Ministerialblatt (MBl. NRW.)
Ausgabe 2009 Nr. 15 vom 29.5.2009 Seite 253 bis 262

Polizeigewahrsamsordnung für das Land Nordrhein-Westfalen RdErl. d. Innenministeriums - 43.57.01.08 - v. 20.3.2009
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Polizeigewahrsamsordnung für das Land Nordrhein-Westfalen RdErl. d. Innenministeriums - 43.57.01.08 - v. 20.3.2009

2051

Polizeigewahrsamsordnung für das Land Nordrhein-Westfalen

RdErl. d. Innenministeriums - 43.57.01.08 -
v. 20.3.2009

Inhaltsübersicht

1. Allgemeines

§ 1 Geltungsbereich

§ 2 Verhalten gegenüber Verwahrten

§ 3 Gewahrsamsnachweis

2. Aufnahme

§ 4 Einlieferung

§ 5 Gewahrsamsfähigkeit

§ 6 Durchsuchung, Sicherstellung

§ 7 Vernehmungen

3.Unterbringung

§ 8 Arten der Unterbringung

§ 9 Verpflegung

§ 10 Alkohol- und Rauschmittelkonsum

§ 11 Körperpflege

§ 12 Aufenthalt im Freien

§ 13 Zuwendungen

§ 14 Druckschriften

§ 15 Postverkehr

§ 16 Besuche

§ 17 Verkehr mit dem Verteidiger

4. Gewahrsamszelle

§ 18 Ausstattung

§ 19 Temperatur

§ 20 Beleuchtung

§ 21 Reinigung. Lüftung

§ 22 Laufende Überprüfung

§ 23 Inanspruchnahme eines anderen Gewahrsams

5. Sicherheit und Ordnung im Gewahrsam

§ 24 Verschluss

§ 25 Kontrollen

§ 26 Eigensicherung

§ 27 Sicherungsmaßnahmen

§ 28 Schadensersatz

§ 29 Besondere Vorkommnisse

§ 30 Todesfälle

6. Entlassung

§ 31 Entlassung, Übergabe an eine andere Dienststelle oder Behörde

§ 32 Rückgabe sichergestellter Gegenstände

7. Schlussbestimmungen

§ 33 Ergänzende Vorschriften

§ 34 Inkrafttreten

1.
Allgemeines

§ 1
Geltungsbereich

(1) Diese Verwaltungsvorschrift regelt den Vollzug der Freiheitsentziehung im Polizeigewahrsam.

Polizeigewahrsame dienen der kurzzeitigen, sicheren Unterbringung in Zellen und allen sonstigen für den Gewahrsamsbetrieb erforderlichen Räumen (Zugänge, Flure, Nebenräume).

(2) Kinder und Jugendliche dürfen - mit Ausnahme des Satzes 3 - nicht in einem Polizeigewahrsam untergebracht werden. Können sie nicht sofort einer erziehungsberechtigten Person oder dem Jugendamt zugeführt werden, so sind sie außerhalb eines Polizeigewahrsams zu beaufsichtigen. Dies gilt nicht für Jugendliche, die aus strafprozessualen Gründen in Gewahrsam genommen worden sind oder die den Dienstbetrieb erheblich stören.

§ 2
Verhalten gegenüber Verwahrten

(1) Auf Jugendliche, Kranke, Behinderte und ältere Personen ist besondere Rücksicht zu nehmen.

(2) Der Umgang mit dem Verwahrten ist auf das dienstlich notwendige Maß zu beschränken.

(3) Dem Verwahrten dürfen nur solche Beschränkungen auferlegt werden, die der Zweck der Verwahrung oder die Ordnung im Gewahrsam erfordern.

(4) Die Grundsätze der Eigensicherung sind zu beachten.

§ 3
Gewahrsamsnachweis

(1) Über Verwahrte ist als Nachweis die Einlieferungsanzeige zu führen. Hierauf sind alle Daten und Vermerke für die Zeit des Gewahrsams einer Person von der Aufnahme bis zur Entlassung, Vorführung oder dem anderweitigen Verbleib einzutragen.

