Historische SMBl. NRW.

 Aufgehobener Erlass: Aufgehoben durch RdErl. vom 8.6.2016 (MBl. NRW. 2016 S. 430).

 


Historisch: Richtlinien für den Abschiebungsgewahrsam im Land Nordrhein-Westfalen (Abschiebungshaftrichtlinien - AHaftRL) RdErl. d. Innenministeriums -15-39.21.01-5-AHaftRL v. 19.1.2009

 

Historisch:

Richtlinien für den Abschiebungsgewahrsam im Land Nordrhein-Westfalen (Abschiebungshaftrichtlinien - AHaftRL) RdErl. d. Innenministeriums -15-39.21.01-5-AHaftRL v. 19.1.2009

Richtlinien für den Abschiebungsgewahrsam
im Land Nordrhein-Westfalen (Abschiebungshaftrichtlinien - AHaftRL)

RdErl. d. Innenministeriums -15-39.21.01-5-AHaftRL
v. 19.1.2009

1
Allgemeines

1.1
Anwendungsbereich

Abschiebungshaft wird in Nordrhein-Westfalen in Amtshilfe für das Ministerium für Inneres und Kommunales unter der Fachaufsicht des Justizministeriums in der Justizvollzugsanstalt Büren vollzogen (62a Absatz 1 AufenthG). Daneben kann in besonders gelagerten Einzelfällen, z.B. nach gescheitertem Abschiebungsversuch, Abschiebungshaft auch in anderen Justizvollzugsanstalten vollzogen werden.

Diese Abschiebungshaftrichtlinien treffen allgemeine Regeln für den Vollzug von Abschiebungshaft, die materiell-rechtlich in § 62 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (Aufenthaltsgesetz - AufenthG) und den §§ 14 Abs. 3 und 71 Abs. 8 des Asylverfahrensgesetzes (AsylVfG) geregelt sind. Verfahrensrechtliche Grundlage für Freiheitsentziehungen ist das Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG).

Die Abschiebungshaftrichtlinien sind auch dann anzuwenden, wenn Maßnahmen auf Ersuchen einer anderen Behörde in Amtshilfe durchgeführt werden.

1.2
Grundsätze

1.2.1
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit

Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit erfordert eine umfassende Prüfung der Voraussetzungen für eine Anordnung von Abschiebungshaft in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht (§ 62a Absatz 1 AufenthG).  Bei der Interessenabwägung ist zu bedenken, dass das Gewicht des Freiheitsanspruchs gegenüber dem öffentlichen Interesse an einer wirksamen Durchsetzung ausländerrechtlicher Vorschriften mit zunehmender Dauer der Haft regelmäßig zunimmt. Vor einem möglichen Haftantrag gegen Minderjährige, Schwangere, Mütter mit Säuglingen, stillende Frauen sowie Alleinerziehende sind bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit  insbesondere Fragen des Kindeswohls und des Schutzes der Familie umfassend zu berücksichtigen.

Mildere Mittel zur Vermeidung von Abschiebungshaft sind insbesondere Meldeauflagen, räumliche Aufenthaltsbeschränkungen sowie Garantien durch Vertrauenspersonen unter den in Ziffer 4.1 genannten Voraussetzungen. In den Fällen, in denen auf eine Abschiebungshaft nicht verzichtet werden kann, muss die zu sichernde Abschiebung mit größtmöglicher Beschleunigung betrieben werden, um die Haftdauer so kurz wie möglich zu halten.

1.2.2
Zweck der Abschiebungshaft

Zweck der Abschiebungshaft ist die Sicherung des Abschiebungsvollzugs. Die Abschiebungshaft hat keinen Strafcharakter; sie dient nicht dem Ziel, den Willen des Ausländers zu beugen, etwa um die Mitwirkung bei der Passersatzpapierbeschaffung zu erreichen oder der Ausländerbehörde die Arbeit zu erleichtern.

Das Unterlassen notwendiger Mitwirkungshandlungen für die Ausstellung von Passersatzpapieren oder die Weigerung der Unterzeichnung einer sogenannten Freiwilligkeitserklärung sind allein kein Haftgrund nach § 62 Absatz 3 Satz 1 Nummer 4 und 5 AufenthG.

1.2.3
Richtervorbehalt, Zuständigkeiten

Nach Artikel 104 Abs. 2 Satz 1 GG i. V. m. § 62 Absatz 2 AufenthG hat der Richter (Amtsrichter) die Entscheidung über die Zulässigkeit von Abschiebungshaft zu treffen.

Der Vollzug der richterlichen Haftanordnung ist gemäß § 422 Abs. 3 FamFG in Verbindung mit § 71 Abs. 1 AufenthG Aufgabe der zuständigen Ausländerbehörde.

Wird der Haftanordnungsbeschluss nicht vollstreckt oder wird der Ausländer aus der Abschiebungshaft entlassen, so ist der Haftanordnungsbeschluss verbraucht.

- Örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts

Die örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts richtet sich nach § 416 FamFG i.V.m. der Verordnung über die Zuständigkeit der Amtsgerichte in Strafsachen gegen Erwachsene, in Jugendstrafsachen, in Bußgeldverfahren und Abschiebungshaftsachen vom 5.7.2010 (GV. NRW. 2010 Nr. 24 v. 23.7.2010 S. 422). Der Gerichtsstand des § 416 Satz 2 FamFG ist aus Gründen der Zweckmäßigkeit in der Regel vorrangig gegenüber dem des § 416 Satz 1 FamFG.

