Ministerialblatt (MBl. NRW.)
Ausgabe 2009 Nr. 31 vom 27.11.2009 Seite 529 bis 544

Verwaltungsvorschriften zur Ausführung des Landesbeamtengesetzes VV d. Innenministeriums - 24-1.03.02-101/09 - v. 10.11. 2009
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Verwaltungsvorschriften zur Ausführung des Landesbeamtengesetzes VV d. Innenministeriums - 24-1.03.02-101/09 - v. 10.11. 2009

2030

Verwaltungsvorschriften
zur Ausführung des Landesbeamtengesetzes

VV d. Innenministeriums - 24-1.03.02-101/09 -
v. 10.11. 2009

Aufgrund des § 59 des Landesbeamtengesetzes wird zur Ausführung dieser Vorschrift vom Innenministerium bestimmt:

Artikel 1

VV zu § 59 LBG NRW / § 42 BeamtStG

1
Das Bewusstsein über das grundsätzliche Verbot der Annahme von Vorteilen, die in Bezug auf das Amt gegeben werden, muss geschärft und aufrechterhalten werden.

1.1
Beamte müssen jeden Anschein vermeiden, im Rahmen ihrer Amtsführung für persönliche Vorteile empfänglich zu sein. Die Annahme von Belohnungen oder Geschenken ohne ausdrückliche oder allgemeine Zustimmung des Dienstvorgesetzten ist ein Dienstvergehen (§ 47 BeamtStG). Sie stellt einen Verstoß gegen die aus § 42 Abs. 1 BeamtStG folgende Pflicht der Beamten dar. Bei Ruhestandsbeamten oder früheren Beamten mit Versorgungsbezügen gilt es nach § 47 Abs. 2 BeamtStG als Dienstvergehen, wenn sie gegen das Verbot der Annahme von Belohnungen oder Geschenken in Bezug auf ihr früheres Amt verstoßen.

2
Ein Beamter macht sich unter bestimmten Voraussetzungen durch die Annahme von Belohnungen und Geschenken strafbar (vgl. §§ 331 ff. StGB).

3
Ein Verstoß gegen das Verbot der Annahme von Belohnungen und Geschenken kann dienst-, disziplinar- und strafrechtliche Folgen nebeneinander nach sich ziehen.

3.1
Die Einstufung des Dienstvergehens bestimmt sich auch im Falle der Annahme von Belohnungen und Geschenken wegen der Bandbreite der möglichen Handlungsformen nach den Umständen des Einzelfalls.

3.2
Die disziplinarischen Mittel des Landesdisziplinargesetzes sind mit Nachdruck anzuwenden. Gemäß § 17 Abs. 1 LDG ist ein Disziplinarverfahren von Amts wegen durch die dienstvorgesetzte Stelle einzuleiten, wenn zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, die den Verdacht eines Dienstvergehens rechtfertigen. Gleichzeitig ist die höhere dienstvorgesetzte Stelle hierüber unverzüglich zu unterrichten.

3.3
Wird ein Beamter wegen Vorteilsannahme oder Bestechlichkeit zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr oder mehr verurteilt, so endet das Beamtenverhältnis kraft Gesetzes mit der Rechtskraft des Urteils (§ 24 Abs. 1 BeamtStG). Ist der Beamte nach Begehung der Tat in den Ruhestand getreten, so verliert er mit der Rechtskraft der Entscheidung seine Rechte als  Ruhestandsbeamter (§ 59 Abs. l Nr. l BeamtVG).

3.4
Wird eine geringere Strafe verhängt, so wird das bis dahin nach den Vorschriften des Landesdisziplinargesetzes ausgesetzte Disziplinarverfahren unverzüglich fortgeführt. Angesichts der Bedeutung des in Rede stehenden Dienstvergehens ist im Einzelfall genau zu prüfen, ob bei Zugrundelegung der Rechtsprechung die behördlichen Maßnahmen ausreichen oder ob die Erhebung der Disziplinarklage geboten ist.

3.4.1
Hat der Beamte bares Geld angenommen, so ist ohne Rücksicht auf die strafrechtliche Qualifikation eines solchen Verhaltens in der Regel die Erhebung der Disziplinarklage angezeigt, bei der der Beamte mit der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis, der Ruhestandbeamte mit der Aberkennung des Ruhegehalts rechnen muss. Ausnahmsweise kann nach Abwägung der Umstände des Einzelfalls eine Kürzung der Dienstbezüge oder eine Kürzung des Ruhegehalts ausreichend sein.

3.4.2
Sofern eine Fallkonstellation vorliegt, in der die Disziplinargerichte in der Vergangenheit auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis, Aberkennung des Ruhegehalts oder Versetzung in ein Amt derselben Laufbahn mit geringerem Endgrundgehalt erkannt haben, ist stets Disziplinarklage zu erheben
.