(2) Die Nachweise sind mindestens fünf Jahre aufzubewahren.

2.
Aufnahme

§ 4
Einlieferung

(1) Bei der Aufnahme ist von dem einliefernden Beamten eine Einlieferungsanzeige vorzulegen. Die Personalien der eingelieferten Person sind festzustellen; etwaige Widersprüche unverzüglich aufzuklären. Die Übergabe und Übernahme der Person ist in den Vordruck Freiheitsentziehung und in die Einlieferungsanzeige einzutragen und durch Unterschrift zu bescheinigen.

(2) Der einliefernde Beamte ist verpflichtet, auf Tatsachen, die für die Aufnahme und die Art der Unterbringung bedeutsam sind, ausdrücklich in der Einlieferungsanzeige hinzuweisen. Bedeutsam sind insbesondere Gefährlichkeit, Eigengefährdung, Verletzungen, Krankheit, Mittäterschaft und die in § 8 genannten Umstände.

(3) Dem Verwahrten ist Gelegenheit zu geben, einen Angehörigen oder eine Person seines Vertrauens zu benachrichtigen, sofern der Zweck der Verwahrung dadurch nicht gefährdet wird; hierüber entscheidet die sachbearbeitende Dienststelle. Die Benachrichtigung soll von Amts wegen durchgeführt werden, wenn der Verwahrte selbst nicht in der Lage ist und die Benachrichtigung seinem mutmaßlichen Willen nicht widerspricht. Wenn der Verwahrte nicht wünscht oder darauf verzichtet, dass jemand benachrichtigt wird, so ist dem zu entsprechen, falls nicht besondere Gründe eine Benachrichtigung geboten erscheinen lassen. Der Grund der Nichtbenachrichtigung ist in der Einlieferungsanzeige zu dokumentieren. Bei Minderjährigen, entmündigten oder unter vorläufige Vormundschaft gestellten Personen ist derjenige zu benachrichtigen, dem die Sorge für die Person obliegt.

(4) Verwahrten mit ausländischer Staatsangehörigkeit ist Gelegenheit zu geben, die konsularische Vertretung ihres Heimatstaates zu unterrichten.

(5) Dem Verwahrten ist ein Vordruck mit der Belehrung über seine Rechte in einer ihm verständlichen Sprache auszuhändigen. Die Aushändigung ist von dem Verwahrten durch Unterschrift auf der Einlieferungsanzeige zu bestätigen.

Wird die Unterschrift verweigert oder ist eine Aushändigung aus anderen Gründen nicht möglich, so ist dies zu vermerken und von dem einliefernden Beamten zu unterzeichnen.

§ 5
Gewahrsamsfähigkeit

(1) Grundsätzlich darf nur aufgenommen werden, wer gewahrsamsfähig ist. Nicht gewahrsamsfähig ist, wer bewusstlos, orientierungslos, nicht ansprechbar ist oder sonst einer sofortigen ärztlichen Versorgung bedarf.

Eine vorübergehende Unterbringung von nicht gewahrsamsfähigen Personen im Gewahrsam ist nur zulässig, wenn die Einlieferung in ein Krankenhaus, die Überstellung in häusliche Fürsorge oder ähnliche Maßnahmen nicht möglich sind und die Verwahrung zum eigenen Schutz dieser Person oder zum Schutz der Allgemeinheit zwingend erforderlich ist.

Abweichend von § 25 sind nicht gewahrsamsfähige Personen unter Dauerbeobachtung zu stellen.

(2) Die Gewahrsamsfähigkeit ist in Zweifelsfällen von der Polizei unverzüglich durch einen Arzt feststellen zu lassen.

