Gesetz- und Verordnungsblatt (GV. NRW.)
Ausgabe 2015 Nr. 5 vom 26.1.2015 Seite 75 bis 98
Gesetz zur Regelung des Vollzuges der Freiheitsstrafe und zur Änderung des Jugendstrafvollzugsgesetzes in Nordrhein-Westfalen |
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Normkopf Norm Normfuß |
Gesetz zur Regelung des Vollzuges der Freiheitsstrafe und zur Änderung des Jugendstrafvollzugsgesetzes in Nordrhein-Westfalen
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Gesetz
zur Regelung des Vollzuges der Freiheitsstrafe und
zur Änderung des Jugendstrafvollzugsgesetzes
in Nordrhein-Westfalen
Vom 13. Januar 2015
Der Landtag hat das folgende Gesetz beschlossen, das hiermit verkündet wird:
Gesetz
zur Regelung des Vollzuges der Freiheitsstrafe und
zur Änderung des Jugendstrafvollzugsgesetzes
in Nordrhein-Westfalen
Artikel 1
Gesetz
zur Regelung des Vollzuges der Freiheitsstrafe
in Nordrhein-Westfalen
(Strafvollzugsgesetz Nordrhein-Westfalen - StVollzG NRW)
Inhaltsübersicht
Abschnitt 1
Grundsätze
§ 1 Ziel des Vollzuges
§ 2 Grundsätze der Vollzugsgestaltung
§ 3 Behandlungsvollzug
§ 4 Mitwirkung und Motivierung, soziale Hilfe
§ 5 Einbeziehung Dritter
§ 6 Sicherheit
§ 7 Opferbezogene Gestaltung
Abschnitt 2
Aufnahme und Vollzugsplanung
§ 8 Aufnahme
§ 9 Behandlungsuntersuchung
§ 10 Vollzugsplan
§ 11 Verlegung, Überstellung, Ausantwortung
Abschnitt 3
Unterbringung
§ 12 Geschlossener und offener Vollzug
§ 13 Sozialtherapie
§ 14 Unterbringung und Aufenthalt
§ 15 Persönlicher Bereich
§ 16 Verpflegung
§ 17 Einkauf
Abschnitt 4
Außenkontakte
§ 18 Grundsatz
§ 19 Besuche
§ 20 Überwachung von Besuchen
§ 21 Schriftwechsel
§ 22 Überwachung des Schriftwechsels
§ 23 Anhalten von Schreiben
§ 24 Telefongespräche
§ 25 Verbot von Besuchen, Schriftwechsel und Telefongesprächen
§ 26 Kontakt mit bestimmten Personen und Institutionen
§ 27 Andere Formen der Telekommunikation
§ 28 Pakete
Abschnitt 5
Beschäftigung, Vergütung
§ 29 Beschäftigung, Arbeitspflicht
§ 30 Schulische und berufliche Bildung
§ 31 Freies Beschäftigungsverhältnis, Selbstbeschäftigung
§ 32 Vergütung
§ 33 Freistellung
§ 34 Anerkennung von Arbeit und Bildung, Ausgleichsentschädigung
Abschnitt 6
Gelder der Gefangenen, Haftkostenbeitrag
§ 35 Taschengeld
§ 36 Hausgeld
§ 37 Überbrückungsgeld
§ 38 Eigengeld
§ 39 Haftkostenbeitrag
Abschnitt 7
Religionsausübung
§ 40 Seelsorge
§ 41 Religiöse Veranstaltungen
§ 42 Weltanschauungsgemeinschaften
Abschnitt 8
Gesundheitsfürsorge
§ 43 Gesundheitsfürsorge, Aufenthalt im Freien
§ 44 Suchtmedizinische Behandlung
§ 45 Medizinische Leistungen, Kostenbeteiligung
§ 46 Überstellung und Verlegung aus medizinischen Gründen
§ 47 Krankenbehandlung während vollzugsöffnender Maßnahmen
§ 48 Medizinische Behandlung zur sozialen Eingliederung
§ 49 Benachrichtigung im Krankheits- oder Todesfall
Abschnitt 9
Freizeit
§ 50 Gestaltung der Freizeit
§ 51 Hörfunk und Fernsehen
§ 52 Gegenstände zur Freizeitgestaltung, Zeitungen und Zeitschriften
Abschnitt 10
Vollzugsöffnende Maßnahmen
§ 53 Vollzugsöffnende Maßnahmen
§ 54 Langzeitausgang
§ 55 Vollzugsöffnende Maßnahmen aus wichtigem Anlass
§ 56 Vorbereitung vollzugsöffnender Maßnahmen
§ 57 Weisungen
Abschnitt 11
Entlassung und soziale Eingliederung
§ 58 Vorbereitung der Entlassung, soziale Eingliederung
§ 59 Vollzugsöffnende Maßnahmen zur Entlassungsvorbereitung
§ 60 Entlassung, Schlussbericht
§ 61 Nachgehende Betreuung
§ 62 Aufnahme auf freiwilliger Grundlage
Abschnitt 12
Sicherheit und Ordnung
§ 63 Grundsatz, Verhaltensvorschriften
§ 64 Durchsuchung
§ 65 Maßnahmen zur Feststellung von Suchtmittelkonsum
§ 66 Einsatz von Videotechnik
§ 67 Maßnahmen zur Verhinderung unerlaubter Telekommunikation
§ 68 Erkennungsdienstliche Maßnahmen
§ 69 Besondere Sicherungsmaßnahmen
§ 70 Anordnung besonderer Sicherungsmaßnahmen, Verfahren
§ 71 Medizinische und psychologische Überwachung
Abschnitt 13
Unmittelbarer Zwang
§ 72 Begriffsbestimmungen
§ 73 Allgemeine Voraussetzungen
§ 74 Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
§ 75 Androhung
§ 76 Allgemeine Vorschriften für den Schusswaffengebrauch
§ 77 Besondere Vorschriften für den Schusswaffengebrauch
§ 78 Zwangsmaßnahmen zur Gefahrenabwehr auf dem Gebiet der Gesundheitsfürsorge
Abschnitt 14
Disziplinarmaßnahmen
§ 79 Voraussetzungen, Konfliktregelung
§ 80 Disziplinarmaßnahmen
§ 81 Verfahren
§ 82 Vollzug der Disziplinarmaßnahmen
Abschnitt 15
Aufhebung von Maßnahmen, Beschwerderecht
§ 83 Widerruf, Rücknahme
§ 84 Beschwerderecht
Abschnitt 16
Besondere Vorschriften für den Frauenstrafvollzug
§ 85 Trennungsgrundsatz
§ 86 Schwangerschaft, Mutterschaft, Geburtsanzeige
§ 87 Gefangene mit Kindern
Abschnitt 17
Sozialtherapeutische Einrichtungen
§ 88 Sozialtherapeutische Einrichtungen
§ 89 Langzeitausgang zur Vorbereitung der Entlassung
§ 90 Nachgehende Betreuung, Aufnahme auf freiwilliger Grundlage
Abschnitt 18
Besondere Vorschriften über den Vollzug der
Freiheitsstrafe bei angeordneter, vorbehaltener oder
nachträglicher Sicherungsverwahrung
§ 91 Ziele des Vollzuges
§ 92 Gestaltung des Vollzuges
Abschnitt 19
Anstalten
§ 93 Organisation der Anstalten
§ 94 Arbeitsbetriebe, Einrichtungen zur schulischen und beruflichen Bildung
§ 95 Festsetzung der Belegungsfähigkeit, Verbot der Überbelegung
Abschnitt 20
Innerer Aufbau, Personal, Aufsicht
§ 96 Bedienstete
§ 97 Anstaltsleitung
§ 98 Seelsorge
§ 99 Medizinische Versorgung
§ 100 Konferenzen
§ 101 Gefangenenmitverantwortung
§ 102 Hausordnung
§ 103 Aufsichtsbehörde
§ 104 Vollstreckungsplan, Einweisungsverfahren
Abschnitt 21
Beiräte
§ 105 Aufgaben der Beiräte
§ 106 Befugnisse
§ 107 Pflicht zur Verschwiegenheit
Abschnitt 22
Datenschutz
§ 108 Datenerhebung
§ 109 Verarbeitung
§ 110 Zentrale Datei, Einrichtung automatisierter Übermittlungs- und Abrufverfahren
§ 111 Zweckbindung
§ 112 Schutz besonderer Daten
§ 113 Schutz der Daten in Akten und Dateien
§ 114 Berichtigung, Löschung, Sperrung
§ 115 Auskünfte an Opfer
§ 116 Auskünfte an Betroffene, Akteneinsicht
§ 117 Übermittlung personenbezogener Informationen für wissenschaftliche Zwecke
§ 118 Anwendung des Datenschutzgesetzes Nordrhein-Westfalen
Abschnitt 23
Kriminologischer Dienst, Schlussbestimmungen
§ 119 Kriminologischer Dienst
§ 120 Einschränkung von Grundrechten
§ 121 Ersetzung und Fortgeltung von Bundesrecht
§ 122 Übergangsvorschrift
§ 123 Inkrafttreten, Berichtspflicht
Abschnitt 1
Grundsätze
§ 1
Ziel des Vollzuges
Der Vollzug der Freiheitsstrafe dient dem Ziel, Gefangene zu befähigen, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen.
§ 2
Grundsätze der Vollzugsgestaltung
(1) Das Leben im Vollzug ist den allgemeinen Lebensverhältnissen soweit wie möglich anzugleichen. Der Vollzug ist von Beginn an darauf auszurichten, die Gefangenen zu befähigen, sich nach der Entlassung in das Leben in Freiheit einzugliedern. Fähigkeiten der Gefangenen, die sie für ein selbstbestimmtes Leben in Freiheit und sozialer Verantwortung benötigen, sind zu stärken. Schädlichen Folgen des Freiheitsentzuges ist entgegenzuwirken.
(2) Die Persönlichkeit und die Würde der Gefangenen sind zu achten. Die unterschiedlichen Lebenslagen und Bedürfnisse der Gefangenen, insbesondere im Hinblick auf Geschlecht, Alter, Zuwanderungshintergrund, Religion, Behinderung und sexuelle Identität, werden bei der Gestaltung des Vollzuges in angemessenem Umfang berücksichtigt.
(3) Alle im Vollzug Tätigen arbeiten zusammen und wirken mit, das Ziel des Vollzuges zu erreichen.
(4) Gefangene unterliegen den in diesem Gesetz vorgesehenen Beschränkungen ihrer Freiheit. Soweit das Gesetz eine besondere Regelung nicht enthält, können ihnen Beschränkungen auferlegt werden, die zur Aufrechterhaltung der Sicherheit oder zur Abwendung einer schwerwiegenden Störung der Ordnung der Anstalt erforderlich sind.
(5) Von mehreren gleich geeigneten Maßnahmen ist diejenige zu wählen, die die Gefangenen voraussichtlich am wenigsten beeinträchtigt. Eine Maßnahme darf nicht zu einem Nachteil führen, der zu dem angestrebten Erfolg erkennbar außer Verhältnis steht. Sie ist nur so lange zulässig, bis ihr Zweck erreicht ist oder nicht mehr erreicht werden kann.
§ 3
Behandlungsvollzug
(1) Grundlage der Erreichung des Vollzugsziels ist die Behandlung der Gefangenen. Die Behandlungsmaßnahmen sind auf die Fähigkeiten und die Entwicklung der einzelnen Gefangenen während der Haft auszurichten. Die Behandlung und die ihr zugrunde liegende Diagnostik haben wissenschaftlichen Erkenntnissen zu genügen. Die angebotenen und durchgeführten Maßnahmen und ihre Ergebnisse sind zu dokumentieren.
(2) Die Behandlung berücksichtigt den individuellen Förderbedarf der Gefangenen und umfasst namentlich Maßnahmen zum Erwerb sozialer Kompetenzen, therapeutische Angebote, schulische Förderung, die Vermittlung beruflicher Fähigkeiten und Qualifikationen, Motivations- und Beratungsangebote für Suchtkranke sowie Schuldnerberatung.
(3) Den Gefangenen soll ermöglicht werden, schulische und berufliche Qualifizierungsmaßnahmen sowie therapeutische und suchtbezogene Maßnahmen während des Vollzuges der Freiheitsstrafe abzuschließen oder nach der Entlassung fortzusetzen. Geeignete Fördermaßnahmen öffentlicher Stellen, freier Träger sowie anderer Organisationen und Personen außerhalb des Vollzuges sind frühzeitig in die Vollzugsplanung und die Behandlung einzubeziehen.
§ 4
Mitwirkung und Motivierung, soziale Hilfe
(1) Gefangene sollen an der Gestaltung der Behandlung und an der Erreichung des Vollzugsziels mitwirken; Art und Umfang der Behandlung werden ihnen erläutert. Die Bereitschaft der Gefangenen zur Mitwirkung an der Behandlung ist zu wecken und zu fördern. Sie sollen fortwährend an die gebotenen Behandlungsmaßnahmen herangeführt und während ihrer Durchführung begleitet und unterstützt werden.
(2) Gefangene sollen befähigt werden, ihre Angelegenheiten eigenständig zu ordnen und zu regeln. Sie werden bei der Bewältigung ihrer persönlichen, wirtschaftlichen und sozialen Schwierigkeiten angeleitet und motiviert, angebotene Hilfe anzunehmen.
(3) Während des Vollzuges werden die Gefangenen in dem Bemühen unterstützt, ihre Rechte wahrzunehmen, und dazu angehalten, ihre Pflichten zu erfüllen, insbesondere ihr Wahlrecht auszuüben und für Unterhaltsberechtigte zu sorgen.
(4) Die Gefangenen sind über die Auswirkungen der Inhaftierung auf die Sozialversicherung und die insoweit bestehenden Mitwirkungspflichten zu beraten. Die Beratung soll sich auch auf die Benennung der für Sozialleistungen zuständigen Stellen erstrecken.
(5) Mit Gefangenen, gegen die eine Ersatzfreiheitsstrafe zu vollziehen ist, sind frühzeitig die Möglichkeiten einer Haftverkürzung zu erörtern.
§ 5
Einbeziehung Dritter
(1) Die Anstalten arbeiten eng mit öffentlichen Stellen, freien Trägern sowie anderen Organisationen und Personen zusammen, die der Eingliederung der Gefangenen förderlich sein können. Die Anstalten wirken rechtzeitig auf einen Austausch der erforderlichen Informationen hin.
(2) Die Arbeit ehrenamtlicher Betreuerinnen und Betreuer wird unterstützt. Sie sind verpflichtet, außerhalb ihrer Tätigkeit über alle Angelegenheiten, die vertraulich sind, insbesondere über Namen und Persönlichkeit der Gefangenen, Verschwiegenheit zu bewahren. Dies gilt auch nach Beendigung ihrer Tätigkeit.
(3) Zur Förderung der Eingliederung der Gefangenen wird die Bereitstellung von Angeboten und Leistungen Dritter in den Anstalten angestrebt. Die hierfür erforderlichen Strukturen und Netzwerke sind einzurichten und fortzuentwickeln.
§ 6
Sicherheit
(1) Der Vollzug der Freiheitsstrafe dient auch dem Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten.
(2) Die Sicherheit der Bevölkerung, der Bediensteten und der übrigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie der Gefangenen wird erreicht durch
1. baulich-technische Vorkehrungen,
2. organisatorische Regelungen und deren Umsetzung und
3. soziale und behandlungsfördernde Strukturen.
(3) Die Sicherheitsstandards haben sich an den jeweiligen Aufgaben der Anstalten und den zu bewältigenden Gefahren zu orientieren. Der innere Aufbau der Anstalten soll eine Binnendifferenzierung ermöglichen. Bei der Festlegung der Sicherheitsstandards sind auch die besonderen Belange weiblicher und lebensälterer Gefangener sowie Gefangener mit Behinderungen einzubeziehen.
(4) Anstalten des offenen Vollzuges sehen keine oder nur verminderte Vorkehrungen gegen Entweichungen vor.
(5) Die Sicherheit in den Anstalten soll ein gewaltfreies Klima fördern und die Gefangenen vor Übergriffen Mitgefangener schützen. Ihre Fähigkeit zu gewaltfreier Konfliktlösung sowie zu einvernehmlicher Streitbeilegung ist zu entwickeln und zu stärken.
§ 7
Opferbezogene Gestaltung
(1) Die berechtigten Belange der Opfer sind bei der Gestaltung des Vollzuges, insbesondere bei vollzugsöffnenden Maßnahmen und bei der Erteilung von Weisungen sowie bei der Eingliederung und Entlassung der Gefangenen, zu berücksichtigen. Dem Schutzinteresse gefährdeter Dritter ist Rechnung zu tragen.
(2) Die Einsicht der Gefangenen in das Unrecht der Tat und deren Folgen für die Opfer soll geweckt oder vertieft werden. Die Gefangenen sollen durch geeignete Behandlungsmaßnahmen dazu angehalten werden, Verantwortung für ihre Tat zu übernehmen. Die Gefangenen sind dabei zu unterstützen, den verursachten materiellen und immateriellen Schaden auszugleichen.
(3) Maßnahmen des Opferschutzes und des Tatausgleichs sind mit dem Ziel der Eingliederung der Gefangenen in Einklang zu bringen.
(4) Für Fragen des Opferschutzes und des Tatausgleichs sollen Ansprechpartnerinnen oder Ansprechpartner in den Anstalten zur Verfügung stehen.
(5) Opfer, die sich an die Anstalten wenden, sind in geeigneter Form, auch durch die Ansprechpartnerin oder den Ansprechpartner, auf ihre Rechte nach diesem Gesetz, insbesondere ihre Auskunftsansprüche nach § 115, hinzuweisen.
Abschnitt 2
Aufnahme und Vollzugsplanung
§ 8
Aufnahme
(1) Mit neu aufgenommenen Gefangenen ist möglichst am Tag der Aufnahme ein Zugangsgespräch zu führen, in dem sie über ihre Rechte und Pflichten unterrichtet werden und ihre aktuelle Lebenssituation erörtert wird. Soweit Maßnahmen keinen Aufschub dulden, sind die Gefangenen bei ihrer Erledigung zu unterstützen. Ihnen sind die Hausordnung sowie ein Exemplar dieses Gesetzes zugänglich zu machen. Gefangene werden alsbald ärztlich untersucht.
(2) Bei der Aufnahme, der ärztlichen Untersuchung und dem Zugangsgespräch dürfen andere Gefangene nicht zugegen sein. Ausnahmen bedürfen der Einwilligung der betroffenen Gefangenen.
§ 9
Behandlungsuntersuchung
(1) An das Aufnahmeverfahren schließt sich zur Vorbereitung der Vollzugsplanung die Behandlungsuntersuchung an. Die Diagnostik dient der Feststellung der Umstände, deren Kenntnis für eine planvolle und wirksame Behandlung und Förderung der Gefangenen im Vollzug und für die Eingliederung nach der Entlassung notwendig ist. Die Diagnostik erstreckt sich insbesondere auf die Persönlichkeit und die Lebensverhältnisse der Gefangenen, die Ursachen und Umstände der zu der Inhaftierung führenden Straftaten, die Lebenssituation bei der Entlassung und die Eignung für die Unterbringung in einer sozialtherapeutischen Einrichtung. Die Fähigkeiten und Interessen der Gefangenen sowie weitere Umstände, deren Stärkung zu einer Lebensführung ohne Straftaten beitragen kann, sollen ermittelt werden. Erkenntnisse aus dem Vollzug vorangegangener Freiheitsentziehungen sowie Erkenntnisse des ambulanten Sozialen Dienstes der Justiz sind nach Möglichkeit einzubeziehen.
(2) Art und Umfang der Behandlungsuntersuchung richten sich nach der voraussichtlichen Dauer der Freiheitsentziehung. Bei einer Vollzugsdauer von unter einem Jahr kann eine Kurzdiagnostik, auch im Wege standardisierter Verfahren, erfolgen.
(3) Der Förderbedarf der Gefangenen soll sobald wie möglich nach ihrer Aufnahme festgestellt werden. Soweit erforderlich, sind die Fachdienste frühzeitig zu beteiligen.
