Historische SMBl. NRW.

 Aufgehobener Erlass: Aufgehoben durch RdErl. vom 8.6.2016 (MBl. NRW. 2016 S. 430).

 


Historisch: Gewährleistung des Abschiebungshaftvollzugs in NRW RdErl. des Ministeriums für Inneres und Kommunales - 15-39.16.04-2-13/339(2604) vom 5.3.2014

 

Historisch:

Gewährleistung des Abschiebungshaftvollzugs in NRW RdErl. des Ministeriums für Inneres und Kommunales - 15-39.16.04-2-13/339(2604) vom 5.3.2014

Gewährleistung des Abschiebungshaftvollzugs in NRW

RdErl. des Ministeriums für Inneres und Kommunales - 15-39.16.04-2-13/339(2604)
vom 5.3.2014

•  Vorlagebeschluss des BGH an den EuGH vom 11.07.2013 (V ZB 40/11) zu Art. 16 Abs. 1 der EU-Rückführungs-RL (Richtlinie 2008/115/EG)

In NRW vollzieht das JM NRW seit rund 20 Jahren Abschiebungshaft in Amtshilfe für das MIK NRW in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Büren. Die JVA diente viele Jahre ausschließlich als Abschiebungshaftanstalt. Da die Zahl der Abschiebehäftlinge zurückging, wird seit dem 01.07.2007 in der JVA Büren auch Strafhaft verbüßt, um dort freigewordene Kapazitäten zu nutzen.

Rechtsgrundlage für den Betrieb der JVA Büren als Justizvollzugsanstalt sind §§ 151, 152 Strafvollzugsgesetz (StVollzG) sowie § 112 Jugendstrafvollzugsgesetz Nordrhein-Westfalen (JStVollzG NRW) sowie §§ 60, 64 Untersuchungshaftvollzugsgesetz Nordrhein-Westfalen (UVollzG NRW). Rechtsgrundlage für den Betrieb als Abschiebungshaftanstalt ist § 422 Abs. 4 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG).

Danach gelten die §§ 171, 173 bis 175 und 178 Abs. 3 StVollzG entsprechend, wenn Abschiebungshaft im Wege der Amtshilfe in Justizvollzugsanstalten vollzogen wird, soweit in § 62a des Aufenthaltsgesetzes für die Abschiebungshaft nichts Abweichendes bestimmt ist.

In einigen Bundesländern, nämlich in BE, BB, HB, NI, RP (gemeinsam mit SL) und SH sind reine Abschiebungshafteinrichtungen vorhanden. In den übrigen Ländern werden, wie seit dem 01.07.2007 auch in der JVA Büren, Abschiebungshäftlinge und Strafgefangene in einer gemeinsamen Einrichtung untergebracht, überwiegend vergleichbar getrennt voneinander, wie dies in der JVA Büren geschieht.

Laut Art. 16 Abs. 1 der EU-Rückführungs-RL (Richtlinie 2008/115/EG) erfolgt

     „die Inhaftierung … grundsätzlich in speziellen Hafteinrichtungen. Sind in einem Mitgliedstaat solche speziellen Hafteinrichtungen nicht vorhanden und muss die Unterbringung in gewöhnlichen Haftanstalten erfolgen, so werden in Haft genommene    Drittstaatsangehörige gesondert von den gewöhnlichen Strafgefangenen untergebracht.“

§ 62a Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG setzen diese Vorschrift in deutsches Recht um:

     „(1) Die Abschiebungshaft wird grundsätzlich in speziellen Hafteinrichtungen vollzogen. Sind spezielle Hafteinrichtungen im Land nicht vorhanden, kann sie in diesem Land in sonstigen Haftanstalten vollzogen werden; die Abschiebungsgefangenen sind    in diesem Fall getrennt von Strafgefangenen unterzubringen.“

Umstritten ist in der jüngsten bundesweiten Rechtsprechung, ob die Formulierung „in diesem Land“, die auf die Situation in dem jeweiligen Bundesland abstellt, mit dem Wortlaut der EU-Rückführungs-RL vereinbar ist, der lediglich den Mitgliedstaat erwähnt, ohne seine evtl. föderale Struktur zu berücksichtigen. Mit Beschluss vom 11.07.2013 (V ZB 40/11) hat der BGH dem EuGH der Europäischen Union die Frage vorgelegt:

