Gesetz- und Verordnungsblatt (GV. NRW.)
Ausgabe 2022 Nr. 22 vom 26.4.2022 Seite 503 bis 522

Landeskinderschutzgesetz NRW und Änderung des Kinderbildungsgesetzes
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Norm
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zugehörige Anlagen :
Anlage 1
 

Landeskinderschutzgesetz NRW und Änderung des Kinderbildungsgesetzes

216

Landeskinderschutzgesetz NRW und
Änderung des Kinderbildungsgesetzes

Der Landtag hat das folgende Gesetz beschlossen, das hiermit verkündet wird:

Landeskinderschutzgesetz NRW und
Änderung des Kinderbildungsgesetzes

Vom 13. April 2022

Artikel 1
Gesetz zum Schutz des Kindeswohls und zur Weiterentwicklung und
Verbesserung des Schutzes von Kindern und Jugendlichen in Nordrhein-Westfalen
(Landeskinderschutzgesetz NRW)

Teil 1
Grundsätze und Ziele

§ 1
Kinderrechte, Grundsätze

(1) Kinderschutz dient dem Zweck, den Rechten des Kindes oder der jugendlichen Person im Sinne von Artikel 3 des Übereinkommens über die Rechte des Kindes vom 20. November 1989 (BGBl. 1992 II S. 121), Artikel 6 des Grundgesetzes und Artikel 6 der Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen zur praktischen Wirksamkeit zu verhelfen.

(2) Kinderschutz und Kinderrechte sind untrennbar miteinander verbunden. Voraussetzung für ihre Verwirklichung ist, dass die bestehenden Rechte auf Gehör und auf Berücksichtigung der Meinung von Kindern und Jugendlichen entsprechend ihrem Alter und ihrer Reife effektiv berücksichtigt werden. Dabei sind die besonderen Belange von Kindern und Jugendlichen mit Behinderung zu beachten.

(3) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Alle nach Maßgabe der folgenden Vorschriften zum Kinderschutz berufenen Stellen sichern darüber hinaus die Rechte des Kindes oder der jugendlichen Person im Wege des kooperativen, institutionellen und intervenierenden Kinderschutzes.

§ 2
Ziele, Aufgaben und Begriffsbestimmungen

(1) Zum Zwecke des Kinderschutzes sieht dieses Gesetz Fachstandards und Maßstäbe ihrer Qualitätsentwicklung vor, benennt Instrumente der interdisziplinären Zusammenarbeit unter Beteiligung der für den Kinderschutz Verantwortlichen und Dritter und legt Maßstäbe für den Schutz von Kindern in Einrichtungen unabhängig von deren Trägerschaft fest, die durch das Land gefördert werden.

(2) Kinderschutz ist eine Querschnittsaufgabe, die durch staatliche und private Stellen, Körperschaften, Anstalten, Stiftungen oder sonstige rechtsfähige oder teilrechtsfähige Einrichtungen unabhängig von Rechtsform und Trägerschaft sowie natürliche Personen ausgeübt wird.

(3) Für die Begriffe Kind und jugendliche Person gelten die Definitionen des § 7 Absatz 1 Nummer 1 und 2 des Achten Buches Sozialgesetzbuch – Kinder und Jugendhilfe – in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. September 2012 (BGBl. I S. 2022), das zuletzt durch Artikel 32 des Gesetzes vom 5. Oktober 2021 (BGBl. I S. 4607) geändert worden ist.

(4) Beteiligte oder Beteiligter am Kinderschutz im Sinne dieses Gesetzes ist jede natürliche oder juristische Person, die Aufgaben des Kinderschutzes wahrnimmt. Ein förmlicher Bestellungs- oder Übertragungsakt ist nicht erforderlich.

(5) Kooperativer Kinderschutz besteht in der Bildung, Aufrechterhaltung und fachlichen Qualifikation interdisziplinärer Netzwerke zwischen Beteiligten am Kinderschutz mit dem Ziel, die Rechtspositionen des Kindes im Sinne von § 1 Absatz 1 zu wahren und zu fördern.