§ 10
Vollzugsplan
(1) Auf der Grundlage der in der Behandlungsuntersuchung gewonnenen Erkenntnisse wird unverzüglich ein Vollzugsplan erstellt. Die zur Erreichung des Vollzugsziels geeigneten und erforderlichen Maßnahmen sind zu benennen und Perspektiven für die künftige Entwicklung der Gefangenen aufzuzeigen. Die für die Eingliederung und Entlassung zu treffenden Vorbereitungen sind frühzeitig in die Planung einzubeziehen. Der Vollzugsplan enthält regelmäßig folgende Angaben:
1. festgestellter Förder- und Behandlungsbedarf,
2. Unterbringung im geschlossenen oder offenen Vollzug,
3. Sicherungshinweise,
4. Art der Unterbringung im Vollzug, insbesondere in Wohn- oder Behandlungsgruppen oder in einer sozialtherapeutischen Einrichtung,
5. Teilnahme an therapeutischen Behandlungs- oder anderen Hilfs- oder Fördermaßnahmen,
6. Teilnahme an schulischer oder beruflicher Bildung sowie arbeitstherapeutischer Förderung,
7. Art und Umfang der Zuweisung von Arbeit,
8. Gestaltung der Freizeit und des Sports,
9. vollzugsöffnende Maßnahmen,
10. Maßnahmen zur Pflege der familiären Kontakte und zur Gestaltung der Außenkontakte,
11. ehrenamtliche Betreuung,
12. opferbezogene Behandlungsmaßnahmen und Maßnahmen zum Ausgleich von Tatfolgen,
13. Maßnahmen zur Sicherung berechtigter Schutzinteressen von Opfern oder gefährdeten Dritten,
14. Schuldnerberatung und Schuldenregulierung,
15. Maßnahmen zur Haftverkürzung,
16. Suchtberatung,
17. voraussichtlicher Entlassungszeitpunkt,
18. Maßnahmen zur Vorbereitung der Entlassung, sonstige Maßnahmen der sozialen Eingliederung der Gefangenen nach der Entlassung und der Nachsorge sowie frühzeitige Vorlagefristen,
19. Empfehlungen zur Wahrnehmung von Angeboten und Leistungen Dritter zur Sicherung der Eingliederung nach der Entlassung und
20. Fristen zur Fortschreibung des Vollzugsplans.
(2) Der Vollzugsplan und seine Umsetzung sind regelmäßig zu überprüfen und der Entwicklung der Gefangenen anzupassen sowie mit weiteren für die Behandlung bedeutsamen Erkenntnissen in Einklang zu halten. Zur Fortschreibung des Vollzugsplans sind angemessene Fristen vorzusehen. Diese dürfen einen Zeitraum von zwölf Monaten, bei Unterbringung in einer sozialtherapeutischen Einrichtung einen Zeitraum von in der Regel sechs Monaten, nicht überschreiten. Bei einer Vollzugsdauer bis zu einem Jahr sind die Fristen entsprechend zu verkürzen.
(3) Zur Vorbereitung der Aufstellung und Fortschreibung des Vollzugsplans werden Konferenzen mit den an der Vollzugsgestaltung maßgeblich Beteiligten durchgeführt. Personen und Stellen außerhalb des Vollzuges, die an der Behandlung, der Entlassungsvorbereitung sowie der Eingliederung der Gefangenen mitwirken, sollen in die Planung einbezogen werden; mit Einwilligung der Gefangenen können sie auch an den Konferenzen beteiligt werden.
(4) Die Vollzugsplanung wird mit den Gefangenen erörtert. Deren Anliegen und Vorschläge werden angemessen berücksichtigt. Betroffenen Gefangenen kann die Teilnahme an der Vollzugsplankonferenz ermöglicht werden. Eine Ausfertigung des Vollzugsplans ist ihnen auszuhändigen.
§ 11
Verlegung, Überstellung, Ausantwortung
(1) Gefangene können abweichend vom Vollstreckungsplan in eine andere für den Vollzug der Freiheitsstrafe zuständige Anstalt verlegt werden, wenn
1. ihre Behandlung während des Vollzuges oder ihre Eingliederung nach der Entlassung hierdurch gefördert wird,
2. in erhöhtem Maße Fluchtgefahr gegeben ist oder sonst das Verhalten der Gefangenen oder ihr Zustand eine Gefahr für die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt darstellt und die aufnehmende Anstalt zur sicheren Unterbringung der Gefangenen besser geeignet ist oder
3. die Verlegung aus Gründen der Vollzugsorganisation oder aus anderen wichtigen Gründen erforderlich ist.
(2) Im Einvernehmen mit der aufnehmenden Anstalt dürfen Gefangene aus wichtigem Grund, insbesondere zur Durchführung medizinischer Maßnahmen, zur Begutachtung oder Besuchszusammenführung, in eine andere Anstalt überstellt werden.
(3) Gefangene dürfen befristet dem Gewahrsam einer anderen Behörde überlassen werden, wenn diese Behörde ihrerseits befugt ist, Gefangene in amtlichem Gewahrsam zu halten (Ausantwortung).
(4) Vor Verlegungen und Überstellungen sind die Gefangenen anzuhören. Bei einer Gefährdung der Sicherheit kann dies auch nachgeholt werden.
Abschnitt 3
Unterbringung
§ 12
Geschlossener und offener Vollzug
(1) Gefangene werden im geschlossenen oder im offenen Vollzug untergebracht. Sie sollen mit ihrer Zustimmung in einer Anstalt oder einer Abteilung des offenen Vollzuges untergebracht werden, wenn dies verantwortet werden kann, sie namentlich den besonderen Anforderungen des offenen Vollzuges genügen und nicht zu befürchten ist, dass sie sich dem Vollzug der Freiheitsstrafe entziehen oder die besonderen Verhältnisse des offenen Vollzuges zur Begehung von Straftaten missbrauchen werden.
(2) Zur Vorbereitung der Entlassung sollen Gefangene mit ihrer Zustimmung frühzeitig in den offenen Vollzug verlegt werden. Absatz 1 Satz 2 gilt entsprechend. Die Missbrauchsgefahren sind insbesondere bei einer unmittelbar bevorstehenden Entlassung mit den Risiken einer unerprobten Entlassung abzuwägen.
(3) Kann eine Unterbringung im offenen Vollzug noch nicht verantwortet werden, sind die tragenden Gründe zu dokumentieren und den Gefangenen die noch zu erfüllenden Voraussetzungen in verständlicher Form zu vermitteln. Die Bereitschaft der Gefangenen zur Verlegung in den offenen Vollzug ist zu wecken und fortlaufend zu fördern.
(4) Im offenen Vollzug untergebrachte Gefangene sollen in den geschlossenen Vollzug verlegt werden, wenn dies zu ihrer Behandlung notwendig ist. Sie sind zu verlegen, wenn sie den Anforderungen nach Absatz 1 Satz 2 nicht entsprechen. § 11 Absatz 4 gilt entsprechend.
(5) Die Gründe für eine Verlegung in den offenen Vollzug oder eine Verlegung vom offenen in den geschlossenen Vollzug sind ebenfalls zu dokumentieren.
§ 13
Sozialtherapie
(1) Gefangene, die wegen erheblicher Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung zu einer Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren verurteilt worden sind, werden in eine sozialtherapeutische Einrichtung verlegt, wenn eine sozialtherapeutische Behandlung zur Eingliederung der Gefangenen angezeigt und erfolgversprechend ist.
(2) Andere Gefangene sollen mit ihrer Zustimmung in eine sozialtherapeutische Einrichtung verlegt werden, wenn deren Teilnahme an den dortigen Behandlungsprogrammen zu ihrer Eingliederung und zur Verringerung erheblicher Gefahren, die von den Gefangenen für die Allgemeinheit ausgehen, angezeigt und erfolgversprechend ist. Erhebliche Gefahren für die Allgemeinheit bestehen insbesondere dann, wenn auf Grund einer Störung der sozialen und persönlichen Entwicklung der oder des Gefangenen erhebliche Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung zu erwarten sind.
(3) Die Verlegung und die Aufnahme in eine sozialtherapeutische Einrichtung bedürfen der Zustimmung der aufnehmenden sozialtherapeutischen Einrichtung, soweit die Entscheidung nicht von einer Einweisungsanstalt oder Einweisungsabteilung getroffen wurde.
(4) Die Bereitschaft der Gefangenen zur Teilnahme an einer sozialtherapeutischen Behandlung und zur Unterbringung in einer sozialtherapeutischen Einrichtung ist zu wecken und durch vorbereitende Maßnahmen zu fördern.
(5) Die Unterbringung soll zu einem Zeitpunkt erfolgen, der entweder den Abschluss der Behandlung zum voraussichtlichen Entlassungszeitpunkt erwarten lässt oder die Fortsetzung der Behandlung nach der Entlassung ermöglicht.
(6) Die Unterbringung der Gefangenen in der sozialtherapeutischen Einrichtung endet, wenn der Zweck der Behandlung aus Gründen, die in ihrer Person liegen, nicht erreicht werden kann.
§ 14
Unterbringung und Aufenthalt
(1) Gefangene werden während der Ruhezeit in ihren Hafträumen allein untergebracht. Eine gemeinsame Unterbringung ist zulässig, wenn
1. eine Gefahr für Leben oder Gesundheit der Gefangenen besteht,
2. Gefangene hilfsbedürftig sind,
3. dies im Einzelfall aus zwingenden Gründen der Anstaltsorganisation vorübergehend erforderlich ist,
4. sich die Gefangenen im Justizvollzugskrankenhaus oder in Kranken- oder Pflegeabteilungen von Justizvollzugseinrichtungen befinden,
5. sie im offenen Vollzug untergebracht sind,
6. die Gefangenen die gemeinsame Unterbringung beantragen oder
7. die gemeinsame Unterbringung geeignet erscheint, schädlichen Folgen der Inhaftierung entgegenzuwirken,
und in den Fällen der Nummern 1 bis 6 eine schädliche Beeinflussung der Gefangenen nicht zu befürchten ist.
(2) Gefangene dürfen sich während der Arbeitszeit und der Freizeit in Gemeinschaft aufhalten. Der gemeinschaftliche Aufenthalt kann eingeschränkt werden, wenn
1. ein schädlicher Einfluss auf andere Gefangene zu befürchten ist,
2. es aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt erforderlich ist oder
3. besondere Umstände der Behandlungsuntersuchung gemäß § 9 dies vorübergehend erfordern, aber nicht länger als zwei Monate.
(3) Für die Teilnahme an gemeinschaftlichen Veranstaltungen kann die Anstalt mit Rücksicht auf ihre räumlichen, personellen und organisatorischen Verhältnisse besondere Regelungen treffen.
§ 15
Persönlicher Bereich
(1) Gefangene tragen Anstaltskleidung. Das Tragen eigener Kleidung innerhalb der Anstalt kann gestattet werden. Bei Ausführungen und Vorführungen ist ihnen zu gestatten, eigene Kleidung zu tragen, wenn zu erwarten ist, dass sie nicht entweichen.
(2) Gefangene dürfen ihren Haftraum in angemessenem Umfang mit eigenen Sachen ausstatten. Sie dürfen nur in Gewahrsam haben, was ihnen von der Anstalt oder mit deren Erlaubnis überlassen worden ist. Gegenstände, die die Übersichtlichkeit des Haftraums behindern, eine unverhältnismäßig aufwändige Überprüfung erfordern, sonst die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt oder die Erreichung des Vollzugsziels gefährden können, dürfen sie nicht in Gewahrsam haben.
(3) Eingebrachte Sachen, die Gefangene nicht in Gewahrsam haben dürfen, sind für sie aufzubewahren. Lassen die Verhältnisse der Anstalt eine Aufbewahrung nicht zu und weigern sich Gefangene, die Sachen zu versenden, werden diese auf Kosten der Gefangenen vernichtet, verwertet oder aus der Anstalt entfernt.
(4) Aufzeichnungen und andere Gegenstände, die Kenntnisse über Sicherungsvorkehrungen einer Anstalt vermitteln, dürfen vernichtet oder unbrauchbar gemacht werden.
§ 16
Verpflegung
(1) Gefangene erhalten Anstaltsverpflegung. Zusammensetzung und Nährwert der Anstaltsverpflegung werden ärztlich überwacht. Auf ärztliche Anordnung wird besondere Verpflegung gewährt. Gefangenen ist zu ermöglichen, Speisevorschriften ihrer Religionsgemeinschaften zu befolgen oder sich vegetarisch zu ernähren.
(2) Im offenen Vollzug untergebrachten Gefangenen kann gestattet werden, sich auf eigene Kosten selbst zu verpflegen, soweit Gründe der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt nicht entgegenstehen.
§ 17
Einkauf
(1) Gefangene dürfen von ihrem Hausgeld (§ 36) oder Taschengeld (§ 35) aus einem von der Anstalt vermittelten Angebot Nahrungs- und Genussmittel sowie Mittel zur Körperpflege einkaufen. Für ein Einkaufsangebot, das die Wünsche und Bedürfnisse der Gefangenen angemessen berücksichtigt, ist zu sorgen. Im offenen Vollzug untergebrachten Gefangenen kann der Einkauf auch ohne Vermittlung der Anstalt gestattet werden.
(2) Verfügen Gefangene ohne eigenes Verschulden nicht über Hausgeld oder Taschengeld, wird ihnen gestattet, in angemessenem Umfang vom Eigengeld (§ 38) einzukaufen.
(3) Im Einzelfall kann Gefangenen auf Antrag gestattet werden, andere als in Absatz 1 genannte Gegenstände über sichere Bezugsquellen zu erwerben.
(4) Das Recht auf Einkauf kann aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt eingeschränkt werden.
Abschnitt 4
Außenkontakte
§ 18
Grundsatz
(1) Gefangene dürfen nach Maßgabe der Vorschriften dieses Abschnitts
1. regelmäßig Besuch empfangen,
2. Schreiben absenden und empfangen,
3. Einrichtungen der Telekommunikation nutzen und
4. Pakete versenden und empfangen.
(2) Der Kontakt zu Angehörigen, insbesondere zu minderjährigen Kindern der Gefangenen, und anderen Personen, von denen ein günstiger Einfluss auf die Gefangenen zu erwarten ist, wird besonders gefördert.
(3) Die Kosten des Schrift- und des Paketverkehrs sowie der Telekommunikation tragen die Gefangenen. Bei bedürftigen Gefangenen können die Kosten in angemessenem Umfang übernommen werden.
§ 19
Besuche
(1) Die Gesamtdauer der Besuche beträgt mindestens zwei Stunden im Monat. Das Nähere regelt die Anstalt.
(2) Zur besonderen Förderung der Besuche von minderjährigen Kindern der Gefangenen sollen zwei weitere Stunden zugelassen werden. Ein familiengerechter Umgang zum Wohl der minderjährigen Kinder ist zu gestatten. Bei der Ausgestaltung der Besuchsmöglichkeiten, namentlich der Besuchszeiten und der Rahmenbedingungen der Besuche, sind die Bedürfnisse der minderjährigen Kinder der Gefangenen zu berücksichtigen.
(3) Besuche sollen darüber hinaus zugelassen werden, wenn sie die Behandlung oder die Eingliederung der Gefangenen fördern oder persönlichen, rechtlichen oder geschäftlichen Angelegenheiten dienen, die von den Gefangenen nicht schriftlich oder durch Dritte wahrgenommen oder bis zur Entlassung der Gefangenen aufgeschoben werden können.
(4) Den Gefangenen können zudem mehrstündige, unbeaufsichtigte Besuche (Langzeitbesuche) ermöglicht werden, wenn dies zur Förderung oder zum Erhalt familiärer, partnerschaftlicher oder anderer gleichwertiger Kontakte der Gefangenen geboten erscheint und verantwortet werden kann.
(5) Aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt kann die Zulassung einer Person zum Besuch von ihrer Durchsuchung abhängig gemacht werden. Die Anstalt kann die Anzahl der gleichzeitig zum Besuch zugelassenen Personen beschränken.
§ 20
Überwachung von Besuchen
(1) Besuche werden aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt oder der Behandlung optisch überwacht, es sei denn, es liegen im Einzelfall Erkenntnisse dafür vor, dass es der Überwachung nicht bedarf. Die optische Überwachung mit technischen Hilfsmitteln ist zulässig; § 66 Absatz 2 und 3 gilt entsprechend.
(2) Die Anstaltsleitung kann eine offene akustische Überwachung anordnen, wenn dies aus Gründen der Behandlung erforderlich ist oder konkrete Anhaltspunkte für eine Gefahr der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt vorliegen. Die Anstaltsleitung kann im Einzelfall auch die Verwendung von Trennscheiben oder sonstigen Trennvorrichtungen anordnen, soweit dies zum Schutz von Personen oder zur Verhinderung einer Übergabe von Gegenständen erforderlich ist.
(3) Der Besuch kann nach Abmahnung abgebrochen werden, wenn auf Grund des Verhaltens der Besucherinnen und Besucher oder der Gefangenen die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt gefährdet wird. Die Abmahnung unterbleibt, wenn es unerlässlich ist, den Besuch sofort abzubrechen.
(4) Gegenstände dürfen beim Besuch nur mit Erlaubnis der Anstalt übergeben
werden.
§ 15 Absatz 2 gilt entsprechend.
§ 21
Schriftwechsel
(1) Die Anstalt vermittelt die Absendung und den Empfang der Schreiben der Gefangenen. Eingehende und ausgehende Schreiben sind unverzüglich weiterzuleiten.
(2) Gefangene haben eingehende Schreiben unverschlossen zu verwahren, soweit nichts anderes angeordnet ist. Sie können die Schreiben auch verschlossen zu ihrer Habe geben.
§ 22
Überwachung des Schriftwechsels
(1) Eingehende und ausgehende Schreiben werden durch Sichtprüfung auf verbotene Gegenstände kontrolliert.
(2) Der Schriftwechsel der Gefangenen darf inhaltlich überwacht werden, soweit dies aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt oder der Behandlung erforderlich ist.
§ 23
Anhalten von Schreiben
(1) Schreiben können angehalten werden, wenn
1. durch die Weitergabe die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt oder die Erreichung des Vollzugsziels gefährdet würde,
2. die Weitergabe in Kenntnis ihres Inhalts einen Straf- oder Bußgeldtatbestand verwirklichen würde,
3. sie grobe Beleidigungen enthalten,
4. sie die Eingliederung anderer Gefangener gefährden können oder
5. sie in Geheimschrift, unlesbar, unverständlich oder ohne zwingenden Grund in einer fremden Sprache abgefasst sind.
(2) Ausgehenden Schreiben, die unrichtige Darstellungen enthalten, kann ein Begleitschreiben beigefügt werden, wenn Gefangene auf der Absendung bestehen.
(3) Schreiben, die ohne zwingenden Grund in einer fremden Sprache abgefasst sind, können auf Kosten der Gefangenen übersetzt werden, wenn sie auf der Absendung oder Aushändigung bestehen.
(4) Werden Schreiben angehalten, wird dies den Gefangenen mitgeteilt. Hiervon kann aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt vorübergehend abgesehen werden. Angehaltene Schreiben werden an die Absenderin oder an den Absender zurückgegeben oder, soweit dies unmöglich ist oder Gründe der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt einer Rückgabe entgegenstehen, behördlich verwahrt.
(5) Schreiben, deren Überwachung ausgeschlossen ist, dürfen nicht angehalten werden.
§ 24
Telefongespräche
(1) Den Gefangenen kann gestattet werden, Telefongespräche durch Vermittlung der Anstalt zu führen, soweit es die räumlichen, personellen und organisatorischen Verhältnisse der Anstalt zulassen.
(2) Die Anstaltsleitung kann eine Überwachung der Telefongespräche aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt oder der Behandlung anordnen. Eine beabsichtigte Überwachung wird den Gefangenen rechtzeitig vor Beginn des Telefongesprächs und den Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartnern der Gefangenen unmittelbar nach Herstellung der Verbindung mitgeteilt.
(3) Ist ein Telekommunikationssystem eingerichtet, kann Gefangenen die Teilnahme daran gestattet werden, soweit diese und ihre Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner in eine unregelmäßige Überwachung der Telekommunikation einwilligen. Ihnen ist die beabsichtigte Überwachung unmittelbar nach Herstellung der Verbindung mitzuteilen.
(4) Für den Abbruch der Telefongespräche gilt § 20 Absatz 3 entsprechend.
