Geltende Erlasse (SMBl. NRW.)  mit Stand vom 6.12.2024


Erlass zu Grundsatzfragen bei der Anwendung des § 2 EEG bei Verwaltungsentscheidungen im Zusammenhang mit erneuerbaren Energien (§ 2 EEG-Grundsatzerlass) Gemeinsamer Runderlass des Ministeriums für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie des Ministeriums für Umwelt, Naturschutz und Verkehr des Ministeriums für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung des Ministeriums für Landwirtschaft und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen

 

Erlass zu Grundsatzfragen bei der Anwendung des § 2 EEG bei Verwaltungsentscheidungen im Zusammenhang mit erneuerbaren Energien (§ 2 EEG-Grundsatzerlass) Gemeinsamer Runderlass des Ministeriums für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie des Ministeriums für Umwelt, Naturschutz und Verkehr des Ministeriums für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung des Ministeriums für Landwirtschaft und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen

Erlass zu Grundsatzfragen bei der Anwendung des § 2 EEG bei
Verwaltungsentscheidungen im Zusammenhang mit erneuerbaren Energien
(§ 2 EEG-Grundsatzerlass)

Gemeinsamer Runderlass
des Ministeriums für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie

des Ministeriums für Umwelt, Naturschutz und Verkehr

des Ministeriums für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung

des Ministeriums für Landwirtschaft und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen

Vom 25. Juni 2024

1
Gegenstand des Erlasses

§ 2 des Erneuerbare-Energien-Gesetzes vom 21. Juli 2014 (BGBl. I S. 1066), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 8. Mai 2024 (BGBl. 2024 I Nr. 151) geändert worden ist, regelt die Bedeutung des Ausbaus der erneuerbaren Energien im Rahmen von Schutzgüterabwägungen. Solche Abwägungen sind naturgemäß durch den Rechtsanwender im Einzelfall zu treffen und entziehen sich einer schematischen Betrachtung.

Dieser Erlass soll eine Arbeitshilfe geben, inwieweit im Einzelfall eine Anwendung des § 2 des Erneuerbare-Energien-Gesetzes zu prüfen ist. Ferner soll er Hinweise geben, mit welcher Bedeutung § 2 des Erneuerbare-Energien-Gesetzes regelmäßig in eine Schutzgüterabwägung einzustellen ist. Weitere Hilfestellungen zur Anwendung im Einzelfall im Zusammenhang mit einzelnen Rechtsnormen erfolgen gegebenenfalls durch die jeweils fachlich zuständigen Ressorts.

2
Allgemein

In Umsetzung der durch das Bundesverfassungsgericht klargestellten verfassungsrechtlichen Pflicht des Staates zum Klimaschutz nach Artikel 20a des Grundgesetzes in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 100-1 veröffentlichten bereinigten Fassung, das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 19. Dezember 2022 (BGBl. I S. 2478) geändert worden ist (BVerfG, Beschluss vom 24.03.2021 – 1 BvR 2656/18) hat der Bundesgesetzgeber im novellierten § 2 des Erneuerbare-Energien-Gesetzes die herausragende Bedeutung und Stellung des Ausbaus der erneuerbaren Energien für den Klimaschutz normiert. Dieser lautet:

1Die Errichtung und der Betrieb von Anlagen sowie den dazugehörigen Nebenanlagen liegen im überragenden öffentlichen Interesse und dienen der öffentlichen Sicherheit. 2Bis die Stromerzeugung im Bundesgebiet nahezu treibhausgasneutral ist, sollen die erneuerbaren Energien als vorrangiger Belang in die jeweils durchzuführenden Schutzgüterabwägungen eingebracht werden. 3Satz 2 ist nicht gegenüber Belangen der Landes- und Bündnisverteidigung anzuwenden.“

Damit liegen die Errichtung und der Betrieb von Anlagen zur Nutzung erneuerbarer Energien sowie den dazugehörigen Nebenanlagen im überragenden öffentlichen Interesse und dienen der öffentlichen Sicherheit, § 2 Satz 1 des Erneuerbare-Energien-Gesetzes.