(6) Institutioneller Kinderschutz im Sinne dieses Gesetzes besteht in der Ausgestaltung von Einrichtungen und Angeboten der Kinder- und Jugendhilfe unabhängig von ihrer Rechtsnatur oder Trägerschaft einschließlich der fachlichen Qualifikationen und persönlichen Eignung der in, bei oder mit ihnen Beschäftigten oder sonst Tätigen in einer die Rechtspositionen des Kindes im Sinne von § 1 Absatz 1 und 3 Satz 2 wahrenden oder fördernden Art und Weise.

(7) Intervenierender Kinderschutz im Sinne dieses Gesetzes umfasst die entsprechenden Regelungen des Gesetzes zur Kooperation und Information im Kinderschutz vom 22. Dezember 2011 (BGBl. I S. 2975), das zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 3. Juni 2021 (BGBl. I S. 1444) geändert worden ist, den Schutzauftrag nach § 8a des Achten Buches Sozialgesetzbuch sowie die den staatlichen Stellen zustehenden Eingriffsmittel in den Rechtskreis Dritter bei Vorliegen gewichtiger Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung.

Teil 2
Stärkung der Rechte und des Schutzes von Kindern und Jugendlichen

§ 3
Kinder- und Jugendhilfe, Recht auf Beratung, Beteiligung und Information

(1) Öffentliche und freie Jugendhilfe unterstützen Kinder und Jugendliche in Gestalt der Verwirklichung des Schutzauftrages aus § 1 Absatz 1. Sie achten dabei die individuellen Lebens- und Sozialisationsbedingungen von Kindern und Jugendlichen und tragen dazu bei, Benachteiligungen zu vermeiden und abzubauen.

(2) Kinder und Jugendliche sind im Rahmen des § 8 des Achten Buches Sozialgesetzbuch entsprechend ihrem Entwicklungsstand an allen sie betreffenden Entscheidungen der öffentlichen oder freien Jugendhilfe zu beteiligen und in geeigneter Weise über ihre Rechte zu informieren. Dies erfolgt in einer für die Kinder und Jugendlichen verständlichen, nachvollziehbaren und wahrnehmbaren Art und Weise.

(3) Im Zusammenhang mit Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe nach § 2 des Achten Buches Sozialgesetzbuch und deren Wahrnehmung durch die öffentliche oder freie Jugendhilfe hat das Jugendamt Kinder und Jugendliche und ihre Familien auf die Möglichkeit der Beratung in einer sowie Vermittlung und Klärung bei Konflikten durch eine Ombudsstelle nach § 9a des Achten Buches Sozialgesetzbuch hinzuweisen.

Teil 3
Verfahren im Kinderschutz

§ 4
Aufgaben des Jugendamtes im Kinderschutzverfahren

(1) Das Jugendamt ist die zentrale Stelle für die Aufgabenwahrnehmung bei Kindeswohlgefährdungen. Zur Wahrnehmung des Schutzauftrages wirkt das Jugendamt gemeinsam mit anderen, dem Kindeswohl dienenden Institutionen und Professionen gemäß § 8a des Achten Buches Sozialgesetzbuch und § 4 des Gesetzes zur Kooperation und Information im Kinderschutz zusammen. Die Regelungen nach § 4 des Gesetzes zur Kooperation und Information im Kinderschutz bleiben unberührt.

(2) Das Jugendamt stellt durch geeignete Vorkehrungen sicher, dass Informationen über mögliche Gefährdungen von Kindern oder Jugendlichen zu jeder Zeit aufgenommen und bearbeitet werden. Es sorgt dafür, dass ein unverzügliches Handeln sichergestellt ist, um Gefahren für das Wohl von Kindern und Jugendlichen zu begegnen.

(3) Das Jugendamt beteiligt Kinder und Jugendliche bei der Gefährdungseinschätzung und im gesamten Verfahren nach § 8a des Achten Buches Sozialgesetzbuch entsprechend ihrem Alter und ihrer Reife, soweit hierdurch der wirksame Schutz dieses Kindes oder dieser jugendlichen Person nicht in Frage gestellt wird.

