Ministerialblatt (MBl. NRW.)
Ausgabe 2017 Nr. 31 vom 30.10.2017 Seite 949 bis 968
Informationswege und Maßnahmen bei Qualitätsmängeln von Arzneimitteln Verwaltungsvorschrift des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales - IV B 5 - G.0611.06 - |
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Informationswege und Maßnahmen bei Qualitätsmängeln von Arzneimitteln Verwaltungsvorschrift des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales - IV B 5 - G.0611.06 -
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Informationswege und Maßnahmen bei
Qualitätsmängeln von Arzneimitteln
Verwaltungsvorschrift des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales
- IV B 5 - G.0611.06 -
Vom 17. Oktober 2017
1
Allgemeines
Durch Qualitätsmängel von Arzneimitteln können Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung entstehen. Beim Auftreten dieser Mängel sind die notwendigen Maßnahmen einzuleiten und erforderlichenfalls auch länderübergreifend zu koordinieren.
Nachstehende Regelungen für das Verhalten bei Bekanntwerden von Qualitätsmängeln bei Arzneimitteln wenden sich an die nordrhein-westfälischen Behörden, denen Überwachungsaufgaben nach dem Arzneimittelgesetz obliegen.
Den nordrhein-westfälischen pharmazeutischen Unternehmern und pharmazeutischen Großhändlern, Krankenhäusern, Angehörigen der Heilberufe sowie anderen Personen und Institutionen, die mit Arzneimitteln umgehen, wird diese Verwaltungsvorschrift zur Kenntnis gegeben. Sie soll diesen zur Orientierung für ein angemessenes Verhalten bei Qualitätsmängeln von Arzneimitteln dienen.
Diese Verwaltungsvorschrift erläutert auch die bundesrechtlichen und die zwischen den Ländern abgestimmten Regelungen zum Vorgehen bei Arzneimittelrisiken.
Andere Vorschriften, insbesondere die Mitteilungspflichten nach dem Arzneimittelgesetz, den Berufsordnungen der Heilberufe sowie nach der Apothekenbetriebsordnung bleiben unberührt.
2
Qualitätsmängel
2.1
Begriffsbestimmung
Als Qualitätsmängel von Arzneimitteln kommen insbesondere in Betracht:
1. Mängel der Beschaffenheit (Identität, Gehalt, Reinheit, sonstige chemische, physikalische und biologische Eigenschaften) eines Arzneimittels; bei Gegenständen, die als Arzneimittel gelten, auch Mängel technischer Art,
2. Mängel der Behältnisse und der äußeren Umhüllungen,
3. Mängel der Kennzeichnung und der Packungsbeilage,
4. Arzneimittelfälschungen sowie
5. Verwechslungen und Untermischungen.
2.2
Normative Vorgaben:
Bei der Erfassung von Qualitätsmängeln und der Weiterleitung von Mitteilungen über Qualitätsmängel von Arzneimitteln ist insbesondere die
"Bekanntmachung der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Beobachtung, Sammlung und Auswertung von Arzneimittelrisiken (Stufenplan) nach § 63 Arzneimittelgesetz (AMG)"
in der jeweils geltenden Fassung zu beachten.
Weiterhin finden die aufgrund § 2 Absatz 1 Satz 3 Nummer 6 in Verbindung mit § 6 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Durchführung des Arzneimittelgesetzes (AMGVwV) festgelegten Verfahrensanweisungen (VAWen) Anwendung.
Darüber hinaus gelten für das Rapid Alert System der EU die „Compilation of Community Procedures on Inspections and Exchange of Information“ (CoCP) der Europäischen Kommision und der EMA.
3
Informationswege
3.1
Pharmazeutische Unternehmer bewerten Qualitätsmängel bei Arzneimitteln nach dem
Rapid Alert System (RAS) der EU (siehe Anlage 2) und melden der für
sie örtlich zuständigen Behörde (Bezirksregierung, Dezernat 24)