Gericht i. S. d. § 427 Abs. 1 FamFG ist das für die Entscheidung in der Hauptsache zuständige Gericht. Danach ist nach den §§ 106 Abs. 2 Satz 1 AufenthG, 416 FamFG das Gericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk die betroffene Person ihren (tatsächlichen) gewöhnlichen Aufenthalt hat. Lässt sich der gewöhnliche Aufenthalt nicht feststellen, ist das Gericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk das Erfordernis für die Freiheitsentziehung entsteht.

Nach § 427 Abs. 1 FamFG kann das Gericht durch einstweilige Anordnung eine vorläufige Freiheitsentziehung anordnen, wenn dringliche Gründe für die Annahme bestehen, dass die Voraussetzungen für die Anordnung einer Freiheitsentziehung gegeben sind und dringender Bedarf für ein sofortiges Tätigwerden besteht.

Die Ausländerbehörde kann das für die Erstanordnung zuständige Amtsgericht ersuchen, gem. § 106 Abs. 2 AufenthG das Verfahren durch unanfechtbaren Beschluss an das Gericht abzugeben, in dessen Bezirk die Abschiebungshaft vollzogen wird, wenn über die Verlängerung (Fortdauer) zu entscheiden ist, andernfalls bleibt das Amtsgericht zuständig, das die Freiheitsentziehung angeordnet hat.

- Örtliche Zuständigkeit der Ausländerbehörde

Gemäß § 71 Abs. 1 AufenthG in Verbindung mit § 4 Abs. 1 des Ordnungsbehördengesetzes (OBG NRW) ist in NRW diejenige Ausländerbehörde für den Haftantrag und damit auch für eine vorläufige Festnahme im Sinne des § 62 Absatz 5 AufenthG (siehe Nummer 6) zuständig, in deren Bezirk die zu schützenden Interessen verletzt oder gefährdet werden. In der Regel ist dies die Ausländerbehörde, in deren Bezirk der Ausländer seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat oder im Falle des „Untertauchens“ hatte.

Der so definierte Maßstab kann in NRW je nach Fallsituation zur Zuständigkeit auch mehrerer Ausländerbehörden führen. Bei einem inhaftierten Ausländer wird in der Regel die Behörde des Haftortes zuständig. Bestehen hinlänglich Anhaltspunkte dafür, dass der Ausländer an seinen letzten Wohn- oder Aufenthaltsort vor der Inhaftierung zurückkehren wird, etwa weil er seine dortige Wohnung beibehalten oder familiäre oder andere Bindungen dorthin aufrechterhalten hat, so ist zusätzlich auch die Ausländerbehörde örtlich zuständig, in deren Bezirk der Wohn- oder Aufenthaltsort liegt.

Handelt es sich um einen bisher unbekannten illegal sich aufhaltenden Ausländer ist dies die Ausländerbehörde, in deren Bezirk der Ausländer seinen selbstbestimmten Aufenthalt genommen hatte. Liegen keine Anhaltspunkte vor, ist die Ausländerbehörde zuständig, in deren Bezirk der Ausländer aufgegriffen wurde.

Für die Befristung der Wirkung der Ausweisung und Abschiebung bei einem im Ausland lebenden Ausländer ist nach § 4 Abs. 1 OBG NRW die Ausländerbehörde örtlich zuständig, in deren Bezirk sich der Ausländer nach seiner Einreise begeben will. Fehlt es bei einer Befristungsentscheidung an einem derartigen Bezugspunkt, bleibt die Ausländerbehörde zuständig, die die Maßnahme getroffen hat, die zur Wiedereinreisesperre geführt hat.

Darüber hinaus hat die für den Aufgriffsort zuständige Ausländerbehörde im Rahmen der sog. außerordentlichen Zuständigkeit die Abschiebungshaft zu beantragen, soweit dies von der zuständigen Ausländerbehörde nicht oder nicht rechtzeitig erfolgen kann und damit Gefahr im Verzug besteht (vgl. § 6 Abs. 1 OBG NRW).
Für Haftfolgeanträge bleibt grundsätzlich die Zuständigkeit der erstzuständigen Ausländerbehörde bestehen; die allgemein zuständige Ausländerbehörde ist daher von der außerordentlich zuständigen Behörde über die getroffenen Maßnahmen gem. § 6 Abs. 3 OBG NRW unverzüglich zu unterrichten.

Bei Unzuträglichkeiten, die sich aus Doppel- oder Mehrfachzuständigkeiten ergeben, kann die Aufsichtsbehörde nach § 4 Abs. 2 bzw. § 9 Abs. 2 OBG NRW eine Weisung im Einzelfall erteilen.

Die örtliche Zuständigkeit in anderen Ländern richtet sich nach deren Landesrecht. Die örtliche Zuständigkeit wird danach vielfach durch den gewöhnlichen Aufenthalt begründet (§ 3 Abs. 1 Nr. 3 Buchstabe a VwVfG).

- Haftanträge in Amtshilfefällen

In zulässigen Amtshilfefällen hat die zuständige Ausländerbehörde den Haftantrag der ersuchten Behörde zu übersenden und diese zu bitten, den Antrag beim zuständigen Amtsgericht zu stellen. Gem. § 3 Abs. 2 der Verordnung über die Zuständigkeiten im Ausländerwesen (ZustAVO) können bei Haftfolgeanträgen in Amtshilfe auch die Zentralen Ausländerbehörden in Anspruch genommen werden. Amtshilfe kommt nur im Rahmen der durch § 5 VwVfG bestimmten Voraussetzungen und Grenzen in Betracht.