§ 25
Verbot von Besuchen, Schriftwechsel und Telefongesprächen
Besuche sowie Schriftwechsel und Telefongespräche können untersagt oder beschränkt werden, wenn im Einzelfall
1. die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt gefährdet würde,
2. zu befürchten ist, dass der Kontakt mit Personen, die nicht Angehörige der Gefangenen gemäß § 11 Absatz 1 Nummer 1 des Strafgesetzbuches sind, einen schädlichen Einfluss auf die Gefangenen hat oder ihre Eingliederung behindert, oder
3. die Gefangenen mit Opfern von Straftaten der Gefangenen in Verbindung treten wollen und durch den Kontakt nachteilige Auswirkungen auf die Opfer oder gefährdete Dritte zu befürchten sind oder diese einer Kontaktaufnahme widersprochen haben.
§ 26
Kontakt mit bestimmten Personen und Institutionen
(1) Besuche von Verteidigerinnen und Verteidigern sowie von Rechtsanwältinnen, Rechtsanwälten, Notarinnen und Notaren in Rechtssachen der Gefangenen sind zu gestatten. Die Zulassung dieser Personen zum Besuch kann von ihrer Durchsuchung abhängig gemacht werden, wenn dies aus Gründen der Sicherheit der Anstalt erforderlich ist. Zur Übergabe von Schriftstücken und sonstigen Unterlagen, die unmittelbar der Verteidigung dienen, bedürfen Verteidigerinnen und Verteidiger keiner Erlaubnis. Die Übergabe von Schriftstücken oder sonstigen Unterlagen durch Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte sowie Notarinnen und Notare kann aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt von einer Erlaubnis abhängig gemacht werden.
(2) Besuche von Verteidigerinnen und Verteidigern werden nicht überwacht. Die Anstaltsleitung kann die Verwendung von Trennvorrichtungen anordnen, wenn dies zum Schutz von Personen erforderlich ist oder konkrete Anhaltspunkte für eine Gefahr der Sicherheit der Anstalt vorliegen. Eine Kenntnisnahme des gedanklichen Inhalts der von den Verteidigerinnen und Verteidigern mitgeführten Schriftstücke und sonstigen Unterlagen ist nicht zulässig. Absatz 3 Satz 3 und 4 bleibt unberührt.
(3) Schriftwechsel der Gefangenen mit ihren Verteidigerinnen und Verteidigern wird nicht überwacht. Die verschlossenen Schreiben dürfen auf verbotene Gegenstände untersucht werden. Liegt dem Vollzug der Freiheitsstrafe eine Straftat nach § 129a des Strafgesetzbuches, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1 des Strafgesetzbuches, zugrunde, gelten § 148 Absatz 2 und § 148a der Strafprozessordnung entsprechend; dies gilt nicht, wenn Gefangene sich im offenen Vollzug befinden, ihnen über die Ausführung (§ 53 Absatz 2 Nummer 1), den Begleitausgang (§ 53 Absatz 2 Nummer 2) oder die Außenbeschäftigung (§ 53 Absatz 2 Nummer 4) hinaus vollzugsöffnende Maßnahmen gewährt worden sind und ein Grund zum Widerruf oder zur Rücknahme vollzugsöffnender Maßnahmen nicht vorliegt. Satz 3 gilt auch, wenn gegen Gefangene im Anschluss an die dem Vollzug der Freiheitsstrafe zugrunde liegende Verurteilung eine Freiheitsstrafe wegen einer Straftat nach § 129a des Strafgesetzbuches, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1 des Strafgesetzbuches, zu vollstrecken ist.
(4) Absatz 3 gilt entsprechend für den Schriftwechsel der Gefangenen mit
1. dem ambulanten Sozialen Dienst der Justiz,
2. den Volksvertretungen des Bundes und der Länder sowie ihren Mitgliedern,
3. dem Bundesverfassungsgericht und dem für sie zuständigen Landesverfassungsgericht,
4. der oder dem für sie zuständigen Bürgerbeauftragten eines Landes,
5. den Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder,
6. dem Europäischen Parlament sowie seinen Mitgliedern,
7. dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte,
8. dem Europäischen Gerichtshof,
9. der oder dem Europäischen Datenschutzbeauftragen,
10. der oder dem Europäischen Bürgerbeauftragen,
11. dem Europäischen Ausschuss zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe,
12. der Europäischen Kommission gegen Rassismus und Intoleranz,
13. dem Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen,
14. den Ausschüssen der Vereinten Nationen für die Beseitigung der Rassendiskriminierung und für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau sowie der Abteilung der Vereinten Nationen für die Gleichstellung der Geschlechter und die Stärkung der Frau,
15. dem Ausschuss der Vereinten Nationen gegen Folter, dem dazugehörigen Unterausschuss zur Verhütung von Folter und den entsprechenden Nationalen Präventionsmechanismen und
16. der oder dem Justizvollzugsbeauftragten des Landes Nordrhein-Westfalen,
wenn die Schreiben an die Anschriften dieser Stellen gerichtet sind und die Absenderin oder den Absender zutreffend angeben. Schreiben der in Satz 1 genannten Stellen, die an Gefangene gerichtet sind, dürfen nicht überwacht werden, wenn die Identität der Absenderin oder des Absenders feststeht. Die Sätze 1 und 2 gelten entsprechend für den Schriftwechsel zur Ausübung des Wahlrechts.
(5) Absatz 1 Satz 1, Absatz 2 Satz 1, Absatz 3 Satz 3 und 4 sowie Absatz 4 gelten für Telefongespräche entsprechend.
§ 27
Andere Formen der Telekommunikation
Den Gefangenen kann gestattet werden, andere von der Aufsichtsbehörde zugelassene Formen der Telekommunikation durch Vermittlung der Anstalt zu nutzen, wenn hierdurch die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt nicht gefährdet wird. Im Übrigen finden in Abhängigkeit von der Art der Telekommunikation die Vorschriften über den Schriftwechsel, den Besuch und über Telefongespräche entsprechende Anwendung.
§ 28
Pakete
(1) Der Empfang von Paketen bedarf der Erlaubnis. Vom Empfang ausgeschlossen sind Nahrungs- und Genussmittel sowie Inhalte, die geeignet sind, die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt zu gefährden.
(2) Pakete sind in Gegenwart der Gefangenen zu öffnen, an die sie adressiert sind. Ausgeschlossene Gegenstände können zur Habe der Gefangenen genommen, der absendenden Person zurückgesandt oder, falls der Aufbewahrung oder Rücksendung besondere Gründe entgegenstehen, vernichtet werden. Über die getroffenen Maßnahmen werden die Gefangenen unterrichtet.
(3) Gefangenen kann gestattet werden, Pakete zu versenden. Ihr Inhalt kann überprüft werden. § 25 gilt entsprechend.
Abschnitt 5
Beschäftigung, Vergütung
§ 29
Beschäftigung, Arbeitspflicht
(1) Arbeit, arbeitstherapeutische Maßnahmen sowie schulische und berufliche Bildung (Beschäftigung) dienen insbesondere dem Ziel, Fähigkeiten und Fertigkeiten für eine regelmäßige Erwerbstätigkeit zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach der Entlassung zu vermitteln, zu fördern und zu erhalten. Gefangene sind verpflichtet, eine ihnen zugewiesene Beschäftigung auszuüben.
(2) Beschäftigung soll die körperlichen und geistigen Fähigkeiten sowie die Interessen der Gefangenen berücksichtigen und muss zumutbar sein. Gefangenen soll möglichst wirtschaftlich ergiebige Arbeit zugewiesen werden. Sind Gefangene zu wirtschaftlich ergiebiger Arbeit nicht fähig, sollen sie arbeitstherapeutisch beschäftigt werden.
(3) Gefangene können im Vollstreckungsjahr bis zu drei Monaten zu Hilfstätigkeiten in der Anstalt verpflichtet werden, mit ihrer Zustimmung auch darüber hinaus.
(4) Haben Gefangene die Regelaltersgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung erreicht, darf ihnen eine Beschäftigung nur mit ihrer Zustimmung zugewiesen werden.
(5) An Sonntagen und gesetzlichen Feiertagen sowie an Samstagen ruht die Arbeit, soweit nicht unaufschiebbare Arbeiten ausgeführt werden müssen. Dürfen Gefangene auf Grund ihres Bekenntnisses an bestimmten Tagen nicht arbeiten, können sie auf Wunsch von der Arbeit befreit werden.
§ 30
Schulische und berufliche Bildung
(1) Geeignete Gefangene sollen Gelegenheit zur Teilnahme an schulischen und beruflichen Orientierungs-, Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen erhalten. Sie sind in dem Bemühen zu unterstützen, einen anerkannten Abschluss oder eine anschlussfähige, für den Arbeitsmarkt relevante Teilqualifikation zu erlangen.
(2) Analphabeten sollen das Lesen und Schreiben erlernen können. Gefangenen, die der deutschen Sprache nicht ausreichend mächtig sind, sollen Deutschkurse angeboten werden.
(3) Zeugnisse und Nachweise über schulische und berufliche Bildung enthalten keine Hinweise auf eine Inhaftierung.
§ 31
Freies Beschäftigungsverhältnis, Selbstbeschäftigung
(1) Gefangenen soll gestattet werden, einer Arbeit oder beruflichen Aus- und Weiterbildungsmaßnahme auf der Grundlage eines freien Beschäftigungsverhältnisses außerhalb der Anstalt nachzugehen, wenn dies im Rahmen der Vollzugsplanung dem Ziel dient, Fähigkeiten für eine Erwerbstätigkeit nach der Entlassung zu erhalten und zu fördern, und überwiegende Gründe des Vollzuges nicht entgegenstehen. § 53 Absatz 1 und Absatz 2 Nummer 4 gilt entsprechend.
(2) Den Gefangenen kann gestattet werden, sich selbst zu beschäftigen. Absatz 1 gilt entsprechend.
(3) Die Anstalt kann verlangen, dass ihr das Entgelt zur Gutschrift für die Gefangenen überwiesen wird.
§ 32
Vergütung
(1) Gefangene, die eine zugewiesene Arbeit oder eine Hilfstätigkeit nach § 29 Absatz 3 ausüben, erhalten ein Arbeitsentgelt, welches auf Grundlage von neun Prozent der Bezugsgröße nach § 18 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - in der Fassung der Bekanntmachung vom 12. November 2009 (BGBl. I S. 3710, 3973; 2011 I S. 363) in der jeweils geltenden Fassung bemessen wird (Eckvergütung). Ein Tagessatz ist der zweihundertfünfzigste Teil der Eckvergütung.
(2) Gefangenen, die während der Arbeitszeit ganz oder teilweise an einer schulischen oder beruflichen Orientierungs-, Aus- und Weiterbildungsmaßnahme teilnehmen, wird Ausbildungsbeihilfe gewährt, soweit ihnen keine Leistungen zum Lebensunterhalt zustehen, die nicht inhaftierten Personen aus solchem Anlass gewährt werden. Für die Bemessung der Ausbildungsbeihilfe gilt Absatz 1 entsprechend.
(3) Arbeitsentgelt und Ausbildungsbeihilfe können je nach Leistung der Gefangenen und der Art der Tätigkeit gestuft werden. 75 Prozent der Eckvergütung dürfen nur unterschritten werden, wenn die Leistungen Gefangener den Mindestanforderungen nicht genügen. Das Justizministerium wird ermächtigt, eine Rechtsverordnung über die Vergütungsstufen zu erlassen.
(4) Gefangene, die an einer arbeitstherapeutischen Maßnahme teilnehmen, erhalten ein Arbeitsentgelt, soweit dies der Art ihrer Tätigkeit und ihrer Arbeitsleistung entspricht.
(5) Soweit Beiträge zur Bundesagentur für Arbeit zu entrichten sind, soll von der Vergütung ein Betrag einbehalten werden, der dem Anteil der Gefangenen an dem Beitrag entsprechen würde, wenn sie diese Vergütung als Arbeitnehmer erhielten.
(6) Die Höhe der Vergütung ist den Gefangenen schriftlich bekannt zu geben.
§ 33
Freistellung
(1) Gefangene, die ein Jahr lang eine zugewiesene Arbeit oder eine Hilfstätigkeit ausgeübt haben, sind innerhalb des darauffolgenden Jahres auf Antrag 20 Arbeitstage von der Arbeit freizustellen. Bei der Festsetzung des Zeitpunktes der Freistellung sind die betrieblichen Belange zu berücksichtigen.
(2) Zeiten, in denen Gefangene infolge Krankheit an der Arbeitsleistung gehindert oder nach den Absätzen 1 und 3 oder § 34 Absatz 1 von der Arbeitspflicht freigestellt waren oder Verletztengeld nach § 47 Absatz 6 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes vom 7. August 1996, BGBl. I S. 1254) in der jeweils geltenden Fassung erhalten haben, werden auf das Jahr mit bis zu jeweils 30 Arbeitstagen angerechnet. Sonstiges Fernbleiben kann in angemessenem Umfang auf die Zeit angerechnet werden. Erfolgt eine Anrechnung nach den Sätzen 1 und 2 nicht, wird die Frist für die Dauer der Fehlzeit gehemmt, es sei denn, die Fehlzeit steht unter Berücksichtigung des Vollzugsziels außer Verhältnis zur bereits erbrachten Arbeitsleistung.
(3) Auf die Zeit der Freistellung wird Langzeitausgang (§ 53 Absatz 2 Nummer 3) angerechnet, soweit er in die Arbeitszeit fällt und nicht wegen einer lebensgefährlichen Erkrankung oder anlässlich des Todes von nahen Angehörigen erteilt worden ist.
(4) Gefangene erhalten für die Zeit der Freistellung Arbeitsentgelt in Höhe des Durchschnitts der in den letzten drei Monaten vor der Freistellung gutgeschriebenen Bezüge.
(5) Für arbeitstherapeutische Maßnahmen sowie Bildungsmaßnahmen nach § 32 Absatz 2 gelten die Absätze 1 bis 4 entsprechend. Bei der Festsetzung des Zeitpunktes der Freistellung ist auch der Stand der Bildungsmaßnahmen zu berücksichtigen.
(6) Urlaubsregelungen aus Beschäftigungsverhältnissen außerhalb der Anstalt bleiben unberührt.
§ 34
Anerkennung von Arbeit und Bildung, Ausgleichsentschädigung
(1) Als zusätzliche Anerkennung neben der Vergütung nach § 32 und der Freistellung nach § 33 erhalten Gefangene auf Antrag für drei Monate zusammenhängender Ausübung einer Arbeit oder einer Hilfstätigkeit unter Fortzahlung der Vergütung zwei Tage
1. Freistellung von der Arbeitspflicht oder
2. Langzeitausgang, soweit dessen Voraussetzungen vorliegen.
Stellen Gefangene keinen Antrag oder kann Langzeitausgang nicht gewährt werden, wird der Entlassungszeitpunkt vorverlegt. Dies gilt auch, wenn Gefangene die Freistellung nach Satz 1 Nummer 1 nicht innerhalb eines Jahres nach Vorliegen der Voraussetzungen in Anspruch nehmen. Durch Zeiten, in denen Gefangene ohne ihr Verschulden an der Erfüllung ihrer Arbeitspflicht gehindert sind, wird die Frist nach Satz 1 gehemmt. Beschäftigungszeiträume von unter drei Monaten bleiben unberücksichtigt. Langzeitausgang nach Satz 1 Nummer 2 wird nicht auf die Höchstdauer des Langzeitausgangs nach § 54 Absatz 1 Satz 1 angerechnet.
(2) Eine Vorverlegung des Entlassungszeitpunktes ist ausgeschlossen,
1. soweit ein Entlassungszeitpunkt auf Grund der Art der Strafe noch nicht bestimmt ist,
2. soweit bei einer Aussetzung der Vollstreckung des Restes einer Freiheitsstrafe zur Bewährung wegen des von der Entscheidung des Gerichts bis zur Entlassung verbleibenden Zeitraums eine Anrechnung nicht mehr möglich ist,
3. wenn dies vom Gericht angeordnet wird, weil bei einer Aussetzung der Vollstreckung des Restes einer Freiheitsstrafe zur Bewährung die Lebensverhältnisse der Gefangenen oder die Wirkungen, die von der Aussetzung für sie zu erwarten sind, die Vollstreckung bis zu einem bestimmten Zeitpunkt erfordern,
4. wenn nach § 456a Absatz 1 der Strafprozessordnung von der Vollstreckung abgesehen wird oder
5. wenn Gefangene im Gnadenwege aus der Haft entlassen werden.
(3) Soweit eine Vorverlegung des Entlassungszeitpunktes nach Absatz 2 ausgeschlossen ist, erhalten Gefangene bei ihrer Entlassung für ihre Tätigkeit nach Absatz 1 eine Ausgleichsentschädigung von zusätzlich 15 Prozent der ihnen nach § 32 gewährten Vergütung. § 33 Absatz 4 gilt entsprechend. Der Anspruch entsteht erst mit der Entlassung. Vor der Entlassung ist der Anspruch nicht verzinslich. Gefangenen, bei denen eine Vorverlegung nach Absatz 2 Nummer 1 ausgeschlossen ist, wird die Ausgleichszahlung bereits nach Verbüßung von zehn Jahren zum Eigengeld (§ 38) gutgeschrieben, soweit sie nicht vor diesem Zeitpunkt entlassen werden. § 57 Absatz 4 des Strafgesetzbuches gilt entsprechend.
(4) Für Gefangene, die an Bildungsmaßnahmen nach § 32 Absatz 2 teilnehmen, gelten die Absätze 1 bis 3 entsprechend.
Abschnitt 6
Gelder der Gefangenen, Haftkostenbeitrag
§ 35
Taschengeld
(1) Gefangenen wird während des Vollzuges der Strafe rückwirkend auf Antrag Taschengeld gewährt, soweit sie ohne ihr Verschulden bedürftig sind. Das Taschengeld beträgt 14 Prozent der Eckvergütung (§ 32 Absatz 1).
(2) Bedürftig sind Gefangene, soweit ihnen in dem Zeitraum, für den sie Taschengeld beantragen, aus Hausgeld (§ 36) und Eigengeld (§ 38) monatlich ein Betrag in Höhe des Taschengeldes nicht zur Verfügung steht und sie eine Vergütung nach § 32 nicht beanspruchen können. Nicht verbrauchtes Taschengeld bleibt unberücksichtigt.
(3) In Ausnahmefällen, namentlich zur Überbrückung eines Zeitraumes bis zu einer erstmaligen Gewährung von Arbeitsentgelt, Ausbildungsbeihilfe oder Taschengeld, kann den Gefangenen auf Antrag vorschussweise ein Taschengeld in Höhe von bis zu 50 Prozent des üblichen Taschengeldes gewährt werden. Der Vorschuss ist mit dem ersten Arbeitsentgelt, der ersten Ausbildungsbeihilfe oder der ersten nachfolgenden Gewährung von Taschengeld zu verrechnen.
§ 36
Hausgeld
(1) Gefangene dürfen monatlich über drei Siebtel ihrer in diesem Gesetz geregelten Bezüge (Hausgeld) und das Taschengeld frei verfügen.
(2) Aus den Bezügen eines freien Beschäftigungsverhältnisses, einer Selbstbeschäftigung oder anderen regelmäßigen Einkünften wird ein angemessenes Hausgeld festgesetzt.
§ 37
Überbrückungsgeld
(1) Aus den in diesem Gesetz geregelten Bezügen und aus den Bezügen der Gefangenen, die in einem freien Beschäftigungsverhältnis stehen oder denen gestattet ist, sich selbst zu beschäftigen, ist ein Überbrückungsgeld zu bilden, das den notwendigen Lebensunterhalt der Gefangenen und ihrer Unterhaltsberechtigten für die ersten vier Wochen nach der Entlassung sichern soll. Die Höhe richtet sich nach den in § 28 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch - Sozialhilfe - (Artikel 1 des Gesetzes vom 27. Dezember 2003, BGBl. I S. 3022, 3023) in der jeweils geltenden Fassung festgeschriebenen Regelsätzen und soll den vierfachen monatlichen Mindestbetrag nicht unterschreiten.
(2) Das Überbrückungsgeld wird Gefangenen bei der Entlassung zur Verfügung gestellt. Die Anstalt kann es ganz oder teilweise dem ambulanten Sozialen Dienst der Justiz oder mit Zustimmung der Gefangenen an eine andere mit der Entlassung befasste Stelle zur Verwaltung in den ersten vier Wochen nach der Entlassung überlassen, wenn diese das Geld von ihrem sonstigen Vermögen gesondert halten. Mit Zustimmung der Gefangenen kann das Überbrückungsgeld auch an Unterhaltsberechtigte überwiesen werden.
