Gesetz- und Verordnungsblatt (GV. NRW.)
Ausgabe 2022 Nr. 11 vom 8.3.2022 Seite 249 bis 268
Sechstes Gesetz zur Änderung des Justizgesetzes Nordrhein-Westfalen |
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Normkopf Norm Normfuß |
Sechstes Gesetz zur Änderung des Justizgesetzes Nordrhein-Westfalen
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Sechstes Gesetz
zur Änderung des Justizgesetzes Nordrhein-Westfalen
Der Landtag hat das folgende Gesetz beschlossen, das hiermit verkündet wird:
Sechstes Gesetz
zur Änderung des Justizgesetzes Nordrhein-Westfalen
Vom 23. Februar 2022
Artikel 1
Änderung des Justizgesetzes Nordrhein-Westfalen
Das Justizgesetz Nordrhein-Westfalen vom 26. Januar 2010 (GV. NRW. S. 30), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 1. September 2020 (GV. NRW. S. 818) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:
1. Die Inhaltsübersicht wird wie folgt geändert:
a) Nach der Angabe zu § 3 wird folgende Angabe eingefügt:
„§ 3a Landesjustizprüfungsamt, Justizprüfungsämter“.
b) Nach der Angabe zu § 10 wird folgende Angabe eingefügt:
„§ 10a Führungsaufsichtsstelle“.
c) In der Angabe zu Teil 1 Kapitel 3 wird die Angabe „Beamtinnen und Beamte“ durch die Angabe „Beschäftigte“ ersetzt.
d) Nach der Angabe zu § 30 werden folgende Angaben eingefügt:
„Abschnitt 4:
Justizwachtmeisterdienst
§ 30a Aufgaben des Justizwachtmeisterdienstes“.
e) In der Angabe zu dem bisherigen Teil 1 Kapitel 3 Abschnitt 4 wird die Angabe „4“ durch die Angabe „5“ ersetzt.
f) Nach der Angabe zu § 31 werden folgende Angaben eingefügt:
„Kapitel 4:
Sicherheit und Ordnung
§ 31a Maßnahmen der Behördenleitungen
§ 31b Maßnahmen der Sitzungspolizei
§ 31c Maßnahmen des Justizwachtmeisterdienstes
§ 31d Besondere Maßnahmen bei Freiheitsentziehung
§ 31e Geltung des Polizeigesetzes
§ 31f Wirkung von Rechtsbehelfen
§ 31g Vollzug von Anordnungen“.
g) Nach der Angabe zu § 109a wird folgende Angabe eingefügt:
„§ 109b Zuständigkeit des Oberverwaltungsgerichts bei Besitzeinweisungen“.
h) Nach der Angabe zu § 132 wird folgende Angabe eingefügt:
„§ 132a Anwendung der Regelungen zum elektronischen Rechtsverkehr und zur elektronischen Prozessakte“.
2. Nach § 3 wird folgender § 3a eingefügt:
„§ 3a
Landesjustizprüfungsamt, Justizprüfungsämter
Das Landesjustizprüfungsamt ist an das für Justiz zuständige Ministerium angegliedert. An die Oberlandesgerichte ist jeweils ein Justizprüfungsamt angegliedert. Die Stellung der Behörden bleibt im Übrigen unberührt.“
3. Nach § 10 wird folgender § 10a eingefügt:
„§ 10a
Führungsaufsichtsstelle
In jedem Landgerichtsbezirk ist eine Aufsichtsstelle nach § 68a des Strafgesetzbuches eingerichtet. Die Aufsichtsstelle ist dem Landgericht angegliedert. Sie führt die Bezeichnung „Landgericht Führungsaufsichtsstelle“. Die Aufsichtsstelle wird von einer Richterin oder einem Richter geleitet. Die Leiterin oder der Leiter der Führungsaufsichtsstelle sowie die Vertreterin oder der Vertreter unterstehen der Dienstaufsicht der Präsidentin oder des Präsidenten des Landgerichts.“
4. In § 17a Satz 1 werden das Wort „Für“ gestrichen und das Wort „ist“ durch das Wort „werden“, das Wort „das“ durch das Wort „dem“ und die Wörter „örtlich zuständig“ durch das Wort „zugewiesen“ ersetzt.
5. In der Überschrift zu Teil 1 Kapitel 3 werden die Wörter „Beamtinnen und Beamte“ durch das Wort „Beschäftigte“ ersetzt.