Zu beachten ist, dass Amtshilfe nur eine auf Ersuchen einer anderen Behörde geleistete `ergänzende¿ Hilfe umfasst. Ein Amtshilfeersuchen muss sich auf bestimmte Teilakte eines Verwaltungsverfahrens beschränken. Die pauschale Bitte einer vollständigen Übernahme von Verwaltungsaufgaben ist nicht zulässig. Auch aus verfassungsrechtlicher Sicht geht die dem Grundsatz nach in Artikel 35 Abs. 1 GG normierte Amtshilfe nicht über eine Aushilfe im Einzelfall hinaus. Amtshilfe besteht demnach in dem lediglich ergänzenden Beistand, den eine Behörde einer anderen leistet, um dieser die Durchführung ihrer öffentlichen Aufgaben zu ermöglichen oder zu erleichtern. Sie beschränkt sich auf ein punktuelles Zusammenwirken mit Ausnahmecharakter.

2
Vollzug der Abschiebungshaft

2.1
Inhalt des Haftantrages

Jeder Haftantrag ist von der Ausländerbehörde umfassend und schlüssig zu begründen (im Einzelnen hierzu Ziffer 3). Erforderlich sind neben den personenbezogenen Daten des Ausländers folgende Angaben:

- Darlegung, welche Maßnahmen bisher zur Vorbereitung der Abschiebung getroffen worden sind.

- Darlegung, warum mildere Mittel zur Vermeidung von Abschiebungshaft im Sinne der Ziffer 1.2.1 nicht in Frage kommen, besonders bei Schwangeren, Müttern mit Säuglingen und stillenden Frauen, die den besonderen Schutz im Sinne der Ziffer 2.2 genießen.

- Darlegung, warum die Abschiebung ohne Inhaftnahme des Ausländers nicht gewährleistet ist.

- Voraussichtliche Dauer des Abschiebungsverfahrens und der Abschiebungshaft.

- Angabe eines nach dem Kalendertag bestimmten Haftendes (zur Vermeidung der Gefahr unzulässiger Überschreitungen der in § 62 AufenthG vorgegebenen Zeitgrenzen für die Dauer der Abschiebungshaft).

- Hinweis, ob ein Ermittlungs-/Strafverfahren anhängig ist, ob das Einverständnis der Staatsanwaltschaft nach § 72 Abs. 4  Satz 1 AufenthG vorliegt oder wann mit dem Abschluss des staatsanwaltschaftlichen Verfahrens zu rechnen ist.

- Informationen über den letzten bekannten Wohn-/Aufenthaltsort.

- Einzelheiten des Verfahrens und der Umstände bei einer Festnahme.

- Angaben, ob für das betreffende Heimatland Abschiebungen ausgesetzt worden sind.

- Hinweis, ob ein Asylfolgeantrag gestellt worden ist und die Mitteilung des BAMF nach § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylVfG vorliegt bzw. wann mit dessen Bescheidung zu rechnen ist.

- Sonstige einzelfallbezogene Informationen, die für die Haftprüfung erforderlich sind.

Sofern der Ausländerbehörde der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und die Zustellungsurkunde vorliegen, sind diese beizufügen. An die Stelle der Zustellungsurkunde kann auch gegebenenfalls die Mitteilung des BAMF über die Vollziehbarkeit der Abschiebungsandrohung beigefügt werden.

Bei einem Haftverlängerungsantrag müssen zusätzlich die Maßnahmen aufgelistet werden, die während der Haftzeit getroffen worden sind, um die Abschiebung tatsächlich zu vollziehen. Der Haftverlängerungsantrag ist dem Betroffenen rechtzeitig mitzuteilen, damit er sich auf den Anhörungstermin vorbereiten kann.

Bei Haftverlängerungsanträgen für Ausländer unter 18 Jahren ist darzulegen, welche Tatsachen belegen, dass die Abschiebung innerhalb der regelmäßig höchstzulässigen Haftdauer von 3 Monaten (siehe Nummern 4 und 4.2.1) voraussichtlich durchgeführt werden kann (z.B. Passersatzpapier liegt vor, Flug ist zu einem festen Termin gebucht).

Eine Ausfertigung des Haftantrages nebst Anlagen ist dem Leiter Abschiebungshaftanstalt zu übergeben.

2.2
Absehen von Abschiebungshaft

Bei Zweifeln an der Haftfähigkeit aufgrund einer körperlichen oder psychischen Erkrankung des Ausländers ist diese durch einen Arzt feststellen zu lassen.

Außer bei Straffälligkeit ist in den folgenden Fällen grundsätzlich von einem Antrag auf Abschiebungshaft abzusehen:

- Ausländer, die das 65. Lebensjahr vollendet haben.

- Schwangere und Mütter innerhalb der gesetzlichen Mutterschutzfristen sowie stillende Frauen. Unabhängig davon ist die Haftfähigkeit bei Schwangeren immer ärztlich (vornehmlich durch eine Ärztin) feststellen zu lassen.

- Minderjährige, wenn

- sie eine Schule besuchen, eine Ausbildungs- oder Arbeitsstelle haben oder noch bei ihren Eltern leben, oder

- sie entsprechend § 42 Abs. 1 SGB VIII durch ein Jugendamt in Obhut genommen und in einer geeigneten Jugendhilfeeinrichtung untergebracht werden können oder

- ein dem Wohl des Minderjährigen entsprechender Haftplatz nicht zur Verfügung steht.

- Minderjährige unter 16 Jahren.

- Alleinerziehende mit Kindern unter 14 Jahren.

Vor der Inhaftierung von Minderjährigen sind unter Beachtung des besonderen Schutzauftrages das nach dem SGB VIII zuständige Jugendamt sowie das Jugendamt am Haftort unverzüglich zu benachrichtigen. Dies gilt nicht, wenn die Inhaftnahme zusammen mit einem Erziehungsberechtigten erfolgt.

Soweit die Anordnung von Abschiebungshaft gegen Eltern mit einem oder mehreren Kindern unerlässlich ist, darf grundsätzlich nur ein Elternteil in Haft genommen werden.

