Gesetz- und Verordnungsblatt (GV. NRW.)
Ausgabe 2020 Nr. 11 vom 2.4.2020 Seite 211 bis 216
Verordnung zum Schutz vor Neuinfizierungen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 im Bereich der Betreuungsinfrastruktur (CoronaBetrVO) |
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Verordnung zum Schutz vor Neuinfizierungen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 im Bereich der Betreuungsinfrastruktur (CoronaBetrVO)
Verordnung
zum Schutz
vor Neuinfizierungen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 im Bereich der
Betreuungsinfrastruktur (CoronaBetrVO)
Vom 2. April 2020
Auf Grund der §§ 32, 28 Absatz 1 Satz 1 und 2, 33 des Infektionsschutzgesetzes vom 20. Juli 2000 (BGBl I S. 1045) von denen § 28 Absatz 1 durch Artikel 1 Nummer 6 des Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 27. März 2020 (BGBl. I S. 587) neu gefasst worden ist, sowie des § 10 der Verordnung zur Regelung von Zuständigkeiten nach dem Infektionsschutzgesetz vom 28. November 2000 (GV. NRW. S. 701), der durch Artikel 3 der Verordnung vom 21. Januar 2017 (GV. NRW. S. 219) geändert worden ist, wird verordnet:
Schulische Gemeinschaftseinrichtungen
(1) Alle öffentlichen Schulen, Ersatzschulen und Ergänzungsschulen im Sinne des Schulgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen vom 15. Februar 2005 (GV. NRW. S. 102), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 21. Juli 2018 (GV. NRW. S. 404) geändert worden ist, sind geschlossen.
(2) Ausgenommen von Absatz 1 ist die Betreuung von Schülerinnen und Schülern, in der Regel der Jahrgangsstufen 1 bis 6, mit besonderem Betreuungsbedarf im Sinne von § 3 Absatz 1 in einer Vor-Ort-Betreuung (Notbetreuung) in den Schulräumlichkeiten. Das Nähere regelt das Ministerium für Schule und Bildung durch Erlass (insbesondere mittels sog. SchulMails).
(3) Ebenfalls ausgenommen von Absatz 1 ist die Betreuung von Schülerinnen und Schülern der jeweiligen Schule, wenn wegen einer Kindeswohlgefährdung die Aufnahme in die Vor-Ort-Betreuung nach Absatz 2 als Folge einer familiengerichtlichen Entscheidung oder im Rahmen von Maßnahmen oder Schutzplänen nach § 8a des Achten Buches Sozialgesetzbuch erforderlich ist. Die Aufnahme in die Vor-Ort-Betreuung kann auch erforderlich sein, wenn die Schülerin oder der Schüler im regelhaften Schulbetrieb als Folge einer Entscheidung nach den §§ 27 ff. des Achten Buches Sozialgesetzbuch am Offenen Ganztag teilnimmt. Das Jugendamt hat vorrangig zu prüfen, ob das Kindeswohl auch mit anderen verfügbaren Maßnahmen gewährleistet werden kann. Die Entscheidung über die Notwendigkeit der Aufnahme in die Vor-Ort-Betreuung ist von der Jugendamtsleitung oder einer von ihr benannten Person zu treffen und zu dokumentieren; die Notwendigkeit der Aufnahme ist der Schulleitung schriftlich zu bestätigen. Die Schulleitung kann die Aufnahme nur ablehnen, wenn andernfalls die Durchführung der Vor-Ort-Betreuung insgesamt gefährdet wäre; sie beteiligt das Jugendamt und die Schulaufsicht.
(4) Eine Ausnahme von Absatz 1 gilt auch für Dienstkräfte der jeweiligen Schule zur Wahrnehmung dringend erforderlicher Dienstgeschäfte (Abnahme von Prüfungen, Dienstbesprechungen).
§ 2
Kindertageseinrichtungen,
Kindertagespflegestellen,
Heilpädagogische Kindertageseinrichtungen,
Kinderbetreuungen in besonderen Fällen
(1) Alle Kindertageseinrichtungen, Kindertagespflegestellen, Heilpädagogischen Kindertageseinrichtungen und Kinderbetreuungen in besonderen Fällen (Brückenprojekte) haben in ihrem jeweiligen Zuständigkeitsbereich Kindern im Alter bis zur Einschulung, Schülerinnen und Schülern sowie deren Erziehungsberechtigen bzw. Betreuungspersonen den Zutritt zu Betreuungsangeboten zu untersagen.