§ 5
Fachliche Standards in Verfahren zum Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung

(1) Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe haben nach § 79a Satz 1 des Achten Buches Sozialgesetzbuch Grundsätze und Maßstäbe für die Bewertung der Qualität sowie geeignete Maßnahmen zu ihrer Gewährleistung für den Prozess der Gefährdungseinschätzung nach § 8a des Achten Buches Sozialgesetzbuch weiterzuentwickeln, anzuwenden und regelmäßig zu überprüfen. Sie sollen dabei als Mindeststandard die fachlichen Empfehlungen „Empfehlung Schutzauftrag. Gelingensfaktoren bei der Wahrnehmung des Schutzauftrags gemäß § 8a SGB VIII. Empfehlungen für die Jugendämter“ der nach § 85 Absatz 2 des Achten Buches Sozialgesetzbuch zuständigen Behörde in ihrer im Dezember 2020 veröffentlichten, beziehungsweise nach Maßgabe des Absatzes 3 weiterentwickelten Fassung, berücksichtigen.

(2) Bei der Anwendung des Absatzes 1 haben die Jugendämter insbesondere die Beachtung folgender Verfahrensstandards sicherzustellen:

1. die geeignete fachliche Qualifikation der Fachkräfte im Jugendamt gemäß § 72 Absatz 1 des Achten Buches Sozialgesetzbuch,

2. das Zusammenwirken mehrerer Fachkräfte im Wege eines Mehraugenprinzips und

3. die schriftliche oder elektronische Dokumentation des zum jeweiligen Zeitpunkt festgestellten Gefährdungsrisikos für das betroffene Kind oder die betroffene jugendliche Person und der diese Risikobewertung tragenden tatsächlichen Umstände.

(3) Die Landesjugendämter überprüfen die fachlichen Empfehlungen nach Absatz 1 Satz 2 anlassbezogen, spätestens aber alle fünf Jahre und entwickeln diese im Einvernehmen mit der obersten Landesjugendbehörde bedarfsgerecht weiter. Dabei sollen Erkenntnisse aus den Qualitätsentwicklungsverfahren nach § 8 berücksichtigt werden.

§ 6
Stelle für Qualitätssicherung

Die oberste Landesjugendbehörde bestimmt eine für die Qualitätsberatung nach § 7 und das Qualitätsentwicklungsverfahren nach § 8 zuständige Stelle.

§ 7
Qualitätsberatung

(1) Die Jugendämter können sich in laufenden Verfahren nach § 8a des Achten Buches Sozialgesetzbuch stets mit dem Anliegen einer Qualitätsberatung an die nach § 6 zuständige Stelle wenden.

(2) Bei der Qualitätsberatung bietet die nach § 6 zuständige Stelle den Jugendämtern die fachliche Reflexion und Einschätzung konkreter, sich aus einem Sachverhalt bei einem Verfahren nach § 8a des Achten Buches Sozialgesetzbuch ergebender Einzelfragen oder abstrakter, aus einer Vielzahl ähnlich liegender Sachverhalte folgender Problemkonstellationen an und unterstützt oder berät sie bei deren Beurteilung.

(3) Die Auswahl der Sachverhalte oder Problemstellungen obliegt allein dem Jugendamt. Entscheidungen mit Außenwirkung darf die nach § 6 zuständige Stelle nicht treffen, die Verfahrenshoheit verbleibt ausschließlich beim zuständigen Jugendamt.

§ 8
Qualitätsentwicklungsverfahren

(1) Die nach § 6 zuständige Stelle unterstützt die Anwendung der fachlichen Empfehlungen gemäß § 5 Absatz 1 und 2 und die Qualitätsentwicklung gemäß § 79a des Achten Buches Sozialgesetzbuch in einem verbindlichen Verfahren (Qualitätsentwicklungsverfahren). Das Qualitätsentwicklungsverfahren besteht aus einer Evaluation und fachlichen Einordnung von konkreten Fallanalysen bereits abgeschlossener Sachverhalte sowie von Merkmalen zur Strukturqualität. Darauf aufbauend sollen Beratungsprozesse erfolgen. Das Qualitätsentwicklungsverfahren wird gemeinsam von den Jugendämtern und der nach § 6 zuständigen Stelle durchgeführt. Das Nähere zur Ausgestaltung des Qualitätsentwicklungsverfahrens regelt die nach § 6 zuständige Stelle in Abstimmung mit der obersten Landesjugendbehörde.

(2) Das Qualitätsentwicklungsverfahren wird wiederkehrend alle fünf Jahre durchgeführt. In einem Turnus von fünf Jahren sollen Qualitätsentwicklungsverfahren in allen Jugendämtern durchgeführt werden.