3
Voraussetzungen der Abschiebungshaft

3.1
Vorbereitungshaft (§ 62 Absatz 2 AufenthG)

Die Vorbereitungshaft setzt neben den Anforderungen des § 62 Absatz 2 AufenthG voraus, dass der Erlass einer Ausweisungsverfügung rechtlich möglich und mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist.

3.2
Sicherungshaft (§ 62 Absatz 3 AufenthG)

3.2.1
Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht

Da die Sicherungshaft die Abschiebung gem. §§ 58 ff AufenthG sichern soll, ist zunächst Voraussetzung, dass die Ausreisepflicht vollziehbar ist.

Der Vollziehbarkeit stehen angesichts der aufschiebenden Wirkung entgegen:

- ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO i.V.m. § 36 Abs. 3 Satz 8 AsylVfG,

- eine Klage bei Vorliegen des § 38 Abs. 1 AsylVfG oder

- eine Klage bei Vorliegen des § 73 AsylVfG.

Keine aufschiebende Wirkung nach § 75 AsylVfG haben

- eine Klage bei Vorliegen der §§ 26a, 27a, 29 oder 30 AsylVfG oder

- eine Klage nach § 75 Satz 2 AsylVfG.

In Fällen des § 14 Abs. 3 AsylVfG steht die Asylantragstellung der Anordnung oder Aufrechterhaltung von Abschiebungshaft nicht entgegen. Näheres wird in § 14 Abs. 3 AsylVfG geregelt.

Die Wirkungen eines Asylfolgeantrages nach § 71 Abs. 1 AsylVfG regeln § 71 Abs. 5, 6 und 8 AsylVfG.

3.2.2
Vorliegen eines Haftgrundes

Damit Abschiebungshaft angeordnet werden kann, muss ein Haftgrund vorliegen. Die Haftgründe sind in § 62 Absatz 3 Satz 1 AufenthG abschließend aufgeführt. Die Erfüllung eines Haftgrundes löst nicht zwingend die Anordnung von Abschiebungshaft aus. Abschiebungshaft unterliegt als Grundrechtseingriff dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Ihre Beantragung setzt voraus, dass eine Inhaftnahme geeignet, erforderlich und angemessen ist.

3.2.2.1
Unerlaubte Einreise (§ 62 Absatz 3 Satz 1 Nummer 1 AufenthG)

Dieser Haftgrund liegt vor, wenn der Ausländer unerlaubt eingereist ist und sich seitdem ununterbrochen illegal in Deutschland aufhält. Gemäß § 62 Absatz 3 Satz 3 AufenthG kann ausnahmsweise davon abgesehen werden, Sicherungshaft nach Nummer 1 anzuordnen, wenn der Ausländer glaubhaft macht, dass er sich der Abschiebung nicht entziehen will.

Indizien für Glaubhaftmachung sind, dass der Ausländer für die Ausländerbehörde erreichbar ist, über ein gültiges Heimreisedokument und ausreichende Eigenmittel bzw. ein gültiges Flugticket für die Rückreise verfügt und seine Ausreisebereitschaft gegenüber der Ausländerbehörde erklärt. Sofern ein gültiges Heimreisedokument noch nicht vorliegt, muss der Ausländer bei der Passersatzpapierbeschaffung im erforderlichen Umfang mitwirken.

Sofern Eigenmittel nicht vorhanden sind, können die Heimreisekosten aus dem REAG/GARP-Programm der International Organisation for Migration (IOM) beglichen werden. Auch die Kostenübernahmeerklärung eines Dritten kommt in Betracht.

In diesen Fällen erhält der Ausländer für die Dauer des Aufenthalts eine Grenzübertrittsbescheinigung.

Von einer Inhaftnahme soll grundsätzlich abgesehen werden, wenn der Ausländer glaubhaft macht, dass keine Gelegenheit bestand, erstmals einen Asylantrag zu stellen.

3.2.2.2
Abschiebungsanordnung nach § 58a AufenthG (§ 62 Absatz 3 Satz 1 Nr. 1a AufenthG)

Ist eine Abschiebungsanordnung nach § 58 a AufenthG ergangen, kann diese aber nicht unmittelbar vollzogen werden, ist Sicherungshaft möglich.

3.2.2.3
Ablauf der Ausreisefrist und Wechsel des Aufenthaltsortes (§ 62 Absatz 3 Satz 1 Nummer 2 AufenthG)

Der Haftgrund nach § 62 Absatz 3 Satz 1 Nummer 2 AufenthG greift nur nach schriftlicher Belehrung des Ausländers über die Mitteilungsverpflichtung gem. § 50 Abs. 5 AufenthG (vorherige Anzeige eines Wohnungswechsels oder des Verlassens des Bezirks der Ausländerbehörde für mehr als drei Tage) sowie über die Folgen eines Verstoßes. Diese Belehrung ist unverzüglich nach Eintritt der Ausreiseverpflichtung durch die zuständige Ausländerbehörde vorzunehmen und dem Haftrichter auf Verlangen vorzulegen.

Regelungsinhalt ist nicht, eine Verletzung der Meldepflicht zu ahnden, sondern wegen des Verdachts des Untertauchens die Abschiebung zu sichern. Die Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 62 Absatz 3 Satz 1 Nummer 2 AufenthG ist für sich allein noch nicht ausreichend für die Anordnung der Sicherungshaft. Hinzu kommen muss der Verdacht, dass der Ausländer sich der Abschiebung entziehen will.

3.2.2.4
Nichtantreffen (§ 62 Absatz 3 Satz 1 Nummer 3 AufenthG)

Wird der Ausländer aus von ihm zu vertretenden Gründen nicht zu einem für die Abschiebung angekündigten Termin an dem von der Ausländerbehörde angegebenen Ort angetroffen, genügt diese Tatsache für sich allein genommen noch nicht für die Anordnung von Sicherungshaft. Das Nichterscheinen muss Anlass für die begründete Annahme sein, der Ausländer werde auch künftig die zeitlichen und räumlichen Vorgaben für den Abschiebungsvollzug missachten. Da die Ausländerbehörde ihren Haftantrag ausreichend begründen muss, hat sie ohnehin die Gründe des Ausländers für das Nichtantreffen zu hinterfragen, um bewerten zu können, inwieweit dieser die Vereitelung der Abschiebung zu vertreten hat.

3.2.2.5
Entziehen in sonstiger Weise (§ 62 Absatz 3 Satz 1 Nummer 4 AufenthG)

Dieser Haftgrund kommt nur in Betracht, wenn die Ausländerbehörde nach Vorliegen aller Abschiebungsvoraussetzungen die zwangsweise Durchsetzung der Ausreisepflicht  tatsächlich durchführen wollte und der Ausländer diese konkrete Abschiebung durch sein Verhalten gezielt verhindert hat. Anwendungsbeispiele sind der aktive Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, das Verstecken von Ausweispapieren oder ein „Untertauchen“. Das Ausschöpfen rechtlicher Möglichkeiten gegen die Abschiebung zählt nicht dazu.

3.2.2.6
Verdacht der Entziehung (§ 62 Absatz 3 Satz 1 Nummer 5 AufenthG)

Die Verweigerung einer freiwilligen Ausreise allein rechtfertigt noch nicht die Annahme, der Ausländer wolle sich der Abschiebung entziehen. Es müssen weitere, den Verdacht begründende Tatsachen hinzukommen, die im Abschiebungshaftantrag aufzuführen sind. So muss sich etwa aus Erklärungen oder dem Verhalten des Ausländers oder aus sonstigen konkreten Umständen (z.B. Mehrfachantragsteller, bereits früheres Entziehen der Abschiebung) ergeben, dass eine Abschiebung in einer Weise behindert werden wird, die nicht durch einfachen Zwang überwunden werden kann. Es muss der Verdacht bestehen, dass die Abschiebung ohne Anwendung freiheitsentziehender Maßnahmen nicht durchgeführt werden kann.

3.2.3
Zweiwochenhaft (§ 62 Absatz 3 Satz 2 AufenthG)

Für die Zweiwochenhaft („kleine Sicherungshaft“) muss kein Haftgrund nach § 62 Absatz 3 Satz 1 Nummern 1 bis 5 AufenthG vorliegen. Die Vorschrift dient in erster Linie der Durchführung von Sammelabschiebungen oder wenn die Abschiebung einen großen organisatorischen Aufwand erfordert oder nur in einem begrenzten Zeitraum durchgeführt werden kann. Zum Zeitpunkt des Haftantrages müssen sämtliche Abschiebungsvoraussetzungen vorliegen und feststehen, dass die Abschiebung auch tatsächlich bis zum Ablauf der zwei Wochen durchgeführt werden kann. Dies dokumentiert sich insbesondere durch die Existenz gültiger Heimreisedokumente und dem konkret benannten Flugtermin.

Scheitert die Abschiebung innerhalb von zwei Wochen, ist der Haftgrund nach § 62 Absatz 3 Satz 2 AufenthG verbraucht, da dann die Tatbestandsvoraussetzungen nicht mehr vorliegen.

Scheitert die Abschiebung am Widerstand des Ausländers, liegt i. d. R. der Haftgrund des § 62 Absatz 3 Satz 1 Nummer 4 AufenthG vor. Die zuständige Ausländerbehörde muss unverzüglich beim zuständigen Amtsgericht einen Haftbeschluss beantragen, der sich auf diese Vorschrift stützt.

3.2.4
Abschiebungshindernisse (§ 62 Absatz 3 Satz 4 AufenthG)

3.2.4.1
Dreimonatsfrist

Die Anordnung der Sicherungshaft setzt voraus, dass die Maßnahme in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der alsbaldigen Abschiebung steht. Gemäß § 62 Absatz 3 Satz 4 AufenthG ist die Sicherungshaft daher unzulässig, wenn feststeht, dass aus Gründen, die der Ausländer nicht zu vertreten hat, die Abschiebung nicht innerhalb der nächsten drei Monate durchgeführt werden kann. Die Zulässigkeit der Haft setzt nicht den Nachweis der Durchführbarkeit der Abschiebung in den nächsten 3 Monaten voraus.

3.2.4.2
Vertreten müssen

Der Ausländer hat ein Abschiebungshindernis gem. § 62 Absatz 3 Satz 4 AufenthG nur dann zu vertreten, wenn dessen Beseitigung von seinem eigenem Willen abhängt.

Zu vertreten ist die Verzögerung bei der Passersatzbeschaffung bereits durch die Einreise in die Bundesrepublik Deutschland ohne Pass und/oder unter Zuhilfenahme von Schleusern.

Nicht zu vertreten ist eine Verzögerung, wenn die Behörden des Heimatlandes die Ausstellung von Heimreisedokumenten trotz umfassender aktiver Mitwirkung des Betroffenen nur schleppend oder gar nicht betreiben.

Bei der Erfüllung der Anforderungen sind die mit dem jeweiligen Heimatland verbundenen Rahmenbedingungen zu berücksichtigen.

Sofern die Mitwirkung bei der Passersatzpapierbeschaffung erst während der Haft erfolgt, ist für die Frage, ob die Haft über drei Monate hinaus angeordnet werden kann, entscheidend, ob der Ausländer alle Mitwirkungspflichten erfüllt.