Zweifel sind insbesondere bei Personen angebracht, die äußere, offensichtlich nicht unerhebliche Verletzungen haben, stark unter Alkohol-/Medikamenten- und/oder Drogeneinfluss stehen, erhebliche Alkohol-, Medikamenten- oder Drogenentzugserscheinungen wie Verwirrtheitszustände oder Halluzinationen zeigen, Äußerungen über Schmerzen, krankhafte Zustände und Medikamentenbedarf machen oder Hinweise für Schädelverletzungen bieten.

Die Untersuchung des Verwahrten soll nach Möglichkeit in einem dafür geeigneten Untersuchungsraum erfolgen. Ist eine medikamentöse Versorgung des Verwahrten erforderlich, so ist diese durch die Polizei sicherzustellen. Medizinische Daten des Verwahrten sollen den Polizeibeamten nur soweit erforderlich zugänglich gemacht werden.

Das Resultat der ärztlichen Untersuchung und eventuelle Auflagen bzw. Einschränkungen müssen dokumentiert werden.

(3) Die ärztliche Untersuchung mit ihrem Ergebnis (Gewahrsamsfähigkeit) ist in der Einlieferungsanzeige zu vermerken. Wird der Verwahrte in einem Krankenhaus untergebracht, so ist er erforderlichenfalls zu bewachen.

§ 6
Durchsuchung, Sicherstellung

(1) Gegenstände, die von dem Verwahrten mitgeführt werden, sind sicherzustellen, wenn sie verwendet werden können, um

1. sich oder andere zu töten oder zu verletzen,

2. fremde Sachen zu beschädigen oder

3. die Flucht zu ermöglichen oder zu erleichtern.

In Betracht kommen z. B.:

Messer, Essbestecke, Schnürsenkel, Rasierklingen, Nagelfeilen, Werkzeuge, Gürtel, Hosenträger,  Feuerzeuge, Zündhölzer, Stöcke, Schirme, evtl. auch Arzneimittel.

Bargeld und sonstige Wertsachen, die der Sicherstellung nicht unterliegen, sind in amtliche Verwahrung zu nehmen.

Sichergestellte und verwahrte Gegenstände sind sorgfältig aufzubewahren. Sie sind unter genauer Bezeichnung in die Einlieferungsanzeige einzutragen. Bei Bargeld ist die Höhe des Betrages anzugeben. Die einzuliefernde Person soll die Eintragung bestätigen. Wird die Unterschrift verweigert, ist dies zu vermerken und von dem einliefernden Beamten mitzuzeichnen.

Bereits gefertigte Sicherstellungsprotokolle sind der Einlieferungsanzeige beizufügen.

(2) Der Verwahrte ist bei seiner Einlieferung in das Gewahrsam durch den aufnehmenden Beamten des Polizeigewahrsams auf die in Absatz 1 bezeichneten Gegenstände gründlich zu durchsuchen; dies gilt auch bei der Wiedereinlieferung des Verwahrten nach vorübergehender Abwesenheit vom Gewahrsam, wenn die Durchsuchung nicht offensichtlich unnötig erscheint. § 163 b Abs. 2 Satz 2, 2. Halbsatz StPO bleibt unberührt. Bei der Übergabe eines Verwahrten an einen Beamten einer anderen Dienststelle ist eine erneute Durchsuchung durchzuführen, wenn sie nicht offensichtlich unnötig erscheint. Die Durchsuchung soll nicht in Gegenwart Unbeteiligter vorgenommen werden. Mit der Durchsuchung befasste Personen sind durch geeignete Vorsorge gegen tätliche Angriffe zu sichern.

(3) Eingelieferte Personen dürfen nur von Bediensteten des gleichen Geschlechts durchsucht werden.

§ 7
Vernehmungen

(1) Vernehmungen im Gewahrsam dürfen grundsätzlich nur in dafür bestimmten Räumen durchgeführt werden.

(2) Muss der Verwahrte das Gewahrsam vorübergehend zu Ermittlungs- oder Untersuchungszwecken verlassen, so ist seine Abwesenheit in der Einlieferungsanzeige zu vermerken und vom übernehmenden Beamten zu bescheinigen. Entsprechend ist bei der Wiederaufnahme zu verfahren.