(2) Ausgenommen von Absatz 1 ist die Betreuung von Kindern im Alter bis zur Einschulung sowie Schülerinnen und Schülern, wenn besonderer Betreuungsbedarf im Sinne von § 3 Absatz 1 besteht.
(3) Eine Ausnahme von Absatz 1 gilt auch, wenn wegen einer Kindeswohlgefährdung der Besuch eines der genannten Betreuungsangebote als Folge einer familiengerichtlichen Entscheidung oder im Rahmen von Maßnahmen und Schutzplänen nach § 8a des Achten Buches Sozialgesetzbuch erforderlich ist. Dies gilt auch, wenn das Kind dieses Angebot bereits in Folge einer Entscheidung nach den §§ 27ff. des Achten Buches Sozialgesetzbuch wahrgenommen hat. Das Jugendamt hat vorrangig zu prüfen, ob das Kindeswohl auch mit anderen verfügbaren Maßnahmen gewährleistet werden kann. Die Entscheidung über die Notwendigkeit der Wiederaufnahme oder Fortsetzung der Betreuung ist von der Jugendamtsleitung oder einer von ihr benannten Person zu treffen und zu dokumentieren.
§ 3
Besondere Betreuungsbedarfe
(1) Besonders betreuungsbedürftig im Sinne von § 1 Absatz 2 und § 2 Absatz 2 ist, wer der Personensorge mindestens einer Person unterliegt, die zum Personal kritischer Infrastrukturen nach § 5 gehört und in ihrem jeweiligen Tätigkeitsbereich unabkömmlich ist, sofern eine private Betreuung nicht anderweitig verantwortungsvoll – unter Berücksichtigung der Empfehlungen des Robert Koch-Instituts – organisiert werden kann oder die Ermöglichung flexibler Arbeitszeiten und Arbeitsgestaltung (z.B. Home-Office) nicht gewährleistet werden kann.
(2) Kinder mit besonderem Betreuungsbedarf nach Absatz 1 sollen betreut werden. Die Entscheidung zur Aufnahme in der Schule oder zur Betreuung in einem Kindertagesbetreuungsangebot treffen die Leitungen der jeweiligen Einrichtungen oder die Kindertagespflegestellen. Es gelten die bestehenden rechtlichen Zuständigkeiten.
(3) Zwingende Voraussetzung der Entscheidung nach Absatz 2 sind:
1. der Nachweis, dass mindestens eine personensorgeberechtigte Person nicht in der Lage ist, die Betreuung zu übernehmen, weil sie in einer kritischen Infrastruktur nach § 5 tätig ist, und
2. die schriftliche Erklärung des jeweiligen Arbeitgebers, dass die Präsenz dieser personensorgeberechtigten Person am Arbeitsplatz für das Funktionieren der jeweiligen kritischen Infrastruktur zwingend notwendig ist (Unabkömmlichkeit); steht die in kritischer Infrastruktur tätige Person nicht in einem Verhältnis abhängiger Beschäftigung (Selbstständige), wird der vorgenannte Nachweis durch eine entsprechende Eigenerklärung ersetzt.
§ 4
Tages- und Nachtpflegeeinrichtungen, tagesstrukturierende Einrichtungen der Eingliederungshilfe, Einrichtungen der beruflichen Rehabilitation
(1) Sämtliche Tages- und Nachtpflegeeinrichtungen im Sinne des Elften Buches Sozialgesetzbuch, tagesstrukturierende Einrichtungen der Eingliederungshilfe (Werkstätten, Tagesstätten oder sonstigen vergleichbaren Angebote) sowie Einrichtungen der beruflichen Rehabilitation haben allen Nutzerinnen und Nutzern den Zutritt zu versagen. Dies gilt insbesondere für Bildungseinrichtungen für berufsvorbereitende und ausbildende Maßnahmen, die sich an Menschen mit Behinderungen richten, wie z.B. Berufsbildungswerke, Berufsförderungswerke, Berufliche Trainingszentren.
(2) Unter Ausnahme von Absatz 1 soll die Pflege und Betreuung von Nutzerinnen und Nutzern erfolgen, die im eigenen häuslichen Umfeld untergebracht sind und deren Betreuungs- oder Pflegeperson zum Personal kritischer Infrastrukturen nach § 5 gehört, wenn diese Betreuungs- oder Pflegeperson in ihrem jeweiligen Tätigkeitsbereich unabkömmlich ist und eine private Betreuung insbesondere durch Familienangehörige oder die Ermöglichung flexibler Arbeitszeiten und Arbeitsgestaltung (z.B. Home-Office) nicht gewährleistet werden kann.
