Ministerialblatt (MBl. NRW.)
Ausgabe 2010 Nr. 14 vom 3.5.2010 Seite 293 bis 308

Berücksichtigung von Aspekten des Umweltschutzes und der Energieeffizienz bei der Vergabe öffentlicher Aufträge Runderlass des Ministeriums für Wirtschaft, Mittelstand und Energie vom 12.4.2010
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Berücksichtigung von Aspekten des Umweltschutzes und der Energieeffizienz bei der Vergabe öffentlicher Aufträge Runderlass des Ministeriums für Wirtschaft, Mittelstand und Energie vom 12.4.2010

20021

Berücksichtigung von Aspekten des Umweltschutzes und der
Energieeffizienz bei der Vergabe öffentlicher Aufträge

Runderlass des Ministeriums für Wirtschaft, Mittelstand und Energie
vom 12.4.2010

1.

Ziele und Rechtsgrundlagen

Bei der Vergabe öffentlicher Aufträge ist der Zuschlag auf das wirtschaftlichste Angebot unter Berücksichtigung von Aspekten des Umweltschutzes und der Energieeffizienz zu erteilen. Dieser Runderlass zeigt auf, welche Möglichkeiten das geltende Vergaberecht bietet, um die bestehenden Verpflichtungen umzusetzen. Dabei ist zu beachten, dass der Schutz der Umwelt, die Förderung der Energieeffizienz und der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit nicht im Gegensatz zueinander stehen, sondern sich gegenseitig ergänzen. Neben den positiven Umwelteffekten können auch nachhaltige Kosteneinsparungen bei öffentlichen Auftraggebern erzielt werden. Diese Potenziale sollen von den öffentlichen Auftraggebern (Bedarfs- und Vergabestellen) genutzt werden.

Die Verpflichtung zur Berücksichtigung von Aspekten des Umweltschutzes und der Energieeffizienz ergibt sich u. a. aus folgenden Vorschriften:

-               Art. 29a der Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen,

-               § 97 Abs. 4 Satz 2 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB),

-               §§ 4 bzw. 6 der Vergabeverordnung (VgV) sowie

-               § 2 des Abfallgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (LAbfG).

Der Erlass berücksichtigt ferner das Handbuch der Europäischen Kommission für ein umweltfreundliches öffentliches Beschaffungswesen aus dem Jahr 2005 http://ec.europa.eu/environment/gpp/pdf/buying_green_handbook_de.pdf.

2.

Umsetzung in Vergabeverfahren

Zur Verwirklichung der oben genannten Ziele beachten die öffentlichen Auftraggeber des Landes gemäß § 98 Nr. 1, 2, 5 und 6 GWB bei der Beschaffung von Waren, Dienstleistungen und Bauleistungen die folgenden Bestimmungen:

2.1

Anwendungsbereich:

Aspekte des Umweltschutzes und der Energieeffizienz sind grundsätzlich bei allen Beschaffungsvorgängen zu berücksichtigen. Eine praktische Relevanz ergibt sich insbesondere bei Aufträgen in den folgenden Bereichen:

-               Bauwesen,

-               Fahrzeuge und Verkehrsdienstleistungen,

-               Energie (einschließlich Strom, Heizung und Kühlung aus erneuerbaren Energiequellen),

-               Informations- und Kommunikationstechnik,

-               Papier, Kopierer, Druckereileistungen,

-               Entsorgungsdienstleistungen,

-               Möbel und Holzprodukte,

-               Bekleidung, Uniformen und andere Textilwaren,

-               Reinigungsprodukte und -dienstleistungen,

-               Verpflegungs- und Cateringdienstleistungen sowie

-               Ausstattungen für das Gesundheitswesen.

2.2

Bedarfsanalyse und Auswahl des Auftragsgegenstandes

Im Rahmen der jeder Beschaffungsmaßnahme voranzustellenden Bedarfsanalyse ist jeweils der Aspekt einer umweltfreundlichen und energieeffizienten Systemlösung zu prüfen. Eine solche Systemlösung kann z.B. durch die Ausschreibung innovativer Verfahren oder Produkte (z.B. Produkte aus nachwachsenden Rohstoffen oder aus Abfällen) erzielt werden.

