Gesetz- und Verordnungsblatt (GV. NRW.)
Ausgabe 2019 Nr. 14 vom 16.7.2019 Seite 299 bis 344

Gesetz zur Verbesserung des Rechtsschutzes bei Fixierungen im Justiz- und Maßregelvollzug und bei öffentlich-rechtlichen Unterbringungen in psychiatrischen Einrichtungen
Normkopf
Norm
Normfuß
 

Gesetz zur Verbesserung des Rechtsschutzes bei Fixierungen im Justiz- und Maßregelvollzug und bei öffentlich-rechtlichen Unterbringungen in psychiatrischen Einrichtungen

46

Gesetz
zur Verbesserung des Rechtsschutzes bei Fixierungen
im Justiz- und Maßregelvollzug und bei öffentlich-rechtlichen
Unterbringungen in psychiatrischen Einrichtungen

des Landes Nordrhein-Westfalen

Vom 2. Juli 2019

Der Landtag hat das folgende Gesetz beschlossen, das hiermit verkündet wird:

Gesetz
zur Verbesserung des Rechtsschutzes bei Fixierungen
im Justiz- und Maßregelvollzug und bei öffentlich-rechtlichen
Unterbringungen in psychiatrischen Einrichtungen
des Landes Nordrhein-Westfalen

Artikel 1

Änderung des Strafvollzugsgesetzes Nordrhein-Westfalen

Das Strafvollzugsgesetz Nordrhein-Westfalen vom 13. Januar 2015 (GV. NRW S.  76), das zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 12. Oktober 2018 (GV. NRW. S.  555) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:

1. § 69 wird wie folgt geändert:

Nach Absatz 6 wird folgender Absatz 7 eingefügt:

a) „(7) Fixierungen dürfen nur angeordnet werden, wenn dies zur Abwehr einer gegenwärtigen erheblichen Selbstgefährdung oder einer von den Gefangenen ausgehenden erheblichen Gefährdung bedeutender Rechtsgüter anderer unerlässlich ist und nach dem Verhalten der Gefangenen oder auf Grund ihres seelischen Zustandes andere, weniger einschneidende Maßnahmen zur Abwendung der Gefahr nicht ausreichen.“

b) Die bisherigen Absätze 7 und 8 werden die Absätze 8 und 9.

2. § 70 wird wie folgt geändert:

a) Absatz 4 wird durch folgende Absätze 4 und 5 ersetzt:

„(4) Den Gefangenen sollen besondere Sicherungsmaßnahmen zusammen mit der Anordnung erläutert werden. Bei einer Gefährdung der Sicherheit kann dies auch nachgeholt werden. Nach der Beendigung einer Fixierung, die nicht richterlich angeordnet worden ist, sind die Gefangenen über die Möglichkeit zu belehren, die Rechtmäßigkeit der durchgeführten Maßnahme gerichtlich überprüfen zu lassen. Die Anordnung, die hierfür maßgeblichen Gründe, Entscheidungen zur Fortdauer und die Durchführung der Maßnahmen einschließlich der Beteiligung des ärztlichen Dienstes sind zu dokumentieren. Die Dokumentationspflicht erstreckt sich bei Fixierungen auch auf die Dauer der Maßnahme, die Art der Überwachung und die Erteilung einer Belehrung nach Satz 3.

(5) Fixierungen nach § 69 Absatz 2 Nummer 6, durch die die Bewegungsfreiheit der Gefangenen absehbar nicht nur kurzfristig aufgehoben wird, bedürfen der vorherigen ärztlichen Stellungnahme und richterlichen Anordnung. Bei Gefahr im Verzug darf die Anstaltsleitung die Anordnung vorläufig treffen. Die richterliche Entscheidung und ärztliche Stellungnahme sind unverzüglich nachzuholen. Einer Antragstellung bei Gericht bedarf es nur dann nicht, wenn bereits zu Beginn der Maßnahme absehbar ist, dass die Entscheidung erst nach Wegfall des Grundes der Maßnahme ergehen wird oder die Maßnahme vor Herbeiführung der Entscheidung tatsächlich beendet und auch keine Wiederholung zu erwarten ist. Das Gericht ist unverzüglich zu unterrichten, wenn die Fixierung nach Antragstellung bei Gericht, aber vor einer gerichtlichen Entscheidung, nicht mehr erforderlich ist.“

b) Der bisherige Absatz 5 wird Absatz 6 und Satz 2 wird aufgehoben.

c) Der bisherige Absatz 6 wird Absatz 7 und wie folgt geändert:

aa) In Satz 1 wird das Wort „oder“ durch ein Komma ersetzt und nach dem Wort „Gegenstände“ werden die Wörter „oder der Fixierung“ eingefügt.

bb) In Satz 2 werden die Wörter „darüber hinaus“ gestrichen.

d) Folgender Absatz 8 wird angefügt:

„(8) Gerichtliche Zuständigkeit und gerichtliches Verfahren bei Fixierungen nach Absatz 5 richten sich nach den §§ 121a und 121b des Strafvollzugsgesetzes vom 16. März 1976 (BGBl. I S. 581, 2088; 1977 I S. 436) in der jeweils geltenden Fassung.“

3. § 71 wird wie folgt geändert:

a) In Absatz 2 Satz 1 werden die Wörter „und im Bedarfsfall der psychologische“ gestrichen, das Wort „suchen“ wird durch das Wort „sucht“ ersetzt und die Wörter „, gefesselt oder fixiert“ werden durch die Wörter „oder gefesselt“ ersetzt.

b) Folgende Absätze 3 und 4 werden angefügt:

„(3) Fixierungen werden medizinisch überwacht. Die Durchführung der Fixierung sowie der Untersuchungs- und Behandlungsverlauf sind unabhängig von den Dokumentationspflichten nach § 70 Absatz 4 durch den medizinischen Dienst zu dokumentieren.

(4) In den Fällen der Absätze 2 und 3 sucht im Bedarfsfall auch der psychologische Dienst die betroffenen Gefangenen alsbald und möglichst täglich auf.“

Artikel 2

Änderung des Untersuchungshaftvollzugsgesetzes Nordrhein-Westfalen

Dem § 28 des Untersuchungshaftvollzugsgesetzes Nordrhein-Westfalen vom 27. Oktober 2009 (GV. NRW. S.  540), das zuletzt durch Artikel 3 des Gesetzes vom 12. Oktober 2018 (GV. NRW. S.  555) geändert worden ist, wird folgender Satz angefügt:

„Gerichtliche Zuständigkeit und gerichtliches Verfahren bei Fixierungen, durch die die Bewegungsfreiheit der Gefangenen absehbar nicht nur kurzfristig aufgehoben wird, richten sich nach § 126 Absatz 5 der Strafprozessordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. April 1987 (BGBl. I S. 1074, 1319) in der jeweils geltenden Fassung.“

Artikel 3

Änderung des Sicherungsverwahrungsvollzugsgesetzes Nordrhein-Westfalen

Das Sicherungsverwahrungsvollzugsgesetz Nordrhein-Westfalen vom 30. April 2013 (GV. NRW. S.  212), das zuletzt durch Artikel 5 des Gesetzes vom 12. Oktober 2018 (GV. NRW. S.  555) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:

1. In der Inhaltsübersicht werden die Angaben zu § 70 und zu § 71 wie folgt gefasst:

„§ 70 (weggefallen)

§ 71 (weggefallen)“.

2. § 69 wird wie folgt gefasst:

§ 69

Besondere Sicherungsmaßnahmen

Die Vorschriften des Strafvollzugsgesetzes Nordrhein-Westfalen über die besonderen Sicherungsmaßnahmen (§ 69), die Anordnung besonderer Sicherungsmaßnahmen und das Verfahren (§ 70) sowie die medizinische und psychologische Überwachung (§ 71) gelten entsprechend.“

3. Die §§ 70 und 71 werden aufgehoben.

Artikel 4

Änderung des Maßregelvollzugsgesetzes

Das Maßregelvollzugsgesetz vom 15. Juni 1999 (GV. NRW. S.  402), das zuletzt durch Artikel 7 des Gesetzes vom 7. April 2017 (GV. NRW. S.  511) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:

1. In der Inhaltsübersicht wird nach der Angabe zu § 21 folgende Angabe eingefügt:

„§ 21a Fesselung und Fixierung“.

2. § 17 wird wie folgt geändert:

a) Absatz 3 wird aufgehoben.

b) Absatz 4 wird Absatz 3.

3. In § 17a Absatz 5 Satz 2 werden nach dem Wort „Strafvollzugsgesetzes“ die Wörter „vom 16. März 1976 (BGBl. I S. 581, 2088; 1977 I S. 436) in der jeweils geltenden Fassung“ eingefügt.

4. Nach § 21 wird folgender § 21a eingefügt:

§ 21a

Fesselung und Fixierung

(1) Gegen Patientinnen und Patienten kann als weitere besondere Sicherungsmaßnahme die Fesselung angeordnet werden, wenn nach ihrem Verhalten oder aufgrund ihres seelischen Zustandes in erhöhtem Maße die Gefahr der Entweichung, von Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen oder die Gefahr der Selbstverletzung oder Selbsttötung besteht.

(2) Fixierungen dürfen nur angeordnet werden, wenn dies zur Abwehr einer gegenwärtigen erheblichen Selbstgefährdung oder einer von den Patientinnen und Patienten ausgehenden erheblichen Gefährdung bedeutender Rechtsgüter anderer unerlässlich ist und nach dem Verhalten der Patientinnen und Patienten oder auf Grund ihres seelischen Zustandes andere, weniger einschneidende Maßnahmen zur Abwendung der Gefahr nicht ausreichen.

(3) Die Fesselung oder Fixierung ist unverzüglich zu lockern oder zu entfernen, sobald die Gefahr nicht mehr fortbesteht oder durch mildere Mittel abgewendet werden kann.

(4) Fesselungen und Fixierungen, durch die die Bewegungsfreiheit der Patientinnen und Patienten absehbar nur kurzfristig aufgehoben wird, werden von der therapeutischen Leitung der Einrichtung angeordnet. Bei Gefahr im Verzug können auch andere Bedienstete diese Maßnahmen vorläufig anordnen. Die Entscheidung der therapeutischen Leitung der Einrichtung ist unverzüglich nachzuholen.

(5) Absehbar nicht nur kurzfristige Fixierungen nach Absatz 2 bedürfen der vorherigen ärztlichen und richterlichen Anordnung. Bei Gefahr im Verzug dürfen die therapeutische Leitung oder, wenn deren Entscheidung nicht rechtzeitig eingeholt werden kann, andere Bedienstete der Einrichtung die Anordnung vorläufig treffen. Die ärztliche und richterliche Entscheidung sind unverzüglich nachzuholen. Einer Antragstellung bei Gericht bedarf es nur dann nicht, wenn bereits zu Beginn der Maßnahme absehbar ist, dass die Entscheidung erst nach Wegfall des Grundes der Maßnahme ergehen wird oder die Maßnahme vor Herbeiführung der Entscheidung tatsächlich beendet und auch keine Wiederholung zu erwarten ist. Das Gericht ist unverzüglich zu unterrichten, wenn die Fixierung nach Antragstellung bei Gericht, aber vor einer gerichtlichen Entscheidung, nicht mehr erforderlich ist.

(6) Bei Fixierungen ist eine ununterbrochene, unmittelbare Überwachung durch Beschäftigte des Pflege- und Erziehungsdienstes oder therapeutisches Personal innerhalb des betroffenen Raumes oder im Sichtfeld der Beschäftigten des Pflege- und Erziehungsdienstes oder des therapeutischen Personals vor dem Raum vorzuhalten (Sitzwache).

(7) Die Notwendigkeit der Fixierung ist fortlaufend zu überprüfen und ärztlich zu überwachen.