3.4.3
Die Möglichkeiten des § 14 Abs. 1 Nr. 2 LDG sind zu beachten.

4
Belohnungen und Geschenke sind alle Zuwendungen wirtschaftlicher oder nichtwirtschaftlicher Art, die vom Geber oder in seinem Auftrag von dritten Personen dem Beamten unmittelbar oder mittelbar zugewendet werden, ohne dass der Beamte einen Rechtsanspruch hierauf hat (Vorteil).

4.1
Ein Vorteil kann liegen in

-         der Zahlung von Geld,

-     der Überlassung von Gutscheinen (z.B. Telefon- oder Eintrittskarten) oder von Gegenständen (z.B. Fahrzeuge, Baumaschinen) zum privaten Gebrauch oder Verbrauch,

-     besonderen Vergünstigungen bei Privatgeschäften (z.B. zinslose oder zinsgünstige Darlehen, verbilligter Einkauf),

-     der Zahlung unverhältnismäßig hoher Vergütungen für - auch genehmigte - private Nebentätigkeiten (z.B. Vorträge, Gutachten),

-     der Überlassung von Fahrkarten oder Flugtickets, der Mitnahme auf Reisen,

-     Bewirtungen,

-     der Gewährung von Unterkunft,

-     erbrechtlichen Begünstigungen (z.B. Zuwendung eines Vermächtnisses oder Einsetzung als Erbe),

-     sonstigen Zuwendungen jeder Art.

Auf den Wert der Belohnung oder des Geschenkes kommt es grundsätzlich nicht an.

4.2
Für die Anwendbarkeit des § 42 BeamtStG ist es ohne Bedeutung, ob der Vorteil dem Beamten unmittelbar oder - z.B. bei Zuwendungen an Angehörige - nur mittelbar zugute kommt. Die Weitergabe von Vorteilen an Dritte, z.B. Verwandte, Bekannte, andere Bedienstete oder soziale Einrichtungen, „rechtfertigt” nicht deren Annahme; auch in diesen Fällen ist die Zustimmung des Dienstvorgesetzten erforderlich.

5
„In Bezug auf das Amt” ist ein Vorteil immer dann gewährt, wenn die zuwendende Person sich davon leiten lässt, dass der Beamte ein bestimmtes Amt bekleidet oder bekleidet hat. Ein Bezug zu einer bestimmten Amtshandlung ist nicht erforderlich. „Zum Amt” gehören neben dem Hauptamt auch jedes Nebenamt und jede sonstige auf Verlangen, Vorschlag oder Veranlassung des Dienstvorgesetzten ausgeübte Nebentätigkeit. In Bezug auf das Amt gewährt kann auch eine Zuwendung sein, die der Beamte durch eine im Zusammenhang mit  seinen dienstlichen Aufgaben stehende Nebentätigkeit erhält.

5.1
Der Tatbestand aus VV 5 ist auch erfüllt, wenn einem Ruhestandsbeamten oder einem entlassenen Beamten für sein Handeln oder Unterlassen als früherer Beamter ein Vorteil gewährt wird.

5.2
Vorteile, die ausschließlich mit Rücksicht auf Beziehungen innerhalb der privaten Sphäre des Beamten gewährt werden, sind nicht „in Bezug auf das Amt” gewährt. Derartige Beziehungen dürfen aber nicht mit Erwartungen in Bezug auf die dienstliche Tätigkeit des Beamten verknüpft sein. Erkennt der Beamte, dass an den persönlichen Verkehr derartige Erwartungen geknüpft werden, darf er weitere Vorteile nicht mehr annehmen. Die unter VV 6.1 dargestellte Verpflichtung, den Dienstvorgesetzten von versuchten Einflussnahmen auf die Amtsführung zu unterrichten, gilt auch hier.

6
Der Beamte darf eine Zuwendung ausnahmsweise annehmen, wenn die vorherige Zustimmung des Dienstvorgesetzten vorliegt oder wenn die Zuwendung nach VV 8 als stillschweigend genehmigt anzusehen ist. Bei der Beantragung der Zustimmung hat der Beamte die für die Entscheidung maßgeblichen Umstände vollständig mitzuteilen.

6.1
Wenn die Zustimmung nicht rechtzeitig herbeigeführt werden kann, darf der Beamte die Zuwendung ausnahmsweise vorläufig annehmen, wenn er von deren nachträglicher Erteilung ausgehen darf. In diesem Fall muss er aber unverzüglich um nachträgliche Zustimmung nachsuchen. Hat der Beamte Zweifel, ob die Annahme eines Vorteils unter § 42 BeamtStG fällt oder stillschweigend genehmigt ist, so hat er die Genehmigung zu beantragen. Darüber hinaus ist er verpflichtet, über jeden Versuch, seine Amtsführung durch das Angebot von Geschenken oder Belohnungen zu beeinflussen, seinen Dienstvorgesetzten zu unterrichten.