(3) Die Auswahl der konkreten Fälle für das Qualitätsentwicklungsverfahren erfolgt ausschließlich durch das Jugendamt. Die Auswahl soll einer möglichst repräsentativen Stichprobe der durchgeführten Gefährdungseinschätzungen der vergangenen fünf Jahre entsprechen. Sie umfasst deshalb sowohl zielgerichtet als auch zufällig ausgewählte Gegenstände.

(4) Die Durchführung eines Qualitätsentwicklungsverfahrens ist darüber hinaus auch ohne Rücksicht auf den Turnus zulässig, sofern ein Jugendamt oder die zuständige Stelle nach § 6 dies im Einzelfall anregt.

(5) Die nach § 6 zuständige Stelle erstellt über jedes Qualitätsentwicklungsverfahren einen Bericht, der dem Jugendamt vorgelegt wird. Zu den Erkenntnissen des Berichtes und daraus resultierenden Umsetzungsvorschlägen soll die Verwaltung des Jugendamtes im örtlichen Jugendhilfeausschuss berichten.

(6) Die nach § 6 zuständige Stelle veröffentlicht wiederkehrend alle fünf Jahre einen auswertenden Bericht aller in diesem Zeitraum durchgeführten Qualitätsentwicklungsverfahren in anonymisierter Form.

Teil 4
Interdisziplinäre Kooperation im Kinderschutz

§ 9
Netzwerke Kinderschutz

(1) Die Jugendämter bilden Netzwerke zur interdisziplinären Zusammenarbeit bei der Wahrnehmung des Schutzauftrags bei Kindeswohlgefährdung (Netzwerke Kinderschutz). Die Netzwerke Kinderschutz werden in jedem Jugendamtsbezirk oder jugendamtsbezirksübergreifend in interkommunaler Zusammenarbeit mehrerer benachbarter Gemeinden oder innerhalb eines Kreises gebildet, finanziert, koordiniert und laufend weiterentwickelt. Eine interkommunale Zusammenarbeit soll in Vereinbarungen geregelt werden.

(2) Jedes Jugendamt unterhält eine Koordinierungsstelle für das Netzwerk Kinderschutz, das es gebildet hat oder an dem es beteiligt ist. Im Falle eines interkommunalen Netzwerkes soll die Zusammenarbeit der beteiligten Koordinierungsstellen in Vereinbarungen geregelt werden. Aufgaben der Koordinierungsstellen sind insbesondere

1. die fachliche Begleitung des Netzwerkes in seiner Aufgabenwahrnehmung,

2. die Koordinierung von Maßnahmen zur Sicherstellung der Netzwerkstrukturen, insbesondere der Netzwerktreffen,

3. die bedarfsgerechte Organisation regelmäßiger Fortbildungsangebote für die am Netzwerk Teilnehmenden und

4. der Informationstransfer zu und aus sowie die Vertretung in anderen Netzwerken und Arbeitsgemeinschaften im Jugendamtsbezirk mit Berührungspunkten zum Kinderschutz.

(3) Das Netzwerk Kinderschutz soll die Rahmenbedingungen für eine effektive und schnelle Zusammenarbeit bei möglicher Kindeswohlgefährdung sicherstellen. Hierzu gehören insbesondere

1. die strukturelle Vernetzung der mit einer möglichen Kindeswohlgefährdung befassten Stellen im Jugendamtsbezirk,

2. Absprachen zum Verfahren bei möglicher Kindeswohlgefährdung gemäß § 8a des Achten Buches Sozialgesetzbuch und § 4 des Gesetzes zur Kooperation und Information im Kinderschutz und

3. die Herstellung von Transparenz über Mitteilungswege und die Übermittlung von Informationen gemäß § 4 des Gesetzes zur Kooperation und Information im Kinderschutz.

Zur Erreichung der in den Sätzen 1 und 2 genannten Ziele können im Netzwerk anonymisierte Fallkonferenzen durchgeführt werden. Das Netzwerk informiert bürgernah die Öffentlichkeit über Verfahren, Strukturen und Ansprechpersonen im Kinderschutz.  