Bei der Auslegung des § 2 des Erneuerbare-Energien-Gesetzes ist zudem zu berücksichtigen, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien nicht nur dem Klimaschutz, sondern zumindest mittelbar dem Schutz des Lebens, der Gesundheit und des Eigentums vor den Gefahren des Klimawandels dient (BVerfG, Beschluss vom 23.03.2022 - 1 BvR 1187/17 -, Randnummer 105; vergleiche insoweit auch Erwägungsgrund 3 der Richtlinie (EU) 2018/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2018 zur Förderung der Nutzung von Energie aus erneuerbaren Quellen (ABl. L 328 vom 21.12.2018, S. 82, L 311 vom 25.9.2020, S. 11, L 41 vom 22.2.2022, S. 37), die zuletzt durch die Richtlinie (EU) 2023/2413 (ABl. L 2023/2413, 31.10.2023) geändert worden ist sowie Artikel 3 der Verordnung (EU) 2022/2577 des Rates vom 22. Dezember 2022 zur Festlegung eines Rahmens für einen beschleunigten Ausbau der Nutzung erneuerbarer Energie (ABl. L 335 vom 29.12.2022, S. 36), die zuletzt durch die Verordnung (EU) 2024/223 (ABl. L, 2024/2023, 10.1.2024) geändert worden ist). Dieses nicht im Wortlaut des § 2 des Erneuerbare-Energien-Gesetzes enthaltene Schutzgut findet über das „allgemeine“ überragende öffentliche Interesse in § 2 des Erneuerbare-Energien-Gesetzes Eingang in die Verwaltungsentscheidung (VG Braunschweig, Urteil vom 11.05.2022 – 2 A 100/19, Randnummer 51 f.).

Gemäß § 2 Satz 2 des Erneuerbare-Energien-Gesetzes sollen die erneuerbaren Energien als vorrangiger Belang in die jeweils durchzuführenden Schutzgüterabwägungen eingebracht werden. Dieser Abwägungsvorrang gilt so lange, bis die Stromerzeugung nahezu treibhausgasneutral ist. Zu den Schutzgüterabwägungen zählen insbesondere Abwägungsentscheidungen unter anderem gegenüber seismologischen Stationen, dem Denkmalschutz, Radaranlagen, Wasserschutzgebieten, dem Landschaftsbild oder im Forst-, Immissionsschutz-, Naturschutz-, Bau- oder Straßenrecht (BT-Drs. 20/1630, Seite 159; OVG Münster, Beschluss vom 04.08.2022 – 22 A 488/20, Randnummer 55 ff.; VGH Mannheim, Beschluss vom 10.11.2022 – 10 S 1312/22, Randnummer 55 f.).

Gemäß § 2 Satz 3 des Erneuerbare-Energien-Gesetzes sind vom grundsätzlichen Vorrang gemäß Satz 2 einzig die Belange der Landes- und Bündnisverteidigung ausgenommen. Daraus kann jedoch nicht abgeleitet werden, dass die Erneuerbaren Energien stets hinter den Verteidigungsbelangen zurückstehen müssen. Satz 1 bleibt anwendbar. In diesen Fällen muss eine Einzelfallentscheidung unter Zugrundelegung und Abwägung beider Belange erfolgen.

Gleichrangige Belange können sich aus einer entsprechenden gesetzlichen Festlegung ergeben. In diesem Zusammenhang kann der Ausbau der Erneuerbaren Energien nur synchron mit dem entsprechendem Aus-, Auf- und Umbau der erforderlichen Energieinfrastrukturen erfolgen. Insbesondere Vorhaben für den Ausbau der Stromnetze und den Aufbau eines Wasserstoffnetzes liegen im überragenden öffentlichen Interesse und dienen der öffentlichen Sicherheit (vergleiche § 1 Absatz 1 Satz 2 des Bundesbedarfsplangesetzes vom 23. Juli 2013 (BGBl. I S. 2543; 2014 I S. 148, 271), das zuletzt durch Artikel 6 des Gesetzes vom 8. Mai 2024 (BGBl. 2024 I Nr. 151) geändert worden ist, § 1 Absatz 2 Satz 3 des Energieleitungsausbaugesetzes vom 21. August 2009 (BGBl. I S. 2870), das zuletzt durch Artikel 4 des Gesetzes vom 8. Mai 2024 (BGBl. 2024 I Nr. 151) geändert worden ist, § 43 Absatz 3a Satz 1 des Energiewirtschaftsgesetzes vom 7. Juli 2005 (BGBl. I S. 1970, 3621), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 14. Mai 2024 (BGBl. 2024 I Nr. 151) geändert worden ist für Hochspannungsleitungen, § 28r Absatz 8 Satz 4 des Energiewirtschaftsgesetzes und § 43l Absatz 1 Satz 2 des Energiewirtschaftsgesetzes für die Wasserstoffleitungen, § 14d Absatz 10 des Energiewirtschaftsgesetzes für Verteilnetze ab 110 kV).

2.1
Anwendungsbereich

Der Anwendungsbereich bezieht sich zunächst auf Anlagen im Sinne des § 3 Nummer. 1 des Erneuerbare-Energien-Gesetzes. Eine Anlage ist demnach „jede Einrichtung zur Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien oder aus Grubengas, wobei im Fall von Solaranlagen jedes Modul eine eigenständige Anlage ist; als Anlage gelten auch Einrichtungen, die zwischengespeicherte Energie, die ausschließlich aus erneuerbaren Energien oder Grubengas stammt, aufnehmen und in elektrische Energie umwandeln“. Erneuerbare Energien sind nach § 3 Nummer 21 des Erneuerbare-Energien-Gesetzes Wasserkraft, einschließlich der Wellen-, Gezeiten-, Salzgradienten- und Strömungsenergie, Windenergie, solare Strahlungsenergie, Geothermie sowie Energie aus Biomasse einschließlich Biogas, Biomethan, Deponiegas und Klärgas sowie aus dem biologisch abbaubaren Anteil von Abfällen aus Haushalten und Industrie. Nebenanlagen dienen gemäß § 3 Nummer 15a des Erneuerbare-Energien-Gesetzes der Errichtung oder dem Betrieb einer Anlage, einschließlich elektrischer Leitungen, Steuerungs- und Kommunikationsleitungen, Montage- und Kranstellflächen, Zuwegungen, Transformator- und Übergabestationen, wobei Anlagen jenseits der Übergabestation, einschließlich des Umspannwerks, nicht erfasst sind.

§ 2 des Erneuerbare-Energien-Gesetzes ist in Verwaltungshandeln mit Schutzgüterabwägung durch Behörden oder sonstige juristische Personen des öffentlichen Rechtes mit Blick auf den jeweiligen Entscheidungsgegenstand und Belang anzuwenden; insbesondere führt § 2 des Erneuerbare-Energien-Gesetzes nicht dazu, dass eine Abwägung entfällt. Hierzu gehören insbesondere Ermessens- und Abwägungsentscheidungen. Auch sind Beurteilungsspielräume umfasst, sofern im Rahmen der Beurteilung eine Abwägung erfolgt und damit auch das öffentliche Interesse an erneuerbaren Energien berücksichtigt werden kann (vergleiche VGH Mannheim, Urteil vom 04.04.2023, 10 S 1560/22, Randnummer 51). Darüber hinaus kann § 2 des Erneuerbare-Energien-Gesetzes bei der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe Anwendung finden. Voraussetzung dafür ist, dass es der unbestimmte Rechtsbegriff vor dem Hintergrund der jeweiligen Regelungsmaterie zulässt, das Interesse am Klimaschutz beziehungsweise an erneuerbaren Energien in die Auslegung einzubeziehen. Auch im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung ist § 2 des Erneuerbare-Energien-Gesetzes zu berücksichtigen, wenn das Interesse an erneuerbaren Energien beispielsweise in die Zweck-Mittel-Relation einfließt.

2.2
Berücksichtigung als vorrangiger Belang

§ 2 des Erneuerbare-Energien-Gesetzes regelt, mit welchem Gewicht der Ausbau erneuerbarer Energien in Abwägungsentscheidungen einzustellen ist. Daraus folgt, dass der Rechtsanwender auch im Zusammenhang mit dem Ausbau erneuerbarer Energien nicht von einer Abwägung befreit ist. Das Unterlassen einer durchzuführenden Abwägung hat die Rechtswidrigkeit der behördlichen Entscheidung zur Folge.

Durch die Regelung des § 2 Satz 1 des Erneuerbare-Energien-Gesetzes hat der Bundesgesetzgeber der Errichtung und dem Betrieb von Anlagen der erneuerbaren Energien ein überragendes öffentliches Interesse beigemessen, welches in allen Entscheidungen zum Tragen kommt, in denen § 2 des Erneuerbare-Energien-Gesetzes zu berücksichtigen ist (vergleiche Ausführungen zu Nummer 1.1). § 2 Satz 2 des Erneuerbare-Energien-Gesetzes normiert darüber hinaus einen vorübergehenden, relativen Gewichtungsvorrang der erneuerbaren Energien. Damit haben erneuerbare Energien in den durchzuführenden Abwägungen in aller Regel den Vorrang (BT-Drs. 20/1630, S. 159).

Lediglich in Ausnahmefällen, in Form von atypischen Sonderfällen oder bei gleichrangingen Schutzgütern, können andere Belange überwiegen, die fachlich anhand der besonderen Umstände der jeweiligen Situation zu begründen sind (OVG Greifswald, Urteil vom 07.02.2023, Az.: 5 K 171/22 OVG, Randnummer 160).

Die erneuerbaren Energien sind nach der verfassungsrechtlich zu beachtenden Grundsatzentscheidung des Gesetzgebers, die Energieversorgung durch Erneuerbare-Energien-Anlagen klimaneutral zu gestalten, als wesentlicher Bestandteil des im Grundgesetz verankerten Klimaschutzgebots anzusehen. Ihnen können daher öffentliche Interessen beziehungsweise Belange mit Verfassungsrang oder gleichwertigem Rang entgegenstehen (BT-Drs. 20/1630, S. 159). Insbesondere sobald den erneuerbaren Energien öffentliche Belange von Verfassungsrang oder grundrechtlich geschützte private Interessen entgegenstehen, ist eine umfassende, einzelfallbezogene Abwägung durchzuführen und im Wege der praktischen Konkordanz ein schonender Ausgleich zwischen den widerstreitenden Verfassungsprinzipien und verfassungsrechtlich geschützten Rechtsgütern herzustellen. Dabei sind in der Rechtsprechung bereits einige Abwägungskonstellationen entschieden worden (siehe etwa zum Denkmalschutzrecht mit Verfassungsrang: OVG NRW Urteil vom 31.10.2023, 7 D 187/22.AK, juris, Randnummer 160).

Dies entspricht auch der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. So hat das Bundesverfassungsgericht hierzu ausgeführt, dass Artikel 20a des Grundgesetzes keinen unbedingten Vorrang gegenüber anderen Belangen besitzt, sondern im Konfliktfall in einen Ausgleich mit anderen Verfassungsgütern und Verfassungsprinzipen zu bringen ist (BVerfG, Beschluss vom 24.03.2021 – 1 BvR 2656/18, Randnummer 198). Dabei ist mit Blick auf die weitestgehende Unumkehrbarkeit des Klimawandels eine Überschreitung der zum Schutz des Klimas einzuhaltenden Temperaturschwelle jedoch nur unter engen Voraussetzungen etwa zum Schutz von Grundrechten oder der natürlichen Lebensgrundlagen zu rechtfertigen, mithin also mit dem Artikel 20a des Grundgesetzes vergleichbare oder diesem immanente verfassungsrechtliche Schutzgüter (BT-Drs. 20/1630, Seite 159). Schließlich nimmt das relative Gewicht des Klimaschutzgebots in der Abwägung bei fortschreitendem Klimawandel weiter zu (BVerfG, Beschluss vom 24.03.2021 – 1 BvR 2656/18, Randnummer 143 ff.). Diesem Verständnis ist bei der Anwendung des § 2 des Erneuerbare-Energien-Gesetzes als Ausprägung des Klimaschutzgebots des Artikel 20a des Grundgesetzes Rechnung zu tragen.

2.3
Umgang mit § 2 des Erneuerbare-Energien-Gesetzes in der räumlichen Planung

§ 2 des Erneuerbare-Energien-Gesetzes ändert nichts daran, dass eine im Grundsatz ergebnisoffene Abwägung nach § 1 Absatz 7 des Baugesetzbuches in der Fassung der Bekanntmachung vom 3. November 2017 (BGBl. I S. 3634), das zuletzt durch Artikel 3 des Gesetzes vom 20. Dezember 2023 (BGBl. 2023 I Nr. 394) geändert worden ist, oder § 7 Absatz 2 Satz 1 des Raumordnungsgesetzes vom 22. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2986), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 22. März 2023 (BGBl. 2023 I Nr. 88) geändert worden ist, stattfinden muss, in der alle öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander abzuwägen sind. Im Rahmen dieser Abwägung ist das Gewicht jedes Belangs angemessen zu berücksichtigen. In Planaufstellungsverfahren wirkt § 2 des Erneuerbare-Energien-Gesetzes insbesondere, indem er zu einer größeren Potenzialfläche führt und somit die Planungsspielräume der Planungsträger erweitert. § 2 des Erneuerbare-Energien-Gesetzes kann bewirken, dass Hemmnisse im Zulassungsverfahren beispielsweise über fachrechtliche Ausnahmen oder Befreiungen künftig leichter überwunden werden können.

Eine Pflicht, eine entsprechende Planung vorzunehmen, lässt sich aus § 2 des Erneuerbare-Energien-Gesetzes nicht ableiten.

Bei raumordnerischen Entscheidungen zur Verwirklichung und Sicherung der Raumordnungspläne ist § 2 EEG im Rahmen der jeweiligen Ermessensentscheidung zu berücksichtigen. Bei der Ermessensentscheidung ist auch der Ausbaustand der Erneuerbaren Energien im jeweiligen Planungsraum zu berücksichtigen.

Das durch Gesetz vom 17. Mai 2024 in § 36 Absatz 3 des Landesplanungsgesetzes Nordrhein-Westfalen vom 3. Mai 2005 (GV. NRW. S. 430), das zuletzt durch Gesetz vom 12. Juni 2024 (siehe GV. NRW. S. 315) geändert worden ist, neu geschaffene Sicherungsinstrument für Raumordnungspläne, die der Erreichung der Flächenziele des Windenergieflächenbedarfsgesetzes vom 20. Juli 2022 (BGBl. I S. 1353), das zuletzt durch Artikel 12 des Gesetzes vom 8. Mai 2024 (BGBl. 2024 I Nr. 151) geändert worden ist, dienen, ist § 245e Absatz 2 i.V.m. § 15 Absatz 3 Baugesetzbuches nachgebildet (LT-Drucksache 18/8882, Seite 3). Die hier mit Einführung des § 2 Erneuerbare-Energien-Gesetz parallel durch den Bundesgesetzgeber getroffene gesetzgeberische Grundsatzentscheidung, dass zum Zwecke der Beschleunigung der Ausweis von Windenergiegebieten durch planerischen Ausweis dem Ausbau von Einzelanlagen im Kollisionsfall vorzuziehen ist und durch Plansicherungsmaßnahmen abgesichert werden kann, wurde durch den Landesgesetzgeber für den Bereich des Raumordnungsrechts nachvollzogen. Dies ist bei der Anwendung des § 2 Erneuerbare-Energien-Gesetz zu berücksichtigen. Danach wäre eine Zurückstellung außerhalb der zukünftigen Flächenkulisse unter den im Gesetz genannten Voraussetzungen grundsätzlich eröffnet. § 2 Erneuerbare-Energien-Gesetz kommt damit in den Fällen eine Korrekturfunktion zu, in denen sich dieser Grundsatz ausnahmsweise als unzutreffend erweist. Bei der Rechtsanwendung bestehen im Einzelfall daher erhöhte Prüfungs- und Begründungspflichten.

2.4
Verfahrensfragen

In der behördlichen Praxis führt die Anwendung des § 2 des Erneuerbare-Energien-Gesetzes dazu, dass in dem weiterhin notwendigen Abwägungsprozess der Vorrang der erneuerbaren Energien in der Regel nicht gesondert begründet werden muss. Vielmehr ist es ausreichend, im Rahmen der Begründung auf die bundesgesetzgeberische Wertung des § 2 des Erneuerbare-Energien-Gesetzes zu verweisen. Dies entbindet die Behörde jedoch nicht davon, Belange, die den erneuerbaren Energien im Einzelfall gegenüberstehen und in die Abwägung mit einzubringen sind, darzustellen.

Sofern den erneuerbaren Energien Belange mit gleichwertigem Verfassungsrang gegenüberstehen oder wenn die Annahme eines atypischen Falles seitens eines Beteiligten eingefordert wird direkt oder zumindest sinngemäß, besteht ein erhöhtes Begründungserfordernis.

Aufgrund der relativen Vorrangwirkung des § 2 des Erneuerbare-Energien-Gesetzes besteht im Übrigen ein erhöhtes Begründungserfordernis nur in den Ausnahmefällen, in denen öffentliche Interessen beziehungsweise Belange von Verfassungsrang oder gleichwertigem Rang im konkreten Fall in der vorzunehmenden Abwägung überwiegen (vergleiche Ausführungen zu Nummer 2.2). Im Rahmen der Begründung ist dezidiert darzulegen, warum ein anderer Verfassungsrang oder gleichwertiger Rang das überragende öffentliche Interesse an den erneuerbaren Energien und deren Beitrag zur öffentlichen Sicherheit ausnahmsweise überwiegen (BT-Drs. 20/1630, Seite 159). Das betrifft beispielsweise auch die ebenfalls verfassungsrechtlich durch Artikel 20a des Grundgesetzes geschützten natürlichen Lebensgrundlagen.