     „Ergibt sich aus Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. 2008 Nr. L 348/98) auch dann die Verpflichtung eines Mitgliedstaates, Abschiebungshaft grundsätzlich in speziellen Hafteinrichtungen zu vollziehen, wenn solche Einrichtungen nur in einem Teil der föderalen Untergliederungen dieses Mitgliedstaats             vorhanden sind, in anderen aber nicht?“

Der BGH hat zugleich erklärt:

     „Der vorlegende Senat neigt mit Blick auf den Wortlaut der Richtlinie dazu, dass auf die Mitgliedstaaten und nicht auf föderale Untergliederungen abzustellen ist.“

Infolge des Vorlagebeschlusses des BGH haben verschiedene Gerichte die Aussetzung von Abschiebungshaft beschlossen, sofern diese nicht in speziellen Hafteinrichtungen vollzogen wurde.

Obwohl Landgerichte in NRW bisher regelmäßig die richtlinienkonforme Unterbringung in der JVA Büren bestätigen, - so bisher die Landgerichte Bielefeld, Köln, Krefeld, Münster und Paderborn - vertritt das AG Paderborn die Auffassung, dass eine richtlinienkonforme Unterbringung in der JVA Büren europarechtswidrig sei, weil bei der Anwendung der Richtlinie auf die Mitgliedstaaten und nicht auf die föderale Untergliederung Deutschlands abzustellen sei.

Da das AG Paderborn nicht nur über Ersthaftanträge zu entscheiden hat, die sich aus der örtlichen Zuständigkeit ergeben, sondern auch über Anträge auf Verlängerung von Haftbeschlüssen anderer Amtsgerichte in NRW, häuft sich die Zahl der Fälle, in denen das AG Paderborn Haftbeschlüsse ablehnt bzw. aufhebt und Abschiebungshaft nicht mehr vollzogen werden kann.

Da die Betroffenen schnell auf freien Fuß gesetzt werden, ohne dass das AG Paderborn den antragstellenden Behörden die Möglichkeit einräumt, nach alternativen Unterbringungsmöglichkeiten zu suchen, gelingt es den Ausländerbehörden nur in wenigen Fällen, Rechtsmittel einzulegen. So sind die Beschwerdeentscheidungen des LG Paderborn u.a. darauf zurück zu führen, dass es das AG Paderborn bei der Ablehnung von Haftanträgen versäumt hatte, die vorläufigen Haftbeschlüsse der Bundespolizei aufzuheben.

In einigen Fällen, in denen Landgerichte Beschwerden zurückgewiesen haben, wurden beim BGH Eilanträge gestellt oder Rechtsbeschwerden eingelegt, deren Ausgang abzuwarten bleibt.

MIK und JM NRW gehen weiterhin davon aus, dass Abschiebungshaft in der JVA Büren richtlinienkonform vollzogen wird. Insoweit wird den Ausländerbehörden geraten, In Fällen, in denen einfachgerichtlich ein Abschiebungshaftantrag oder ein Verlängerungsantrag abgelehnt oder ein Haftbeschluss aufgehoben oder außer Vollzug gesetzt wird, rechtzeitig das geeignete Rechtsmittel einzulegen. Ist der Betroffene erst aus dem Gewahrsam entlassen, ist aufgrund fehlenden Rechtsschutzinteresses ein Rechtsmittel nicht mehr möglich.

Als Muster habe ich einen anonymisierten Text einer Rechtsbeschwerde der Bundespolizei beigelegt, die alle wesentlichen aktuellen Argumente enthält und sich auch auf eine interessante und hilfreiche Entscheidung des BGH bezieht (Behörde muss Gelegenheit erhalten, den Abschiebungsgefangenen vor der Entlassung anderweitig unterzubringen).

Anlage:

1. Schreiben vom 17.12.2013


Anlagen: