und .in einer • nichtdeutschen Umgebung aufgewachsen sind. Als besondere Umstände in .diesem Sinne sind sowohl staatliche und mit freiheitlich-demokratischer Auffassung nicht zu vereinbarende Zwangsmaßnahmen (z. B. die Unterbringung eines Kindes wegen der deutschen Volkszugehörigkeit der Eltern bzw. des Elternteils in einem Kinderheim), als auch Trennungen anzusehen, die durch die Nachkriegs-vvirren verursacht worden sind. Für Waisen gilt Entsprechendes.

2.5 Bekenntnis bei jüdischen Antragstellern

Der Begriff der deutschen Volkszugehörigkeit im Sinne des § 6.BVFG unterscheidet sich grundlegend von nationalsozialistischen Volkstumsgedanken. Die Begriffe Volkstum und Bekenntnis folgen vielmehr Abgrenzungsdefinitionen, die sich lange vor der Herrschaft des Nationalsozialismus herausgebildet hatten.

Bei jüdischen Antragstellern ist den besonderen Verhältnissen vor und während des zweiten Weltkrieges Rechnung zu tragen. Die vielfältigen bis in die ost- und südosteuropäischen Staaten reichenden Bestrebungen nationalsozialistischer Politik, Juden aus dem deutschen Volkstum auszuschließen, dürfen sich heute nicht in einer Benachteiligung einzelner Antragsteller auswirken. Um dem gerecht zu werden, ist folgendes zu beachten:

2.5.1 Die Zugehörigkeit zu einer Glaubensgemeinschaft ist volkstumsneutral. Deshalb können allein aus der Zugehörigkeit zum mosaischen Glauben keine Schlüsse gegen ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum gezogen werden.

2.5.2 Jüdischen Antragstellern war nach dem 30. Januar 1933 ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum nicht . mehr zuzumuten. Bei ihnen genügt es daher, wenn ' sie ein Bekenntnis vor diesem Zeitpunkt abgegeben haben.

2.5.2.1 Ist das Bekenntnis zu einem früheren Zeitpunkt abgegeben worden, so ist regelmäßig von dessen Aufrechterhaltung bis 1933 auszugehen, sofern sich nicht aus den Umständen ergibt, daß sich der Betreffende vom deutschen Volkstum abgewandt hat.

2.5.2.2 Das Bekenntnis eines jüdischen Antragstellers zum deutschen Volkstum nach dem 30. Januar 1933 bis zum allgemein maßgebenden Zeitpunkt (vgl. 2.4.1) ist ihm zuzurechnen.

2.5.3 Wer sich bei einer Volkszählung vor dem 30. Januar 1933 zum jüdischen Volkstum erklärt hat, ist im allgemeinen nicht deutscher Volkszugehöriger. Liegen später die Voraussetzungen der Nr. 2.3.3 vor, so kann ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum angenommen werden.

2.5.4 Hat ein jüdischer Antragsteller an Umsiedlungsaktionen unmittelbar vor und während des zweiten Weltkrieges nicht teilgenommen, bleibt dies ohne Einfluß auf die Beurteilung der deutschen Volkszugehörigkeit.

2.5.5 Aus dem Umstand, daß ein jüdischer Antragsteller nach Kriegsende von den gegen deutsche Volkszugehörige gerichteten Verfolgungsmaßnahmen nicht betroffen war, kann nicht gefolgert werden, er habe sich bis 1933 nicht zum deutschen Volkstum bekannt.

2.5.6 Die bloße Zugehörigkeit zur zionistischen Bewegung schließt die deutsche Volkszugehörigkeit im Sinne des § 6 BVFG nicht aus.

2.5.7 Allein in der Ausreise aus den Aussiedlungsgebieten nach Israel kann kein Indiz gegen die deutsche Volkszugehörigkeit gesehen werden.

3. Bestätigungsmerkmale

Als objektive Merkmale, die das Bekenntnis zum deutschen Volkstum bestätigen müssen, nennt § 6

BVFG (deutsche) Abstammung, Sprache, Erziehung, Kultur. Hierbei handelt es sich um eine beispielhafte Aufzählung. Diese Merkmale brauchen nicht insgesamt vorzuliegen. Es können außerdem auch andere objektive Merkmale zur Bestätigung eines Bekenntnisses dienen; sie müssen jedoch von ähnlichem Gewicht sein wie die in § 6 BVFG aufgeführten Merkmale.

Das Merkmal der Sprache bestimmt sich durch die Beherrschung der deutschen Sprache und ihren Gebrauch in der Heimat.

Das Merkmal der Erziehung liegt vor, wenn durch das Elternhaus, durch deutsche Schulen (auch Kindergärten) oder andere Erzieher deutsches Brauchtum, deutsche Literatur u. a. m. vermittelt worden ist.

Das Merkmal der Kultur bedeutet eine von den vorgenannten geistigen Gütern geprägte Lebensgestaltung.

Das Merkmal der Abstammung ist nicht gleichzusetzen mit Abstammung von deutschen Volkszugehörigen im Rechtssinne des § 6 BVFG. Sie hängt nicht von dem subjektiven Merkmal des Bekenntnisses durch die vorhergehende Generation ab, sondern von deren ethnischen Merkmalen wie Sprache, Name, Vorfahre, Herkunft, Geschichte, Kultur. Die Abstammung von nur einem deutschen Elternteil in ethnischem Sinne genügt.

4 Verfahren

4.1 Der Sachverhalt ist von Amts wegen zu ermitteln.

4.1.1 Die im Verteilungsverfahren vom Beauftragten der Buhdesregierung für die Verteilung im Grenzdurchgangslager Friedland und in der Durchgangs-s'telle für Aussiedler in Nürnberg auf Grund deren Ermittlungen getroffene Beurteilung der Volkszugehörigkeit eines Antragstellers soll in der Regel für die Beurteilung der deutschen Volkszugehörigkeit im- Ausstellungsverfahren übernommen wer-• den, wenn sich nicht im Einzelfalle aus den vorliegenden Unterlagen und den Angaben des Antragstellers konkrete Zweifel an der Richtigkeit der Beurteilung durch den Beauftragten der Bundesregierung ergeben. Eine rechtliche Bindung an die Beurteilung der deutschen Volkszugehörigkeit durch den Beauftragten der Bundesregierung besteht nicht.

4.1.2 Kann die Beurteilung des Beauftragten der Bundesregierung nach Nr. 4.1.1 nicht übernommen werden, ist eine sorgfältige Sachaufklärung durchzuführen, die ein Aufklärungsdefizit vermeidet,'das entweder zu Lasten- des Antragstellers geht oder durch Subsumtionsirrtum zu einer dem Antragsteller günstigen Fehlentscheidung führt, die später ein Verfahren gemäß § 15 Abs. 5 und § 18 BVFG auslösen kann.

4.1.3 Bei den Ermittlungen sind alle erreichbaren Beweismittel heranzuziehen und für den Einzelfall bedeutsamen Umstände zu berücksichtigen. Die Ausstellungsbehörde hat darüber hinaus verständnisvoll, der Tatsache Rechnung zu tragen, daß es sich bei den Aussiedlern regelmäßig um Personen " handelt, die erst kurze Zeit im Bundesgebiet leben, mit den hiesigen Lebensumständen nur wenig vertraut sind, zum Teil die deutsche Sprache nicht ausreichend beherrschen und notwendigen Verwaltungsvorgängen häufig hilflos gegenüberstehen.

4.1.4 Lassen sich die für die Entscheidung nach § 6 BVFG maßgeblichen Tatsachen auf andere Weise nicht feststellen, sind Auskünfte der Heimatortskartei und/oder Heimatauskünftstelle einzuholen. Dabei sind die Auskunftsersuchen zu.beschränken auf: .