3
Prüfung von § 2 EEG des Erneuerbare-Energien-Gesetzes im Rahmen von Genehmigungen

Die Gesetzesbegründung rekurriert für die Prüfung des § 2 des Erneuerbare-Energien-Gesetzes auf alle Rechtsbereiche und bezieht sich auf Schutzgüterabwägungen. Hierbei ist jedoch eine differenzierte Anwendung des § 2 des Erneuerbare-Energien-Gesetzes erforderlich; insoweit bleiben die fachrechtlichen Vorgaben sowie fachgesetzlichen Systematiken als solche von § 2 des Erneuerbare-Energien-Gesetzes unberührt. Gleichzeitig bleibt die entsprechende fachliche Bewertung der Prüfung im Einzelfall in Verantwortung den jeweils zuständigen Behörden vorbehalten und kann nicht im Wege einer schematischen Darstellung vorweggenommen werden.

In diesem Zusammenhang ist die Anwendung des § 2 des Erneuerbare-Energien-Gesetzes insbesondere und nicht abschließend bei den folgenden Abwägungsentscheidungen zu prüfen:

3.1
Natur- und Artenschutzrecht

a) Entscheidung über die Erteilung von im Ermessen stehenden naturschutzrechtlichen Ausnahmen oder Prüfung des überwiegenden öffentlichen Interesses bei Befreiungen gemäß § 67 Absatz 1 Nummer 1 des Bundesnaturschutzgesetzes vom 29. Juli 2009 (BGBl. I S. 2542), das zuletzt durch Artikel 5 des Gesetzes vom 8. Mai 2024 (BGBl. 2024 I Nr. 153) geändert worden ist (vergleiche BVerwG, Beschl. V. 15.09.2023 – 7 VR 6/23; VGH Mannheim, Urteil vom 12.10.2022 – 10 S 2903/21, Randnummer 46),

b) Prüfung des Vorliegens vorrangiger Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege im Rahmen der Zulassung eines nicht kompensierbaren Eingriffs in die Natur und Landschaft nach § 15 Absatz 5 des Bundesnaturschutzgesetzes (vergleiche OVG Münster, Urteil vom 27.10.2022 - 22 D 243/21),

c) Prüfung des Vorliegens von „zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses“ nach § 34 Absatz 3 Nummer 1 des Bundesnaturschutzgesetzes im Rahmen der Zulassung einer Beeinträchtigung eines Natura 2000-Gebiet,

d) Prüfung einer artenschutzrechtlichen Ausnahme von den Zugriffsverboten des § 44 Absatz 1 des Bundesnaturschutzgesetzes, insbesondere Prüfung des Dienens der öffentlichen Sicherheit nach § 45 Absatz 7 Satz 1 Nummer 4 des Bundesnaturschutzgesetzes, Prüfung des Vorliegens von zwingenden Gründen des überwiegenden Interesses nach § 45 Absatz 7 Satz 1 Nummer 5 des Bundesnaturschutzgesetzes,

e) die Spezialregelungen des § 45b Absatz 8 Nummer 1 und Nummer 6 des Bundesnaturschutzgesetzes sind im Rahmen ihres Anwendungsbereiches, wie etwa bei Windenergieanlagen an Land oder dem Tötungsverbot durch betriebsbedingte Auswirkungen, zu beachten; § 45b Absatz 8 Nummer 1 des Bundesnaturschutzgesetzes dient der Klarstellung und ist mit § 2 des Erneuerbare-Energien-Gesetzeszusammen zu lesen und

f) Prüfung des überwiegenden öffentlichen Interesses im Rahmen einer Ausnahmeerteilung bezüglich der Freihaltung von Gewässern und Uferzonen nach § 61 Absatz 3 Satz 1 Nummer 2 des Bundesnaturschutzgesetzes.

3.2
Forstrecht

a) Entscheidung nach § 39 des Landesforstgesetzes vom 24. April 1980 (GV. NRW. S. 546), das zuletzt durch Artikel 3 des Gesetzes vom 25. März 2022 (GV. NRW. S. 360; S. 731) geändert worden ist über eine dauerhafte Waldumwandlung in Verbindung mit § 9 Absatz 1 Satz 3 des Bundeswaldgesetzes vom 2. Mai 1975 (BGBl. I S. 1037), das zuletzt durch Artikel 112 des Gesetzes vom 10. August 2021 (BGBl. I. S. 3436) geändert worden ist (vergleiche. Gesetzesbegründung, BR-Drs. 162/22, 176 f; OVG Münster, Beschluss vom 04.08.2022 – 22 A 488/20, Randnummer 35; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 14.06.2023 – OVG 3a A 30/23, Randnummer 33f; OVG Münster, Beschluss vom 11.08. 2022 – 22 A 1492/20, 30f.) und

b) Entscheidung nach § 40 des Landesforstgesetzes über eine befristete Waldumwandlung in Verbindung mit § 9 Absatz 2 des Bundeswaldgesetzes.