(8) Maßnahmen nach den Absätzen 1 und 2 sollen den Patientinnen und Patienten zusammen mit der Anordnung erläutert werden. Bei einer Gefährdung der Sicherheit kann dies nachgeholt werden. Über Fixierungen nach Absatz 5 sind Personensorgeberechtigte der Patientinnen und Patienten unverzüglich zu unterrichten. Dem Wunsch der Patientinnen und Patienten nach Unterrichtung weiterer Personen soll entsprochen werden. Nach Beendigung einer Fixierung, die nicht richterlich angeordnet worden ist, sind die Patientinnen und Patienten über die Möglichkeit zu belehren, die Rechtmäßigkeit der durchgeführten Fixierung gerichtlich überprüfen zu lassen.

(9) Bei Fixierungen dokumentiert die Maßregelvollzugseinrichtung die

1. Anordnung,

2. hierfür maßgeblichen Gründe,

3. Durchführung,

4. Dauer,

5. Art der Überwachung sowie

6. die Belehrung nach Absatz 8 Satz 5.

(10) Gerichtliche Zuständigkeit und gerichtliches Verfahren bei einer Fixierung nach Absatz 5 richten sich nach den §§ 121a und 121b des Strafvollzugsgesetzes vom 16. März 1976 (BGBl. I S. 581, 2088; 1977 I S. 436) in der jeweils geltenden Fassung.“

Artikel 5

Änderung des Gesetzes über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei

psychischen Krankheiten

§ 20 des Gesetzes über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten vom 17. Dezember 1999 (GV. NRW. S.  662), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 6. Dezember 2016 (GV. NRW. S.  1062) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:

1. Absatz 2 wird wie folgt geändert:

a) In Satz 1 werden die Wörter „über einen längeren Zeitraum andauernden“ durch die Wörter „absehbar nicht nur kurzfristigen“ ersetzt.

b) Die folgenden Sätze werden angefügt:

„Einer Antragstellung bei Gericht bedarf es nur dann nicht, wenn bereits zu Beginn der Maßnahme absehbar ist, dass die Entscheidung erst nach Wegfall des Grundes der Maßnahme ergehen wird oder die Maßnahme vor Herbeiführung der Entscheidung tatsächlich beendet und auch keine Wiederholung zu erwarten ist. Das Gericht ist unverzüglich zu unterrichten, wenn die Fixierung nach Antragstellung bei Gericht, aber vor einer gerichtlichen Entscheidung, nicht mehr erforderlich ist.“

2. Absatz 3 wird wie folgt geändert:

a) Nach Satz 7 wird folgender Satz eingefügt:

Nach Beendigung einer nicht nur kurzfristigen Fixierung, die nicht richterlich angeordnet worden ist, sind die Betroffenen über die Möglichkeit zu belehren, die Rechtmäßigkeit der durchgeführten Maßnahme gerichtlich überprüfen zu lassen.“

b) In dem neuen Satz 9 werden nach dem Wort „Fixierung“ die Wörter „sowie eine Belehrung nach Satz 8“ eingefügt.

Artikel 6

Änderung des Jugendstrafvollzugsgesetzes Nordrhein-Westfalen

Dem § 51 des Jugendstrafvollzugsgesetzes Nordrhein-Westfalen vom 7. April 2017 (GV. NRW. S.  511), das durch Artikel 4 des Gesetzes vom 12. Oktober 2018 (GV. NRW. S.  555) geändert worden ist, wird folgender Satz angefügt:

„Gerichtliche Zuständigkeit und gerichtliches Verfahren bei Fixierungen, durch die die Bewegungsfreiheit der Gefangenen absehbar nicht nur kurzfristig aufgehoben wird, richten sich nach § 93 des Jugendgerichtsgesetzes.“

Artikel 7

Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am Tag nach der Verkündung in Kraft.

Düsseldorf, den 2. Juli 2019

Die Landesregierung
Nordrhein-Westfalen

Der Ministerpräsident

Armin  L a s c h e t

(L. S.)

Der Minister der Finanzen

Lutz  L i e n e n k ä m p e r

Der Minister des Innern

Herbert  R e u l

Der Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales

Karl-Josef  L a u m a n n

Der Minister der Justiz

Peter  B i e s e n b a c h

GV. NRW. 2019 S. 339