(3) Die Anstaltsleitung kann den Gefangenen gestatten, Überbrückungsgeld schon vor der Entlassung für Ausgaben in Anspruch zu nehmen, die der Eingliederung der Gefangenen, namentlich auch der Tilgung von Geldstrafen (§ 4 Absatz 5) und dem Tatausgleich (§ 7), dienen, wenn zu erwarten ist, dass bei der Entlassung in Freiheit ein Überbrückungsgeld in angemessener Höhe zur Verfügung steht.
§ 38
Eigengeld
Gefangenen sind eingebrachte, für sie eingezahlte oder überwiesene Geldbeträge sowie Bezüge, die nicht als Hausgeld, Überbrückungsgeld oder als Haftkostenbeitrag in Anspruch genommen werden, als Eigengeld gutzuschreiben. Gefangene dürfen über ihr Eigengeld verfügen, soweit dieses nicht als Überbrückungsgeld notwendig ist. § 37 Absatz 3 bleibt unberührt.
§ 39
Haftkostenbeitrag
(1) Als Teil der Kosten der Vollstreckung der Rechtsfolgen einer Tat (§ 464a Absatz 1 Satz 2 der Strafprozessordnung) erhebt die Anstalt von Gefangenen einen Haftkostenbeitrag. Den Gefangenen ist arbeitstäglich ein Betrag in Höhe des Tagessatzes der Eckvergütung nach § 32 Absatz 1 zu belassen.
(2) Ein Haftkostenbeitrag wird nicht erhoben, wenn Gefangene
1. Bezüge nach diesem Gesetz erhalten oder
2. ohne Verschulden eine Beschäftigung nicht ausüben können oder nicht ausüben, weil sie hierzu nicht verpflichtet sind.
Satz 1 gilt nicht, wenn Gefangene eine Rente oder sonstige regelmäßige Einkünfte beziehen.
(3) Im Übrigen kann von der Erhebung eines Haftkostenbeitrags ganz oder teilweise abgesehen werden, soweit dies notwendig ist, um die Eingliederung der Gefangenen nicht zu gefährden.
(4) Der Haftkostenbeitrag wird in Höhe des Betrages erhoben, der nach § 17 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch durchschnittlich zur Bewertung der Sachbezüge festgesetzt ist. Das Justizministerium stellt den Betrag jährlich durch Bekanntmachung fest. Bei Selbstverpflegung entfallen die für die Verpflegung vorgesehenen Beträge. Für den Wert der Unterkunft ist die festgesetzte Belegungsfähigkeit maßgebend.
(5) Die Selbstbeschäftigung (§ 31 Absatz 2) kann davon abhängig gemacht werden, dass die Gefangenen einen Haftkostenbeitrag bis zur Höhe des in Absatz 4 genannten Satzes im Voraus entrichten.
Abschnitt 7
Religionsausübung
§ 40
Seelsorge
(1) Gefangenen darf die religiöse Betreuung durch eine Seelsorgerin oder einen Seelsorger ihrer Religionsgemeinschaft nicht versagt werden. Auf Wunsch der Gefangenen ist ihnen zu helfen, mit einer Seelsorgerin oder einem Seelsorger ihrer Religionsgemeinschaft in Verbindung zu treten.
(2) Gefangene dürfen grundlegende religiöse Schriften besitzen. Sie dürfen ihnen nur bei grobem Missbrauch entzogen werden.
(3) Gefangenen sind Gegenstände des religiösen Gebrauchs in angemessenem Umfang zu belassen.
§ 41
Religiöse Veranstaltungen
(1) Gefangene dürfen in der Anstalt am Gottesdienst und an anderen religiösen Veranstaltungen ihres Bekenntnisses teilnehmen.
(2) Gefangene werden zu dem Gottesdienst oder zu religiösen Veranstaltungen einer anderen Religionsgemeinschaft in der Anstalt zugelassen, wenn deren Seelsorgerin oder Seelsorger zustimmt.
(3) Gefangene können von der Teilnahme am Gottesdienst oder anderen religiösen Veranstaltungen ausgeschlossen werden, wenn dies aus überwiegenden Gründen der Sicherheit oder Ordnung geboten ist. Die Anstaltsseelsorge ist zu hören.
§ 42
Weltanschauungsgemeinschaften
Für Angehörige weltanschaulicher Bekenntnisse gelten die §§ 40 und 41 entsprechend.
Abschnitt 8
Gesundheitsfürsorge
§ 43
Gesundheitsfürsorge, Aufenthalt im Freien
(1) Für das körperliche, seelische, geistige und soziale Wohlergehen der Gefangenen ist zu sorgen. Die Bedeutung einer gesunden Ernährung und Lebensführung ist den Gefangenen in geeigneter Form zu vermitteln. Gefangene haben die notwendigen Maßnahmen zum Gesundheitsschutz und zur Hygiene zu unterstützen.
(2) Den Gefangenen wird täglich mindestens eine Stunde Aufenthalt im Freien ermöglicht, wenn die Witterung dem nicht zwingend entgegensteht.
§ 44
Suchtmedizinische Behandlung
Für suchtkranke Gefangene sind Möglichkeiten der suchtmedizinischen Behandlung vorzuhalten.
§ 45
Medizinische Leistungen, Kostenbeteiligung
(1) Gefangene haben Anspruch auf notwendige, ausreichende und zweckmäßige medizinische Versorgung unter Beachtung des Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit. Der Anspruch umfasst auch Untersuchungen zur Früherkennung von Krankheiten und Vorsorgeleistungen, ferner die Versorgung mit Hilfsmitteln und prothetische Leistungen, sofern diese mit Rücksicht auf die Dauer des Freiheitsentzuges gerechtfertigt und soweit Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen sind. Für Art und Umfang der Versorgung gelten die für gesetzlich Versicherte maßgeblichen Vorschriften des Sozialgesetzbuches und die auf Grund dieser Vorschriften getroffenen Regelungen entsprechend, soweit Besonderheiten des Vollzuges nicht entgegenstehen.
(2) Der Anspruch nach Absatz 1 ruht, solange Gefangene auf Grund eines freien Beschäftigungsverhältnisses krankenversichert sind.
(3) Die Gefangenen können an den Kosten für medizinische Leistungen in angemessenem Umfang beteiligt werden.
§ 46
Überstellung und Verlegung aus medizinischen Gründen
(1) Erkrankte Gefangene können in ein Justizvollzugskrankenhaus überstellt oder in eine für die medizinische Behandlung und Betreuung besser geeignete Anstalt verlegt werden. Satz 1 gilt entsprechend für die Unterbringung und Betreuung pflegebedürftiger Gefangener und Gefangener mit körperlichen Behinderungen.
(2) Können Krankheiten von Gefangenen in einer Anstalt oder in einem Justizvollzugskrankenhaus nicht erkannt oder behandelt werden oder ist es nicht möglich, Gefangene rechtzeitig in ein Justizvollzugskrankenhaus zu überstellen, sind sie in ein Krankenhaus außerhalb des Vollzuges zu bringen.
§ 47
Krankenbehandlung während vollzugsöffnender Maßnahmen
Während einer vollzugsöffnenden Maßnahme haben Gefangene Anspruch auf Krankenbehandlung in der für sie zuständigen Anstalt. Ist ihnen eine Rückkehr in die zuständige Anstalt nicht zumutbar, soll die Krankenbehandlung in der nächstgelegenen Anstalt vorgenommen werden. Ist eine medizinische Notfallbehandlung in einem Krankenhaus erforderlich, trägt die zuständige Anstalt die Kosten im Umfang des § 45, wenn die Gefangenen Ansprüche aus einer Krankenversicherung nicht geltend machen können.
§ 48
Medizinische Behandlung zur sozialen Eingliederung
Mit Einwilligung der Gefangenen sollen medizinische Behandlungen, die für die Eingliederung der Gefangenen erforderlich sind, ermöglicht werden. Die Kosten tragen die Gefangenen. Sind sie dazu nicht in der Lage, kann die Anstalt die Kosten in begründeten Fällen in angemessenem Umfang übernehmen.
§ 49
Benachrichtigung im Krankheits- oder Todesfall
(1) Erkranken Gefangene schwer oder versterben sie, sind Angehörige oder gesetzliche Vertreterinnen oder Vertreter unverzüglich zu benachrichtigen. Im Fall schwerer Erkrankung kann von der Benachrichtigung abgesehen werden, wenn dies dem ausdrücklich erklärten Willen der Gefangenen entspricht.
(2) Dem Wunsch der Gefangenen, auch andere Personen zu benachrichtigen, soll entsprochen werden.
Abschnitt 9
Freizeit
§ 50
Gestaltung der Freizeit
Gefangene erhalten Gelegenheit, ihre Freizeit sinnvoll zu gestalten. Sie sind zur Teilnahme und Mitwirkung anzuregen. Es sind insbesondere Angebote zur kulturellen Betätigung, Bildungs- und Sportangebote sowie Angebote zur kreativen Entfaltung vorzuhalten. Die Benutzung einer bedarfsgerecht ausgestatteten Bibliothek ist zu ermöglichen.
§ 51
Hörfunk und Fernsehen
(1) Der Zugang zum Hörfunk- und Fernsehempfang ist zu ermöglichen. Die Anstalt entscheidet über die Einspeisung einzelner Hörfunk- und Fernsehprogramme, soweit eine Empfangsanlage vorhanden ist. Die Wünsche und Bedürfnisse der Gefangenen sind angemessen zu berücksichtigen.
(2) Eigene Hörfunk- und Fernsehgeräte der Gefangenen können unter den Voraussetzungen des § 15 Absatz 2 zugelassen werden. Gefangene können auf ein Haftraummediensystem verwiesen werden. Der Betrieb von Empfangsanlagen und Haftraummediensystemen sowie die Ausgabe von Hörfunk- und Fernsehgeräten können auf Dritte übertragen werden. In diesen Fällen ist Gefangenen der Besitz eigener Geräte in der Regel nicht gestattet.
(3) Gefangene können an den Kosten für die Überlassung, die Überprüfung und den Betrieb von Hörfunkgeräten, Fernsehgeräten und Haftraummediensystemen sowie die Bereitstellung des Hörfunk- und Fernsehempfangs beteiligt werden.
§ 52
Gegenstände zur Freizeitgestaltung, Zeitungen und Zeitschriften
(1) Gefangene dürfen nach Maßgabe der Anstalt in angemessenem Umfang sonstige Geräte der Informations- und Unterhaltungselektronik, Bücher sowie andere Gegenstände zur Aus- und Fortbildung oder Freizeitgestaltung besitzen. § 15 Absatz 2 und 3 gilt entsprechend.
(2) Gefangene dürfen Zeitungen und Zeitschriften durch Vermittlung der Anstalt in angemessenem Umfang auf eigene Kosten beziehen.
(3) Ausgeschlossen sind Zeitungen und Zeitschriften, deren Verbreitung mit Strafe oder Geldbuße bedroht ist. Einzelne Ausgaben oder Teile von Zeitungen oder Zeitschriften können Gefangenen vorenthalten werden, wenn sie die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt oder das Vollzugsziel erheblich gefährden würden.
(4) Für Geräte der Informations- und Unterhaltungselektronik gilt § 51 Absatz 2 Satz 2 bis 4 und Absatz 3 entsprechend.
Abschnitt 10
Vollzugsöffnende Maßnahmen
§ 53
Vollzugsöffnende Maßnahmen
(1) Mit Zustimmung der Gefangenen können vollzugsöffnende Maßnahmen gewährt werden, wenn verantwortet werden kann zu erproben, dass die Gefangenen sich dem Vollzug der Freiheitsstrafe nicht entziehen oder die vollzugsöffnenden Maßnahmen nicht zur Begehung von Straftaten missbrauchen werden. Bei der Entscheidung über die Gewährung der Maßnahmen sind die Belange der Gefangenen mit den Schutzinteressen der Allgemeinheit abzuwägen, insbesondere sind die Persönlichkeit der Gefangenen, ihr Vollzugsverhalten, die Vollzugsdauer und die Art der Maßnahme zu berücksichtigen.
(2) Als vollzugsöffnende Maßnahmen zur Erreichung des Vollzugsziels kommen namentlich in Betracht:
1. das Verlassen der Anstalt für eine bestimmte Tageszeit unter Aufsicht von Bediensteten (Ausführung),
2. das Verlassen der Anstalt für eine bestimmte Tageszeit in Begleitung einer von der Anstalt zugelassenen Person (Begleitausgang) oder ohne Begleitung (Ausgang),
3. das Verlassen der Anstalt für mehr als einen Tag (Langzeitausgang) und
4. die regelmäßige Beschäftigung außerhalb der Anstalt unter Aufsicht Bediensteter (Außenbeschäftigung) oder ohne Aufsicht (Freigang).
(3) Können vollzugsöffnende Maßnahmen nach Absatz 2 Nummer 2 bis 4 noch nicht verantwortet werden, sind insbesondere langjährig im Vollzug befindlichen Gefangenen Ausführungen zu gewähren, um schädlichen Auswirkungen des Freiheitsentzuges frühzeitig entgegenzuwirken und ihre Lebenstüchtigkeit zu erhalten und zu festigen. Die Ausführungen unterbleiben, wenn die zur Sicherung erforderlichen Maßnahmen den Zweck der Ausführung gefährden.
(4) Kommen vollzugsöffnende Maßnahmen nicht in Betracht, sind die tragenden Gründe zu dokumentieren und den Gefangenen die noch zu erfüllenden Voraussetzungen in verständlicher Form zu vermitteln.
(5) Bei der Ausgestaltung vollzugsöffnender Maßnahmen ist den berechtigten Schutzinteressen der Opfer und gefährdeter Dritter Rechnung zu tragen.
(6) Gefangene tragen die Reisekosten, die Kosten für ihren Lebensunterhalt und andere Aufwendungen während ihres Aufenthalts außerhalb der Anstalt. Die Kosten von Ausführungen können den Gefangenen in angemessenem Umfang auferlegt werden, soweit dies die Behandlung oder die Eingliederung nicht behindert. Bedürftigen Gefangenen kann die Anstalt zu ihren Aufwendungen eine Beihilfe in angemessenem Umfang gewähren.
(7) Vollzugsöffnende Maßnahmen werden nur zum Aufenthalt im Inland gewährt.
§ 54
Langzeitausgang
(1) Langzeitausgang kann bis zu 24 Kalendertagen in einem Vollstreckungsjahr gewährt werden. Tage, an denen die Gefangenen den Langzeitausgang antreten, werden nicht mitgerechnet.
(2) Im geschlossenen Vollzug untergebrachten Gefangenen soll Langzeitausgang erst gewährt werden, wenn sie sich mindestens sechs Monate im Strafvollzug befunden haben.
(3) Langzeitausgang soll in der Regel erst gewährt werden, wenn sich Gefangene im Ausgang bewährt haben.
(4) Zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilten Gefangenen kann Langzeitausgang gewährt werden, wenn sie sich einschließlich einer vorhergehenden Untersuchungshaft oder einer anderen Freiheitsentziehung mindestens zehn Jahre im Vollzug befunden haben oder sie im offenen Vollzug untergebracht sind und sich dort bewährt haben.
§ 55
Vollzugsöffnende Maßnahmen aus wichtigem Anlass
(1) Vollzugsöffnende Maßnahmen nach § 53 Absatz 2 Nummer 1 bis 3 können auch aus wichtigem Anlass gewährt werden. Wichtige Anlässe sind insbesondere die Teilnahme an gerichtlichen Terminen, die medizinische Behandlung der Gefangenen sowie der Tod oder die lebensgefährliche Erkrankung naher Angehöriger der Gefangenen. § 53 Absatz 1 gilt entsprechend.
(2) Ausführungen aus wichtigem Anlass sind auch ohne Zustimmung der Gefangenen zulässig, wenn dies aus besonderen Gründen notwendig ist.
(3) Langzeitausgang aus wichtigem Anlass, der nicht zur Teilnahme an
gerichtlichen Terminen oder anlässlich des Todes oder der lebensgefährlichen
Erkrankung naher Angehöriger gewährt wird, darf sieben Tage im
Vollstreckungsjahr nicht übersteigen. Er wird nicht auf die Höchstdauer nach §
54 Absatz 1 Satz 1 angerechnet.
§ 56
Vorbereitung vollzugsöffnender Maßnahmen
(1) Zur Vorbereitung vollzugsöffnender Maßnahmen ist die schriftliche Stellungnahme der psychologischen oder sozialen Fachdienste einzuholen, wenn dies zur Feststellung der Voraussetzungen vollzugsöffnender Maßnahmen erforderlich ist. Der medizinische Dienst ist nur zu beteiligen, wenn eine körperliche oder sonstige medizinische Untersuchung vorzunehmen ist.
(2) Bei Gefangenen, die zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt worden sind, und bei Gefangenen mit angeordneter oder vorbehaltener Sicherungsverwahrung soll zusätzlich eine Begutachtung durch fachlich unabhängige Sachverständige außerhalb des Vollzuges erfolgen. Eine Begutachtung ist in der Regel entbehrlich, wenn seit der letzten Begutachtung nicht mehr als zwei Jahre verstrichen sind.
§ 57
Weisungen
Für vollzugsöffnende Maßnahmen können Gefangenen Weisungen erteilt werden. Insbesondere können die Gefangenen angewiesen werden,
1. Anordnungen zu befolgen, die sich auf Aufenthalt, Ausbildung, Arbeit oder Freizeit oder die Ordnung ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse beziehen,
2. sich zu festgesetzten Zeiten bei einer bestimmten Stelle oder Person zu melden,
3. Kontakte mit bestimmten Personen oder Gruppen oder bestimmte Orte zu meiden,
4. sich den Opfern und deren Wohnbereich nicht zu nähern,
5. bestimmte Gegenstände nicht zu besitzen,
6. Alkohol oder andere berauschende Stoffe zu meiden oder
7. Proben zur Überwachung einer Weisung nach Nummer 6 in einer Anstalt oder bei einer anderen bestimmten Stelle abzugeben.
Abschnitt 11
Entlassung und soziale Eingliederung
§ 58
Vorbereitung der Entlassung, soziale Eingliederung
(1) Die Anstalten bereiten gemeinsam mit den Gefangenen deren Entlassung vor. Sie unterstützen die Gefangenen insbesondere bei der Beschaffung von Ausweispapieren und der Stellung von Anträgen bei Behörden. Den Gefangenen sollen Kontakte zu außervollzuglichen Organisationen und Bildungsstätten sowie Stellen und Personen ermöglicht werden, die ihnen nach der Entlassung persönliche und soziale Hilfestellung leisten können. § 4 Absatz 2 gilt entsprechend.
(2) Frühzeitig vor dem voraussichtlichen Entlassungstermin arbeiten die Anstalten mit öffentlichen Stellen, freien Trägern sowie anderen Organisationen und Personen zusammen, um insbesondere zu erreichen, dass die Gefangenen über eine geeignete Arbeit, eine angemessene Unterkunft und ein stabilisierendes soziales Umfeld verfügen. Zur Integration in den Arbeitsmarkt sollen durch die vollzugsübergreifende Zusammenarbeit die Beschäftigungsperspektiven der Gefangenen verbessert werden.
(3) Die für die Vermittlung in Hilfsangebote Dritter nach der Entlassung erforderlichen Strukturen und Netzwerke sind einzurichten und fortzuentwickeln (§ 5 Absatz 3 Satz 2). Für die Koordination der Entlassungsplanung stehen Ansprechpartnerinnen oder Ansprechpartner in den Anstalten zur Verfügung.
§ 59
Vollzugsöffnende Maßnahmen zur Entlassungsvorbereitung
(1) Um die Entlassung vorzubereiten, sollen vollzugsöffnende Maßnahmen gewährt werden.
(2) Gefangenen kann über § 54 Absatz 1 Satz 1 hinaus innerhalb von drei Monaten vor der voraussichtlichen Entlassung Langzeitausgang bis zu zehn Tagen gewährt werden, wenn dies zur Eingliederung der Gefangenen erforderlich ist. Gefangenen, welche die Voraussetzungen des Freigangs erfüllen, kann innerhalb von neun Monaten vor der voraussichtlichen Entlassung Langzeitausgang bis zu sechs Tagen im Monat gewährt werden. Vollzugsöffnende Maßnahmen nach den Sätzen 1 und 2 können nicht nebeneinander gewährt werden.