3.3
Denkmalschutz

Entscheidungen über erlaubnispflichtige Maßnahmen nach dem Denkmalschutzgesetz vom 13. April 2022 (GV. NRW. Seite 662) zum Beispiel nach § 9 Denkmalschutzgesetz (vergleiche auch OVG Greifswald, Urteil vom 07.02.2023 – 5 K 171/22, Leitsätze; OVG Berlin, Urteil vom 27.07.2023 – 3a A 52/23, Randnummer 51 ff.; VG Koblenz, Urteil vom 05.06.2023 – 1 K 922/22.KO –, Randnummer 24 f). Das Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung des Landes Nordrhein-Westfalen hat unter Hinweis auf den sich aus Artikel 18 der Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalens ergebenden Verfassungsrang des Denkmalschutzes mit den Entscheidungsleitlinien für Solaranlagen auf Denkmälern vom 08.11.2022 (Az. 52.21.32) einen gesonderten Erlass für die Photovoltaik auf Denkmälern erlassen.

3.4
Raumordnungs-, Bauplanungs- und Bauordnungsrecht

a) Entscheidung über die Untersagung oder Zurückstellung raumbedeutsamer Planungen und Maßnahmen nach § 12 des Raumordnungsgesetzes vom 22. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2986), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 22. März 2023 (BGBl. 2023 I Nr. 88) geändert worden ist und § 36 Landesplanungsgesetz Nordrhein-Westfalen vom 3. Mai 2005 (GV. NRW. S. 430), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 8. Juli 2021 (GV. NRW. S. 904) geändert worden ist,

b) Entscheidung über die Zulassung einer Abweichung nach § 69 Absatz 1 der Landesbauordnung 2018 vom 21. Juli 2018 (GV. NRW. S. 421), die zuletzt durch Gesetz vom 31. Oktober 2023 (GV. NRW. S. 1172) geändert worden ist, von Anforderungen der Landesbauordnung im Hinblick auf die öffentlichen Belange beziehungsweise aus Gründen des allgemeinen Wohls (vergleiche in Bezug auf Abstandsflächen: OVG Berlin, Urteil vom 07.06.2023 – OVG 3a A 57/23, Randnummer 33 ff.),

c) Befreiung von Festsetzungen eines Bebauungsplans nach § 31 Absatz 2 Nummer 1 des Baugesetzbuches,

d) zu beachten ist, dass § 2 des Erneuerbare-Energien-Gesetzes die grundlegende gesetzliche Systematik der Unterscheidung privilegierter und sonstiger Vorhaben in § 35 des Baugesetzbuches unangetastet lässt,

e) § 35 Absatz 1 des Baugesetzbuches: § 2 des Erneuerbare-Energien-Gesetzes ist bei der nachvollziehenden Abwägung zu berücksichtigen, sofern keine Ausschlussplanung erfolgt ist,

f) § 35 Absatz 2 des Baugesetzbuches: § 2 des Erneuerbare-Energien-Gesetzes kann nur ausnahmsweise in atypischen Sonderkonstellationen einzubeziehen sein (vergleiche    OVG NRW, Urteil vom 16.05.2023 – 7 D 423/21.AK) und

g) Entscheidung über Ausnahmen von der Regelvermutung des § 249 Absatz 10 des Baugesetzbuches.

3.5
Wasserrecht

a) Wasserrechtliche Gestattungen im Rahmen des Bewirtschaftungsermessens nach § 12 Abs. 2 des Wasserhaushaltsgesetzes vom 31. Juli 2009 (BGBl. I S. 2585), das zuletzt durch Artikel 7 des Gesetzes vom 22. Dezember 2023 (BGBl. 2023 I Nr. 409) geändert worden ist,

b) Entscheidung über einen vorzeitigen Beginn der Gewässerbenutzung nach § 17 Absatz 1 Nummer 2 des Wasserhaushaltsgesetzes,

c) Ausnahme von den Bewirtschaftungszielen nach § 31 Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 des Wasserhaushaltsgesetzes,

d) Befreiung von Verboten, Beschränkung sowie Duldungs- und Handlungspflichten gemäß § 52 Absatz 1 Satz 2 des Wasserhaushaltsgesetzes; zu beachten ist jedoch in diesen Fällen die Sicherstellung der Trinkwasserversorgung als Aufgabe der Daseinsvorsorge als vorrangiger Belang und

e) Befreiung von Anforderungen nach § 49 Absatz 4 der Verordnung über Anlagen zum Umgang mit wassergefährdenden Stoffen vom 18. April 2017 (BGBl. I S. 905), die durch Artikel 256 der Verordnung vom 19. Juni 2020 (BGBl. I S. 1328) geändert worden ist.