6. Nach § 30 wird folgender Abschnitt 4 eingefügt:
„Abschnitt 4:
Justizwachtmeisterdienst
§
30a
Aufgaben des Justizwachtmeisterdienstes
(1) Den Justizwachtmeisterinnen und Justizwachtmeistern (Justizwachtmeisterdienst) obliegen
1. die Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung in den Justizgebäuden und den dazugehörigen Außenbereichen,
2. die Vorführung von Personen zu gerichtlichen oder staatsanwaltschaftlichen Sitzungen oder Terminen einschließlich ihrer Bewachung,
3. der Vollzug gerichtlicher oder staatsanwaltschaftlicher Anordnungen.
(2) Der Justizwachtmeisterdienst kann zur Erledigung sonstiger dienstlicher Aufgaben herangezogen werden, soweit die Wahrnehmung der Aufgaben nach Absatz 1 nicht beeinträchtigt wird.
(3) Die Aufgaben des Justizwachtmeisterdienstes werden in der Regel von Beamtinnen und Beamten wahrgenommen.“
7. Der bisherige Teil 1 Kapitel 3 Abschnitt 4 wird Teil 1 Kapitel 3 Abschnitt 5.
8. Nach § 31 wird folgendes Kapitel 4 eingefügt:
„Kapitel 4:
Sicherheit und Ordnung
§ 31a
Maßnahmen der Behördenleitungen
(1) Die Leitungen der Behörden im Sinne dieses Gesetzes sowie die von ihnen beauftragten Beschäftigten können zur Gewährleistung eines ordnungsgemäßen Dienstbetriebs die notwendigen Maßnahmen treffen. Dies umfasst insbesondere die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in dem Justizgebäude und dem dazugehörigen Außenbereich (Hausrecht). Satz 2 gilt für die elektronischen Einrichtungen der Behörden nach Satz 1 entsprechend.
(2) Die Behördenleitungen und beauftragten Beschäftigten können insbesondere
1. das Justizgebäude einschließlich der Vorführbereiche und den dazugehörigen Außenbereich mittels optisch-elektronischer Einrichtungen vorübergehend oder dauerhaft überwachen; § 20 Absatz 2 bis 4 des Datenschutzgesetzes Nordrhein-Westfalen vom 17. Mai 2018 (GV. NRW. S. 244, ber. S. 278 und S. 404) in der jeweils geltenden Fassung ist entsprechend anzuwenden,
2. im Rahmen allgemeiner Kontrollen die Identität einer Person feststellen,
3. im Rahmen allgemeiner Kontrollen eine Person und mitgeführte Sachen, auch unter Einsatz technischer Hilfsmittel, absuchen oder durchsuchen,
4. Waffen, gefährliche Gegenstände und sonstige Gegenstände, die geeignet sind, die Sicherheit und Ordnung zu stören, sicherstellen,
5. eine Person zur Abwehr einer Gefahr in dem Justizgebäude und dem dazugehörigen Außenbereich begleiten,
6. eine Person, die die Mitwirkung an Maßnahmen nach den Nummern 2 bis 5 verweigert, von dem Justizgebäude und dem dazugehörigen Außenbereich verweisen oder ihr das Betreten dieses Bereichs verbieten,
7. eine Person zur Abwehr einer Gefahr von dem Justizgebäude und dem dazugehörigen Außenbereich verweisen oder ihr das Betreten dieses Bereichs verbieten,
8. eine Person zur Abwehr einer Gefahr von der Nutzung einer elektronischen Einrichtung ausschließen.
(3) Gegenüber Organen der Rechtspflege sind allgemeine Kontrollmaßnahmen nach Absatz 2 Nummer 3 nicht zulässig. Die Behördenleitung kann Ausnahmen für besondere Fälle vorsehen. Maßnahmen nach § 31e Nummer 4 und 5 bleiben unberührt.
(4) Der Vollzug der Maßnahmen nach Absatz 1 Satz 1 und 2 und Absatz 2 Nummer 1 bis 7 soll durch den Justizwachtmeisterdienst erfolgen.
§ 31b
Maßnahmen der Sitzungspolizei
Die nach den §§ 176 bis 180 des Gerichtsverfassungsgesetzes erlassenen Anordnungen sind im Wege des Vollzugs nach § 31g durchzusetzen, soweit Bundesrecht keine Regelungen enthält. § 31a Absatz 4 gilt entsprechend.