(3) § 53 Absatz 1 und 4 bis 7, § 56, § 57 sowie § 12 Absatz 2 Satz 3 gelten entsprechend.
§ 60
Entlassung, Schlussbericht
(1) Die Gefangenen sollen am Tag ihrer Entlassung möglichst frühzeitig, jedenfalls noch am Vormittag, entlassen werden.
(2) Fällt das Strafende auf einen Samstag oder Sonntag, einen gesetzlichen Feiertag, den ersten Werktag nach Ostern oder Pfingsten oder in die Zeit vom 22. Dezember bis zum 6. Januar, können Gefangene an dem diesen Tagen oder Zeiträumen vorhergehenden Werktag entlassen werden, wenn dies nach der Länge der Strafzeit vertretbar ist und fürsorgerische Gründe nicht entgegenstehen.
(3) Der Entlassungszeitpunkt kann bis zu zwei Tage vorverlegt werden, wenn dringende Gründe dafür vorliegen, dass Gefangene zu ihrer Eingliederung hierauf angewiesen sind.
(4) Die Anstalt erstellt zum Ende des Vollzuges einen an den Fähigkeiten und Entwicklungsmöglichkeiten der Gefangenen ausgerichteten Schlussbericht. Dieser enthält in standardisierter Form Angaben über den fortbestehenden Förderbedarf, namentlich eine Darstellung der Art und der Ergebnisse der angebotenen und durchgeführten Maßnahmen sowie der Angebote und Leistungen Dritter (§ 10 Absatz 1 Satz 4 Nummer 19), soweit sie für die Eingliederung der Gefangenen von Bedeutung sind.
(5) Eine Ausfertigung des Berichts ist den Gefangenen auszuhändigen. Bei angeordneter Bewährungs- oder Führungsaufsicht ist eine Ausfertigung der zuständigen Leiterin oder dem zuständigen Leiter des ambulanten Sozialen Dienstes der Justiz zuzuleiten. Mit Einwilligung der Gefangenen soll eine Ausfertigung des Berichts auch anderen Beteiligten zugeleitet werden, die an der Eingliederung der Gefangenen mitwirken.
(6) Bedürftige Gefangene erhalten bei ihrer Entlassung einen Reisekostenzuschuss sowie eine Überbrückungsbeihilfe und bei Bedarf für die Entlassung ausreichende Kleidung. Bei der Bemessung der Überbrückungsbeihilfe ist der Zeitraum zu berücksichtigen, den Gefangene benötigen, um vorrangige Hilfe in Anspruch zu nehmen.
§ 61
Nachgehende Betreuung
Die Anstalt kann früheren Gefangenen bis zu sechs Monaten nach der Entlassung auf Antrag Hilfe unter Mitwirkung von Bediensteten gewähren (nachgehende Betreuung), wenn die Eingliederung gefährdet ist und die erforderliche Hilfe nicht anderweitig sichergestellt werden kann.
§ 62
Aufnahme auf freiwilliger Grundlage
(1) Frühere Gefangene können innerhalb von sechs Monaten nach ihrer Entlassung auf ihren Antrag vorübergehend bis zu einem Monat wieder in die Anstalt, aus der sie zuvor entlassen worden sind, aufgenommen werden, wenn dies zur Verhinderung einer schwerwiegenden Straftat erforderlich ist. Die Aufnahme ist jederzeit widerruflich. Stellen frühere Gefangene den Antrag nach Satz 1 in einer anderen Anstalt, soll diese den Transport in die zuständige Anstalt veranlassen.
(2) Gegen aufgenommene Personen dürfen Maßnahmen des Vollzuges nicht mit unmittelbarem Zwang durchgesetzt werden.
(3) Auf ihren Antrag sind die aufgenommenen Personen unverzüglich zu entlassen.
(4) An den Kosten ihrer Unterbringung können die Aufgenommenen beteiligt
werden.
§ 39 Absatz 3 und 4 gilt entsprechend.
Abschnitt 12
Sicherheit und Ordnung
§ 63
Grundsatz, Verhaltensvorschriften
(1) Sicherheit und Ordnung bilden die Grundlage eines gewalt- und konfliktfreien Zusammenlebens in der Anstalt. Die Anstalt trifft die erforderlichen Maßnahmen, um ein Entweichen der Gefangenen zu verhindern und die Sicherheit (§ 6) zu gewährleisten. Die Anstalt ist befugt, zur Erfüllung ihrer Aufgaben die Identität aller Personen, die Zugang begehren, festzustellen.
(2) Die Gefangenen haben sich nach der Tageseinteilung der Anstalt zu richten. Sie sollen durch die Tageseinteilung auch an eine eigenverantwortliche Lebensgestaltung herangeführt werden. Sie dürfen durch ihr Verhalten gegenüber Bediensteten, anderen Gefangenen und Dritten das geordnete Miteinander in der Anstalt nicht stören.
(3) Die Gefangenen haben die Anordnungen der Bediensteten zu befolgen, auch wenn sie sich beschwert fühlen. Einen ihnen zugewiesenen Bereich dürfen sie nicht ohne Erlaubnis verlassen.
(4) Gefangene sind verpflichtet, ihren Haftraum und die ihnen von der Anstalt überlassenen Gegenstände in Ordnung zu halten und schonend zu behandeln.
(5) Die Gefangenen haben Umstände, die eine Gefahr für das Leben oder eine erhebliche Gefahr für die Gesundheit einer Person bedeuten, unverzüglich zu melden.
§ 64
Durchsuchung
(1) Gefangene, ihre Sachen und die Hafträume dürfen durchsucht werden.
(2) Die Anstaltsleitung kann allgemein anordnen, dass bei der Aufnahme, vor und nach Kontakten mit Besucherinnen oder Besuchern sowie vor und nach jeder Abwesenheit von der Anstalt eine mit einer Entkleidung verbundene körperliche Durchsuchung Gefangener durchzuführen ist, die Entkleidung im Einzelfall jedoch unterbleibt, wenn hierdurch die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt nicht gefährdet wird. Ansonsten ist eine solche Durchsuchung nur bei Gefahr im Verzug oder auf Anordnung der Anstaltsleitung im Einzelfall zulässig.
(3) Die Durchsuchung von männlichen Gefangenen darf nur von Männern, von weiblichen Gefangenen nur von Frauen durchgeführt werden. Entkleidungen erfolgen einzeln in einem geschlossenen Raum. Bei männlichen Gefangenen dürfen nur männliche Bedienstete und bei weiblichen Gefangenen nur weibliche Bedienstete zugegen sein. Die Untersuchung von Körperöffnungen darf nur durch den ärztlichen Dienst vorgenommen werden. Das Schamgefühl ist zu schonen.
§ 65
Maßnahmen zur Feststellung von Suchtmittelkonsum
(1) Zur Aufrechterhaltung der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt können allgemein oder im Einzelfall Maßnahmen angeordnet werden, die geeignet sind, den Missbrauch von Suchtmitteln festzustellen. Diese Maßnahmen dürfen nicht mit einem körperlichen Eingriff verbunden sein.
(2) Wird Suchtmittelmissbrauch festgestellt, können die Kosten der Maßnahmen den betroffenen Gefangenen auferlegt werden.
§ 66
Einsatz von Videotechnik
(1) Das Anstaltsgelände sowie das Innere der Anstaltsgebäude dürfen aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt mittels Videotechnik beobachtet werden.
(2) Die Beobachtung mittels Videotechnik ist durch geeignete Hinweise erkennbar zu machen.
(3) Bildaufzeichnungen sind spätestens zwei Wochen nach ihrer Erhebung zu löschen, soweit nicht ihre Speicherung aus den Gründen des § 109 Absatz 2 Nummer 1 bis 4 weiterhin erforderlich ist. Sie sind unverzüglich zu löschen, wenn schutzwürdige Interessen der Betroffenen einer weiteren Speicherung entgegenstehen.
(4) Die Beobachtung von Gefangenen in Hafträumen mittels Videotechnik erfolgt nur nach Maßgabe des § 69. Bildaufzeichnungen sind insoweit nicht zulässig.
§ 67
Maßnahmen zur Verhinderung unerlaubter Telekommunikation
Auf dem Gelände der Anstalt dürfen technische Geräte zur Feststellung und Verhinderung unerlaubter Telekommunikation eingerichtet und betrieben werden. Die Telekommunikation außerhalb des Geländes der Anstalten darf nicht beeinträchtigt werden.
§ 68
Erkennungsdienstliche Maßnahmen
(1) Zur Sicherung des Vollzuges, zur Aufrechterhaltung der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt oder zur Identitätsfeststellung sind mit Kenntnis der Gefangenen zulässig:
1. die Aufnahme von Lichtbildern,
2. die Feststellung äußerlicher körperlicher Merkmale,
3. Messungen und
4. die Erfassung biometrischer Merkmale von Fingern, Händen und Gesicht.
(2) Die gewonnenen erkennungsdienstlichen Unterlagen oder Daten werden zu den Gefangenenpersonalakten genommen oder in personenbezogenen Dateien gespeichert.
(3) Die nach Absatz 1 gewonnenen erkennungsdienstlichen Unterlagen und Daten dürfen nur für die in Absatz 1 und § 109 Absatz 2 Nummer 4 genannten Zwecke verarbeitet und verwendet werden. Sie dürfen außerdem den Vollstreckungs- und Strafverfolgungsbehörden übermittelt werden, soweit dies für Zwecke der Fahndung und Festnahme entwichener oder sich sonst ohne Erlaubnis außerhalb der Anstalt aufhaltender Gefangener erforderlich ist. Die Übermittlung der Unterlagen oder Daten an Polizeibehörden des Bundes oder der Länder ist zulässig, soweit dies zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für erhebliche Rechtsgüter innerhalb der Anstalt erforderlich ist.
(4) Gefangene, die nach Absatz 1 erkennungsdienstlich behandelt worden sind, können nach der Entlassung aus dem Vollzug verlangen, dass die gewonnenen erkennungsdienstlichen Unterlagen und Daten mit Ausnahme der zu den Gefangenenpersonalakten genommenen Lichtbilder und der Beschreibung von körperlichen Merkmalen vernichtet oder gelöscht werden, sobald die Vollstreckung der richterlichen Entscheidung, die dem Vollzug zugrunde gelegen hat, abgeschlossen ist. Sie sind über dieses Recht bei der erkennungsdienstlichen Behandlung und bei der Entlassung aufzuklären.
§ 69
Besondere Sicherungsmaßnahmen
(1) Gegen Gefangene können besondere Sicherungsmaßnahmen angeordnet werden, wenn nach ihrem Verhalten oder auf Grund ihres seelischen Zustandes in erhöhtem Maße die Gefahr der Entweichung, von Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen oder der Selbstverletzung besteht.
(2) Als besondere Sicherungsmaßnahmen sind zulässig:
1. der Entzug oder die Vorenthaltung von Gegenständen,
2. die Beobachtung von Gefangenen, auch mit technischen Hilfsmitteln,
3. die Trennung von anderen Gefangenen (Absonderung),
4. der Entzug oder die Beschränkung des Aufenthalts im Freien,
5. die Unterbringung in einem besonders gesicherten Haftraum ohne gefährdende Gegenstände und
6. die Fesselung oder Fixierung.
(3) Maßnahmen nach Absatz 2 Nummer 1 und 3 bis 5 sind auch zulässig, wenn die Gefahr einer Befreiung oder eine erhebliche Störung der Ordnung der Anstalt anders nicht abgewendet werden kann.
(4) Eine ununterbrochene Beobachtung von Gefangenen mittels Videotechnik ist nur in besonders gesicherten Hafträumen ohne gefährdende Gegenstände oder in dafür gesondert vorgesehenen Behandlungszimmern im Justizvollzugskrankenhaus zulässig, wenn dies im Einzelfall zur Abwehr von gegenwärtigen Gefahren für das Leben oder gegenwärtigen erheblichen Gefahren für die Gesundheit von Gefangenen oder Dritten erforderlich ist. Das Schamgefühl der Gefangenen ist zu schonen. Besonders gesicherte Hafträume ohne gefährdende Gegenstände dürfen nur im Ausnahmefall zusätzlich akustisch überwacht werden.
(5) Für die Dauer der seelsorglichen Betreuung sind die Beobachtung und die akustische Überwachung auf Verlangen der Seelsorgerinnen oder Seelsorger auszusetzen.
(6) Eine Absonderung von mehr als 24 Stunden Dauer ist nur zulässig, wenn sie zur Abwehr einer in der Person der Gefangenen liegenden Gefahr unerlässlich ist.
(7) Fesseln dürfen in der Regel nur an Händen oder Füßen angelegt werden. Bei Art und Umfang der Fesselung und Fixierung sind die Gefangenen zu schonen. Die Fesselung oder Fixierung ist unverzüglich zu lockern oder zu entfernen, sobald die Gefahr nicht mehr fortbesteht oder durch mildere Mittel abgewendet werden kann.
(8) Bei einer Ausführung, Vorführung oder beim Transport ist die Fesselung auch dann zulässig, wenn die Beaufsichtigung nicht ausreicht, eine Entweichung zu verhindern. Für die Beobachtung von Gefangenen mittels Videotechnik in Gefangenentransportfahrzeugen gelten die Absätze 1, 2 Nummer 2 und Absatz 4 entsprechend.
§ 70
Anordnung besonderer Sicherungsmaßnahmen, Verfahren
(1) Besondere Sicherungsmaßnahmen ordnet die Anstaltsleitung an. Bei Gefahr im Verzug können auch andere Bedienstete diese Maßnahmen vorläufig anordnen; die Entscheidung der Anstaltsleitung ist unverzüglich nachzuholen.
(2) Die an der Behandlung maßgeblich beteiligten Personen sind alsbald über die Anordnung zu unterrichten.
(3) Besondere Sicherungsmaßnahmen dürfen nur soweit aufrechterhalten werden, als es ihr Zweck erfordert.
(4) Den Gefangenen sollen besondere Sicherungsmaßnahmen zusammen mit der Anordnung erläutert werden. Bei einer Gefährdung der Sicherheit kann dies auch nachgeholt werden. Die Anordnung, Entscheidungen zur Fortdauer und die Durchführung der Maßnahmen einschließlich der Beteiligung des ärztlichen Dienstes sind zu dokumentieren.
(5) Besondere Sicherungsmaßnahmen nach § 69 Absatz 2 Nummer 5 und 6 sind der Aufsichtsbehörde unverzüglich mitzuteilen, wenn sie länger als drei Tage aufrechterhalten werden. Sind Gefangene in einem besonders gesicherten Haftraum ohne gefährdende Gegenstände untergebracht und fixiert, erfolgt die Mitteilung an die Aufsichtsbehörde nach Ablauf von 24 Stunden. Eine Absonderung von mehr als 30 Tagen Gesamtdauer in einem Jahr bedarf der Zustimmung der Aufsichtsbehörde. Auf Antrag der Gefangenen ist unverzüglich deren Verteidigerin oder deren Verteidiger zu benachrichtigen.
(6) Während der Absonderung oder der Unterbringung in einem besonders gesicherten Haftraum ohne gefährdende Gegenstände sind die Gefangenen in besonderem Maße zu betreuen. Sind die Gefangenen darüber hinaus fixiert, sind sie ständig und in unmittelbarem Sichtkontakt zu beobachten.
§ 71
Medizinische und psychologische Überwachung
(1) Werden die Gefangenen ärztlich behandelt oder beobachtet oder bildet ihr seelischer Zustand den Anlass der Maßnahme, ist vor Anordnung der besonderen Sicherungsmaßnahme eine ärztliche Stellungnahme einzuholen. Ist dies wegen Gefahr im Verzug nicht möglich, wird die Stellungnahme unverzüglich nachträglich eingeholt.
(2) Der medizinische und im Bedarfsfall der psychologische Dienst der Anstalt suchen Gefangene, die in einem besonders gesicherten Haftraum ohne gefährdende Gegenstände untergebracht, gefesselt oder fixiert sind, alsbald und in der Folgezeit möglichst täglich auf. Dies gilt nicht bei einer Fesselung während einer Ausführung, Vorführung oder eines Transports. Solange Gefangenen der tägliche Aufenthalt im Freien entzogen wird oder sie länger als 24 Stunden abgesondert sind, ist der ärztliche Dienst regelmäßig zu hören.
Abschnitt 13
Unmittelbarer Zwang
§ 72
Begriffsbestimmungen
(1) Unmittelbarer Zwang ist die Einwirkung auf Personen oder Sachen durch körperliche Gewalt, ihre Hilfsmittel und durch Waffen.
(2) Körperliche Gewalt ist jede unmittelbare körperliche Einwirkung auf Personen oder Sachen.
(3) Hilfsmittel der körperlichen Gewalt sind namentlich Fesseln.
(4) Waffen sind dienstlich zugelassene Hieb- und Schusswaffen sowie Reizstoffe.
§ 73
Allgemeine Voraussetzungen
(1) Zur rechtmäßigen Durchführung von Vollzugs- und Sicherungsmaßnahmen darf unmittelbarer Zwang angewendet werden, soweit der damit verfolgte Zweck auf keine andere Weise erreicht werden kann.
(2) Gegen andere Personen als Gefangene darf unmittelbarer Zwang angewendet werden, wenn sie es unternehmen, Gefangene zu befreien oder in den Anstaltsbereich widerrechtlich einzudringen, oder wenn sie sich unbefugt darin aufhalten.
(3) Das Recht zu unmittelbarem Zwang auf Grund anderer Regelungen bleibt unberührt.
§ 74
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
(1) Unter mehreren möglichen und geeigneten Maßnahmen des unmittelbaren Zwangs sind diejenigen zu wählen, die den Einzelnen und die Allgemeinheit voraussichtlich am wenigsten beeinträchtigen.
(2) Unmittelbarer Zwang unterbleibt, wenn ein durch ihn zu erwartender Schaden erkennbar außer Verhältnis zu dem angestrebten Erfolg steht.
§ 75
Androhung
Unmittelbarer Zwang ist vorher anzudrohen. Die Androhung darf nur dann unterbleiben, wenn die Umstände sie nicht zulassen oder unmittelbarer Zwang sofort angewendet werden muss, um die Begehung einer rechtswidrigen Tat, die den Tatbestand eines Strafgesetzes erfüllt, zu verhindern oder eine gegenwärtige Gefahr abzuwenden.
§ 76
Allgemeine Vorschriften für den Schusswaffengebrauch
(1) Schusswaffen dürfen nur gebraucht werden, wenn andere Maßnahmen des unmittelbaren Zwangs bereits erfolglos waren oder keinen Erfolg versprechen. Gegen Personen ist ihr Gebrauch nur zulässig, wenn der Zweck nicht durch Waffenwirkung gegen Sachen erreicht wird.
(2) Schusswaffen dürfen nur die dazu bestimmten Bediensteten gebrauchen und nur, um angriffs- oder fluchtunfähig zu machen. Ihr Gebrauch unterbleibt, wenn dadurch erkennbar Unbeteiligte mit hoher Wahrscheinlichkeit gefährdet würden.
(3) Der Gebrauch von Schusswaffen ist vorher anzudrohen. Als Androhung gilt auch ein Warnschuss. Ohne Androhung dürfen Schusswaffen nur dann gebraucht werden, wenn dies zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben erforderlich ist.
§ 77
Besondere Vorschriften für den Schusswaffengebrauch
(1) Gegen Gefangene dürfen Schusswaffen gebraucht werden,
1. wenn sie eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug trotz wiederholter Aufforderung nicht ablegen,
2. wenn sie eine Meuterei (§ 121 des Strafgesetzbuches) unternehmen oder
3. um ihre Flucht zu vereiteln oder sie wieder zu ergreifen.
(2) Um die Flucht aus dem offenen Vollzug zu vereiteln, dürfen Schusswaffen nicht gebraucht werden.
(3) Gegen andere Personen dürfen Schusswaffen gebraucht werden, wenn sie es unternehmen, Gefangene gewaltsam zu befreien oder gewaltsam in eine Anstalt einzudringen.