1. Mängel der Klasse 1 und 2 unverzüglich
und
2. Mängel der Klasse 3 in angemessener Zeit.
3.2
Pharmazeutische Unternehmer / pharmazeutische Großhändler melden
Qualitätsmängel bei Arzneimitteln unter Nennung folgender Mindestangaben
1. meldende Person und - falls abweichend - die zuständige Kontaktperson mit Kontaktdaten,
2. Zulassungs- oder Registrierungsnummer des Arzneimittels,
3. Bezeichnung des Arzneimittels und des Wirkstoffs oder der Wirkstoffe,
4. Darreichungsform und Stärke,
5. Chargenbezeichnung,
6. Verfalldatum,
7. Packungsgröße,
8. Name und Anschrift des pharmazeutischen Unternehmers und gegebenenfalls des Herstellers,
9. Beschreibung des Mangels bzw. des beobachteten/festgestellten Arzneimittelrisikos,
10. Geplante und / oder bereits durchgeführte eigenverantwortliche Maßnahmenund
11. Unterschrift, Datum und gegebenenfalls Uhrzeit (bei schriftlicher Meldung)
in geeigneter Weise an die in Anlage 1 aufgeführten Kontaktdaten.
3.3
Ist dies in begründeten Einzelfällen (zum Beispiel bei Nichterreichbarkeit nach
Dienstschluss) nicht oder nicht zeitgerecht möglich, richten die
pharmazeutischen Unternehmer / pharmazeutischen Großhändler die Meldung nach
vorheriger telefonischer Ankündigung an den Meldekopf der jeweiligen
Bezirksregierung (siehe Kontaktdaten in Anlage 1).
Die zuständige Bezirksregierung verfährt nach den Verfahrensanweisungen (VAW) „Risikomeldungen der Klasse I und II (RA I, RA II)“ sowie „Vorgehensweise bei Arzneimittelrisiken, Verbraucherbeschwerden und sonstigen Beanstandungen“ in der jeweils gültigen Fassung.
Sie
informiert das für das Gesundheitswesen des Landes Nordrhein-Westfalen
zuständige Ministerium (siehe Kontaktdaten in Anlage 1) unter Beifügung des
entsprechenden, mit den notwendigen Daten ausgefüllten Formulardokuments der
Verfahrensanweisung (VAW) „Risikomeldungen der Klasse I und II (RA I, RA II)“
beziehungsweise in dringenden Fällen bei Nichterreichbarkeit außerhalb der
Dienststunden das Lagezentrum der Landesregierung beim Ministerium des Innern
(siehe Kontaktdaten in Anlage 1).
Das Lagezentrum erhält eine Liste zur Erreichbarkeit der zuständigen Personen von der Obersten Landesgesundheitsbehörde Nordrhein-Westfalens.
Die Oberste Landesgesundheitsbehörde in Nordrhein-Westfalen gibt die RAS-Meldung entsprechend der oben genannten Verfahrensanweisung an die vorgesehene Meldekette weiter.
3.4
Apothekenleiterinnen und -leiter sind bei Beanstandungen der Qualität von
Arzneimitteln gemäß § 21 Apothekenbetriebsordnung verpflichtet,
unverzüglich die für die Apothekenüberwachung örtlich zuständige
Aufsichtsbehörde bei den Kreisen und kreisfreien Städten, dies ist die untere
Gesundheitsbehörde (Anlage 3), zu benachrichtigen.
Entsprechendes gilt auch für die Leiterin oder den Leiter einer Krankenhausapotheke.
Die für die Apothekenüberwachung örtlich zuständigen Aufsichtsbehörden, die unteren Gesundheitsbehörden, berichten ihnen bekanntgewordene Qualitätsmängel bei Arzneimitteln unverzüglich der für sie zuständigen Bezirksregierung.
3.5
Niedergelassene Ärztinnen und Ärzte, Zahnärztinnen und Zahnärzte,
Heilpraktikerinnen und Heilpraktiker sowie andere Personen und Institutionen,
die mit Arzneimitteln umgehen, sind gehalten, festgestellte Qualitätsmängel bei
Arzneimitteln der für ihren Niederlassungsort zuständigen unteren
Gesundheitsbehörde zu melden oder die abgebende Apotheke in Kenntnis zu setzen.
3.6
Die Heilberufskammern sind gehalten, ihnen zur Kenntnis kommende Meldungen über
Qualitätsmängel bei Arzneimitteln der für den Ort des erstmaligen Auftretens
zuständigen Bezirksregierung weiter zu leiten.