7
Die Zustimmung zur Annahme eines Vorteils darf nur erteilt werden, wenn nach Lage des Falles nicht zu besorgen ist, dass die Annahme die objektive Amtsführung des Beamten beeinträchtigt oder bei dritten Personen, die von der Zuwendung Kenntnis erlangen, den Eindruck seiner Befangenheit entstehen lassen könnte.

7.1
Die Zustimmung darf nicht erteilt werden, wenn mit der Zuwendung von Seiten der zuwendenden Person erkennbar eine Beeinflussung des dienstlichen Handelns (VV 5) beabsichtigt ist oder in dieser Hinsicht Zweifel bestehen.

7.2
Die Zustimmung kann mit der Auflage erteilt werden, die Zuwendung an eine soziale Einrichtung, an den Dienstherrn oder eine sonstige Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts weiterzugeben; in der Regel wird es zweckmäßig sein, die zuwendende Person von der Weitergabe der Zuwendung zu unterrichten.

7.3
Die Zustimmung ist schriftlich zu erteilen, wenn es sich um Vorteile von nicht nur geringem Wert (VV 8) handelt.

7.4
Die Zustimmung des Dienstvorgesetzten zur Annahme eines Vorteils schließt jedoch die Rechtswidrigkeit und damit die Strafbarkeit nicht aus, wenn der Vorteil vom Beamten gefordert worden ist oder die Gegenleistung für eine vergangene oder künftige pflichtwidrige Amtshandlung darstellt.

8
Die Annahme von nach allgemeiner Auffassung nicht zu beanstandenden geringwertigen Aufmerksamkeiten (z.B. Massenwerbeartikel wie Kugelschreiber, Kalender, Schreibblocks) sowie von Geschenken aus dem Mitarbeiterkreis des Beamten (z. B. aus Anlass eines Geburtstages oder Dienstjubiläums) im herkömmlichen Umfang kann allgemein als stillschweigend genehmigt angesehen werden.

8.1
Als stillschweigend genehmigt angesehen werden kann auch eine übliche und angemessene Bewirtung bei allgemeinen Veranstaltungen, an denen der Beamte im Rahmen seines Amtes, in dienstlichem Auftrag oder mit Rücksicht auf die ihm durch das Amt auferlegten gesellschaftlichen Verpflichtungen teilnimmt, z.B. Einführung und Verabschiedung von Amtspersonen, offizielle Empfänge, gesellschaftliche Veranstaltungen, die der Pflege dienstlicher Interessen dienen, Jubiläen, Grundsteinlegungen, Richtfeste, Einweihungen, Eröffnungen von Ausstellungen, Betriebsbesichtigungen sowie Sitzungen von Organen wirtschaftlicher Unternehmungen, an denen die öffentliche Hand beteiligt ist.

8.2
Als stillschweigend genehmigt kann auch die Teilnahme an Bewirtungen aus Anlass oder bei Gelegenheit dienstlicher Handlungen, Besprechungen, Besichtigungen oder dergleichen angesehen werden, wenn die Bewirtungen üblich und angemessen sind und wenn sie ihren Grund in den Regeln des Verkehrs und der Höflichkeit haben, denen sich auch ein Beamter nicht entziehen kann, ohne gegen gesellschaftliche Formen zu verstoßen.

8.3
Die Annahme von Vorteilen, die die Durchführung eines Dienstgeschäftes erleichtern oder beschleunigen (z.B. die Abholung eines Beamten mit einem Kraftfahrzeug vom Bahnhof) gelten als stillschweigend genehmigt.

8.4
Stillschweigende Genehmigungen entbinden nicht von Angaben nach reisekostenrechtlichen Vorschriften.

9
Bei der Annahme von Einladungen ist äußerste Zurückhaltung zu üben; es ist schon der Anschein zu vermeiden, dass dienstliche Interessen beeinträchtigt werden.

9.1
Die gesellschaftliche Vertretung einer Behörde beschränkt sich auf die Behördenleitung und die von ihr beauftragten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

10
Der Dienstvorgesetzte kann sich bei Verletzung seiner Pflichten eines Dienstvergehens schuldig und nach § 357 StGB strafbar machen. Auf die Pflicht nach § 17 Abs. 1 LDG, bei zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkten für einen Verstoß gegen das Verbot der Annahme von Belohnungen und Geschenken ein Disziplinarverfahren unter Beachtung der übrigen Voraussetzungen des Landesdisziplinargesetzes einzuleiten, wird ausdrücklich hingewiesen.

Artikel 2

Die Verwaltungsverordnung tritt am 1. November 2009 in Kraft; sie tritt am 31. Dezember 2014 außer Kraft.

- MBl. NRW. 2009 S. 532