§ 78
Zwangsmaßnahmen zur Gefahrenabwehr auf dem Gebiet der Gesundheitsfürsorge
(1) Medizinische Untersuchung und Behandlung sowie Ernährung sind gegen den natürlichen Willen der Gefangenen nur bei gegenwärtiger Lebensgefahr sowie gegenwärtiger schwerwiegender Gefahr für die Gesundheit der Gefangenen oder anderer Personen zulässig, wenn die oder der Gefangene zur Einsicht in die Notwendigkeit der Maßnahme oder zum Handeln nach dieser Einsicht krankheitsbedingt nicht in der Lage ist. Maßnahmen nach Satz 1 dürfen nur angeordnet werden, wenn
1. erfolglos versucht worden ist, die Zustimmung der Gefangenen zu der Maßnahme zu erwirken,
2. die Anordnung der Maßnahme den Gefangenen angekündigt wurde und sie über Art, Umfang und Dauer der Maßnahme informiert wurden,
3. die Maßnahme zur Abwendung der Gefahr geeignet, in Art, Umfang und Dauer erforderlich und für die Beteiligten zumutbar ist,
4. der von der Maßnahme zu erwartende Nutzen die mit der Maßnahme verbundenen Belastungen deutlich überwiegt und
5. die Maßnahme nicht mit einer erheblichen Gefahr für das Leben der Gefangenen verbunden ist.
(2) Maßnahmen nach Absatz 1 Satz 1 werden ärztlich angeordnet, geleitet und überwacht. Die Anordnung erfolgt im Einvernehmen mit der Anstaltsleitung. Das Vorliegen der Voraussetzungen nach Absatz 1 und die ergriffenen Maßnahmen, einschließlich ihres Zwangscharakters, der Durchsetzungsweise und der Wirkungsüberwachung, sowie der Untersuchungs- und Behandlungsverlauf sind zu dokumentieren.
(3) Zur Gewährleistung des Gesundheitsschutzes und der Hygiene ist die zwangsweise körperliche Untersuchung der Gefangenen über Absatz 1 hinaus zulässig, wenn sie nicht mit einem körperlichen Eingriff verbunden ist. Duldungspflichten der Gefangenen nach Vorschriften anderer Gesetze bleiben unberührt.
Abschnitt 14
Disziplinarmaßnahmen
§ 79
Voraussetzungen, Konfliktregelung
(1) Verstoßen Gefangene schuldhaft gegen Pflichten, die ihnen durch oder auf Grund dieses Gesetzes auferlegt sind, können gegen sie Disziplinarmaßnahmen angeordnet werden. Disziplinarmaßnahmen sind auch zulässig, wenn wegen derselben Verfehlung ein Straf- oder Bußgeldverfahren eingeleitet wird.
(2) Von einer Disziplinarmaßnahme wird abgesehen, wenn es genügt, die Gefangenen zu verwarnen.
(3) Zur Abwendung oder Milderung von Disziplinarmaßnahmen können im Wege einvernehmlicher Streitbeilegung Vereinbarungen getroffen werden, die insbesondere die Wiedergutmachung des Schadens, die Entschuldigung bei Geschädigten oder die Erbringung von Leistungen für die Gemeinschaft zum Inhalt haben können.
§ 80
Disziplinarmaßnahmen
(1) Als Disziplinarmaßnahmen sind zulässig:
1. Verweis,
2. Beschränkung oder Entzug der Verfügung über das Hausgeld und des Einkaufs bis zu vier Wochen,
3. Beschränkung oder Entzug der Teilnahme an gemeinsamen Veranstaltungen bis zu sechs Wochen,
4. getrennte Unterbringung während der Freizeit bis zu vier Wochen,
5. Beschränkung oder Entzug des Besitzes von Gegenständen mit Ausnahme des Lesestoffs bis zu vier Wochen,
6. Beschränkung oder Entzug des Hörfunk- oder Fernsehempfangs bis zu sechs Wochen und
7. Arrest bis zu vier Wochen.
(2) Arrest darf nur wegen schwerer oder mehrfach wiederholter Verfehlungen verhängt werden.
(3) Mehrere Disziplinarmaßnahmen können miteinander verbunden werden.
§ 81
Verfahren
(1) Der Sachverhalt ist zu klären. Hierbei sind sowohl belastende als auch entlastende Umstände zu ermitteln. Die Gefangenen werden gehört. Sie werden darüber unterrichtet, welche Verfehlungen ihnen zur Last gelegt werden. Sie sind darauf hinzuweisen, dass es ihnen freisteht sich zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen. Die Äußerungen der Gefangenen und die Ergebnisse der Ermittlungen sind zu dokumentieren.
(2) Disziplinarmaßnahmen ordnet die Anstaltsleitung an. Die Aufsichtsbehörde entscheidet, wenn sich die Verfehlung Gefangener gegen die Anstaltsleiterin oder den Anstaltsleiter richtet. Bei einer Verfehlung der Gefangenen auf dem Weg in eine andere Anstalt ist die Anstaltsleitung der Bestimmungsanstalt zuständig.
(3) Die Anstaltsleitung soll sich bei schweren Verstößen vor der Entscheidung in einer Konferenz mit Personen besprechen, die maßgeblich an der Behandlung der Gefangenen mitwirken.
(4) Vor der Anordnung einer Disziplinarmaßnahme gegen Gefangene, die sich in medizinischer Behandlung befinden, oder gegen eine Schwangere oder eine Gefangene, die unlängst entbunden hat, ist der ärztliche Dienst zu hören.
(5) Disziplinarmaßnahmen sollen in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit der Pflichtverletzung angeordnet werden. Mehrere Verfehlungen, die gleichzeitig zu beurteilen sind, werden durch eine Entscheidung geahndet.
(6) Die tragenden Gründe der Entscheidung werden schriftlich abgefasst und den Gefangenen mündlich eröffnet. Auf Verlangen ist den Gefangenen die schriftliche Begründung auszuhändigen.
§ 82
Vollzug der Disziplinarmaßnahmen
(1) Disziplinarmaßnahmen werden in der Regel sofort vollstreckt. Die Vollstreckung ist auszusetzen, soweit es zur Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes erforderlich ist.
(2) Disziplinarmaßnahmen können ganz oder teilweise bis zu sechs Monaten zur Bewährung ausgesetzt werden. Die Aussetzung zur Bewährung kann ganz oder teilweise widerrufen werden, wenn die Gefangenen erneut gegen Pflichten verstoßen.
(3) Wird die Verfügung über das Hausgeld beschränkt oder entzogen (§ 80 Absatz 1 Nummer 2), wird das in dieser Zeit anfallende Hausgeld dem Überbrückungsgeld hinzugerechnet.
(4) Bevor Arrest (§ 80 Absatz 1 Nummer 7) vollzogen wird, ist der ärztliche Dienst zu hören. Während des Arrestes stehen Gefangene unter ärztlicher Aufsicht. Der Arrest unterbleibt oder wird unterbrochen, wenn ansonsten die Gesundheit der Gefangenen gefährdet würde.
(5) Für die Dauer des Arrestes werden die Gefangenen abgesondert. Sie können in einem besonderen Arrestraum untergebracht werden, der den Anforderungen entsprechen muss, die an einen zum Aufenthalt bei Tag und Nacht bestimmten Haftraum gestellt werden. Soweit nichts anderes angeordnet ist, ruhen die Befugnisse der Gefangenen zur Beschäftigung, zur Teilnahme an Gemeinschaftsveranstaltungen, zum Einkauf, zum Fernsehempfang, zur Ausstattung des Haftraums mit persönlichen Gegenständen und zum Besitz persönlicher Gegenstände. Der Zugang zu Büchern, Zeitungen und Zeitschriften ist zu ermöglichen. Die Rechte zur Teilnahme an unaufschiebbaren Behandlungsmaßnahmen, zur Teilnahme am Gottesdienst und zum Aufenthalt im Freien nach § 43 Absatz 2 bleiben unberührt.
(6) Disziplinarmaßnahmen, die gegen Gefangene in einer anderen Anstalt oder während des Vollzuges von Untersuchungshaft angeordnet worden sind, werden auf Ersuchen vollstreckt. Absatz 2 bleibt unberührt.
Abschnitt 15
Aufhebung von Maßnahmen, Beschwerderecht
§ 83
Widerruf, Rücknahme
(1) Die Aufhebung von Maßnahmen zur Regelung einzelner Angelegenheiten auf dem Gebiet des Vollzuges der Freiheitsstrafe richtet sich nach den nachfolgenden Absätzen, soweit dieses Gesetz keine abweichende Bestimmung enthält.
(2) Rechtswidrige Maßnahmen können ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder die Vergangenheit zurückgenommen werden.
(3) Rechtmäßige Maßnahmen können ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden, wenn
1. auf Grund nachträglich eingetretener oder bekannt gewordener Umstände die Maßnahmen hätten unterbleiben können,
2. die Maßnahmen missbraucht werden oder
3. Weisungen nicht befolgt werden.
(4) Begünstigende Maßnahmen nach den Absätzen 2 oder 3 dürfen nur aufgehoben werden, wenn das Interesse an der Aufhebung das schutzwürdige Vertrauen der Betroffenen auf den Bestand der Maßnahmen überwiegt.
§ 84
Beschwerderecht
Die Gefangenen erhalten Gelegenheit, sich mit Wünschen, Anregungen und Beschwerden in Angelegenheiten, die sie selbst betreffen, an die Anstaltsleitung oder die von ihr beauftragten Personen zu wenden. Die Möglichkeit, sich an die Justizvollzugsbeauftragte oder den Justizvollzugsbeauftragten des Landes Nordrhein-Westfalen zu wenden, bleibt unberührt.
Abschnitt 16
Besondere Vorschriften für den Frauenstrafvollzug
§ 85
Trennungsgrundsatz
Weibliche Gefangene werden getrennt von männlichen Gefangenen in besonderen Anstalten oder Abteilungen einer Anstalt untergebracht. Die gemeinsame Teilnahme an Behandlungsmaßnahmen, Maßnahmen zur schulischen und beruflichen Bildung und kulturellen oder religiösen Veranstaltungen außerhalb der Hafträume ist zulässig.
§ 86
Schwangerschaft, Mutterschaft, Geburtsanzeige
(1) Die Anstalt soll im Benehmen mit den Justizbehörden und dem Jugendamt die Entlassung der Gefangenen aus der Haft vor oder unmittelbar nach der Geburt anstreben.
(2) Auf den Zustand einer Schwangeren oder einer Gefangenen, die unlängst entbunden hat, ist Rücksicht zu nehmen. Die Vorschriften des Mutterschutzgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 20. Juni 2002 (BGBl. I S. 2318) in der jeweils geltenden Fassung gelten entsprechend.
(3) Bei Schwangerschaft und Entbindung hat die Gefangene Anspruch auf medizinische Behandlung und Hebammenhilfe in der Anstalt. Zur medizinischen Behandlung während der Schwangerschaft gehören auch Untersuchungen zur Feststellung der Schwangerschaft und Vorsorgeuntersuchungen.
(4) Ist eine medizinische Behandlung in einem Krankenhaus wegen gravierender Schwangerschaftsbeschwerden während einer vollzugsöffnenden Maßnahme nach § 53 Absatz 2 erforderlich, trägt die Anstalt die Kosten, wenn der Gefangenen die Rückkehr in die Anstalt nicht zuzumuten ist und die Gefangene Ansprüche aus einer Krankenversicherung nicht geltend machen kann.
(5) Zur Entbindung ist die Schwangere in ein Krankenhaus außerhalb des Vollzuges zu bringen.
(6) Entbindet die Gefangene in einer Anstalt, dürfen in der Anzeige der Geburt an das Standesamt die Anstalt als Geburtsstätte des Kindes, das Verhältnis der anzeigenden Person zur Anstalt und die Inhaftierung der Mutter nicht vermerkt sein.
§ 87
Gefangene mit Kindern
(1) Ist das Kind einer Gefangenen noch nicht schulpflichtig, so kann es mit Zustimmung der aufenthaltsbestimmungsberechtigten Person in einer Mutter-Kind-Abteilung einer Anstalt aufgenommen werden, wenn die Gefangene für die Unterbringung dort geeignet ist, ein Platz für sie und ihr Kind zur Verfügung steht und dies dem Wohl des Kindes dient. Vor der Aufnahme ist das Jugendamt zu hören.
(2) Die Kosten der Unterbringung des Kindes einschließlich der Gesundheitsfürsorge trägt die oder der zum Unterhalt des Kindes Verpflichtete. Von der Erhebung der Kosten kann abgesehen werden, wenn hierdurch die gemeinsame Unterbringung der Gefangenen und ihres Kindes gefährdet würde.
(3) Ist das Kind in ein Krankenhaus außerhalb des Vollzuges zu bringen, kann gestattet werden, dass die Gefangene das Kind begleitet, wenn dies medizinisch erforderlich ist.
Abschnitt 17
Sozialtherapeutische Einrichtungen
§ 88
Sozialtherapeutische Einrichtungen
(1) Sozialtherapeutische Behandlung wird in getrennten sozialtherapeutischen Anstalten oder in besonderen Abteilungen sonstiger Anstalten (sozialtherapeutische Einrichtungen) vollzogen.
(2) Der Vollzug erfolgt in überschaubaren Wohngruppen, deren Ausgestaltung an den Grundsätzen sozialtherapeutischer Behandlung auszurichten ist. Die Wohngruppen werden jeweils durch eine Mitarbeiterin oder einen Mitarbeiter des Sozialen Dienstes, eine Psychologin oder einen Psychologen und fest zugeordnete Bedienstete des allgemeinen Vollzugsdienstes betreut. Die Diagnostik soll durch Personen erfolgen, die nicht an der therapeutischen Betreuung der Gefangenen beteiligt sind.
§ 89
Langzeitausgang zur Vorbereitung der Entlassung
(1) Gefangenen kann zur Vorbereitung der Entlassung aus einer sozialtherapeutischen Einrichtung Langzeitausgang bis zu sechs Monaten gewährt werden, insbesondere wenn ihre Unterkunft gesichert, ein Arbeits- oder Weiterbildungsplatz vorhanden und das soziale Umfeld für ihre Eingliederung förderlich ist. § 53 Absatz 1 und 4 bis 7 gilt entsprechend.
(2) Gefangenen sollen für den Langzeitausgang Weisungen (§ 57) erteilt werden. Sie sollen insbesondere angewiesen werden, sich einer von der Einrichtung bestimmten Betreuungsperson zu unterstellen und für eine bestimmte Zeit in die sozialtherapeutische Einrichtung zurückzukehren.
(3) Der Langzeitausgang wird widerrufen, wenn dies aus Gründen der Behandlung der Gefangenen erforderlich ist. § 83 bleibt unberührt.
§ 90
Nachgehende Betreuung, Aufnahme auf freiwilliger Grundlage
(1) Die sozialtherapeutischen Einrichtungen sollen nach Entlassung der Gefangenen die in der Einrichtung begonnene Betreuung und Behandlung auf Antrag der Gefangenen vorübergehend fortführen, wenn das Ziel der früheren Behandlung gefährdet ist und die Betreuung nicht anderweitig sichergestellt werden kann.
(2) Die nachgehende Betreuung kann in sozialtherapeutischen Nachsorgeambulanzen in den sozialtherapeutischen Einrichtungen durchgeführt werden.
(3) Eine vorübergehende Aufnahme auf freiwilliger Grundlage nach der Entlassung der Gefangenen ist zulässig, wenn das Ziel der vorangegangenen Behandlung ansonsten gefährdet ist. § 62 Absatz 1 Satz 2 und 3 und Absatz 2 bis 4 gilt entsprechend.
Abschnitt 18
Besondere Vorschriften über den Vollzug der Freiheitsstrafe bei angeordneter,
vorbehaltener oder nachträglicher Sicherungsverwahrung
§ 91
Ziele des Vollzuges
Bei angeordneter oder vorbehaltener Sicherungsverwahrung dient der Vollzug der Freiheitsstrafe auch dem Ziel, die Gefahren, die von den Gefangenen für die Allgemeinheit ausgehen, so zu mindern, dass die Vollstreckung der Unterbringung oder deren Anordnung entbehrlich wird. Ist eine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nachträglich angeordnet worden (§§ 66c Absatz 2, 66b des Strafgesetzbuches) oder droht eine solche Anordnung (Artikel 316e, 316f Absatz 2 des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch vom 2. März 1974 (BGBl. I S. 469; 1975 I S. 1916; 1976 I S. 507) in der jeweils geltenden Fassung), gilt Satz 1 entsprechend.
§ 92
Gestaltung des Vollzuges
(1) Den Gefangenen ist unverzüglich eine individuelle, intensive und therapiegerichtete Betreuung im Sinne von § 66c Absatz 1 Nummer 1 des Strafgesetzbuches anzubieten. §§ 9 bis 11 des Sicherungsverwahrungsvollzugsgesetzes Nordrhein-Westfalen vom 30. April 2013 (GV. NRW. S. 212) in der jeweils geltenden Fassung gelten entsprechend. In den Vollzugsplan und seine Fortschreibungen ist gesondert aufzunehmen, ob standardisierte Angebote ausreichen oder individuell zugeschnittene Behandlungsangebote notwendig sind und wahrgenommen werden.
(2) Die Bereitschaft der Gefangenen, an der Erreichung der Vollzugsziele mitzuwirken, ist fortwährend zu wecken und zu fördern. Die Motivationsmaßnahmen sind zu dokumentieren.
(3) Gefangene sind abweichend von § 13 in sozialtherapeutische Einrichtungen zu verlegen, wenn ihre Teilnahme an den dortigen Behandlungsprogrammen zur Verringerung der Gefahren, die von ihnen für die Allgemeinheit ausgehen, angezeigt ist. Die Verlegung erfolgt im Benehmen mit der aufnehmenden Einrichtung. Die Gefangenen sollen so frühzeitig verlegt werden, dass ein Abschluss der Behandlung noch während des Vollzuges der Freiheitsstrafe zu erwarten ist.
(4) §§ 89, 90 gelten entsprechend.
(5) Die vorzusehenden Bediensteten (§ 96 Absatz 2) sollen für die Betreuung und Behandlung von Gefangenen mit angeordneter oder vorbehaltener Sicherungsverwahrung besonders geeignet und qualifiziert sein. Eine fachübergreifende Zusammenarbeit und die erforderliche Einbeziehung externer Fachkräfte sind zu gewährleisten.
(6) Ist die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nachträglich angeordnet oder droht eine solche Anordnung, gelten die Absätze 1 bis 5 entsprechend.
(7) Wird gegen Gefangene im Anschluss an die Strafhaft die Sicherungsverwahrung vollzogen, werden die Guthaben der Gefangenen übertragen. Haben die Gefangenen während des Vollzuges der Freiheitsstrafe Freistellungstage nach § 34 Absatz 1 Satz 1 erworben, wird ihnen eine Ausgleichsentschädigung nach § 34 Absatz 3 schon bei Antritt der Sicherungsverwahrung zum Eigengeld gutgeschrieben.
Abschnitt 19
Anstalten
§ 93
Organisation der Anstalten
(1) Freiheitsstrafen werden in Anstalten der Landesjustizverwaltung vollzogen, die entsprechend ihrem Zweck und den Erfordernissen eines behandlungsorientierten Strafvollzuges auszugestalten sind und eine auf die unterschiedlichen Bedürfnisse der Gefangenen abgestimmte Behandlung gewährleisten.
(2) Für den Vollzug der Freiheitsstrafe sind Haftplätze in verschiedenen Anstalten oder Abteilungen vorzusehen, die eine dem Vollzugsziel entsprechende Behandlungsdifferenzierung ermöglichen. Neben Anstalten des geschlossenen Vollzuges sind solche des offenen Vollzuges einzurichten; in Anstalten des geschlossenen Vollzuges können Abteilungen des offenen Vollzuges eingerichtet werden.
(3) Es ist eine bedarfsgerechte Anzahl und Ausstattung von Plätzen, insbesondere für therapeutische Maßnahmen, für Maßnahmen der Beschäftigung, Freizeit, Sport, Seelsorge und Besuche, vorzusehen. Gemeinschafts- und Besuchsräume sind wohnlich und zweckentsprechend auszustatten.
(4) Anstalten sollen so gegliedert werden, dass Gefangene in überschaubaren Betreuungs- und Behandlungsgruppen zusammengefasst werden können.
(5) Die Einrichtung von Wohngruppen in baulich abgegrenzten Bereichen soll ermöglicht werden. Die Wohngruppen sollen von fest zugeordneten Bediensteten betreut werden.
§ 94
Arbeitsbetriebe, Einrichtungen zur schulischen und beruflichen Bildung
(1) In den Anstalten sind Arbeitsbetriebe sowie Einrichtungen zur schulischen und beruflichen Bildung und zur arbeitstherapeutischen Beschäftigung in ausreichendem Umfang vorzusehen.