(4) In das Netzwerk Kinderschutz sollen Vertretungen insbesondere folgender Einrichtungen oder Berufsgruppen einbezogen werden:

1. das Jugendamt, insbesondere der Allgemeine Soziale Dienst,

2. Träger von Einrichtungen und Diensten, mit denen Vereinbarungen gemäß § 8a Absatz 4 des Achten Buches Sozialgesetzbuch bestehen,

3. insoweit erfahrene Fachkräfte, 

4. Geheimnisträger gemäß § 4 Absatz 1 des Gesetzes zur Kooperation und Information im Kinderschutz,

5. Schulen,

6. Gesundheitsämter,

7. Polizei- und Ordnungsbehörden,

8. Familiengerichte,

9. Staatsanwaltschaften,

10. Verfahrensbeistände,

11. Träger der Eingliederungshilfe für Minderjährige nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch vom 23. Dezember 2016 (BGBl. I S. 3234), das zuletzt durch Artikel 7c des Gesetzes vom 27. September 2021 (BGBl. I S. 4530) geändert worden ist, und

12. Netzwerke Frühe Hilfen.

Weitere Einrichtungen und Berufsgruppen können nach Maßgabe der örtlichen Gegebenheiten vertreten sein.

(5) Das Netzwerk Kinderschutz organisiert mit Unterstützung der Koordinierungsstelle Kinderschutz bedarfsgerecht, mindestens jedoch dreimal jährlich, interdisziplinäre Qualifizierungsangebote zur Wahrnehmung des Schutzauftrags bei Kindeswohlgefährdung für Einrichtungen oder Berufsgruppen nach Absatz 4.

Teil 5
Kinderschutzkonzepte

§ 10
Pflegekinderhilfe

(1) Zur Sicherung der Rechte von Kindern und Jugendlichen in Pflegeverhältnissen entwickeln die Landesjugendämter Empfehlungen gemäß § 79a des Achten Buches Sozialgesetzbuch für die Jugendämter.

(2) Die Landesjugendämter überprüfen die Empfehlungen anlassbezogen, spätestens aber alle fünf Jahre, und entwickeln diese bedarfsgerecht weiter. An diesem Prozess wird auch die oberste Landesjugendbehörde beteiligt.

(3) Das Jugendamt stellt im Rahmen des § 37b Absatz 1 des Achten Buches Sozialgesetzbuch sicher, dass während der Dauer des Pflegeverhältnisses ein nach Maßgabe fachlicher Handlungsleitlinien nach § 79a des Achten Buches Sozialgesetzbuch entwickeltes Konzept zur Sicherung der Rechte des Kindes oder der jugendlichen Person und zum Schutz vor Gewalt angewandt wird. Hierzu sollen die Pflegeperson sowie das Kind oder die jugendliche Person vor der Aufnahme und während der Dauer des Pflegeverhältnisses beraten und an der auf das konkrete Pflegeverhältnis bezogenen Ausgestaltung des Konzepts beteiligt werden.

§ 11
Schutzkonzepte in Einrichtungen und Angeboten der Kinder- und Jugendhilfe

(1) Nach den Maßgaben der Regelungen des Achten Buches Sozialgesetzbuch sowie dieses Gesetzes ist in Einrichtungen und Angeboten der Kinder- und Jugendhilfe ein Konzept zur Sicherung der Rechte von Kindern und Jugendlichen und zu deren Schutz vor Gewalt zu entwickeln, anzuwenden und zu überprüfen oder auf die Entwicklung, Anwendung und Überprüfung hinzuwirken sowie die Wahrnehmung der Aufgaben nach § 8a Absatz 4 des Achten Buches Sozialgesetzbuch sicherzustellen (Kinderschutzkonzept). Dieses Konzept umfasst Maßnahmen zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor körperlicher, psychischer und sexualisierter Gewalt, Machtmissbrauch in der Einrichtung oder dem Angebot sowie Maßnahmen zum Schutz von Kindern und Jugendlichen bei gewichtigen Anhaltspunkten für eine Kindeswohlgefährdung. Das Kinderschutzkonzept ist angepasst auf die Einrichtung oder das Angebot zu entwickeln. Kinder und Jugendliche sind an der Entwicklung des Kinderschutzkonzeptes entsprechend ihrem Alter und ihrer Reife zu beteiligen.