Beispiele:

-               Bei Dienstleistungen ist dabei insbesondere auf die Art der Durchführung und auf die zu verwendenden Stoffe zu achten.

-               Bei Bauaufträgen sind Recyclingbaustoffe und der Baustoff Holz – ihren technischen und ökologischen Eigenschaften entsprechend – gleichberechtigt in die Planungsüberlegungen einzubeziehen.

-               Vergabeverfahren, in denen nur Primärrohstoffe zugelassen werden, obwohl aus Abfällen hergestellte Erzeugnisse verwendbar wären, verstoßen gegen die gesetz­lichen Vorgaben des § 2 LAbfG. Im Falle der Ausschreibung von mineralischen Stoffen bei öffentlichen Baumaßnahmen regelt der Erlass des Ministeriums für Umwelt und Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz vom 6.9.2005 weitere Einzelheiten (www.umwelt.nrw.de/umwelt/pdf/erlass_ausschreibungen.pdf).

Neben den voraussichtlichen Anschaffungskosten sind unter Berücksichtigung des sog. Lebenszyklusprinzips auch z.B. die voraussichtlichen Betriebskosten über die Nutzungsdauer – vor allem die Kosten für den Energieverbrauch – sowie die Entsorgungskosten zu berücksichtigen. Weitergehende Informationen zu den Voraussetzungen der Lebenszykluskostenanalyse finden sich im Vergabeportal Nordrhein-Westfalen (vgl. Ziffer 3).

Bei Durchführung der Lebenszykluskostenanalyse ist die Verhältnismäßigkeit zwischen administrativem Aufwand und den zu erwartenden Vorteilen für den Umweltschutz und die Energieeffizienz zu wahren.

Wenn umwelt- und energieeffizienzbezogene Mindestanforderungen festzulegen sind, sind sie in der Leistungsbeschreibung (vgl. Ziffer 2.3) oder als Eignungskriterium (vgl. Ziffer 2.4) aufzunehmen. Soweit sie als Wertungskriterien (vgl. Ziffer 2.5) bei der Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebots einbezogen werden sollen, ist die Gewichtung der Kriterien in den Vergabeunterlagen bekannt zu machen.

2.3

Leistungsbeschreibung

2.3.1

Auftragsgegenstand

Die Anforderungen an Umweltschutz und Energieeffizienz können sowohl im Rahmen einer konventionellen Leistungsbeschreibung als auch durch konstruktive, funktionale oder durch eine Kombination der beiden Arten der Leistungsbeschreibung (vgl. § 7 VOL/A, § 8 EG VOL/A bzw. § 7 VOB/A) vergaberechtlich umgesetzt werden.

a)

Konstruktive Mindeststandards

Konstruktive Mindeststandards bezüglich umweltfreundlicher und/oder energieeffizienter Eigenschaften können z.B. durch Heranziehung von technischen Spezifikationen festgelegt werden, die durch die europäischen Vorgaben im Bereich der  Energieverbrauchskennzeichnung, durch die Durchführungsmaßnahmen nach der EU-Ökodesign-Richtlinie oder durch Umweltzeichen („Blauer Engel“, Europäisches Umweltzeichen „Energy Star“ oder andere Energieverbrauchs- und Umweltzeichen) definiert sind.

Umweltzeichen werden für Produkte vergeben, die im Vergleich zu konkurrierenden Erzeugnissen der gleichen Produktgruppe eine geringe Umweltbelastung aufweisen. Soweit für ein Produkt mit dem „Blauen Engel“ oder dem Europäischen Umweltzeichen geworben werden darf, ist für die Vergabestelle eine erneute Überprüfung seiner Umwelteigenschaften nur veranlasst, wenn besondere Umstände vorliegen.

In den Vergabeunterlagen muss neben dem Nachweis durch die oben genannten Umweltzeichen auch ausdrücklich der Nachweis durch andere geeignete Mittel, insbesondere durch eine Eigenerklärung des Bieters zur Einhaltung der Kriterien (vgl. Mustererklärung in Anlage) oder alternativ durch nachvollziehbare technische Unterlagen des Herstellers oder Prüfberichte anerkannter Stellen zugelassen werden.