(3) Die Unabkömmlichkeit ist der betreffenden Einrichtung gegenüber durch eine schriftliche Bestätigung des jeweiligen Arbeitgebers nachzuweisen. Steht die in kritischer Infrastruktur tätige Person nicht in einem Verhältnis abhängiger Beschäftigung (Selbstständige), wird der vorgenannte Nachweis durch eine entsprechende Eigenerklärung ersetzt.
(4) Ausgenommen sind weiterhin Nutzerinnen und Nutzer, deren pflegerische oder soziale Betreuung für den Zeitraum, in dem sie sich normalerweise in der Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) aufhalten, nicht sichergestellt ist. Die Träger der WfbM sind angehalten, für die betroffenen Personen eine Betreuung im notwendigen Umfang sicherzustellen. Sie sollen zu diesem Zweck mit Anbietern von Wohneinrichtungen zusammenarbeiten.
(5) Ausgenommen sind zudem diejenigen Rehabilitandinnen und Rehabilitanden, die einen intensiven und persönlichen Betreuungsaufwand benötigen, dem im häuslichen Rahmen nicht entsprochen werden kann. Für diese Teilnehmenden kann auf Wunsch der Personensorgeberechtigten oder auf Bedarfsmeldung des oder der Teilnehmenden im Einzelfall nach Entscheidung der Schulleitung ein Betreuungsangebot vor Ort in der Einrichtung sichergestellt werden. Da dieser Personenkreis zur besonders vulnerablen Bevölkerungsgruppe gehört, sind entsprechende Schutzmaßnahmen zu beachten. Zur Flankierung der kontaktreduzierenden Maßnahmen kann, soweit möglich, das Unterrichtsgeschehen auf virtuelle Lernwelten umgestellt werden und durch die Bildungsträger weiter begleitet werden.
(6) Ausgenommen sind außerdem Nutzerinnen und Nutzer von Tages- und Nachtpflegeeinrichtungen im Sinne des Elften Buches Sozialgesetzbuch , deren häusliche Versorgung bei Wegfall der teilstationären Pflege und Betreuung glaubhaft gefährdet wäre. Über die Gewährung einer Ausnahmeregelung entscheidet die Leitung der bisher genutzten Einrichtung im Einzelfall unter Abwägung der Gesamtumstände – insbesondere der erhöhten Gefahren durch das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2 einerseits und einer drohenden unzureichenden häuslichen Versorgung sowie verbesserter Schutzvorkehrungen bei einer Reduzierung der Zahl der in der Einrichtung zu versorgenden Personen andererseits.
(7) Die Regelung des Absatzes 1 Satz 1 gilt auch für interdisziplinäre oder heilpädagogische Frühförderstellen, heilpädagogische Praxen und Autismuszentren, soweit eine Betreuung nicht medizinisch dringend notwendig ist. Dasselbe gilt für Betreuungsgruppen, die als Angebote zur Unterstützung im Alltag im Sinne der Anerkennungs- und Förderungsverordnung (AnFöVO) anerkannt wurden.
(8) Zu den in Absatz 2 sowie den Absätzen 4 bis 7 bestimmten Ausnahmen gilt, dass ein zumutbarer Transport für den Hin- und Rückweg sicherzustellen ist, der die derzeit besonderen Risiken durch eine Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 berücksichtigt.
§ 5
Kritische Infrastruktur
(1) Kritische Infrastrukturen (KRITIS) sind Organisationen oder Einrichtungen mit wichtiger Bedeutung für das staatliche Gemeinwesen, bei deren Ausfall oder Beeinträchtigung nachhaltig wirkende Versorgungsengpässe, erhebliche Störungen der öffentlichen Sicherheit oder andere ernsthafte Folgen eintreten würden.