(2) Die Träger von Einrichtungen im Sinne des § 45a des Achten Buches Sozialgesetzbuch haben im Rahmen des § 45 Absatz 2 Satz 2 Nummer 4 des Achten Buches Sozialgesetzbuch die Entwicklung, Anwendung und Überprüfung eines Schutzkonzeptes vor Gewalt zu gewährleisten. In Vereinbarungen der Jugendämter mit den Trägern ist die Wahrnehmung der Aufgaben nach § 8a Absatz 4 SGB des Achten Buches Sozialgesetzbuch sicherzustellen.

(3) Die Träger von Einrichtungen oder Angeboten nach dem Kinder- und Jugendförderungsgesetz vom 12. Oktober 2004 (GV. NRW. S. 572), das zuletzt durch Gesetz vom 26. Februar 2019 (GV. NRW. S. 151) geändert worden ist, wirken auf die Entwicklung, Anwendung und Überprüfung eines Kinderschutzkonzeptes hin, sofern sie Förderung aus Landesmitteln gemäß § 16 Absatz 1 des Kinder- und Jugendförderungsgesetzes beantragen oder bereits erhalten.

(4) Kindertagespflegepersonen haben auch in ihrer pädagogischen Konzeption die Sicherung der Rechte von Kindern zu gewährleisten. Sie haben in allen Fragen zur Sicherung des Kindeswohls und zum Schutz der Kinder vor Gewalt einen Anspruch auf Beratung. In Vereinbarungen der Jugendämter mit den Kindertagespflegepersonen ist die Wahrnehmung der Aufgaben nach § 8a Absatz 5 des Achten Buches Sozialgesetzbuch sicherzustellen.

(5) Die Träger von außerunterrichtlichen Angeboten der Offenen Ganztagsschulen im Primarbereich wirken auf die Entwicklung, Anwendung und Überprüfung eines Kinderschutzkonzeptes in den Angeboten hin und streben eine Verzahnung mit in den Primarschulen bestehenden oder zu entwickelnden Schutzkonzepten gegen Gewalt an. 

(6) Die Umsetzung von Kinderschutzkonzepten nach den Absätzen 2 bis 5 soll in den Einrichtungen und Angeboten durch die Träger fachlich beraten und durch Qualifizierungsangebote unterstützt werden. Die oberste Landesjugendbehörde trifft mit den kommunalen Spitzenverbänden, den Spitzenverbänden der Freien Wohlfahrtspflege, den Kirchen und den Verbänden der Träger unter Beteiligung der Landesjugendämter Vereinbarungen über die Qualitätssicherung und -entwicklung für Kinderschutzkonzepte.

Teil 6
Belastungsausgleich und Förderung durch das Land

§ 12
Belastungsausgleich durch das Land

(1) Für die wesentlichen Belastungen der örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe infolge der Übernahme der in den §§ 5, 8 und 9 geregelten Aufgaben wird ein finanzieller Ausgleich nach Maßgabe dieses Gesetzes und des Konnexitätsausführungsgesetzes vom 22. Juni 2004 (GV. NRW. S. 360), das zuletzt durch Artikel 12 des Gesetzes vom 1. Dezember 2021 (GV. NRW. S. 1346) geändert worden ist, gewährt.

(2) Der finanzielle Ausgleich beträgt im Jahr 2022 45 794 944 Euro, im Jahr 2023 69 098 724 Euro und in den darauffolgenden Jahren jeweils 69 505 033 Euro. Die Höhe des jeweiligen Aufwandes und die für die Berechnung getroffenen Annahmen ergeben sich aus der Kostenfolgeabschätzung, die diesem Gesetz beigefügt ist (Anlage).