(2) Die Arbeitsbetriebe und Einrichtungen sind den Verhältnissen außerhalb der Anstalten anzugleichen. Die Arbeitsschutz- und Unfallverhütungsvorschriften sind zu beachten.
(3) Bildung und Beschäftigung können auch in geeigneten Einrichtungen privater Unternehmen erfolgen. In den von privaten Unternehmen unterhaltenen Betrieben und sonstigen Einrichtungen kann die technische und fachliche Leitung Angehörigen dieser Unternehmen übertragen werden.
§ 95
Festsetzung der Belegungsfähigkeit, Verbot der Überbelegung
(1) Die Aufsichtsbehörde setzt die Belegungsfähigkeit unter Berücksichtigung von § 14 Absatz 1 und § 93 Absatz 3 für jede Anstalt fest.
(2) Hafträume dürfen nicht mit mehr Personen als zugelassen belegt werden. Ausnahmen hiervon sind nur vorübergehend aus zwingenden Gründen zulässig und sind zu dokumentieren.
Abschnitt 20
Innerer Aufbau, Personal, Aufsicht
§ 96
Bedienstete
(1) Die Aufgaben der Anstalten werden von Vollzugsbeamtinnen und Vollzugsbeamten wahrgenommen. Aus besonderen Gründen können sie auch anderen Bediensteten der Anstalten sowie nebenamtlichen oder vertraglich verpflichteten Personen übertragen werden.
(2) Für jede Anstalt ist die erforderliche Anzahl von geeigneten und fachlich qualifizierten Bediensteten, insbesondere des medizinischen, pädagogischen, psychologischen und sozialen Dienstes, des allgemeinen Vollzugsdienstes, des Verwaltungsdienstes, des Werkdienstes sowie der Seelsorge, vorzusehen. Die Bediensteten werden fortgebildet und erhalten Praxisberatung und -begleitung sowie Gelegenheit zur Supervision.
(3) Die Zahl der Fachkräfte für sozialtherapeutische Einrichtungen ist so zu bemessen, dass eine nachgehende Betreuung früherer Gefangener gemäß §§ 90, 92 ermöglicht werden kann.
§ 97
Anstaltsleitung
(1) Für jede Anstalt ist eine Beamtin oder ein Beamter des höheren Dienstes zur hauptamtlichen Leiterin oder zum hauptamtlichen Leiter zu bestellen. Aus besonderen Gründen kann eine Anstalt auch von einer Beamtin oder einem Beamten des gehobenen Dienstes geleitet werden.
(2) Die Anstaltsleitung vertritt die Anstalt nach außen und trägt die Verantwortung für den gesamten Vollzug. Im Innenverhältnis kann sie die Verantwortung für bestimmte Aufgabenbereiche auf andere Bedienstete übertragen.
(3) Die Befugnis, die Durchsuchung nach § 64 Absatz 2, die besonderen Sicherungsmaßnahmen nach § 69 und die Disziplinarmaßnahmen nach § 80 anzuordnen, darf nur mit Zustimmung der Aufsichtsbehörde übertragen werden.
§ 98
Seelsorge
(1) Seelsorgerinnen und Seelsorger werden im Einvernehmen mit der jeweiligen Religionsgemeinschaft im Hauptamt bestellt oder vertraglich verpflichtet.
(2) Wenn die geringe Zahl der Angehörigen einer Religionsgemeinschaft eine Seelsorge nach Absatz 1 nicht rechtfertigt, ist die seelsorgliche Betreuung auf andere Weise zuzulassen.
(3) Mit Zustimmung der Anstaltsleitung dürfen sich die Seelsorgerinnen und Seelsorger freier Seelsorgehelferinnen und Seelsorgehelfer bedienen und für Gottesdienste sowie für andere religiöse Veranstaltungen Seelsorgerinnen oder Seelsorger von außen hinzuziehen.
§ 99
Medizinische Versorgung
(1) Die ärztliche Versorgung ist durch hauptamtliche Ärztinnen oder Ärzte sicherzustellen. Sie kann aus besonderen Gründen nebenamtlichen oder vertraglich verpflichteten Ärztinnen oder Ärzten übertragen werden.
(2) Die Pflege erkrankter Gefangener soll von Krankenpflegekräften im Sinne des Krankenpflegegesetzes vom 16. Juli 2003 (BGBl. I S. 1442) in der jeweils geltenden Fassung ausgeübt werden. Stehen solche Kräfte nicht zur Verfügung, können Bedienstete des Vollzuges oder sonstige Kräfte eingesetzt werden, soweit sie eine entsprechende Qualifikation besitzen.
§ 100
Konferenzen
Zur Aufstellung und Überprüfung des Vollzugsplans sowie zur Vorbereitung anderer wichtiger Entscheidungen im Vollzug, insbesondere bei erstmaliger Gewährung von vollzugsöffnenden Maßnahmen, Verlegung in den offenen Vollzug oder bei Maßnahmen zur Entlassungsvorbereitung, führt die Anstaltsleitung Konferenzen mit den an der Behandlung maßgeblich Beteiligten durch. § 5 gilt entsprechend. Das Konferenzergebnis und die tragenden Gründe der jeweiligen Entscheidung sind zu dokumentieren.
§ 101
Gefangenenmitverantwortung
Gefangenen wird ermöglicht, eine Vertretung zu wählen. Diese kann in Angelegenheiten von gemeinsamem Interesse, die sich ihrer Eigenart und der Aufgabe der Anstalt nach für eine Mitwirkung eignen, der Anstaltsleitung Vorschläge und Anregungen unterbreiten. Diese sollen mit der Vertretung erörtert werden.
§ 102
Hausordnung
Die Anstaltsleitung erlässt eine Hausordnung. Diese informiert in verständlicher Form namentlich über die Rechte und Pflichten der Gefangenen und enthält Erläuterungen zur Organisation des Besuchs, zur Arbeitszeit, Freizeit und Ruhezeit sowie Hinweise zu den Möglichkeiten, Anträge und Beschwerden anzubringen.
§ 103
Aufsichtsbehörde
(1) Das Justizministerium führt die Aufsicht über die Anstalten und sichert gemeinsam mit ihnen die Qualität des Vollzuges.
(2) An der Aufsicht über die Fachdienste sind eigene Fachkräfte zu beteiligen. Soweit die Aufsichtsbehörde nicht über eigene Fachkräfte verfügt, ist fachliche Beratung sicherzustellen.
(3) Entscheidungen über Verlegungen können einer zentralen Stelle übertragen werden.
§ 104
Vollstreckungsplan, Einweisungsverfahren
(1) Die örtliche und sachliche Zuständigkeit der Anstalten wird durch die Aufsichtsbehörde in einem Vollstreckungsplan nach allgemeinen Merkmalen geregelt.
(2) Der Vollstreckungsplan bestimmt insbesondere, welche Anstalten und Abteilungen sozialtherapeutische Einrichtungen oder solche des offenen Vollzuges sind. Ferner legt er fest, welche Gefangenen zunächst einer Einweisungsanstalt oder Einweisungsabteilung zuzuführen sind und inwieweit Gefangene, die sich freiwillig zum Strafantritt stellen, zunächst bis zum Abschluss der Behandlungsuntersuchung in eine Anstalt oder Abteilung des offenen Vollzuges aufzunehmen sind.
Abschnitt 21
Beiräte
§ 105
Aufgaben der Beiräte
(1) Bei den Anstalten sind Beiräte zu bilden. Bedienstete dürfen nicht Mitglieder der Beiräte sein. Bestellung, Amtszeit und Abberufung der Mitglieder regelt die Aufsichtsbehörde.
(2) Die Mitglieder der Beiräte wirken bei der Gestaltung des Vollzuges und bei der Betreuung der Gefangenen mit. Sie unterstützen die Anstaltsleitung durch Anregungen und Verbesserungsvorschläge und helfen bei der Eingliederung der Gefangenen nach der Entlassung.
§ 106
Befugnisse
(1) Die Mitglieder der Beiräte können namentlich Wünsche, Anregungen und Beanstandungen von Gefangenen und Bediensteten entgegennehmen. Sie können die Anstalt und ihre Einrichtungen besichtigen sowie sich über die Unterbringung, Beschäftigung, berufliche Bildung, Verpflegung, medizinische Versorgung und Behandlung unterrichten.
(2) Die Mitglieder der Beiräte können die Gefangenen in ihren Räumen aufsuchen. Aussprache und Schriftwechsel mit ihnen werden nicht überwacht.
§ 107
Pflicht zur Verschwiegenheit
Die Mitglieder der Beiräte sind verpflichtet, außerhalb ihres Amtes über alle Angelegenheiten, die vertraulich sind, insbesondere über Namen und Persönlichkeit der Gefangenen, Verschwiegenheit zu bewahren. Dies gilt auch nach Beendigung ihres Amtes.
Abschnitt 22
Datenschutz
§ 108
Datenerhebung
(1) Die Vollzugsbehörde darf personenbezogene Daten erheben, soweit deren Kenntnis für die ihr nach diesem Gesetz obliegenden Aufgaben erforderlich ist.
(2) Personenbezogene Daten sind bei den Betroffenen zu erheben. Für die Erhebung ohne Kenntnis der Betroffenen, die Erhebung bei anderen Personen oder Stellen und für die Hinweis- und Aufklärungspflichten gilt § 12 des Datenschutzgesetzes Nordrhein-Westfalen in der Fassung der Bekanntmachung vom 9. Juni 2000 (GV. NRW. S. 452) in der jeweils geltenden Fassung.
(3) Daten über Personen, die nicht Gefangene sind, dürfen ohne ihre Mitwirkung bei Personen oder Stellen außerhalb der Vollzugsbehörde nur erhoben werden, wenn sie für die Behandlung der Gefangenen, die Sicherheit der Anstalt oder die Sicherung des Vollzuges einer Freiheitsstrafe unerlässlich sind und die Art der Erhebung schutzwürdige Interessen der Betroffenen nicht beeinträchtigt.
(4) Über eine ohne ihre Kenntnis vorgenommene Erhebung personenbezogener Daten werden die Betroffenen unter Angabe dieser Daten unterrichtet, soweit der in Absatz 1 genannte Zweck dadurch nicht gefährdet wird. Unterbleibt die Unterrichtung nach Satz 1, ist sie nachzuholen, sobald der in Absatz 1 genannte Zweck nicht mehr gefährdet ist. Sind die Daten bei anderen Personen oder Stellen erhoben worden, kann die Unterrichtung unterbleiben, wenn
1. die Daten nach einer Rechtsvorschrift oder ihrem Wesen nach, namentlich wegen des überwiegenden berechtigten Interesses Dritter, geheim gehalten werden müssen oder
2. der Aufwand der Unterrichtung außer Verhältnis zum Schutzzweck steht und keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass überwiegende schutzwürdige Interessen der Betroffenen beeinträchtigt werden.
§ 109
Verarbeitung
(1) Die Vollzugsbehörde darf personenbezogene Daten verarbeiten, soweit dies für die ihr nach diesem Gesetz obliegenden Aufgaben erforderlich ist, eine andere Rechtsvorschrift dies für den Geltungsbereich dieses Gesetzes ausdrücklich erlaubt oder die Betroffenen eingewilligt haben. Gefangenenpersonalakten, Gesundheitsakten oder sonstige Akten können auch elektronisch geführt werden. Die Vollzugsbehörde kann Gefangene aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt verpflichten, einen Ausweis mit sich zu führen, der mit einem Lichtbild zu versehen oder elektronisch lesbar ist.
(2) Die Verarbeitung personenbezogener Daten für andere Zwecke ist zulässig, soweit dies
1. zur Abwehr von sicherheitsgefährdenden oder geheimdienstlichen Tätigkeiten für eine fremde Macht oder von Bestrebungen im Geltungsbereich des Grundgesetzes, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen
a) gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind,
b) eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziel haben oder
c) auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden,
2. zur Abwehr erheblicher Nachteile für das Gemeinwohl oder einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit,
3. zur Abwehr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der Rechte einer anderen Person,
4. zur Verhinderung oder Verfolgung von Straftaten sowie zur Verhinderung oder Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten, durch welche die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt gefährdet wird, oder
5. für Maßnahmen der Strafvollstreckung oder strafvollstreckungsrechtliche Entscheidungen
erforderlich ist.
(3) Eine Verarbeitung für andere Zwecke liegt nicht vor, soweit sie dem gerichtlichen Rechtsschutz im Zusammenhang mit diesem Gesetz oder den in § 13 Absatz 3 des Datenschutzgesetzes Nordrhein-Westfalen genannten Zwecken dient.
(4) Über die in den Absätzen 1 und 2 geregelten Zwecke hinaus dürfen zuständigen öffentlichen Stellen personenbezogene Daten übermittelt werden, soweit dies für
1. Maßnahmen des ambulanten Sozialen Dienstes der Justiz und der Jugendgerichtshilfe,
2. Entscheidungen in Gnadensachen,
3. gesetzlich angeordnete Statistiken der Rechtspflege,
4. die Einleitung von Hilfsmaßnahmen für Angehörige (§ 11 Absatz 1 Nummer 1 des Strafgesetzbuches) der Gefangenen,
5. sozialrechtliche Maßnahmen,
6. dienstliche Maßnahmen der Bundeswehr im Zusammenhang mit der Aufnahme und Entlassung von Soldatinnen und Soldaten,
7. ausländerrechtliche Maßnahmen oder
8. die Durchführung der Besteuerung
erforderlich ist. Eine Übermittlung für andere Zwecke ist auch zulässig, soweit eine andere gesetzliche Vorschrift dies vorsieht und sich dabei ausdrücklich auf personenbezogene Daten von Gefangenen bezieht.
(5) Erhält die Vollzugsbehörde davon Kenntnis, dass Gefangene von öffentlichen Stellen Leistungen beziehen oder bei öffentlichen Stellen Leistungen beantragt haben, die für die Dauer des Vollzuges entfallen oder sich mindern, hat sie die Leistungsträger unverzüglich darüber zu unterrichten, dass und seit wann sich die betroffenen Gefangenen im Vollzug befinden, sofern sie die Unterrichtung trotz einer Aufforderung der Vollzugsbehörde nicht unverzüglich selbst vornehmen. Den betroffenen Gefangenen ist eine Abschrift der Mitteilung auszuhändigen.
(6) Eigengeld und sonstiges Vermögen der Gefangenen, das der Anstalt bekannt ist, sind der mit der Geltendmachung der im Strafverfahren entstandenen Kosten befassten Vollstreckungsbehörde und der Gerichtskasse anzuzeigen, sobald Gefangene über pfändbares Vermögen verfügen. Den betroffenen Gefangenen ist eine Abschrift der Mitteilung auszuhändigen.
(7) Öffentlichen und nicht öffentlichen Stellen darf die Vollzugsbehörde auf schriftlichen Antrag mitteilen, ob sich eine Person in Haft befindet sowie ob und wann ihre Entlassung voraussichtlich innerhalb eines Jahres bevorsteht, soweit
1. die Mitteilung zur Erfüllung der in der Zuständigkeit der öffentlichen Stelle liegenden Aufgaben erforderlich ist oder
2. von nicht öffentlichen Stellen ein berechtigtes Interesse an dieser Mitteilung glaubhaft dargelegt wird und die Gefangenen kein schutzwürdiges Interesse an dem Ausschluss der Übermittlung haben.
Die Gefangenen werden vor der Mitteilung gehört, soweit dadurch nicht die Verfolgung des Interesses der Antragstellerinnen und Antragsteller vereitelt oder wesentlich erschwert wird und eine Abwägung ergibt, dass das Interesse der Antragstellerinnen und Antragsteller das Interesse der Gefangenen an ihrer vorherigen Anhörung überwiegt. Ist die Anhörung unterblieben, werden die betroffenen Gefangenen über die Mitteilung der Vollzugsbehörde nachträglich unterrichtet.
(8) Soweit die Übermittlung der darin enthaltenen Daten zulässig ist, dürfen Akten mit personenbezogenen Daten nur anderen Vollzugsbehörden, den zur Dienst- oder Fachaufsicht oder zu dienstlichen Weisungen befugten Stellen, den für strafvollzugs-, strafvollstreckungs- und strafrechtliche Entscheidungen zuständigen Gerichten sowie den Strafvollstreckungs- und Strafverfolgungsbehörden überlassen werden; die Überlassung an andere öffentliche Stellen ist zulässig, soweit die Erteilung einer Auskunft einen unvertretbaren Aufwand erfordert oder nach Darlegung der Akteneinsicht begehrenden Stellen für die Erfüllung der Aufgabe nicht ausreicht. Entsprechendes gilt für die Überlassung von Akten an die von der Vollzugsbehörde mit Gutachten beauftragten Stellen.
(9) Sind mit personenbezogenen Daten, die nach den Absätzen 1, 2, 4 oder 6 übermittelt werden dürfen, weitere personenbezogene Daten der Betroffenen oder Dritter in Akten so verbunden, dass eine Trennung nicht oder nur mit unvertretbarem Aufwand möglich ist, so ist die Übermittlung auch dieser Daten zulässig, soweit nicht berechtigte Interessen der Betroffenen oder Dritter an deren Geheimhaltung offensichtlich überwiegen. Eine Verarbeitung dieser Daten durch die Empfängerinnen oder Empfänger ist unzulässig; hierauf muss bei der Übermittlung der Daten hingewiesen werden.
(10) Bei der Überwachung der Besuche oder des Schriftwechsels sowie bei der Überwachung des Inhalts von Paketen bekannt gewordene personenbezogene Daten dürfen nur für die in Absatz 2 aufgeführten Zwecke, für den gerichtlichen Rechtsschutz im Zusammenhang mit diesem Gesetz, zur Wahrung der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt oder nach Anhörung der Gefangenen zum Zwecke der Behandlung verarbeitet werden.
(11) Personenbezogene Daten, die gemäß § 108 Absatz 3 über Personen, die nicht Gefangene sind, erhoben worden sind, dürfen nur zur Erfüllung des Erhebungszwecks, für die in Absatz 2 Nummer 1 bis 3 geregelten Zwecke oder zur Verhinderung oder Verfolgung von Straftaten von erheblicher Bedeutung verarbeitet werden.
(12) Die Übermittlung von personenbezogenen Daten unterbleibt, soweit die in §§ 112 Absatz 2, 114 Absatz 1 und 2 geregelten Einschränkungen oder besondere gesetzliche Verwendungsregelungen entgegenstehen.
(13) Die Verantwortung für die Zulässigkeit der Übermittlung trägt die Vollzugsbehörde. Erfolgt die Übermittlung auf Ersuchen einer öffentlichen Stelle, trägt diese die Verantwortung. In diesem Fall prüft die Vollzugsbehörde nur, ob das Übermittlungsersuchen im Rahmen der Aufgaben der Empfängerin oder des Empfängers liegt und die Absätze 10 bis 12 der Übermittlung nicht entgegenstehen, es sei denn, dass besonderer Anlass zur Prüfung der Zulässigkeit der Übermittlung besteht.
§ 110
Zentrale Datei, Einrichtung automatisierter Übermittlungs- und Abrufverfahren
(1) Die gemäß § 108 erhobenen Daten können für die Vollzugsbehörden im Geltungsbereich dieses Gesetzes in einer zentralen Datei gespeichert werden.
(2) Die Einrichtung und Verwendung eines automatisierten Verfahrens, das die Übermittlung oder den Abruf personenbezogener Daten aus der zentralen Datei gemäß § 108 Absatz 2 und 4 ermöglicht, ist zulässig, soweit diese Form der Datenübermittlung oder des Datenabrufs unter Berücksichtigung der schutzwürdigen Belange der betroffenen Personen und der Erfüllung des Zwecks der Übermittlung angemessen ist. Die automatisierte Übermittlung der in § 13 Absatz 1 Satz 3 des Bundeskriminalamtgesetzes vom 7. Juli 1997 (BGBl. I S. 1650) in der jeweils geltenden Fassung angeführten personenbezogenen Daten kann auch ohne die in Satz 1 genannten Voraussetzungen erfolgen.
(3) Die speichernde Stelle hat zu gewährleisten, dass die Übermittlung und der Abruf zumindest durch geeignete Stichprobenverfahren festgestellt und überprüft werden können.