3.
Unterbringung

§ 8
Arten der Unterbringung

(1) Verwahrte sollen möglichst einzeln untergebracht werden. Die Einzelunterbringung ist durchzuführen, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Verwahrte eine Gefahr für sich oder andere darstellt oder Verdunkelungsgefahr besteht. Es ist zu verhindern, dass Personen, die aus strafprozessualen Gründen verwahrt werden, mit anderen Verwahrten in Verbindung treten können, die der Mittäterschaft, Teilnahme, Begünstigung, Strafvereitelung oder Hehlerei bezüglich derselben Tat verdächtig oder bereits abgeurteilt oder als Zeugen beteiligt sind.

(2) Frauen und Männer sind getrennt, Jugendliche getrennt von Erwachsenen unterzubringen. Bei nahen Familienangehörigen (Ehegatten, Eltern, Kindern und Geschwister) sind Ausnahmen zulässig.

(3) Ist jemand aufgrund polizeirechtlicher Vorschriften in Verwahrung genommen worden, so soll er ohne seine Einwilligung nicht mit Personen, die aus strafprozessualen Gründen verwahrt werden, in demselben Raum verwahrt werden. Bei der Unterbringung von Untersuchungsgefangenen ist § 119 Abs. 1 und 2 StPO zu beachten.

§ 9
Verpflegung

(1) Der Verwahrte ist angemessen zu verpflegen. Die Verpflegung besteht aus Frühstück, Mittag- und Abendkost. Auf Verlangen ist den Verwahrten vegetarische oder vegane Kost zu reichen. Diätkost soll von Amts wegen nur auf ärztliche Anordnung verabreicht werden. Den Verwahrten ist zu ermöglichen, Speisevorschriften ihrer Religionsgemeinschaft zu befolgen.

(2) Verwahrte können eine Verpflegung auf eigene Kosten beschaffen, soweit der Dienstbetrieb hierdurch nicht beeinträchtigt wird.

§ 10
Alkohol- und Rauschmittelkonsum

Der Konsum von Alkohol und Rauschmitteln ist dem Verwahrten nicht erlaubt.

§ 11
Körperpflege

(1) Dem Verwahrten ist täglich Gelegenheit zu einer einfachen körperlichen Reinigung zu geben. Das Rasieren soll gestattet werden, wenn es unter Aufsicht geschieht und Gründe der Sicherheit nicht entgegenstehen.

(2) Reinigungsmittel und Handtücher sind bereitzustellen.

§ 12  
Aufenthalt im Freien

(1) Sofern Gründe der Sicherheit nicht entgegenstehen, kann dem Verwahrten gestattet werden, sich täglich bis zu 30 Minuten unter Aufsicht im Freien aufzuhalten.

(2) Personen, die voneinander getrennt zu verwahren sind, dürfen sich nicht gleichzeitig im Freien aufhalten.

§ 13
Zuwendungen

(1) Sachen zum persönlichen Gebrauch oder Verbrauch, die für Verwahrte abgegeben werden, dürfen erst nach Durchsicht und nur dann ausgehändigt werden, wenn es mit dem Zweck der Verwahrung oder der Ordnung im Gewahrsam vereinbar ist. Der Empfänger (sofern dieser nicht befragt werden kann, der Absender) muss mit einer Überprüfung der Zuwendungen einverstanden sein; andernfalls sind die Gegenstände zurückzuweisen.

(2) Geldbeträge, die für einen Verwahrten abgegeben werden, sind anzunehmen, aufzubewahren und in der Einlieferungsanzeige einzutragen. § 6 Abs. 1 Sätze 4 und 5 gelten entsprechend. Der Verwahrte ist zu unterrichten.

§ 14
Druckschriften

Verwahrte dürfen handelsübliche Druckschriften beziehen, soweit Gründe der Sicherheit nicht entgegenstehen. Dies gilt auch für Personen, die aus strafprozessualen Gründen verwahrt werden, sofern nicht eine Gefährdung des Untersuchungszweckes zu befürchten ist. Im Zweifel entscheidet hierüber die sachbearbeitende Dienststelle.