3.7
Sofern anderen Behörden Qualitätsmängel bei Arzneimitteln bekannt werden, sind
diese Informationen an die örtlich zuständige Bezirksregierung weiter zu
leiten.
3.8
Erhält eine sachlich aber nicht örtlich zuständige Bezirksregierung Kenntnis
über Qualitätsmängel bei Arzneimitteln eines pharmazeutischen Unternehmers, der
seinen Sitz nicht im Aufsichtsbezirk der Bezirksregierung hat, leitet die
Bezirksregierung die betreffenden Informationen an die für den Sitz des
pharmazeutischen Unternehmers oder seines bestellten örtlichen Vertreters
zuständige Behörde weiter und zusätzlich nachrichtlich an die Oberste
Landesgesundheitsbehörde.
3.9
Ist kein pharmazeutischer Unternehmer oder bestellter örtlicher Vertreter in
Deutschland ansässig, übermittelt die Bezirksregierung die Informationen an die
Oberste Landesgesundheitsbehörde. Die Oberste Landesgesundheitsbehörde leitet
diese Informationen an die zuständige Bundesoberbehörde mit der Bitte weiter,
die zuständige Behörde des anderen Mitgliedsstaates der EU zu informieren.
4
Maßnahmen
4.1
Die für den pharmazeutischen Unternehmer oder dessen örtlichen Vertreter
zuständige Bezirksregierung überwacht die eigenverantwortlich zu veranlassenden
oder bereits veranlassten Maßnahmen und trifft, sofern geboten, ihrerseits die
zur Beseitigung festgestellter und zur Verhütung künftiger Verstöße notwendigen
Anordnungen. Erforderlichenfalls stimmt sie sich bei Verdachtsfällen der
Risikoklassen I und II entsprechend den unter 3.1 genannten
Verfahrensanweisungen mit der Obersten Landesgesundheitsbehörde hierzu ab.
Soweit notwendig kann auch eine gutachterliche Stellungnahme, zum Beispiel bei
versorgungskritischen Arzneimitteln, bei der zuständigen Bundesoberbehörde angefordert
werden.
Die Maßnahmen können entsprechend den jeweiligen Erfordernissen insbesondere
1. eine abgestufte gezielte Information des anzusprechenden Personenkreises (zum Beispiel Ärztinnen oder Ärzte, Apothekerinnen oder Apotheker, Krankenhäuser, pharmazeutischer Großhandel),
2. den Rückruf oder die Sicherstellung bestimmter Arzneimittel beziehungsweise einzelner Chargen oder
3. eine allgemeine Warnung an die Bevölkerung über Presse, Rundfunk und Fernsehen
umfassen.
Liegen
die gesetzlichen Voraussetzungen vor, kann sie auch die Amtshilfe der Polizei
beziehungsweise der Einheitlichen Leitstelle für den Brandschutz, die
Hilfeleistung, den Katastrophenschutz und den Rettungsdienst in Anspruch
nehmen.
Die zuständige Bezirksregierung hat beim pharmazeutischen Unternehmer darauf
hinzuwirken, dass eigenverantwortlich veranlasste und durchgeführte Maßnahmen,
insbesondere Rückrufe, rechtzeitig mit ihr abgestimmt werden. Sie hat sich den
Vollzug von Maßnahmen unverzüglich mitteilen zu lassen.
Insbesondere in Fällen der RAS-Klassen I und II berichtet die zuständige Bezirksregierung der Obersten Landesgesundheitsbehörde über die beabsichtigten oder bereits veranlassten Maßnahmen und den Abschluss der Maßnahmen sowie ihre Maßnahmenbewertung. Hierüber informiert die zuständige Oberste Landesgesundheitsbehörde die übrigen Obersten Landesgesundheitsbehörden der Länder und die zuständige Bundesoberbehörde.
Gemäß den unter 3.1 genannten Verfahrensanweisungen sollte die zuständige Bundesoberbehörde bei potentiell lebensbedrohlichen Mängeln oder Feststellungen der Bedenklichkeit eines Arzneimittels ebenfalls frühzeitig über weitere Maßnahmen informiert werden.
Bei Arzneimitteln, die von der EU-Kommission zentral zugelassen worden sind, beachtet die Bezirksregierung die Hinweise unter Nummer 5.