Die jeweils aktuellen Listen und weiterführende Informationen zum Umweltzeichen „Blauer Engel" und zum EU-Umweltzeichen finden sich im Internet unter www.blauer-engel.de und www.eco-label.com. Informationsmaterialien zu den Umweltzeichen können zudem beim Umweltbundesamt bezogen werden.

b)

Funktionale Leistungsbeschreibungen

Funktionale Leistungsbeschreibungen bieten die Möglichkeit, Innovation im Bereich des Umweltschutzes und/oder der Energieeffizienz zu erzielen. Dabei werden nicht die konstruktiven Details der Produkte oder Dienstleistung beschrieben, sondern die gewünschte Funktionalität im Hinblick auf das gewünschte Ergebnis. Mit Hilfe von entsprechenden Wertungskriterien (vgl. unter Ziffer 2.5) lassen sich die unterschiedlichen Lösungskonzepte der Bieter bei der Zuschlagsentscheidung bewerten.

2.3.2

Auftragsausführung

Darüber hinaus soll der öffentliche Auftraggeber von den Bietern ein umweltfreundliches, insbesondere energieeffizientes Verhalten fordern, soweit es sich um Bedingungen handelt, die sich auf die Auftragsausführung beziehen und im sachlichen Zusammenhang mit dem Auftragsgegenstand stehen.

Beispiele:

-               Bei Lieferleistungen können in geeigneten Fällen als umweltfreundliche und energieeffizienzbezogene Ausführungsbedingungen Bedingungen an die umweltfreundliche Verpackung, an die Rücknahme von Abfällen bzw. von Geräten nach Beendigung der Nutzungszeit gestellt werden.

-               Bei Dienstleistungen ist es möglich, eine Schulung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Unternehmens über Umwelt- und Energieeffizienzaspekte zu verlangen.

2.3.3

Sonderregeln für Entsorgungsdienstleistungen, Holzprodukte und Denkmäler

a)

Bei Entsorgungsdienstleistungen sind neben den Vorgaben des Vergaberechts und des Landesabfallgesetzes insbesondere die Festlegungen des Abfallwirtschaftsplans Nordrhein-Westfalen, Teilplan Siedlungsabfälle, zu berücksichtigen.

(www.umwelt.nrw.de/umwelt/abfall/abfallwirtschaftsplanung/siedlungsabfall/)

b)

Holzprodukte müssen nachweislich aus legaler und nachhaltiger Waldbewirtschaftung stammen. Der Nachweis ist vom Bieter durch Vorlage eines Zertifikates von PEFC, FSC, vergleichbare Zertifikate oder durch Einzelnachweise zu erbringen. Vergleichbare Zertifikate oder gleichwertige Einzelnachweise sind anzuerkennen, wenn vom Bieter durch ein Gutachten eines anerkannten Zertifizierungsbüros nachgewiesen wird, dass die für das jeweilige Herkunftsland geltenden Kriterien des PEFC oder FSC erfüllt werden. Die notwendigen Prüfungen dieser Gutachten werden vom Johann Heinrich von Thünen-Institut - Bundesforschungsinstitut für Ländliche Räume, Wald und Fischerei, Institut für Weltforstwirtschaft - auf Kosten des Bieters durchgeführt. Informationen zu PEFC und FSC können im Internet unter www.pefc.de bzw. www.fsc-deutschland.de abgerufen werden.

c)

Im Falle von Bauvorhaben an Denkmälern ist die Denkmalverträglichkeit der zu beschaffenden Baustoffe und Bauleistungen zu berücksichtigen.

2.4

Eignungskriterien

Im Rahmen der Eignungsprüfung kann der öffentliche Auftraggeber in der Ausschreibung von den Bietern und Bewerbern zum Nachweis ihrer Leistungsfähigkeit verlangen, dass das zu beauftragende Unternehmen bestimmte Normen für das Umweltmanagement erfüllt, sofern diese für die Ausführung des Auftrages relevant sind (z.B. bei Transport-, Reinigungs- und Entsorgungs­dienstleistungen). Geeignete Nachweise sind insbesondere eine Zertifizierung nach EMAS oder nach ISO 14001. Im Übrigen wird auf § 7 Abs. 11 EG VOL/A sowie § 6 a Abs. 11 Nr. 1 VOB/A verwiesen.