§ 15
Postverkehr

(1) Postsendungen an Personen, die aus strafprozessualen Gründen verwahrt werden, sind ungeöffnet der sachbearbeitenden Dienststelle zuzuleiten.

(2) Standard- und Kompaktbrief (max. L: 235 mm, B:125 mm, H 10 mm, bis 50 g), Postkarten und Telegramme an sonstige Verwahrte unterliegen keinen Beschränkungen.

(3) Für abgehende Sendungen gelten die Absätze 1 und 2 entsprechend.

§ 16
Besuche

(1) Der Verwahrte darf Besuch nur mit Einverständnis der sachbearbeitenden Dienststelle empfangen.

Als Besucher sollen nur nahe Familienangehörige (vgl. § 8 Abs. 2), Rechtsanwälte und Rechtsbeistände, Geistliche und konsularische Vertreter zugelassen werden.

(2) Besuche dürfen nur in Gegenwart des Sachbearbeiters oder eines anderen mit dem Sachverhalt vertrauten Beamten stattfinden. Dieser achtet darauf, dass Gegenstand und Inhalt der Unterredung mit dem Zweck der Verwahrung vereinbar sind. Die Unterredung in einer nichtdeutschen Sprache ist nur zulässig, wenn sie der anwesende Beamte versteht oder der Besucher oder der Verwahrte einen zuverlässigen Dolmetscher zur Verfügung stellen oder der Besucher selbst die Gewähr für eine einwandfreie Übersetzung bietet.

Die Besuchsdauer ist grundsätzlich auf 15 Minuten zu beschränken.

(3) Auf Verlangen hat sich der Besucher auszuweisen. Besuche sind in der Einlieferungsanzeige einzutragen.

§ 17
Umgang mit dem Verteidiger

(1) § 16 Abs. 2 Satz 1 findet im Umgang mit einem Verteidiger keine Anwendung.

(2) Der Verteidiger muss sich als solcher durch die Vollmacht des Verwahrten oder die Bestellungsanordnung des Gerichts ausweisen. Besuche eines Verteidigers sind in der Einlieferungsanzeige einzutragen.

4.
Gewahrsam

§ 18
Ausstattung

(1) Für verwahrte Personen sind eine Matratze und Wolldecken nach Bedarf  bereitzustellen. Von der Ausgabe dieser Gegenstände kann abgesehen werden, wenn der Verwahrte nur tagsüber oder nur für kurze Zeit untergebracht wird und kein besonderes Ruhebedürfnis besteht.

(2) Die in Gewahrsamszellen vorhandenen Gegenstände sollen möglichst so beschaffen sein, dass der Verwahrte weder sich selbst noch andere verletzen kann.

§ 19
Temperatur

In Gewahrsamszellen soll die Heizung eine Raumtemperatur von 20° Celsius gewährleisten.

§ 20
Beleuchtung

Die Gewahrsamszelle ist, sofern das Tageslicht nicht ausreicht, zu beleuchten. Zur Nachtruhe kann die Beleuchtung abgeschaltet oder abgedämpft werden. Die Gewahrsamszelle ist dauernd in dem erforderlichen Umfang zu beleuchten, wenn und soweit es aus Sicherheitsgründen notwendig ist.

§ 21
Reinigung, Lüftung

(1) Gewahrsamszellen und andere zur vorübergehenden Aufnahme von Verwahrten bestimmte Räume müssen den hygienischen Erfordernissen entsprechend gereinigt werden. Art und Umfang der Reinigung richtet sich nach einem Hygieneplan, der unter Beteiligung des Polizeiarztes / des Betriebsarztes zu erstellen ist und regelmäßig auf dem aktuellen Stand der medizinischen / hygienischen Erkenntnisse angepasst werden sollte.

(2) Zur Reinigung und Desinfektion sind geeignete Kräfte heranzuziehen.