§ 31c
Maßnahmen des Justizwachtmeisterdienstes
(1) Der Justizwachtmeisterdienst kann die zur Wahrnehmung der Aufgaben nach § 30a Absatz 1 notwendigen Maßnahmen treffen.
(2) Bei der Wahrnehmung der Aufgabe nach § 30a Absatz 1 Nummer 1 gilt § 31a Absatz 2 Nummer 1 bis 7 und Absatz 3 entsprechend.
(3) Bei der Wahrnehmung der Aufgabe nach § 30a Absatz 1 Nummer 2 ist der Justizwachtmeisterdienst befugt, Personen zum Zweck der Vorführung in Gewahrsam zu nehmen.
(4) Anordnungen und Maßnahmen der Behördenleitungen oder der von ihnen beauftragten Beschäftigten nach § 31a und der Sitzungspolizei nach § 31b sind durch den Justizwachtmeisterdienst vorrangig zu beachten.
§ 31d
Besondere Maßnahmen bei Freiheitsentziehung
In Ergänzung der §§ 31a bis 31c sind gegenüber einer Person, die einer Freiheitsentziehung unterworfen ist, folgende Maßnahmen zulässig:
1. Eine Fesselung der Person kann erfolgen, wenn die Gefahr von Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen, die Gefahr der Selbstverletzung oder Selbsttötung besteht oder die Beaufsichtigung nicht ausreicht, eine Entweichung zu verhindern.
2. Sofern die Person entwichen ist oder sich sonst ohne Erlaubnis außerhalb des Justizgebäudes aufhält, kann diese festgenommen und in das Justizgebäude oder in die für die Freiheitsentziehung zuständige Einrichtung zurückgebracht werden.
3. In Vorführhafträumen kann die Person, auch mittels optisch-elektronischer Einrichtungen, vorübergehend oder dauerhaft überwacht werden, wenn die Gefahr der Entweichung, von Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen oder die Gefahr der Selbstverletzung oder Selbsttötung besteht; § 69 Absatz 4 des Strafvollzugsgesetzes Nordrhein-Westfalen vom 13. Januar 2015 (GV. NRW. S. 76) und § 24 Absatz 5 und 7 Satz 2 des Justizvollzugsdatenschutzgesetzes Nordrhein-Westfalen vom 12. Oktober 2018 (GV. NRW. S. 555) sind in der jeweils geltenden Fassung entsprechend anzuwenden.
§ 31e
Geltung des Polizeigesetzes
In Ergänzung der §§ 31a bis 31d gelten folgende Vorschriften des Polizeigesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Juli 2003 (GV. NRW. S. 441) in der jeweils geltenden Fassung entsprechend:
1. § 12 mit Ausnahme des Absatzes 1 Nummer 4 (Identitätsfeststellung),
2. § 13 (Prüfung von Berechtigungsscheinen),
3. § 35 mit Ausnahme von Absatz 1 Nummer 4 und 6, § 36, § 37 mit Ausnahme von Absatz 4, § 38 mit Ausnahme von Absatz 2 Nummer 3 und 4 (Gewahrsam),
4. § 39 (Durchsuchung von Personen),
5. § 40 (Durchsuchung von Sachen),
6. §§ 43 bis 46 (Sicherstellung, Verwahrung, Verwertung und Vernichtung), mit der Maßgabe, dass die sichergestellte und verwahrte Sache unverzüglich an die allgemeinen Ordnungsbehörden, die Ermittlungsbehörden oder die Justizvollzugsanstalt übergeben werden soll.
§ 31f
Wirkung von Rechtsbehelfen
Rechtsbehelfe gegen unaufschiebbare Maßnahmen des Justizwachtmeisterdienstes nach diesem Kapitel haben keine aufschiebende Wirkung.
§ 31g
Vollzug von Anordnungen
(1) Der Vollzug von Anordnungen nach diesem Kapitel richtet sich nach dem Verwaltungsvollstreckungsgesetz NRW in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. Februar 2003 (GV. NRW. S. 156, ber. 2005 S. 818) in der jeweils geltenden Fassung, soweit nichts anderes bestimmt ist.