(3) Der Ausgleich nach Absatz 2 wird auf die einzelnen örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe verteilt. Der Anteil des jeweiligen örtlichen Trägers der öffentlichen Jugendhilfe ergibt sich für die Aufgaben nach § 5 aus der Anzahl der Kinder und Jugendlichen im Jugendamtsbezirk im Verhältnis zur landesweiten Gesamtzahl der Kinder und Jugendlichen laut Fortschreibung des Bevölkerungsstandes durch den Landesbetrieb Information und Technik Nordrhein-Westfalen zum 31. Dezember 2020. Der Anteil des jeweiligen örtlichen Trägers der öffentlichen Jugendhilfe ergibt sich für die Aufgaben nach § 9 aus der Anzahl der Kinder und Jugendlichen im Jugendamtsbezirk im Verhältnis zur landesweiten Gesamtzahl der Kinder und Jugendlichen laut Fortschreibung des Bevölkerungsstandes durch den Landesbetrieb Information und Technik Nordrhein-Westfalen zum 31. Dezember 2020. Für Aufgaben nach § 9 Absatz 1 bis 4 wird dabei bei den Personalkosten ein Sockel in Höhe von 0,5 Vollzeitäquivalenten angesetzt, sofern der Anteil unter diesen Wert absinkt. Für Aufgaben nach § 9 Absatz 1 bis 4 und 5 wird dabei bei den Sachkosten ein Sockel in Höhe von 5 000 Euro angesetzt, sofern der Anteil unter diesen Wert absinkt.

(4) Der Ausgleich erfolgt zum 30. Juni des betreffenden Jahres. Davon abweichend wird der Ausgleich für das Jahr 2022 am 30. September 2022 ausgezahlt.

§ 13
Überprüfung der Kostenfolgeabschätzung

(1) Zuständige Behörde nach § 5 des Konnexitätsausführungsgesetzes ist die oberste Landesjugendbehörde.

(2) Die oberste Landesjugendbehörde überprüft nach Abstimmung mit den kommunalen Spitzenverbänden im Einvernehmen mit dem für Kommunales zuständigen Ministerium und dem für Finanzen zuständigen Ministerium die Kostenfolgeabschätzung und die gesamten Auswirkungen dieses Gesetzes zum 30. Juni 2024 und danach wiederkehrend alle drei Jahre. Im Übrigen gilt § 4 des Konnexitätsausführungsgesetzes. Über den Belastungsausgleich ist zeitnah eine erneute Entscheidung zu treffen, wenn sich herausstellt, dass die Annahmen der Kostenprognose unzutreffend waren und der Ausgleich deshalb grob unangemessen ist.

(3) Die oberste Landesjugendbehörde wird ermächtigt, im Einvernehmen mit dem für Kommunales zuständigen Ministerium und dem für Finanzen zuständigen Ministerium den Verteilschlüssel gemäß § 12 Absatz 3 an die Fortschreibung des Bevölkerungsstandes durch den Landesbetrieb Information und Technik Nordrhein-Westfalen anzupassen.

§ 14
Förderung durch das Land

(1) Das Land unterstützt die Entwicklung, Anwendung und Überprüfung von Kinderschutzkonzepten nach den §§ 10 und 11 durch Förderung der Qualifizierung des pädagogischen Personals sowie der Fachberatung. Die Höhe der Förderung wird für den Bereich der Kindertagesbetreuung jährlich unter Berücksichtigung der Zahl der Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflegepersonen, für die ein Zuschuss nach § 47 des Kinderbildungsgesetzes vom 3. Dezember 2019 (GV. NRW. S. 894, ber. 2020 S. 77) in der jeweils geltenden Fassung gezahlt wird, angepasst.

(2) Das Land unterstützt die Schaffung und den Betrieb von Ombudsstellen nach § 9a des Achten Buches Sozialgesetzbuch. Das Land stellt hierfür jährlich insgesamt einen Betrag in Höhe von 1 500 000 Euro zur Verfügung.

(3) Im Jahr des Inkrafttretens nach § 19 Satz 1 erfolgt die Förderung anteilig entsprechend der Zeit vom Inkrafttreten nach § 19 Satz 1 bis zum Jahresende im Vergleich zum gesamten Jahr.

§ 15
Erprobung innovativer Maßnahmen im Kinderschutz

(1) Das Land setzt sich für die innovative Weiterentwicklung des Kinderschutzes ein. Zur modellhaften Erprobung von Maßnahmen, insbesondere zur Sicherung und Weiterentwicklung der Prozess- und Strukturqualität bei der Wahrnehmung der Aufgaben nach § 8a des Achten Buches Sozialgesetzbuch, kann die Oberste Landesjugendbehörde hierzu Abweichungen von den Regelungen dieses Gesetzes zulassen. Die Regelungen des Achten Buches Sozialgesetzbuch bleiben hiervon unberührt.