Erforderliche Schutzausstattung (z.B. Kittel, Handschuhe, partikelfiltrierende Halbmasken bzw. Mund Nasen-Schutz) ist den Bediensteten nach Maßgabe des Polizeiarztes unter Berücksichtigung der konkreten Gefährdungsbeurteilung und des erstellten Hygieneplanes zur Verfügung zu stellen.

(3) Die Gewahrsamszelle ist regelmäßig und ausreichend zu lüften, auch wenn sie nicht belegt ist.

§ 22  
Laufende Überprüfung

(1) Gewahrsamszellen sowie die Ausstattungs- und Gebrauchsgegenstände sind vor und nach jeder Belegung auf Sicherheit und Sauberkeit zu überprüfen.

(2) Die für das Polizeigewahrsam zuständige Führungskraft hat sich in angemessenen Abständen vom Zustand der Gewahrsamszellen zu überzeugen. Die Überprüfungen sind auch auf die Außenfront des Gewahrsams auszudehnen und haben sich auf alle Sicherheitseinrichtungen (Türen, Fenster, Gitter, Schlösser, Riegel, Fußböden, Wände, Stromleitungen usw.) zu erstrecken. Mängel sind unverzüglich abzustellen.

(3) Das Gewahrsam ist mindestens 1x jährlich vom Polizeiarzt/Betriebsarzt zu begehen. Dabei soll der Zustand des Gewahrsams auf Aspekte des medizinischen Arbeitsschutzes und der Hygiene überprüft werden.

§ 23
Inanspruchnahme eines anderen Gewahrsams

Ist eine Unterbringung im Einzelfall auch im Gewahrsam einer anderen Polizeibehörde nicht möglich, kann die zu verwahrende Person ausnahmsweise auch in einem Haftraum einer Justizvollzugsanstalt verwahrt werden, welchen der Leiter der Anstalt der Polizei zu diesem Zweck zur Verfügung stellt.

5.
Sicherheit und Ordnung im Gewahrsam

§ 24
Verschluss

Die Türen der Gewahrsamszellen und anderer der zur vorübergehenden Unterbringung von verwahrten Personen bestimmten Räume sowie die Gitter- und Ausgangstüren sind unter Verschluss zu halten. Die Schlüssel sind bei Dienstende zu übergeben und sachgerecht zu verwahren.

§ 25
Kontrollen

(1) Verwahrte sind in angemessenen Zeitabständen, mindestens stündlich, einer Sichtkontrolle zu unterziehen.

(2) Personen, bei denen der Hinweis der Eigengefährdung besteht und der Kontrollmodus nicht fallbezogen durch den Arzt präzisiert wurde, sind mindestens viertelstündlich einer Bewusstseinskontrolle (u.a. Erweckbarkeit und Orientierung nach Zeit, Raum und Person) zu unterziehen. Diese Personen sind gegebenenfalls unter Dauerbeobachtung zu stellen, soweit nicht andere Sicherungsmaßnahmen ausreichen.

(3) Personen, die unter Alkohol-/Medikamenten- und/oder Drogeneinfluss stehen, die Hinweise für Schädelverletzungen bieten oder  hilflose Personen sind, sind mindestens während der ersten zwei Stunden viertelstündlich einer Bewusstseinskontrolle (u.a. Erweckbarkeit und Orientierung nach Zeit, Raum und Person) zu unterziehen soweit nicht anderweitig ärztlich bestimmt. § 5 bleibt unberührt.

(4) Die Kontrollen sind mit Uhrzeit und Namenszeichen der kontrollierenden Beschäftigten auf der Einlieferungsanzeige oder einem gesonderten Kontrollblatt einzutragen. Das Kontrollblatt ist mit der Einlieferungsanzeige aufzubewahren (vgl. § 3 Abs. 2).

§ 26
Eigensicherung

(1) Das Gewahrsam darf nur aus dienstlichen Gründen und unter Beachtung der erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen aufgesucht werden.

(2) Innerhalb des Gewahrsams dürfen grundsätzlich keine Schusswaffen getragen werden. Der Leiter der Dienststelle kann Ausnahmen zulassen.