3.2.4.3
Abschiebungsstopp

Abschiebungshaft kann grundsätzlich auch während eines Abschiebungsstopps nach § 60a Abs. 1 und 3 AufenthG zulässig sein. Voraussetzung ist aber, dass die Haftgründe noch bestehen und die Haft über den Zeitraum des Abschiebungsstopps hinaus noch verhältnismäßig ist, also die 3-Monatsfrist des § 62 Absatz 3 Satz 4 AufenthG nicht entgegensteht. Eine Prüfung hat unverzüglich zu erfolgen. Die Inhaftnahme ist auch nicht allein deshalb ausgeschlossen, weil die Abschiebung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nur für einen vorübergehenden Zeitraum nicht durchführbar ist. Ein temporäres Abschiebungshindernis steht einer Abschiebungshaft insofern nicht generell entgegen.

3.2.4.4
Heimreisedokumente

Vor Beantragung von Abschiebungshaft ist eine Auskunft der zuständigen Zentralen Ausländerbehörde einzuholen, ob die Beschaffung eines Heimreisedokumentes innerhalb von drei Monaten ausgeschlossen ist.

3.2.4.5
Menschenhandel

In Fällen, in denen nach § 50 Abs. 2a AufenthG einem Ausländer eine Frist zur freiwilligen Ausreise von mindestens vier Wochen zu gewähren ist, ist in dieser Frist von der Beantragung der Sicherungshaft abzusehen.

3.2.5
Scheitern der Abschiebung (§ 62 Absatz 3 Satz 5 AufenthG)

Eine Abschiebung ist gescheitert, wenn sie in absehbarer Zeit tatsächlich nicht möglich ist.

Kann die Abschiebung nach objektiven Umständen (z.B. bei Flugverschiebung oder -ausfall) innerhalb der Anordnungsfrist nachgeholt werden, bedarf es keines neuen Haftbeschlusses. Eine Abschiebung gilt erst mit der Überstellung des Betroffenen in den Zielstaat als vollendet.

Hat der Ausländer die Gründe nach § 62 Absatz 3 Satz 5 AufenthG nicht zu vertreten, bedarf es zur Fortsetzung der Abschiebungshaft auf Antrag der zuständigen Behörde eines erneuten richterlichen Beschlusses durch das zuständige Amtsgericht (zur Zweiwochenhaft siehe Ziffer 3.2.3).

4
Haftdauer
(§ 62 Absatz 4 AufenthG)

Für die Dauer der Haft ist grundsätzlich nicht das bisherige Verhalten des Ausländers in der Bundesrepublik Deutschland entscheidend, sondern die Frage, welchen Zeitraum die Ausländerbehörde unter Beachtung des Beschleunigungsgebots für die Durchführung der Abschiebung benötigt.

Sicherungshaft nach § 62 Absatz 4 AufenthG ist aus Gründen der Verhältnismäßigkeit zunächst nur für drei Monate, bei Minderjährigen nur für sechs Wochen zu beantragen.

4.1
Vorzeitige Beendigung der Haft

Die Ausländerbehörde ist verpflichtet, auch anlassunabhängig zu prüfen, ob einer der Haftgründe gem. § 62 Absatz 3 Satz 1 AufenthG, auf die sich der Abschiebungshaftbeschluss stützt, für die Fortsetzung der Abschiebungshaft noch vorliegt. Sollte kein Haftgrund (mehr) vorliegen, ist unverzüglich die Entlassung des Ausländers aus der Abschiebungshaft zu veranlassen.

Steht nicht fest, dass die Abschiebung innerhalb der nächsten drei Monate unmöglich ist oder hat der Ausländer die Verzögerungen nicht zu vertreten, kommt eine Aufhebung der Abschiebungshaft in Betracht, wenn

- sich eine dritte Person, die das Vertrauen des Abschiebungsgefangenen und der Ausländerbehörde genießt (z.B. Seelsorger, ein im Rahmen der psychosozialen Betreuung Tätiger oder ein in der Abschiebungshaftanstalt bekannter ehrenamtlicher Betreuer), um die Belange der Betroffenen außerhalb der Haft kümmern will, und

- eine Wohnung (auch z.B. Gemeinschaftsunterkunft) im Zuständigkeitsbereich der Ausländerbehörde vorhanden ist, unter deren Anschrift der Ausländer für die Ausländerbehörde jederzeit erreichbar ist; und

- der Ausländer glaubhaft macht, sich regelmäßig bei der Ausländerbehörde zu festgesetzten Terminen zu melden.

Zuständig für die aus der Haft Entlassenen ist die Ausländerbehörde der Zuweisungsgemeinde bzw. der Erstantragsgemeinde; bei illegal Eingereisten, die keinen Asylantrag gestellt haben, ist dies die aktenführende Ausländerbehörde, ansonsten die Ausländerbehörde, die den Haftantrag gestellt hat.

Für die Dauer des Aufenthalts erhält der Ausländer eine Grenzübertrittsbescheinigung.

4.2
Haftverlängerung

Die Inhaftnahme ist auf die kürzest mögliche Dauer zu beschränken. Die Ausländerbehörde hat unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgebots (siehe auch Nummer 4.1) zu prüfen, ob eine Verlängerung der Haftdauer auf bis zu 6 Monate erforderlich ist. Außer bei Minderjährigen (siehe Ziff. 4.2.1) kann die Haft im Falle des § 62 Absatz 4 Satz 2 AufenthG um höchstens zwölf auf insgesamt bis zu 18 Monate verlängert werden (siehe Ziff. 4.2.2).

4.2.1
Minderjährige

Entsprechend den Grundsätzen der Ziffer 1.2.1 wird eine Haftverlängerung für Ausländer unter 18 Jahren über drei Monate hinaus nicht beantragt. Dies gilt nicht in den Fällen, in denen sich die Betroffenen bereits mehrfach der Abschiebung entzogen haben, bei Straffälligkeit oder wenn dies aus sonstigen Gründen besonders geboten ist.