(4) Die Landesregierung bestimmt durch Rechtsverordnung die Einzelheiten der Einrichtung automatisierter Übermittlungs- und Abrufverfahren. Die oder der Landesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit ist vorher zu hören. Die Rechtsverordnung hat die Datenempfängerin oder den Datenempfänger, die Datenart und den Zweck des Abrufs festzulegen. Sie hat Maßnahmen zur Datensicherung und zur Kontrolle vorzusehen. Die Ermächtigung zum Erlass der Rechtsverordnung kann auf das Justizministerium übertragen werden.
(5) Bei der Übermittlung gilt die in § 14 Absatz 2 des Datenschutzgesetzes Nordrhein-Westfalen getroffene Regelung zur Verantwortung für die Zulässigkeit des Abrufs entsprechend.
(6) Das Justizministerium kann mit anderen Ländern und dem Bund einen Datenverbund vereinbaren, der eine automatisierte Datenübermittlung ermöglicht.
§ 111
Zweckbindung
Von der Vollzugsbehörde übermittelte personenbezogene Daten dürfen nur zu dem Zweck verarbeitet werden, zu dessen Erfüllung sie übermittelt worden sind. Die Empfängerinnen oder Empfänger dürfen die Daten für andere Zwecke nur verarbeiten, soweit sie ihnen auch für diese Zwecke hätten übermittelt werden dürfen, und wenn im Falle einer Übermittlung an nicht öffentliche Stellen die übermittelnde Vollzugsbehörde zugestimmt hat. Die Vollzugsbehörde hat die nicht öffentlichen Empfängerinnen oder Empfänger auf die Zweckbindung nach Satz 1 hinzuweisen.
§ 112
Schutz besonderer Daten
(1) Das religiöse oder weltanschauliche Bekenntnis Gefangener und personenbezogene Daten, die anlässlich medizinischer Untersuchungen erhoben worden sind, dürfen in der Anstalt nicht allgemein kenntlich gemacht werden. Andere personenbezogene Daten über Gefangene dürfen innerhalb der Anstalt allgemein kenntlich gemacht werden, soweit dies für ein geordnetes Zusammenleben in der Anstalt erforderlich ist; § 109 Absatz 10 bis 12 bleibt unberührt.
(2) Personenbezogene Daten, die den in § 203 Absatz 1 Nummer 1, 2 und 5 des Strafgesetzbuches genannten Personen von Gefangenen als Geheimnis anvertraut oder über Gefangene sonst bekannt geworden sind, unterliegen auch gegenüber der Vollzugsbehörde der Schweigepflicht. Die in § 203 Absatz 1 Nummer 1, 2 und 5 des Strafgesetzbuches genannten Personen haben sich gegenüber der Anstaltsleitung zu offenbaren, soweit dies auch unter Berücksichtigung der Interessen der Gefangenen an der Geheimhaltung der personenbezogenen Daten zur Verhinderung von Selbstverletzungen, zur Abwehr von erheblichen Gefahren für Leib oder Leben anderer Gefangener oder Dritter oder zur Abwehr der Gefahr erheblicher Straftaten im Einzelfall erforderlich ist. Die Ärztin oder der Arzt ist zur Offenbarung ihr oder ihm im Rahmen der allgemeinen Gesundheitsfürsorge bekannt gewordener Geheimnisse befugt, soweit dies für die Aufgabenerfüllung der Vollzugsbehörde unerlässlich oder zur Abwehr von erheblichen Gefahren für Leib oder Leben Gefangener oder Dritter erforderlich ist. Sonstige Offenbarungsbefugnisse bleiben unberührt. Gefangene sind vor der Erhebung über die nach den Sätzen 2 und 3 bestehenden Offenbarungsbefugnisse zu unterrichten.
(3) Die nach Absatz 2 offenbarten Daten dürfen nur für den Zweck, für den sie offenbart wurden oder für den eine Offenbarung zulässig gewesen wäre, und nur unter denselben Voraussetzungen verarbeitet werden, unter denen eine in § 203 Absatz 1 Nummer 1, 2 und 5 des Strafgesetzbuches genannte Person selbst hierzu befugt wäre. Die Anstaltsleitung kann unter diesen Voraussetzungen die unmittelbare Offenbarung gegenüber bestimmten Bediensteten allgemein zulassen.
(4) Sofern Ärztinnen oder Ärzte oder Psychologinnen oder Psychologen außerhalb des Vollzuges mit der Untersuchung oder Behandlung Gefangener beauftragt werden, gilt Absatz 2 mit der Maßgabe entsprechend, dass die beauftragte Person auch zur Unterrichtung des ärztlichen Dienstes der Anstalt oder der in der Anstalt mit der Behandlung der betroffenen Gefangenen betrauten Person des psychologischen Dienstes befugt ist.
(5) Behandeln die in § 203 Absatz 1 Nummer 1, 2 und 5 des Strafgesetzbuches genannten Personen gleichzeitig oder nacheinander dieselben Gefangenen, so unterliegen sie im Verhältnis zueinander nicht der Schweigepflicht und sind zur umfassenden gegenseitigen Information und Auskunft verpflichtet, soweit dies zum Zwecke einer zielgerichteten gemeinsamen Behandlung erforderlich ist und
1. eine wirksame Einwilligung der Gefangenen vorliegt oder
2. sie in Bezug auf die betreffenden Gefangenen nicht mit anderen Aufgaben im Vollzug betraut sind.
§ 113
Schutz der Daten in Akten und Dateien
(1) Einzelne Bedienstete dürfen sich von personenbezogenen Daten nur Kenntnis verschaffen, soweit dies zur Erfüllung der ihnen obliegenden Aufgaben oder für die Zusammenarbeit nach § 2 Absatz 3 und § 5 Absatz 1 erforderlich ist.
(2) Akten und Dateien mit personenbezogenen Daten sind durch die
erforderlichen technischen und organisatorischen Maßnahmen gegen unbefugten
Zugang und unbefugten Gebrauch zu schützen. Gesundheitsakten und Krankenblätter
sind getrennt von anderen Unterlagen zu führen und besonders zu sichern. Satz 2
gilt entsprechend für die im Rahmen der Behandlungsuntersuchung und
Vollzugsplanung erhobenen opferbezogenen Daten, insbesondere zur Person und zu
den Schutzinteressen der Opfer und gefährdeter Dritter.
§ 114
Berichtigung, Löschung, Sperrung
(1) Wird festgestellt, dass unrichtige Daten übermittelt worden sind, ist dies den Empfängerinnen oder Empfängern mitzuteilen, wenn dies zur Wahrung schutzwürdiger Interessen der Betroffenen erforderlich ist.
(2) Personenbezogene Daten in Dateien oder in Akten dürfen nach Ablauf von zwei Jahren seit der Entlassung der Gefangenen nur übermittelt oder genutzt werden, soweit dies
1. für das Auffinden der Gefangenenpersonalakten oder der Gesundheitsakten,
2. für die Durchführung wissenschaftlicher Forschungsvorhaben gemäß §§ 117 und 119,
3. zur Verfolgung von Straftaten,
4. zur Behebung einer bestehenden Beweisnot oder
5. zur Feststellung, Durchsetzung oder Abwehr von Rechtsansprüchen im Zusammenhang mit dem Vollzug einer Strafe
erforderlich ist. Diese Verwendungsbeschränkungen enden, wenn Gefangene erneut zum Vollzug einer Strafe oder Untersuchungshaft aufgenommen werden oder die Betroffenen eingewilligt haben.
(3) Die in Dateien gespeicherten oder in Akten aufbewahrten personenbezogenen Daten sind spätestens zehn Jahre nach der Entlassung der Gefangenen zu löschen. Abweichend von Satz 1 sind die in Gesundheitsakten aufbewahrten personenbezogenen Daten nach 20 Jahren zu löschen. Satz 2 gilt auch für in Dateien gespeicherte personenbezogene Daten.
(4) Die Fristen nach Absatz 3 gelten nicht, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass die Speicherung oder Aufbewahrung für die in Absatz 2 genannten Zwecke weiterhin erforderlich ist.
(5) An die Stelle einer Löschung nach Absatz 3 tritt eine Sperrung, soweit durch ein Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes abweichende Aufbewahrungsfristen geregelt sind.
(6) Im Übrigen gilt für die Berichtigung, Löschung und Sperrung personenbezogener Daten § 19 des Datenschutzgesetzes Nordrhein-Westfalen.
(7) Die Aufbewahrungsfrist von Akten beginnt mit dem auf das Jahr der aktenmäßigen Weglegung folgenden Kalenderjahr.
(8) Die archivrechtlichen Vorschriften des Bundes und des Landes bleiben unberührt.
§ 115
Auskünfte an Opfer
(1) Opfern wird auf schriftlichen Antrag Auskunft über die Inhaftierung und deren Beendigung, die Gewährung vollzugsöffnender Maßnahmen, opferbezogene Weisungen und die Unterbringung im offenen Vollzug erteilt, wenn die Opfer ein berechtigtes Interesse darlegen und kein überwiegendes schutzwürdiges Interesse der Gefangenen am Ausschluss der Mitteilung vorliegt. Der Nachweis der Zulassung zur Nebenklage ersetzt in der Regel die Darlegung des berechtigten Interesses. Dies gilt nicht, wenn den Gefangenen erneut vollzugsöffnende Maßnahmen gewährt werden. § 109 Absatz 7 Satz 1 bleibt unberührt.
(2) Besteht auf Grund einer Flucht einer oder eines Gefangenen eine konkrete Gefahr für Leib oder Leben, ergeht eine Mitteilung nach Absatz 1 auch ohne Antrag.
(3) Opfern und anderen aus der Straftat Anspruchsberechtigten können auf schriftlichen Antrag Auskünfte über die Entlassungsadresse oder die Vermögensverhältnisse der Gefangenen erteilt werden, wenn die Erteilung zur Feststellung oder Durchsetzung von Rechtsansprüchen im Zusammenhang mit der Straftat erforderlich ist. § 109 Absatz 7 Satz 2 und 3 gilt entsprechend.
(4) Besteht Anlass zu der Besorgnis, dass die Offenlegung von Lebensumständen der Antragstellerinnen und Antragsteller deren Leib oder Leben gefährdet, kann die Offenlegung gegenüber den Gefangenen unterbleiben. Die Mitteilung der Anschrift der Antragstellerinnen und Antragsteller an die Gefangenen bedarf der Einwilligung.
§ 116
Auskünfte an Betroffene, Akteneinsicht
Die Betroffenen erhalten nach Maßgabe der §§ 18 und 35 Absatz 2 Satz 1 des Datenschutzgesetzes Nordrhein-Westfalen Auskunft. Sie erhalten Akteneinsicht, soweit eine Auskunft für die Wahrnehmung ihrer rechtlichen Interessen nicht ausreicht und sie hierfür auf die Einsichtnahme angewiesen sind.
§ 117
Übermittlung personenbezogener Informationen für wissenschaftliche Zwecke
(1) Die Übermittlung personenbezogener Informationen in Akten und Dateien an Hochschulen, andere Einrichtungen, die wissenschaftliche Forschung betreiben, und öffentliche Stellen ist zulässig, soweit
1. dies für die Durchführung bestimmter wissenschaftlicher Forschungsarbeiten erforderlich ist,
2. eine Nutzung anonymisierter Daten zu diesem Zweck nicht möglich oder die Anonymisierung mit einem unverhältnismäßigen Aufwand verbunden ist und
3. das öffentliche Interesse an der Forschungsarbeit das schutzwürdige Interesse der Betroffenen an dem Ausschluss der Übermittlung erheblich überwiegt.
Bei der Abwägung nach Satz 1 Nummer 3 ist im Rahmen des öffentlichen Interesses das wissenschaftliche Interesse an dem Forschungsvorhaben besonders zu berücksichtigen.
(2) Die Übermittlung der Informationen erfolgt durch Erteilung von Auskünften, wenn hierdurch der Zweck der Forschungsarbeit erreicht werden kann und die Erteilung keinen unverhältnismäßigen Aufwand erfordert. Andernfalls kann auch Einsichtnahme in Akten und Dateien gewährt werden. Die Akten und Dateien können zur Einsichtnahme übersandt werden.
(3) Personenbezogene Informationen werden nur an solche Personen übermittelt, die Amtsträger oder für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichtete sind oder die zur Geheimhaltung verpflichtet worden sind. § 1 Absatz 2, 3 und 4 Nummer 2 des Verpflichtungsgesetzes vom 2. März 1974 (BGBl. I S. 469, 547), das durch § 1 Nummer 4 des Gesetzes vom 15. August 1974 (BGBl. I S. 1942) geändert worden ist, findet auf die Verpflichtung zur Geheimhaltung entsprechende Anwendung.
(4) Die personenbezogenen Informationen dürfen nur für die Forschungsarbeit verwendet werden, für die sie übermittelt worden sind. Die Verwendung für andere Forschungsarbeiten oder die Weitergabe richtet sich nach den Absätzen 1 bis 3 und bedarf der Einwilligung der Stelle, die die Übermittlung der Daten angeordnet hat.
(5) Die Informationen sind gegen unbefugte Kenntnisnahme durch Dritte zu schützen. Die wissenschaftliche Forschung betreibende Stelle hat dafür zu sorgen, dass die Verwendung der personenbezogenen Daten räumlich und organisatorisch getrennt von der Erfüllung solcher Verwaltungsaufgaben oder Geschäftszwecke erfolgt, für die diese Informationen gleichfalls von Bedeutung sein können.
(6) Sobald der Forschungszweck es erlaubt, sind die personenbezogenen Daten zu anonymisieren. Solange dies noch nicht möglich ist, sind die Merkmale gesondert aufzubewahren, mit denen Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren Person zugeordnet werden können. Sie dürfen mit den Einzelangaben nur zusammengeführt werden, soweit der Forschungszweck dies erfordert.
(7) Wer nach den Absätzen 1 bis 3 personenbezogene Informationen erhalten hat, darf diese nur veröffentlichen, wenn dies für die Darstellung von Forschungsergebnissen über Ereignisse der Zeitgeschichte unerlässlich ist. Die Veröffentlichung bedarf der Einwilligung der Stelle, die die Informationen übermittelt hat.
(8) Sind die Empfängerinnen oder Empfänger nicht öffentliche Stellen, finden die Vorschriften des Dritten Abschnitts des Bundesdatenschutzgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 14. Januar 2003 (BGBl. I S. 66) in der jeweils geltenden Fassung auch Anwendung, wenn die Informationen nicht in oder aus Dateien verarbeitet werden.
§ 118
Anwendung des Datenschutzgesetzes Nordrhein-Westfalen
Die Definition öffentlicher Stellen in § 2 Absatz 1 Satz 1 des Datenschutzgesetzes Nordrhein-Westfalen sowie die Regelungen des Datenschutzgesetzes Nordrhein-Westfalen betreffend Begriffsbestimmungen (§ 3), die Einwilligung der Betroffenen (§ 4 Absatz 1 Satz 2 bis 5), Rechte der betroffenen Person (§ 5), das Datengeheimnis (§ 6), das Verfahrensverzeichnis (§ 8), den Schadensersatz (§ 20), die Bestimmungen über die Kontrolle durch die oder den Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit (§§ 22 bis 25) sowie die Straf- und Bußgeldvorschriften (§§ 33 und 34) finden Anwendung.
Abschnitt 23
Kriminologischer Dienst, Schlussbestimmungen
§ 119
Kriminologischer Dienst
(1) Dem kriminologischen Dienst obliegt es, in Zusammenarbeit mit den Einrichtungen der Forschung den Vollzug, insbesondere die Behandlungsmethoden, wissenschaftlich zu begleiten und seine Ergebnisse für die Weiterentwicklung der Behandlungs- und Eingliederungsmaßnahmen und der Leitlinien des Vollzuges nutzbar zu machen.
(2) Die Begleitforschung beinhaltet namentlich die regelmäßige Erhebung des Behandlungsbedarfs und die Auswertung des Behandlungsverlaufs. In die Bewertung sollen die Erfahrungen der Praxis und der oder des Justizvollzugsbeauftragten des Landes Nordrhein-Westfalen einfließen.
(3) § 117 gilt entsprechend.
§ 120
Einschränkung von Grundrechten
Durch dieses Gesetz werden die Grundrechte aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 und 2 (körperliche Unversehrtheit und Freiheit der Person), Artikel 5 Absatz 1 Satz 1 (Informationsfreiheit) und Artikel 10 Absatz 1 (Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis) des Grundgesetzes eingeschränkt.
§ 121
Ersetzung und Fortgeltung von Bundesrecht
Dieses Gesetz ersetzt nach Artikel 125a Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes in seinem Geltungsbereich das Strafvollzugsgesetz vom 16. März 1976 (BGBl. I S. 581, 2088), das zuletzt durch Artikel 7 des Gesetzes vom 25. April 2013 (BGBl. I S. 935) geändert worden ist, mit Ausnahme der Vorschriften über
1. den Urlaub aus der Haft (§ 13 Absatz 5),
2. den Pfändungsschutz (§ 43 Absatz 11 Satz 2, § 50 Absatz 2 Satz 5, § 51 Absatz 4 und 5, § 75 Absatz 3),
3. das Festnahmerecht (§ 87),
4. den Ersatz von Aufwendungen (§ 93),
5. das Handeln auf Anordnung (§ 97),
6. das gerichtliche Verfahren (§§ 109 bis 121),
7. die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und einer Entziehungsanstalt (§§ 136 bis 138),
8. den Vollzug des Strafarrestes in Justizvollzugsanstalten (§§ 167 bis 170, 178 Absatz 2) und
9. den Vollzug von Ordnungs-, Sicherungs-, Zwangs- und Erzwingungshaft (§§ 171 bis 175, 178 Absatz 2).
§ 122
Übergangsvorschrift
Bis zum Inkrafttreten einer Verordnung nach § 32 Absatz 3 Satz 3 gilt die Strafvollzugsvergütungsverordnung vom 11. Januar 1977 (BGBl. I S. 57), die zuletzt durch Artikel 6 des Gesetzes vom 13. Dezember 2007 (BGBl. I S. 2894) geändert worden ist, fort.
§ 123
Inkrafttreten, Berichtspflicht
(1) Dieses Gesetz tritt am Tag nach der Verkündung in Kraft.
(2) Die Landesregierung berichtet dem Landtag bis zum 31. Dezember 2019 und danach alle fünf Jahre über die mit diesem Gesetz gemachten Erfahrungen.
Artikel 2
Änderung des
Jugendstrafvollzugsgesetzes Nordrhein-Westfalen
Das Jugendstrafvollzugsgesetz Nordrhein-Westfalen vom 20. November 2007 (GV. NRW. S. 539), das zuletzt durch Gesetz vom 8. Dezember 2009 (GV. NRW. S. 762) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:
1. In der Inhaltsübersicht wird nach der Angabe zu § 14 die Angabe „§ 14a Besondere Vorschriften für Gefangene mit vorbehaltener Sicherungsverwahrung“ eingefügt.
2. Nach § 14 wird folgender § 14a eingefügt:
„§ 14a
Besondere Vorschriften für Gefangene mit vorbehaltener Sicherungsverwahrung
(1) Ist bei Gefangenen im Vollzug der Jugendstrafe die Anordnung der Sicherungsverwahrung vorbehalten, gelten §§ 91 und 92 des Strafvollzugsgesetzes Nordrhein-Westfalen vom 13. Januar 2015 (GV. NRW. S. 76) in der jeweils geltenden Fassung entsprechend.
(2) § 7 Absatz 3 des Jugendgerichtsgesetzes bleibt unberührt.“
Artikel 3
Inkrafttreten
Dieses Gesetz tritt am Tag nach der Verkündung in Kraft.
Düsseldorf, den 13. Januar 2015
Die
Landesregierung
Nordrhein-Westfalen
Die Ministerpräsidentin
Hannelore K r a f t
(L. S.)
Die
Ministerin
für Schule und Weiterbildung
Sylvia L ö h r m a n n
Der Finanzminister
Dr.
Norbert W a l t e r-B o r j a n s
Der
Minister
für Inneres und Kommunales
Ralf J ä g e r
Für
den Minister
für Arbeit, Integration und Soziales
Der Minister
für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr
Michael G r o s c h e k
Der Justizminister
Thomas K u t s c h a t y
Die
Ministerin
für Familie, Kinder, Jugend,
Kultur und Sport
Ute S c h ä f e r
Die
Ministerin
für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter
Barbara S t e f f e n s
GV. NRW. 2015 S. 76