1. Angaben über die Volkszählungsergebnisse in dem betreffenden Wohnort des Aussiedlungsgebietes,

2. Anschriften von ehemaligen Bewohnern des betreffenden Wohnorts des Aussiedlungsgebietes, die möglicherweise als Zeugen in Frage kommen,

160.Ergänzung-SMBl. NW.- (Standl5.2.1984 = MBl. NW.Nr.8einschl.) 20.2.80(3)

3. Erkenntnisse über im Einzelfalle interessierende OA11 Fakten, über Schulen, Vereine oder sonstige In- A*F l l stitutionen.

Die in Frage kommenden Zeugen sind durch die Ausweisbehörde zu befragen oder im Wege der Amtshilfe befragen zu lassen; dabei ist die regelmäßig wichtigste Frage nach dem Bekenntnis zum Deutschtum dahin zu erläutern, daß bestimmte Tatsachen anzugeben sind. Diese sind durch die Behörde gegebenenfalls konkret zu erfragen. Enthält eine Auskunft der Heimatortskartei oder Heimatauskunftsstelle eine Beurteilung der Volkszugehörigkeit eines Antragstellers, so bindet diese die Ausweisbehörde nicht. .Die rechtliche Würdigung obliegt allein der über die Ausweisausstellung entscheidenden Behörde.

4.1.5 Allgemeine statistische Unterlagen über die Volkszählungsergebnisse in bestimmten Gebieten sind gegebenenfalls (vgl. Nr. 4.1.4) bei der Beweiserhebung und -Würdigung heranzuziehen. Dadurch vermittelte Erkenntnisse über das mehrheitliche Bekenntnisverhalten bestimmter Gruppen stellen jedoch für den Einzelfall keinen Beweis gegen die Annahme eines Bekenntnisses zum Deutschtum dar.

4.2 Dem Beweisnotstand der Antragsteller ist unter Berücksichtigung des § 16 Abs. 3 BVFG und des § 26 VwVfG. NW. Rechnung zu tragen. Für die Beweisführung genügt die Glaubhaftma-chung im Sinne einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit für die Richtigkeit der behaupteten Tatsachen. Es müssen gewisse Tatbestandsteile wenigstens auf dem Wege zu einem Beweis hin liegen und durch die allgemeinen Erfahrungen ergänzt und bestätigt werden, so daß mehr für als gegen das Vorliegen der behaupteten Tatsachen spricht. Die bloße Möglichkeit des Vorliegens der zu beweisenden Tatsachen reicht als Glaubhaftmachung nicht aus; jedoch können noch gewisse Zweifel bestehen bleiben.

4.2.1 Der unverschuldete Beweisnotstand, in dem sich ' viele Vertriebene und Flüchtlinge befinden, zwingt dazu, in großem Umfang auch Tatsachen festzustellen, die nur von dem Antragsteller vorgetragen , sind. Der Antragsteller muß glaubwürdig sein. Hierbei ist der persönliche Eindruck, den er hinterläßt, nicht außer acht zu lassen. Die vorgetragenen einzelnen Tatsachen müssen glaubhaft sein; sie dürfen nicht im Widerspruch zu Denkgesetzen oder Erfahrungsgrundsätzen stehen. Bei der Prüfung dieser Angaben ist ein Maßstab anzulegen, der weder Kritik noch Wohlwollen vermissen läßt. Bei lückenhaftem oder unsachgerechtem Vortrag ist -gegebenenfalls unter Verdeutlichung der Anspruchvoraussetzungen - auf sachgerechte Ergänzung hinzuwirken. Das gilt auch für Zeugenaussagen.

4.3. Kann der Sachverhalt trotzdem nach § 16 Abs. BVFG nicht hinreichend aufgeklärt werden, geht der Mangel der Nichtaufklärbarkeit zu Lasten des Antragstellers.