Ministerialblatt (MBl. NRW.)
Ausgabe 2017 Nr. 10 vom 7.4.2017 Seite 163 bis 174

Runderlass zur Änderung der Verwaltungsvorschrift zum Polizeigesetz des Landes Nordrhein-Westfalen Runderlass des Ministeriums für Inneres und Kommunales - 402-57.01.01 - vom 4. April 2017
Normkopf
Norm
Normfuß
 

Runderlass zur Änderung der Verwaltungsvorschrift zum Polizeigesetz des Landes Nordrhein-Westfalen Runderlass des Ministeriums für Inneres und Kommunales - 402-57.01.01 - vom 4. April 2017

2052

Runderlass zur Änderung
der Verwaltungsvorschrift zum Polizeigesetz des Landes Nordrhein-Westfalen

Runderlass des Ministeriums für Inneres und Kommunales - 402-57.01.01 -
vom 4. April 2017

Der Runderlass des Innenministeriums - 44.1-2001 - vom 19. Dezember 2003 (MBl. NRW. 2004 S. 82), der durch Runderlass vom 17. November 2010 (MBl. NRW. 2011 S. 22) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:

1

Nach Nummer 15b wird folgende Nummer 15c eingefügt:

„15c
Datenerhebung durch den Einsatz körpernah getragener Aufnahmegeräte (zu § 15c)

15c.0
§ 15c regelt sowohl eine Datenerhebung im öffentlichen Raum als auch in Wohnungen. Der zu beachtende Kernbereichsschutz ergibt sich aus Absatz 5.

15c.1 (zu Absatz 1)

15c.11

Der Einsatz eines körpernah getragenen Aufnahmegerätes, sog. Bodycam, setzt ein konkretes Tatsachengeschehen voraus, welches den Schluss darauf zulässt, dass Bild- und Tonaufzeichnungen zum Schutz von Polizeivollzugsbeamtinnen und Polizeivollzugsbeamten oder Dritten gegen eine konkrete Gefahr für Leib oder Leben erforderlich sind. Erforderlich ist das Vorliegen von Informationen, die sich auf einen konkreten Sachverhalt beziehen. Allgemeines Erfahrungswissen reicht nicht aus.

15c 12

§ 15 c Abs. 1 erfordert zudem das Vorliegen einer konkreten Gefahr i. S. d. § 8 Absatz 1 PolG NRW.

Diese setzt voraus, dass auf Grund der Gesamtumstände in Bezug auf Ort, Zeit, Personen, Verhalten im Einzelfall ein Schadenseintritt wahrscheinlich ist (Tegtmeyer/Vahle, 11. überarbeitete Auflage 2014, § 8 Rdn. 8).

15c.2 (zu Absatz 2)

15c.21

Der Einsatz in Wohnungen setzt eine erhöhte Gefahrenschwelle voraus. Er dient der Verhütung einer dringenden Gefahr.

Als Wohnung sind alle Räume einzustufen, die der allgemeinen Zugänglichkeit durch eine räumliche Abschottung entzogen und zur Stätte privaten Lebens und Wirkens gemacht sind, also auch zur Wohnung gehörende Nebenräume, Gastzimmer, Krankenzimmer, Arbeits-, Betriebs- und Geschäftsräume; nicht hierunter fallen der Öffentlichkeit zugängliche Räume, wie Verkaufsräume oder Sportstadien soweit und solange sie öffentlich zugänglich sind ( Jarass/Pieroth, Grundgesetz Kommentar, 14. Auflage, 2016, Artikel 13, Rdn. 4,5).

15c.22

Eine dringende Gefahr ist dann zu bejahen, wenn eine Gefahr für ein wichtiges Rechtsgut, mit hinreichender Wahrscheinlichkeit in allernächster Zukunft eintreten wird (Gornig in: Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz Kommentar, 6. Auflage 2010, Artikel 13 Absatz 7, Rdn. 159).

Auf Grund der häufig eingeschränkten Einschätzbarkeit der Gesamtumstände kommt dem zeitlichen Aspekt ein besonderes Gewicht zu.

15c.23

Werden am Einsatzort mehrere Streifen gemeinsam tätig, so gilt als den Einsatz leitende Person, solange Vorgesetzte nicht anwesend sind bzw. eine Einsatzleiterin oder ein Einsatzleiter vor Ort nicht bestimmt ist, die oder der mit dem Einsatz zuerst befasste Streifenführerin oder Streifenführer.

15c.3 (zu Absatz 3)

15c.31

Die Erkennbarkeit ist bereits durch das eingeschaltete Display des Aufnahmegeräts gewährleistet. Eine zusätzliche Mitteilung gegenüber der von der Aufnahme betroffenen Person ist grundsätzlich erforderlich. Eine Ausnahme bilden Fälle, bei denen Gefahr im Verzug droht.

15c.32

Unter die Bereiche nach Satz 3 fallen Räumlichkeiten, die der regelmäßigen Tätigkeit von Berufsgeheimnisträgern im Sinne der §§ 53 und 53a der Strafprozessordnung dienen (Kanzleien, Praxen, Beratungsstellen, Abgeordnetenbüros). Hiervon zu unterscheiden sind Örtlichkeiten, die der Tätigkeit von Berufsgeheimnisträgern dienen könnten (Bsp.: Wohnung eines Rechtsanwalts) und in denen eine Aufzeichnung zulässig ist.

15c.4 (zu Absatz 4)

15c.41

Vorgesetzte beziehungsweise Vorgesetzter ist grundsätzlich die Dienstgruppenleiterin oder der Dienstgruppenleiter und bei Nichterreichbarkeit dieser Personen zumindest die Wachdienstführerin oder der Wachdienstführer.

15c.5 (zu Absatz 5)

15c.51

Absatz 5 gewährt den Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung.

Geschützt werden Lebenssachverhalte höchstpersönlicher Art, deren optische Dokumentation geeignet wäre, ein besonderes Gefühl der Schamverletzung hervorzurufen.

Dabei kann es sich beispielsweise um

- sexuelle Handlungen,

- Handlungen von Personen in hilfloser Lage

handeln.

Ergänzend wird auf die Ausführungen in der VV zu § 16 PolG NRW verwiesen.

Der Kernbereichsschutz gilt absolut und kann nicht vom Verhalten des Betroffenen vor und während des Einsatzes abhängig gemacht werden.

Bei Maßnahmen außerhalb der Wohnung besteht generell eine geringere Wahrscheinlichkeit, dass der Kernbereich betroffen sein kann, da die betroffene Person sich grundsätzlich in der Öffentlichkeit bewegt und davon ausgehen muss, beobachtet zu werden.

15c.52

Satz 3 verlangt eine unverzügliche Löschung der Daten. Gemäß § 121 Absatz 1 Satz 1 BGB beinhaltet dies eine Löschung ohne schuldhafte Verzögerung.

15c.8 (zu Absatz 8)

15c.81

Die Dokumentation erfolgt mindestens im elektronischen Streifenbeleg.

15c.82

Maßnahme im Sinne des Absatzes 8 bezeichnet eine oder mehrere durch ein Einsatzmittel im Rahmen eines Einsatzes gefertigte Aufnahmen. Unerheblich ist, ob beide Beamten Aufnahmen getätigt haben, weitere Einsatzmittel dazu gestoßen sind und ob es mehrere Adressaten der Maßnahme gab.“

2

Dieser Runderlass tritt am Tag nach der Veröffentlichung in Kraft.

- MBl. NRW. 2017 S. 165