(2) Als Zwangsmittel werden Ersatzvornahme (§ 59 des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes NRW) und unmittelbarer Zwang (§ 62 des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes NRW) angewandt.“
9. In § 41 Absatz 3 wird die Angabe „§ 35“ durch die Angabe „§ 36“ ersetzt.
10. Nach § 109a wird folgender § 109b eingefügt:
„§ 109b
Zuständigkeit des Oberverwaltungsgerichts bei Besitzeinweisungen
Im Fall des § 48 Absatz 1 Satz 1 Nummer 14 der Verwaltungsgerichtsordnung entscheidet das Oberverwaltungsgericht im ersten Rechtszug auch über Streitigkeiten, die Besitzeinweisungen betreffen.“
11. In § 110 Absatz 2 Satz 1 Nummer 5 werden die Wörter „für das Land Nordrhein-Westfalen in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. Februar 2003 (GV. NRW. S. 156, ber. 2005 S. 818) in der jeweils geltenden Fassung“ durch die Angabe „NRW“ ersetzt.
12. § 112 Satz 2 wird aufgehoben.
13. In § 129d Absatz 2 Satz 2 wird das Wort „Nummer“ durch das Wort „Satz“ ersetzt.
14. Nach § 132 wird folgender § 132a eingefügt:
„§ 132a
Anwendung der Regelungen zum elektronischen Rechtsverkehr und
zur elektronischen Prozessakte
(1) Soweit für gerichtliche Verfahren, die landesrechtlich geregelt sind, die Anwendung von Vorschriften des elektronischen Rechtsverkehrs oder der elektronischen Prozessakte nicht ausdrücklich bestimmt ist, sind durch die
1. Gerichte der Arbeitsgerichtsbarkeit die hierfür vorgesehenen Vorschriften des Arbeitsgerichtsgesetzes,
2. Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit die hierfür vorgesehenen Vorschriften der Verwaltungsgerichtsordnung,
3. Finanzgerichte die hierfür vorgesehenen Vorschriften der Finanzgerichtsordnung und
4. Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit die hierfür vorgesehenen Vorschriften des Sozialgerichtsgesetzes
in der jeweils geltenden Fassung entsprechend heranzuziehen. Satz 1 gilt auch für der jeweiligen Gerichtsbarkeit angegliederte Gerichte.
(2) Durch die ordentlichen Gerichte sind unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 bei einem Verweis auf die Vorschriften der Zivilprozessordnung, des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit oder der Strafprozessordnung auch die jeweiligen Regelungen des elektronischen Rechtsverkehrs oder der elektronischen Prozessakte in der jeweils geltenden Fassung entsprechend heranzuziehen. Im Übrigen sind die Vorschriften der Zivilprozessordnung zum elektronischen Rechtsverkehr oder der elektronischen Prozessakte in der jeweils geltenden Fassung entsprechend heranzuziehen. Absatz 1 Satz 2 gilt entsprechend.“
15. Es werden ersetzt:
a) in § 1 Absatz 1 und 2 Satz 1, § 4 Absatz 2 Satz 1, § 5 Absatz 2 Satz 3 und Absatz 3, § 7 Absatz 2, § 8 Absatz 1, § 11a Absatz 6, § 21 Absatz 4, § 22, § 24 Absatz 2, § 26 Absatz 2, § 121 Absatz 1 und § 130 Satz 1 das Wort „Justizministerium“ jeweils durch die Wörter „für Justiz zuständige Ministerium“,
b) in § 2 Absatz 1, § 7 Absatz 1 Satz 1 und § 119 das Wort „Justizministerium“ jeweils durch die Wörter „für Justiz zuständigen Ministerium“,
c) in § 6 Absatz 2 Satz 2 und 3, § 27 Absatz 3, § 51 Absatz 1 Satz 2 und § 94 Absatz 2 Satz 2 das Wort „Justizministeriums“ jeweils durch die Wörter „für Justiz zuständigen Ministeriums“.
Artikel 2
Einschränkung von Grundrechten
Durch dieses Gesetz werden das Recht auf körperliche Unversehrtheit (Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes) und das Recht der Freiheit der Person (Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes) eingeschränkt.
Artikel 3
Inkrafttreten
Dieses Gesetz tritt am Tag nach der Verkündung in Kraft.
Düsseldorf, den 23. Februar 2022
Die Landesregierung Nordrhein-Westfalen
Der
Ministerpräsident
Hendrik W ü s t
Der Minister des
Innern
Zugleich für den Minister der Finanzen
Herbert R e u l
Der Minister für
Arbeit, Gesundheit und Soziales
Karl-Josef L a u m a n n
Die Ministerin für
Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung
Zugleich für den Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration
sowie
Für den Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie
Ina S c h a r r e n b a c h
Der Minister der
Justiz
gez. Peter B i e s e n b a c h
GV. NRW. 2022 S. 254