(3) Die Gewahrsamszelle soll nur von zwei Beamten betreten werden. Ist die Gewahrsamszelle mit gewalttätigen Personen belegt, ist die Gewahrsamszelle von mindestens zwei Beamten zu betreten.

Sind kontrollierender Beamter und Verwahrter unterschiedlichen Geschlechts, ist ein zweiter Beamter vor Betreten des Gewahrsamraums hinzuziehen.

§ 27
Sicherungsmaßnahmen

(1) Bei Gewalttätigkeiten, Widerstand, Fluchtversuchen, bei Eigengefährdung oder wenn besondere Umstände für eine Gefangenenbefreiung sprechen, sind, unter besonderer Berücksichtigung des  Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, folgende Maßnahmen zulässig:

1. Unterbringung in einem anderen geeigneten Raum,

2. Fesselung,

3. Fixierung.

(2) Fixierung ist die Fesselung an die in den Gewahrsamszellen dafür vorgesehenen Fixierungsstellen (Griffmulden) mittels der bei der Polizei NRW zulässigen Fixierungsmittel.

Die Fixierung hat grundsätzlich in der Art zu erfolgen, dass die Betätigung der Meldeeinrichtung (Sensortaster der Zellenrufanlage) durch den Fixierten gewährleistet ist oder eine ständige persönliche Beobachtung erfolgt.

Die Fixierung an allen vier Fixierungsstellen in Bauch- oder Rückenlage ist nur dann zulässig, wenn eine durchgängige persönliche Beobachtung gewährleistet ist. Körperliche Einwirkungen auf den Rücken- und auf den Brustbereich sind zu vermeiden.

Liegen Indikatoren und Verhaltensauffälligkeiten vor, ist zur Verhinderung des „Positional Asphyxia Phänomens“ eine Fixierung der Verwahrten grundsätzlich in Seitenlage oder im Sitzen aus medizinischer Sicht durchzuführen. Eine durchgängige persönliche Beobachtung ist bei der in der Seitenlage oder im Sitzen fixierten Person zu gewährleisten.

(3) Maßnahmen nach Absatz 1 und 2 sollen grundsätzlich nur von dem aufsichtführenden  Beamten angeordnet werden. Sie sind unter Angabe der Gründe, der Art und der Dauer in der Einlieferungsanzeige einzutragen.

§ 28
Schadensersatz

Verwahrte, die Räume oder Gegenstände verunreinigen, beschädigen oder zerstören, sind auf Schadensersatz in Anspruch zu nehmen.

§ 29
Besondere Vorkommnisse

(1) Besondere Vorkommnisse (z. B. Gewalttätigkeiten, die Anwendung unmittelbaren Zwangs, Flucht- und Selbsttötungsversuche, Unfälle, ernste Erkrankungen) sind in der Einlieferungsanzeige zu vermerken.

Sonstige Meldepflichten bleiben hiervon unberührt.

(2) Bei Krankmeldungen oder äußerlich erkennbaren Erkrankungen ist unverzüglich ein Arzt hinzuzuziehen. Liegt der Verdacht einer ansteckenden Krankheit vor, so ist der Erkrankte sofort getrennt unterzubringen. Der Arzt entscheidet über die Notwendigkeit von Gewahrsamserleichterungen, Sonderverpflegung, die Gewahrsamsfähigkeit und eine stationäre Behandlung. Ist bei Personen, die aus strafprozessualen Gründen verwahrt werden, eine stationäre Behandlung erforderlich, so sind sie nach Möglichkeit in das  Justizvollzugskrankenhaus in Fröndenberg einzuliefern; die Einlieferung bedarf der vorherigen Zustimmung des leitenden Arztes des Justizvollzugskrankenhauses. Die sachbearbeitende Dienststelle ist zu unterrichten.