(2) Die nachstehende Liste über die Personenkreise kritischer Infrastrukturen lehnt sich an die Verordnung zur Bestimmung kritischer Infrastrukturen nach dem BSI-Gesetz vom 22. April 2016 (BGBl. I S. 958), die durch Artikel 1 der Verordnung vom 21. Juni 2017 (BGBl. I S. 1903) geändert worden ist, (https://www.gesetze-im-internet.de/bsi-kritisv/BJNR095800016.html.) an. Sie wird stetig fortentwickelt. Danach handelt es sich um Personal kritischer Infrastrukturen bei in den folgenden Bereichen Tätigen:
1. Sektor Energie:
- Strom, Gas, Wärme und Kraftstoffversorgung (inklusive Logistik),
- Einrichtungen zur Entstörung und Aufrechterhaltung der Netze;
2. Sektor Wasser, Entsorgung:
- hoheitliche und privatrechtliche Wasserversorgung und Entsorgung,
- Einrichtungen zur Entstörung und Aufrechterhaltung der Netze;
3. Sektor Ernährung, Hygiene:
Produktion, Groß- und Einzelhandel (inklusive Zulieferung, Logistik);
4. Sektor Informationstechnik und Telekommunikation:
insbesondere Einrichtungen zur Entstörung und Aufrechterhaltung der Netze und der Kommunikationsinfrastruktur;
5. Sektor Gesundheit:
- insbesondere Krankenhäuser, Rettungsdienst, Pflege, niedergelassener Bereich, Medizinproduktehersteller, Arzneimittelhersteller, Apotheken, Labore,
- veterinärmedizinische Notfallversorgung;
6. Sektor Finanz- und Wirtschaftswesen:
- insbesondere Kreditversorgung der Unternehmen, Bargeldversorgung, Sozialtransfers,
- Personal der Bundesagentur für Arbeit, der Jobcenter und der Sozialhilfeträger zur Aufrechterhaltung des Dienstbetriebes (insbesondere Auszahlung des Kurzarbeitergeldes),
- Personal im Bereich der Sozialversicherungen;
7. Sektor Transport und Verkehr:
- insbesondere Betrieb für kritische Infrastrukturen, öffentlicher Personennah- und Personenfern- und Güterverkehr,
- Personal der Deutschen Bahn und nicht bundeseigenen Eisenbahnen zur Aufrechterhaltung des Dienstbetriebes,
- Personal zur Aufrechterhaltung des Flug- und Schiffsverkehrs,
- Personal der Post- und Paketzustelldienste (insbesondere im Zustelldienst);
8. Sektor Medien:
insbesondere Nachrichten- und Informationswesen sowie Risiko-und Krisenkommunikation;
9. Sektor staatliche Verwaltung (Bund, Land, Kommune)
- Kernaufgaben der öffentlichen Verwaltung und Justiz, Polizei, Bundeswehr, Zoll, Feuerwehr, Katastrophenschutz, Justizvollzug, Veterinärwesens, Lebensmittelkontrolle,
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Asyl- und Flüchtlingswesen einschließlich Abschiebungshaft, Verfassungsschutz, aufsichtliche Aufgaben, Finanzverwaltung sowie Hochschulen und sonstige wissenschaftlichen Einrichtungen, soweit sie für den Betrieb von sicherheitsrelevanten Einrichtungen oder unverzichtbaren Aufgaben zuständig sind,
- Gesetzgebung/Parlament;
10. Sektor Schulen, Kinder- und Jugendhilfe, Behindertenhilfe:
- Sicherstellung notwendiger Betreuung in Schulen, Kindertageseinrichtungen, Kindertagespflege, stationären Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe und Einrichtungen für Menschen mit Behinderung,
- notwendige Hilfe- und Schutzangebote der Kinder- und Jugendhilfe sowie Hilfe- und Schutzangebote für weitere schutzbedürftige Personen.
§ 6
Vorrang, Inkrafttreten, Außerkrafttreten
(1) Die Bestimmungen dieser Verordnung gehen widersprechenden und inhaltsgleichen Allgemeinverfügungen der nach dem Landesrecht für Schutzmaßnahmen nach § 28 Absatz 1 des Infektionsschutzgesetzes zuständigen Behörden vor. Unbeschadet davon bleiben die nach dem Landesrecht für Schutzmaßnahmen nach § 28 Absatz 1 des Infektionsschutzgesetzes zuständigen Behörden befugt, im Einzelfall zur Abwehr einer konkreten Gefahr auch von dieser Verordnung abweichende Anordnungen zu treffen.
(2) Diese Verordnung tritt am Tage nach der Verkündung in Kraft und mit Ablauf des 19. April 2020 außer Kraft.
Düsseldorf, den 2. April 2020
Der Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales
des Landes Nordrhein-Westfalen
Karl-Josef L a u m a n n
GV. NRW. 2020 S. 212