4.2.2
Verlängerung bis zu 18 Monaten (§ 62 Absatz 4 Satz 2 AufenthG)

- Die eigene Abschiebung i.S.d. § 62 Absatz 4 Satz 2 AufenthG verhindert, wer durch das eigene gesamte Verhalten zeigt, dass bewusst Umstände geschaffen werden, die seine Abschiebung hinauszögern oder unmöglich machen (z.B. Unterlassung zumutbarer Mitwirkungshandlungen; Verstoß gegen die Passvorlagepflicht nach § 48 Abs. 1 AufenthG; Weigerung, sich der Auslandsvertretung des Heimatstaates oder eines Drittstaates vorzustellen; Widerstandshandlungen, die die Abschiebung erschweren oder unmöglich machen).

Die Abschiebung ist in den Fällen des § 60a Abs. 2 AufenthG auszusetzen.

Nach der Hafthöchstdauer ist der Ausländer aus der Abschiebungshaft zu entlassen. Vorangegangene Haftzeiten bleiben ausnahmsweise unberücksichtigt,

- wenn der Ausländer nach dem Verlassen der Bundesrepublik Deutschland wieder eingereist ist und damit einen neuen ausländerrechtlichen Sachverhalt geschaffen hat, oder

- wenn eine Abschiebungsverfügung aufgehoben wurde und aufgrund eines neuen ausländerrechtlichen Sachverhaltes eine erneute Abschiebungsverfügung vorliegt.

4.2.3
Fristberechnung

Der die Freiheitsentziehung anordnende Beschluss wird gemäß § 422 FamFG mit Rechtskraft wirksam. Die Berechnung der Frist richtet sich nach dem Zeitpunkt der Wirksamkeit des Beschlusses.

In den wenigen Fällen, in denen die sofortige Wirksamkeit nicht angeordnet worden ist und aufgrund einer eingelegten Beschwerde die Rechtskraft erst zu einem späteren Zeitpunkt eintritt, ist der Beginn der Frist aus der Bescheinigung über die Rechtskraft zu ersehen. Der Tag der Rechtskraft der freiheitsentziehenden Entscheidung ist der erste Tag für die Fristberechnung der Dauer der Abschiebungshaft.

4.2.4
„Überhaft“

Wird neben einer Straf- oder Untersuchungshaft oder einer sonstigen Freiheitsentziehung Abschiebungshaft angeordnet, schließt sich diese nur dann in den im Abschiebungshaftbeschluss angegebenen Umfang an, wenn dies im Hinblick auf eine im Zeitpunkt der Entscheidung bereits bestehende oder feststehende Haft oder sonstige Freiheitsentziehung so angeordnet worden ist. Andernfalls ist nicht hinreichend bestimmbar, wann die Abschiebungshaft im Anschluss an die Freiheitsentziehung beginnt und endet. Falls eine solche Anordnung nicht erfolgt ist, hemmt der Vollzug von Haft oder sonstiger Freiheitsentziehung nicht den Fristablauf von daneben angeordneter Abschiebungshaft.

Die Ausländerbehörde muss bereits während der Haft oder sonstigen Freiheits-entziehung unverzüglich alle Maßnahmen für die Vorbereitung der Abschiebung, insbesondere für die Beschaffung der Heimreisedokumente, veranlassen.

5
Organisatorische Maßnahmen zur Vorbereitungs- und Sicherungshaft

5.1
Prüfungs- und Berichtspflichten

5.1.1
Haftverlängerung über sechs Monate

Bei einer Haftverlängerung über sechs Monate hinaus leiten die Ausländerbehörden jeden Erst- und Verlängerungsantrag an das Amtsgericht sowie die ergangenen Haftbeschlüsse unter Beifügung relevanter Auszüge aus der Ausländerakte unverzüglich an die Bezirksregierung weiter. Gleiches gilt für jeden weiteren Verlängerungsantrag.

In diesem Bericht ist darzulegen,

- ob der Inhalt der Haftanträge den Vorgaben der Ziffer 2.1 entspricht,

- warum die Abschiebung bislang nicht durchgeführt werde konnte,

- warum ein Absehen von (Ziffer 2.2) der Abschiebungshaft nicht möglich ist,

- warum eine vorzeitige Beendigung der Haft (Nummer 4.1) nicht in Betracht kommt,

- welche Haftgründe vorliegen und warum die Abschiebung nur durch die Abschiebungshaft gesichert werden kann,

- ob die Aufrechterhaltung der Abschiebungshaft - besonders mit Blick auf die Erfolgsaussicht der Erlangung von Passersatzpapieren - noch zweckmäßig ist.

Die Bezirksregierung prüft im Rahmen ihrer Aufsichtsfunktion die Recht- und Zweckmäßigkeit der Maßnahme, hält das wesentliche Ergebnis fest und teilt dieses dem Innenministerium (Ausländerreferat) mit.

5.1.2
Inhaftierung von Minderjährigen

Bei jeder Beantragung von Abschiebungshaft für Minderjährige hat die in Nummer 5.1.1 geregelte Berichterstattung unverzüglich  zu erfolgen.

Die Ausländerbehörde hat ergänzend über das Ergebnis ihrer Kontaktaufnahme zu dem nach SGB VIII vor Ort zuständigen sowie dem Jugendamt am Haftort (Nummer 2.2) zu berichten, warum eine Inobhutnahme bzw. Unterbringung in einer Jugendhilfeeinrichtung nicht in Betracht kommt.