Für die länderübergreifende Koordinierung von Maßnahmen bei Qualitätsmängeln von Arzneimitteln ist die für den pharmazeutischen Unternehmer zuständige Behörde federführend. Sind mehrere Behörden federführend betroffen, sollen die erforderlichen Maßnahmen durch die Zentralstelle der Länder für Gesundheitsschutz bei Arzneimitteln und Medizinprodukten (ZLG) entsprechend der oben genannten Verfahrensanweisung koordiniert werden. Im Interesse eines einheitlichen Vollzuges orientieren sich die zuständigen Behörden der anderen Länder an den Maßnahmen der für den pharmazeutischen Unternehmer zuständigen Behörde.
4.2
Kreise und kreisfreie Städte sollten Regelungen treffen zur
1. Erreichbarkeit bestimmter Personengruppen und
2. Erreichbarkeit der Einheitlichen Leitstelle für den Brandschutz, die Hilfeleistung, den Katastrophenschutz und den Rettungsdienst,
insbesondere an Wochenenden und Feiertagen.
4.3
Besteht bei Qualitätsmängeln von Arzneimitteln der Verdacht, dass der
Zulassungsstatus betroffen ist oder liegt eine staatliche Chargenfreigabe vor,
unterrichtet die Bezirksregierung unverzüglich die zuständige Bundesoberbehörde,
nachrichtlich die Oberste Landesgesundheitsbehörde. Gegebenenfalls
erforderliche Maßnahmen nach § 69 AMG bleiben hiervon unberührt.
4.4
Untersuchungen und Begutachtungen, die im Zusammenhang mit im Land
Nordrhein-Westfalen festgestellten Qualitätsmängeln bei Arzneimitteln
erforderlich werden, führt das für die amtlichen Arzneimitteluntersuchungen zuständige
Landeszentrum Gesundheit durch.
5
Rapid Alert System (RAS) der EU, zentral zugelassene Arzneimittel
5.1
Auf Qualitätsmängel, über die die zuständige Bundesoberbehörde die Obersten
Landesgesundheitsbehörden im Rahmen des RAS informiert, finden die vorstehenden
Regelungen entsprechende Anwendung.
Über Maßnahmen nach Nummer 7.2 des Stufenplanes informieren die Bezirksregierungen mit dem RAS-Formblatt („Rapid Alert Notification of a Quality Defect / Recall“) die Oberste Landesgesundheitsbehörde. Diese leitet wiederum die Informationen an die zuständige Bundesoberbehörde und alle weiteren zu informierenden Behörden und Stellen weiter.
5.2
Auf Qualitätsmängel bei Arzneimitteln, die im Zusammenhang mit Arzneimitteln
stehen, die von der EU-Kommission zentral zugelassen wurden, finden diese
Regelungen ebenfalls Anwendung. Die zuständige Bundesoberbehörde unterrichtet
die Europäische Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln (EMA). Auf die
CoCP der Europäischen Kommission und der EMA, insbesondere auf die EU-Dokumente
„Handling of Reports of Suspected Quality Defects in Medicinal Products“ und
„Procedure for Handling Rapid Alerts Arising from Quality Defects“, wird
verwiesen.
Die
Koordination von Maßnahmen erfolgt durch die EMA. Deren Vorgaben werden über
die zuständige Bundesoberbehörde den Obersten Landesgesundheitsbehörden
zugeleitet. Die Oberste Landesgesundheitsbehörde in Nordrhein-Westfalen
informiert die Bezirksregierungen, die die erforderlichen Maßnahmen treffen und
die der Obersten Landesgesundheitsbehörde über deren Vollzug berichten.
Die Bezirksregierung trifft, sofern erforderlich, die zur Beseitigung
festgestellter Verstöße und die zur Verhütung künftiger Verstöße notwendigen
Anordnungen. Sie kann insbesondere das Inverkehrbringen des Arzneimittels
untersagen. Die Oberste Landesgesundheitsbehörde leitet die Informationen an
die zuständige Bundesoberbehörde weiter. Die zuständige Bundesoberbehörde
unterrichtet die EMA über die Maßnahmen.
6
Diese Verwaltungsvorschrift ersetzt mit sofortiger Wirkung die
Bekanntmachung des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales vom 12.
Februar 2008 – III C 4-0611.63.3
- MBl. NRW. 2017 S. 952