§ 30
Todesfälle

(1) Der Tod eines Verwahrten ist unverzüglich den nahen Angehörigen (vgl. § 8 Abs. 2), einer Person seines Vertrauens oder seinem gesetzlichen Vertreter bekannt zu geben.

(2) Der Behördenleiter und die sachbearbeitende Dienststelle sind unverzüglich zu unterrichten.

Der Todesfall ist dem Standesamt nach den gesetzlichen Vorschriften anzuzeigen; die Anzeige darf keinen Hinweis auf das Gewahrsam als Sterbeort enthalten.

(3) Die Todesursache ist durch einen Arzt feststellen zu lassen. In jedem Fall ist auch eine Untersuchung durch die zuständige Polizeidienststelle zu veranlassen. Auf § 159 StPO wird hingewiesen.

(4) Über die Aushändigung sichergestellter Gegenstände und in Verwahrung genommener Gegenstände an die Berechtigten entscheidet die sachbearbeitende Dienststelle. Die Aushändigung von Gegenständen ist in der Einlieferungsanzeige zu vermerken; der Empfang ist bestätigen zu lassen.

6.
Entlassung

§ 31
Entlassung, Übergabe an eine andere Dienststelle oder Behörde

(1) Die Entlassung des Verwahrten, seine Übergabe an eine andere Dienststelle oder Behörde sowie die Vorführung vor den Staatsanwalt oder Richter bedürfen einer schriftlichen Anweisung der sachbearbeitenden Dienststelle. In Eilfällen ist eine telefonische Anweisung zulässig; die Richtigkeit der Anweisung ist durch Rückruf zu überprüfen.

(2) Muss ein Verwahrter zur Nachtzeit entlassen werden, so kann ihm - wenn dienstliche Gründe nicht entgegenstehen -gestattet werden, bis zum Morgen im Gewahrsam zu bleiben. Dies ist in der Einlieferungsanzeige zu vermerken und vom Verwahrten zu unterschreiben. Der Verwahrte unterliegt auch in diesem Falle den Bestimmungen der Gewahrsamsordnung.

(3) Die Entlassung und Übergabe des Verwahrten sind in der Einlieferungsanzeige einzutragen. Die Eintragung ist von dem Beamten zu unterschreiben, der den Verwahrten entlässt oder in Empfang nimmt.

§ 32
Rückgabe sichergestellter Gegenstände

(1) Entlassenen sind die sichergestellten Gegenstände und in Verwahrung genommener Gegenstände zurückzugeben, soweit sie nicht weiterhin sichergestellt oder in amtlicher Verwahrung bleiben (§ 6 Abs. 1). Der Empfang ist in der Einlieferungsanzeige zu bestätigen. Wird die Unterschrift verweigert, so ist dies zu vermerken.

(2) Werden Verwahrte einer anderen Dienststelle oder Behörde übergeben, so sind die in Absatz l genannten Gegenstände dem abholenden Beamten auszuhändigen. Der abholende Beamte bestätigt den Empfang in der Einlieferungsanzeige.

7.
Schlussbestimmungen

§ 33
Ergänzende Vorschriften

Die Polizeibehörden erlassen unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse des Gewahrsams (Größe, Lage, Beschaffenheit) ergänzende Vorschriften, um einen sachgemäßen und sicheren Dienstbetrieb zu gewährleisten. .Dies gilt insbesondere für

1. die Alarmierung von Unterstützungskräften,

2. das Verhalten in Gefahrensituationen (z. B. Ausbruch von Feuer),

3. die ärztliche Betreuung,

4. die Verpflegung,

5. das Verfahren zur Reinigung und Desinfektion der Gewahrsamsräume.

§ 34
Inkrafttreten / Außerkrafttreten

Dieser RdErl tritt mit Wirkung vom 1.4.2009 in Kraft und tritt mit Ablauf des 31.12.2014 außer Kraft.

Gleichzeitig mit Inkrafttreten dieses RdErl. tritt die Polizeigewahrsamsordnung vom 27.7.1979 (SMBl. NRW. 2051) - außer Kraft.

- MBl. NRW. 2009 S. 254