3.6
Straßen- und Wegerecht

Entscheidung über Zustimmung zu baulichen Anlagen gemäß § 25 Absatz 1 des Straßen- und Wegegesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen in der Fassung der Bekanntmachung vom 23. September 1995 (GV. NRW. 1995, S. 1028, ber. 1996 S. 81, S. 141, S. 216 und S. 355), das zuletzt durch Artikel 15 des Gesetzes vom 1. Februar 2022 (GV. NRW. S. 122) geändert worden ist.

3.7
Immissionsschutzrecht

a) In bundesimmissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren nach den § 4 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 17. Mai 2013 (BGBl. I S. 1274; 2021 I S. 123), das zuletzt durch Artikel 11 Absatz 3 des Gesetzes vom 26. Juli 2023 (BGBl. 2023 I Nr. 202) geändert worden ist), soweit nach dem gemäß § 6 Absatz 1 Nummern 1 und 2 beziehungsweise § 13 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes einzubeziehenden Fachrecht Ermessens- oder Abwägungsentscheidungen zu treffen sind beziehungsweise im Sinne der Nummer 1.1 Beurteilungsspielräume eröffnet, unbestimmte Rechtsbegriffe auszulegen oder Verhältnismäßigkeitsprüfungen vorzunehmen sind,

b) Entscheidung über die Zulassung eines vorzeitigen Beginns nach § 8a Absatz 1 Nummer 2 des Bundesimmissionsschutzgesetzes („öffentliches Interesse“) und

c) Ermessensentscheidung über die Zulassung des Nachreichens von Unterlagen nach § 7 Absatz 1 Satz 4 der Verordnung über das Genehmigungsverfahren in der Fassung der Bekanntmachung vom 29. Mai 1992 (BGBl. I S. 1001), die zuletzt durch Artikel 10 des Gesetzes vom 22. März 2023 (BGBl. 2023 I Nr. 88) geändert worden ist.

3.8
Auskunftsrecht

Öffentliches Interesse im Sinne von § 2 Satz 1 des Erneuerbare-Energien-Gesetzes ist „berechtigtes Interesse“ zum Beispiel nach § 14 des Vermessungs- und Katastergesetzes vom 1. März 2005 (GV. NRW. S. 174), das zuletzt durch Artikel 3 des Gesetzes vom 1 Dezember 2020 (GV. NRW. S. 1109) geändert worden ist (vergleiche VGH München, Urteil vom 09.03.2023 – 13a B 22.1688, Randnummer 34 f.).

3.9
Luftverkehrsrecht

Entscheidung über die Versagung einer Zustimmung nach § 14 Absatz 1 des Luftverkehrsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 10. Mai 2007 (BGBl. I S. 698), das zuletzt durch Artikel 6 des Gesetzes vom 22. Dezember 2023 (BGBl. 2023 I Nr. 409) geändert worden ist (vergleiche VGH Mannheim, Urteil vom 04.04.2023 – 10 S 1560/22, Randnummer 51).

3.10
Flurbereinigungsrecht

Entscheidung über Zustimmung zur Errichtung von Anlagen oder Nebenanlagen der erneuerbaren Energien der zuständigen Flurbereinigungsbehörde im Rahmen der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung oder zusätzlich zur erteilten Baugenehmigung bei baugenehmigungsbedürftigen Anlagen. Für Flächen in laufenden Flurbereinigungsverfahren (www.gisile.nrw.de) ist die Veränderungssperre nach § 34 des Flurbereinigungsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 16. März 1976 (BGBl. I S. 546), das zuletzt durch Artikel 17 des Gesetzes vom 19. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2794) geändert worden ist, bis zur Unanfechtbarkeit des Flurbereinigungsplanes zu berücksichtigen.

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Inkrafttreten

Dieser Runderlass tritt am 26.06.2024 in Kraft.

MBl. NRW. 2024 S. 677.