2.5

Wertungskriterien und Angebotswertung

Soweit umwelt- und energieeffizienzbezogene Merkmale als Mindestanforderungen in der Leistungsbeschreibung (vgl. Ziffer 2.3) aufgenommen wurden, scheiden solche Angebote, die diese Anforderungen nicht erfüllen, gemäß § 16 Abs. 7 und 8 VOL/A bzw. § 19 Abs. 8 und 9 EG VOL/A sowie § 16 VOB/A aus dem weiteren Vergabeverfahren aus. Das gilt auch, wenn ein Bieter den Anforderungen für die Ausführung des Auftrages (vgl. Ziffer 2.3, dort unter 2.3.2) widerspricht.

Der Zuschlag ist auf das unter Berücksichtigung aller Umstände wirtschaftlichste Angebot zu erteilen. Neben dem Preis und der Qualität sind dabei auch andere mit dem Auftragsgegenstand zusammenhängende Kriterien (z.B. Umwelteigenschaften, Betriebskosten, Energieeffizienz, Entsorgungseigenschaften etc.) bei der Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebotes zu berücksichtigen, soweit sie in den Vergabeunterlagen bekannt gemacht wurden.

2.6

Nebenangebote

Bei umweltbedeutsamen Beschaffungsvorhaben haben die öffentlichen Auftraggeber in der Regel Nebenangebote (zu besonders umweltfreundlichen oder energieeffizienten Varianten) zuzulassen (§ 16 Abs. 3 VOL/A, § 19 Abs. 3 EG VOL/A, § 16 Abs. 8 VOB/A); dabei sind die Mindestanforderungen an den Leistungsgegenstand festzulegen.

2.7

Ausschluss vom Vergabeverfahren, Kündigung

Wer im Vergabeverfahren die geforderten Erklärungen vorsätzlich unzutreffend abgibt, wird von der weiteren Teilnahme ausgeschlossen. Für den Fall, dass sich nach Vertragsschluss erweist, dass wissentlich oder grob fahrlässig ein falscher Zertifizierungsnachweis, eine falsche Erklärung abgegeben oder gegen mit der Erklärung eingegangene Verpflichtungen verstoßen wurde, ist vorzusehen, dass Verträge aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Frist gekündigt werden können. Ferner ist eine Kündigungsmöglichkeit nach Abmahnung für den Fall vorzusehen, dass die Ausführungsbedingungen des Auftrages (vgl. Ziffer 2.3, dort unter 2.3.2) nicht eingehalten werden.

3.

Vergabeportal Nordrhein-Westfalen

Im Internet-Vergabeportal des Landes Nordrhein-Westfalen finden sich unter www.vergabe.nrw.de

 weiterführende Hinweise zur Berücksichtigung von Aspekten des Umweltschutzes und der Energieeffizienz bei der Vergabe öffentlicher Aufträge. Unter anderem finden sich dort Beispiele für eine Lebenszykluskostenberechnung besonders relevanter Produktgruppen.

4.

Geltung bei der Gewährung von Zuwendungen

Öffentliche Zuwendungsgeber können bei der Gewährung von Zuwendungen die Beachtung dieses Runderlasses oder von Teilen dieses Runderlasses den Empfängern öffentlicher Zuwendungen in Form von besonderen Nebenbestimmungen auferlegen.

5.

Gemeinden und Gemeindeverbände

Den Gemeinden und Gemeindeverbänden wird dieser Erlass zur Anwendung empfohlen.

6.

Überprüfung

Drei Jahre nach Inkrafttreten des Runderlasses wird seine Wirkung unter Koordinierung durch das federführende Ministerium überprüft.

7.

Inkrafttreten, Außerkrafttreten

Dieser RdErl. tritt nach Billigung durch Staatskanzlei und Landesministerien am 1.5.2010 in Kraft. Gleichzeitig tritt der RdErl. des Ministers für Arbeit, Gesundheit und Soziales, d. Finanzministers und des Ministers für Wirtschaft, Mittelstand und Verkehr zugleich im Namen des Ministerpräsidenten und aller Landesminister vom 29.3.1985 (MBl. NRW. S. 556) außer Kraft.

- MBl. NRW. 2010 S. 296