(2) Sofern die Erkenntnisse aus Maßnahmen nach Absatz 1 geeignet sind, können diese insbesondere im Rahmen von Qualitätsentwicklungsverfahren nach § 8 sowie bei der Weiterentwicklung von Empfehlungen nach § 5 Absatz 3 von den zuständigen Stellen berücksichtigt werden.

Teil 7
Datenschutz, Berichtswesen

§ 16
Datenschutz

Datenschutzrechtliche Bestimmungen, insbesondere solche über den Sozialdatenschutz nach § 35 Absatz 1 und 2 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil – (Artikel I des Gesetzes vom 11. Dezember 1975, BGBl. I S. 3015), das zuletzt durch Artikel 32 des Gesetzes vom 20. August 2021 (BGBl. I S. 3932) geändert worden ist, §§ 61 bis 68 des Achten Buches Sozialgesetzbuch und §§ 67 bis 85a des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – in der Fassung der Bekanntmachung vom 18. Januar 2001 (BGBl. I S. 130), das zuletzt durch Artikel 45 des Gesetzes vom 20. August 2021 (BGBl. I S. 3932) geändert worden ist, bleiben von den Vorschriften dieses Gesetzes unberührt. Soweit ein Datenumgang bei der Anwendung dieses Gesetzes erforderlich ist oder erfolgt, richtet er sich ausschließlich nach den in Satz 1 genannten Vorschriften.

§ 17
Berichtswesen

Die oberste Landesjugendbehörde stellt den Rahmen für ein landesweites Berichtswesen zur Strukturqualität im Kinderschutz zur Verfügung. Die Jugendämter können sich an dem Berichtswesen beteiligen. Die oberste Landesjugendbehörde kann Dritte zur Umsetzung des Berichtswesens hinzuziehen.

Teil 8
Schlussbestimmungen

§ 18
Berichtspflicht

Die Landesregierung berichtet dem Landtag spätestens zum 31. Dezember 2026 über die Erfahrungen bei der Anwendung dieses Gesetzes.

§ 19
Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt vorbehaltlich des Satzes 2 am 1. Mai 2022 in Kraft. Die §§ 6 bis 8 treten am 1. Juli 2023 in Kraft.

Artikel 2
Änderung des Kinderbildungsgesetzes

Das Kinderbildungsgesetz vom 3. Dezember 2019 (GV. NRW. S. 894, ber. 2020 S. 77) wird wie folgt geändert:

1. In § 22 Absatz 2 Satz 3 Nummer 2 wird das Wort „Vereinbarung“ durch das Wort „Verordnung“ ersetzt.

2. In § 22 Absatz 2 Satz 3 Nummer 2, § 28 Absatz 1 Satz 1 und 4 und Absatz 3 Satz 1 und § 32 Absatz 3 Nummer 4 wird jeweils das Wort „Personalvereinbarung“ durch das Wort „Personalverordnung“ ersetzt.

3. In § 46 Absatz 5 Satz 2 wird das Wort „zehn“ durch die Angabe „15,595“ ersetzt.

4. § 47 Absatz 3 wird wie folgt geändert:

a) In Satz 1 wird die Angabe „1 000“ durch die Angabe „1 100“ ersetzt.

b) In Satz 3 wird die Angabe „500“ durch die Angabe „550“ ersetzt.

Artikel 3
Inkrafttreten

(1) Artikel 1 tritt vorbehaltlich des Satzes 2 am 1. Mai 2022 in Kraft. Die §§ 6 bis 8 des Landeskinderschutzgesetzes vom 13. April 2022 (GV. NRW. S. 509) treten am 1. Juli 2023 in Kraft.

(2) Artikel 2 tritt am 1. August 2022 in Kraft.

Düsseldorf, den 13. April 2022

Die Landesregierung Nordrhein-Westfalen

Der Ministerpräsident
Hendrik  W ü s t

Für den Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration sowie
Für die Ministerin für Schule und Bildung
Der Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie
Prof. Dr. Andreas P i n k w a r t

Der Minister des Innern
Zugleich für den Minister der Finanzen sowie
Für den Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales sowie
Für die Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung
Herbert  R e u l

Der Minister der Justiz
Peter  B i e s e n b a c h

GV. NRW. 2022 S. 509