Ministerialblatt (MBl. NRW.)
Ausgabe 2016 Nr. 7 vom 16.3.2016 Seite 145 bis 172

Beschaffung von Leistungen zum Zweck der Unterbringung, Sicherheit, Versorgung und Betreuung von Flüchtlingen Gemeinsamer Runderlass des Finanzministeriums, des Ministeriums für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk, des Ministeriums für Inneres und Kommunales und des Ministeriums für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr, vom 12. Februar 2016
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Beschaffung von Leistungen zum Zweck der Unterbringung, Sicherheit, Versorgung und Betreuung von Flüchtlingen Gemeinsamer Runderlass des Finanzministeriums, des Ministeriums für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk, des Ministeriums für Inneres und Kommunales und des Ministeriums für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr, vom 12. Februar 2016

20021

Beschaffung von Leistungen
zum Zweck der Unterbringung, Sicherheit,
Versorgung und Betreuung von Flüchtlingen

Gemeinsamer Runderlass des Finanzministeriums, des Ministeriums für Wirtschaft,
Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk,
des Ministeriums für Inneres und Kommunales
und des Ministeriums für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr,
vom 12. Februar 2016

1
Ziel

Mit Erlass vom 6. August 2015 (MBl. NRW. S. 497) wurden für Vergabeverfahren, die im Zusammenhang mit der Unterbringung, Sicherheit, Versorgung und Betreuung von Flüchtlingen in Zusammenhang stehen, vergaberechtliche Erleichterungen geschaffen. Dieser Erlass ist bis zum 31. März 2016 befristet.

Da der Zustrom von Flüchtlingen nach wie vor viele öffentliche Auftraggeber vor besondere Herausforderungen stellt, sind gewisse Erleichterungen für die Durchführung von Vergabeverfahren auch weiterhin erforderlich. Die generelle Annahme der Rechtfertigung eines Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb aufgrund äußerst dringlicher, zwingender Gründe bei Unvorhersehbarkeit kann allerdings nicht aufrechterhalten werden.

Trotz dieser besonderen Umstände ist die Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns zu gewährleisten. Es können jedoch alle rechtlich zulässigen Erleichterungen bei der Durchführung der hierzu notwendigen Vergabeverfahren in Anspruch genommen werden. Diese richten sich jeweils nach der vorgesehen Realisierungsart der Maßnahme und der im konkreten Fall gegebenen Rahmenbedingungen.

2
Umsetzung im Vergabeverfahren

Für Vergabeverfahren, die im Zusammenhang mit der Unterbringung, Sicherheit, Versorgung und Betreuung von Flüchtlingen stehen, gelten folgende Regelungen:

2.1
Maßnahmen unterhalb des EU-Schwellenwertes

Soweit bei der jeweiligen erforderlichen Maßnahme der jeweilige EU-Schwellenwert nicht erreicht wird, können die Aufträge freihändig im Wettbewerb vergeben werden. Zum Nachweis der  Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit der Auftragsvergabe sind mindestens drei Unternehmen zur (auch formlosen) Angebotsabgabe aufzufordern, es sei denn, es kommt aus besonderen Gründen nur ein Unternehmen in Betracht. Diese Gründe sind im Vergabevermerk darzulegen.

Abweichend von § 6 Absatz 3 Nummer 2 VOB/A bzw. § 6b des Abschnitts 1 der VOB/A 2016, können öffentliche Auftraggeber bei Bauaufträgen in Verbindung mit der Flächenbereitstellung für Flüchtlinge und Asylsuchende bis zum Erreichen des Schwellenwertes auf die Eintragung der Bieter in das Präqualifizierungsverzeichnis und auf Bescheinigungen zur Bestätigung von Eigenerklärungen verzichten, wenn keine Zweifel an deren Richtigkeit und der Eignung des Unternehmens bestehen.

2.2
Maßnahmen bei Erreichen oder Überschreiten des EU-Schwellenwertes

Bei Maßnahmen, die den EU-Schwellenwert erreichen oder überschreiten, gilt folgendes:

Soweit die vergaberechtlichen Regelungen des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) anwendbar sind (vgl. z.B. Ausnahme gem. § 100 Absatz 5 GWB bzw. §§ 107, 116 GWB in der ab 18. April 2016 geltenden Fassung), können Fälle der äußersten Dringlichkeit in Ausnahmefällen ein Verhandlungsverfahren ohne vorherige öffentliche Vergabebekanntmachung möglich machen. Dies ist allerdings nur zulässig, wenn die zu beschaffende Leistung unbedingt erforderlich ist und aus dringlichen, zwingenden Gründen, die der Auftraggeber nicht verursacht hat und auch nicht voraussehen konnte, die für das offene, das nicht offene Verfahren und das Verhandlungsverfahren mit öffentlicher Vergabebekanntmachung vorgeschriebenen – u.U. verkürzten - Fristen nicht eingehalten werden können.