Wird ein Betroffener, der behauptet minderjährig zu sein, ohne einen Nachweis zu erbringen oder erbringen zu können, von der Ausländerbehörde als offensichtlich Volljähriger eingestuft, hat sie ergänzend darzulegen, worauf sie diese Einschätzung stützt.

Die Bezirksregierung leitet das Ergebnis ihrer Prüfung binnen fünf Tagen an das Innenministerium weiter.

Die Ausländerbehörde informiert die Bezirksregierung und das Innenministerium unverzüglich über die erfolgte Abschiebung oder Haftentlassung des Minderjährigen.

5.2
Ankündigung des Abschiebungstermins

Auf die Wochenfrist gem. § 59 Abs. 5 AufenthG kann in Ausnahmefällen verzichtet werden, wenn durch eine zeitnahe Abschiebung die Haftzeit verkürzt werden kann. Weitere Ausnahmen können sich aus den Umständen des Einzelfalls ergeben, insbesondere bei Suizidgefahr. Die Gründe für die Ausnahmen sind aktenkundig zu machen.

5.3
Betreuung während der Abschiebungshaft

Abschiebungsgefangene werden bei ihrer Aufnahme über ihre Rechte und Pflichten und über die in der Einrichtung geltenden Regeln informiert. Näheres regelt eine Hausordnung.

Die Abschiebungsgefangenen werden während ihres Gewahrsams durch die Zentralen Ausländerbehörden betreut und beraten. Die Betreuung umfasst die Beratung in ausländerrechtlichen Fragen sowie in Familien- und Vermögensangelegenheiten. Soweit Bedienstete der Zentralen Ausländerbehörden die von dem Abschiebungshäftling angesprochenen Fragen nicht kurzfristig beantworten können, werden Kontakte zu den zuständigen Ausländerbehörden vermittelt.

Auf Wunsch erhalten Abschiebungsgefangene eine durch die JVA vermittelte Rechtsberatung. Auch wird Ihnen gestattet, mit Rechtsvertretern, Familienangehörigen und den zuständigen Konsularbehörden Kontakt aufzunehmen.

Bei Minderjährigen werden alterstypische Belange berücksichtigt.

Angehörigen einschlägig tätiger Hilfs- und Unterstützungsorganisationen oder Einzelpersonen kann auf Antrag gestattet werden, Abschiebungsgefangene zu besuchen. Auf Wunsch ist auch eine Beteiligung dieser Organisationen oder Personen bei den Gesprächen in den Abschiebungshaftanstalten möglich. Die Ausländerbehörde darf Informationen über Abschiebungsgefangene an einschlägig tätige Hilfs- und Unterstützungsorganisationen oder Einzelpersonen aus datenschutz- und verfahrensrechtlichen Gründen nur mit dessen Zustimmung weitergeben. Anfragen von privaten Flüchtlingsorganisationen oder Einzelpersonen (z. B. zum Verfahrensstand oder zum tatsächlichen Aufenthaltsort), die vom Ausländer durch Vollmacht legitimiert sind, können beantwortet werden.

6
Vorläufige Festnahme zur Sicherung der richterlichen Vorführung (§ 62 Absatz 5 AufenthG)

Die Sicherungshaft bedarf als Maßnahme der Freiheitsentziehung nach Artikel 104 Absatz 2 Satz 1 GG grundsätzlich einer vorherigen richterlichen Anordnung. Die Ausländerbehörde ist verpflichtet, ihr Vorgehen bei Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung so zu gestalten, dass der zur Sicherung des Grundrechts auf Freiheit der Person (Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 GG) bestehende Richtervorbehalt praktisch wirksam wird (siehe auch Nummer 1.2.3).

Ist eine Abschiebung konkret geplant oder planbar bedarf es regelmäßig einer vorherigen richterlichen Anordnung. Dies gilt auch wenn die Ausländerbehörde die Polizei im Wege der Amtshilfe gebeten hat, einen Ausländer in Gewahrsam zu nehmen.

Ist ein vollziehbar ausreisepflichtiger Ausländer jedoch untergetaucht, kann seine Festnahme lediglich abstrakt für den Fall seines Aufgreifens geplant werden. Daher kann er bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 62 Absatz 5 AufenthG zum Zwecke der Vorführung vor den Haftrichter ohne Verstoß gegen Artikel 104 Absatz 2 Satz 1 GG  durch die Exekutive in Gewahrsam genommen werden.

Für eine Ausschreibung zur Festnahme gemäß § 50 Absatz 7 Satz 1 AufenthG ist keine richterliche Anordnung erforderlich, da die Ausschreibung keine Bindungswirkung entfaltet und die Entscheidung über die Ingewahrsamnahme derjenigen Behörde überlassen bleibt, die nach § 62 Absatz 5 AufenthG tätig wird.

Für ein ohne vorherige richterliche Anordnung erfolgtes Festhalten oder in Gewahrsam nehmen müssen die Voraussetzungen des § 62 Absatz 5 AufenthG kumulativ erfüllt sein.

Gemäß § 428 Absatz 1 FamFG sowie § 62 Absatz 5 Satz 2 AufenthG ist die richterliche Entscheidung unverzüglich herbeizuführen. Ist die Freiheitsentziehung nicht bis zum Ablauf des ihr folgenden Tages durch richterliche Entscheidung angeordnet, so hat die Freilassung zu erfolgen.

7
Inkrafttreten

Diese Abschiebungshaftrichtlinien treten mit ihrer Veröffentlichung in Kraft.

Dieser Erlass tritt mit Ablauf des 31.12.2017 außer Kraft.

MBl. NRW. 2009 S. 84, geändert d. RdErl. v. 7.5.2010 (MBl. NRW. 2010 S. 568), 6.12.2011 (MBl. NRW. 2011 S. 628), 5.4.2012 (MBl. NRW. 2012 S. 222).