Auf

-        das Rundschreiben des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie vom 24. August 2015 zur Anwendung des Vergaberechts im Zusammenhang mit der Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen,

-        das Rundschreiben des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie und des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit vom 24. August 2015 zur Anwendung des Energieeinsparrechts im Zusammenhang mit der Unterbringung von Flüchtlingen sowie

-        die Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat zu den Vorschriften für die öffentliche Auftragsvergabe im Zusammenhang mit der aktuellen Flüchtlingsproblematik vom 9. September 2015

wird hingewiesen.

Die Beurteilung der vergaberechtlichen Dringlichkeit je nach Realisierungsform des Unterbringungsvorhabens und der sonstigen Rahmenbedingungen ist  im Einzelfall zu treffen.

Danach kann nicht generell davon ausgegangen werden, dass es sich bei der Zuwanderung um ein für die Auftraggeber „unvorhersehbares“ Ereignis handelt, das die äußerste Dringlichkeit der jeweiligen Beschaffungsmaßnahme auslöst und damit ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb rechtfertigen würde. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass sich mit Inkrafttreten der Vergaberechtsreform am 18. April 2016 die Angebotsfrist für das offene Verfahren in Fällen hinreichend begründeter Dringlichkeit auf bis zu 15 Tagen verkürzen lässt. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass  bei der Errichtung von Unterkünften und Erstaufnahmeeinrichtungen die Problematik in zeitlicher Hinsicht oftmals nicht allein in der Verfahrensdauer eines Ausschreibungsverfahrens liegen dürfte. Die Zeiträume, die für anderweitige Klärungen erforderlich sind, können (ggfs. teilweise und parallel) für die Durchführung erforderlicher Ausschreibungen genutzt werden. Im Übrigen sehen die Bestimmungen der Vergabeordnung für Bauleistungen (VOB/A) und der Vergabeordnung für Leistungen (VOL/A) bzw. die Vergabeordnung (VgV) in der ab 18. April 2016 geltenden Fassung verschiedene Möglichkeiten vor, Verfahrensfristen zu verkürzen. Sowohl das Instrument der Vorinformation als auch die Vergabe von Rahmenvereinbarungen können dazu dienen, künftig auftretende Bedarfe schneller zu befriedigen.

Ergänzend ist auf Folgendes hinzuweisen:

Nach § 100 Absatz 5 Nummer 2 GWB bzw. § 107 Absatz 1 Nummer 2 GWB in der ab 18. April 2016 geltenden Fassung findet das Vergaberecht keine Anwendung, wenn bereits erbaute Liegenschaften für die Unterbringung von Flüchtlingen von der öffentlichen Hand angemietet werden. In diesem Fall ist weder ein Vertrag über eine Bauleistung noch über eine Liefer- oder Dienstleistung gegeben.

Die Beschaffung von Zeltstädten, Wohncontainern, etc. zur Unterbringung von Flüchtlingen umfasst sowohl Liefer- als auch Bauleistungen. In aller Regel ist es nicht damit getan, Wohncontainer zu „kaufen“; diese müssen vielmehr zu einem funktionsfähigen Bauwerk zusammengefügt und an Versorgungsleitungen (Strom, Wasser, Abwasser) angeschlossen werden. Da diese Arbeiten, sofern sie mit der Lieferung der Wohncontainer aus einer Hand beauftragt werden und wertmäßig nicht gänzlich untergeordnet sind, die Leistung prägen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 30. April 2014, Verg 35/13), wird in aller Regel von einer Bauleistung im Sinne der VOB/A auszugehen sein. Wird die Liegenschaft vor der Unterbringung jedoch von einem Bauträger errichtet, liegt jedoch bereits dann ein Bauauftrag mit der Folge der Anwendung der Vergabevorschriften vor, wenn die öffentliche Hand dem Bauträger hinsichtlich des Baus Vorgaben macht. Dies gilt auch dann, wenn die Liegenschaft nicht in das Eigentum der Kommune oder des Landes  übergeht, sondern von diesen lediglich zu dem Zweck der Unterbringung angemietet wird.

3
Gemeinden und Gemeindeverbände

Dieser Erlass gilt auch für die Gemeinden und Gemeindeverbände.

4
Inkrafttreten, Befristung

Dieser Erlass tritt am 1. April 2016 in Kraft. Er ist bis zum 31. Dezember 2016 befristet.

- MBl. NRW. 2016 S. 146