Ministerialblatt (MBl. NRW.)
Ausgabe 2020 Nr. 21 vom 21.8.2020 Seite 461 bis 466

Erlass zur baurechtlichen und wohnungsaufsichtsrechtlichen Behandlung von Unterkünften für Beschäftigte
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Erlass zur baurechtlichen und wohnungsaufsichtsrechtlichen Behandlung von Unterkünften für Beschäftigte

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Erlass zur baurechtlichen und wohnungsaufsichtsrechtlichen
Behandlung von Unterkünften für Beschäftigte

Gemeinsamer Runderlass

des Ministeriums für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung
und des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales

Vom 4. August 2020

1         

Anwendungsbereich

1.1

In Nordrhein-Westfalen arbeiten zahlreiche Menschen als Werkvertragsnehmerinnen oder -nehmer sowie als Leiharbeiterinnen oder -arbeiter (im Folgenden kurz: Beschäftigte) in den verschiedensten Branchen. Die Unterbringung dieser Arbeitskräfte erfolgt häufig in sogenannten „Sammelunterkünften“ oder in Wohngebäuden sowie in erworbenen Gaststätten oder Pensionen oder in sonstigen Gebäuden. Hierbei kommt es nicht selten zur Überbelegung des Wohnraums sowie zur Unterschreitung der in Nordrhein-Westfalen geltenden Mindestanforderungen an den Wohnraum nach dem Bauordnungsrecht beziehungsweise dem Wohnungsaufsichtsgesetz (WAG NRW) vom 10. April 2014 (GV. NRW. S. 269).

Aufgrund der großen räumlichen Ausdehnung der Landkreise und der wegen der Berufung auf Ausnahmen im bundesgesetzlich geregelten Melderecht häufig ausbleibenden Anmeldung durch die Beschäftigten beziehungsweise Werkvertragsnehmerinnen oder -nehmer selbst erfahren die Kommunen nur zeitversetzt von aktuellen Zuwanderungsentwicklungen und Überbelegungen einzelner Immobilien. Angesichts dieser eingeschränkten Kenntnislage können die Kommunen keine Maßnahmen ergreifen, um die Überbelegung zu unterbinden, die jeweilige Wohnsituation zu verbessern beziehungsweise bauplanungs- und bauordnungsrechtlich zulässige Zustände herzustellen beziehungsweise wiederherzustellen.

1.2

Ziel der folgenden Bestimmungen ist die einheitliche baurechtliche und wohnungsaufsichtsrechtliche Behandlung von Räumen und Gebäuden, die als Unterkünfte für Beschäftigte betrieben und genutzt werden.

Der Erlass dient als Handreichung für die zuständigen örtlichen Behörden bei der Anwendung insbesondere der Vorschriften der Landesbauordnung 2018 (BauO NRW 2018) vom 21. Juli 2018 (GV. NRW. S. 421) in der jeweils geltenden Fassung, des WAG NRW sowie des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) vom 20. Juli 2000 (BGBl. I S. 1045), das zuletzt durch Artikel 5 des Gesetzes vom 19. Juni 2020 (BGBl. I S. 1385) geändert worden ist.

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Konkretisierung der Anforderungen an gesunde Wohnverhältnisse durch die BauO NRW 2018 und das WAG NRW

2.1

Anlagen sind gemäß § 3 Absatz 1 BauO NRW 2018 so anzuordnen, zu errichten, zu ändern und instand zu halten, dass die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere Leben, Gesundheit und die natürlichen Lebensgrundlagen, nicht gefährdet werden. Dabei sind die Grundanforderungen an Bauwerke gemäß Anhang I der Verordnung (EU) Nr. 305/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2011 zur Festlegung harmonisierter Bedingungen für die Vermarktung von Bauprodukten und zur Aufhebung der Richtlinie 89/106/EWG des Rates (ABl. L 88 vom 4.4.2011, S. 5, L 103 vom 12.4.2013, S. 10, L 92 vom 8.4.2015, S. 118), die zuletzt durch Verordnung (EU) Nr. 574/2014 (ABl. L 159 vom 28.5.2014, S. 41) geändert worden ist, zu berücksichtigen. Anlagen müssen bei ordnungsgemäßer Instandhaltung die allgemeinen Anforderungen des Satzes 1 ihrem Zweck entsprechend dauerhaft erfüllen und ohne Missstände benutzbar sein.

Die allgemeinen Anforderungen an gesunde Wohnverhältnisse im Sinne des § 3 BauO NRW 2018 sind für Räume oder Gebäude, die als Unterkünfte für Beschäftigte genutzt werden, genauso zu beachten wie die in der BauO NRW 2018 geregelten konkreten Anforderungen an die Ausstattung und Ausgestaltung von Wohnungen und anderen Unterbringungsstätten. Die Anlagen müssen bei ordnungsgemäßer Instandhaltung die allgemeinen Anforderungen ihrem Zweck entsprechend dauerhaft erfüllen und ohne Missstände benutzbar sein (§ 3 Absatz 1 Satz 2 BauO NRW 2018).

Um die Anforderungen über gesunde Wohnverhältnisse im Sinne des § 3 BauO NRW 2018 für Unterkünfte für Beschäftigte, die keine Wohnung im Sinne des Bauordnungsrechts darstellen, näher zu bestimmen, werden wegen der Ähnlichkeit mit der Nutzung der arbeitsstättenrechtlich geregelten Unterkünfte die Technischen Regeln für Arbeitsstätten – Unterkünfte – ASR A4.4 (GMBl. 2010 S. 751, zuletzt geändert GMBl 2017 S. 402), die die Anforderungen und Maßnahmen für Arbeitsstätten nach § 3 Absatz 1 der Arbeitsstättenverordnung vom 12. August 2004 (BGBl. I S. 2179), die zuletzt durch Artikel 226 der Verordnung vom 19. Juni 2020 (BGBl. I S. 1328) geändert worden ist, enthalten, für entsprechend anwendbar erklärt, soweit es sich dabei um Anforderungen an bauliche Anlagen handelt.

2.2

Daneben definiert das WAG NRW zum Schutz der Bewohnerschaft Mindestanforderungen und -größen für Wohnraum. Nach § 4 Absatz 1 Satz 1 und 2 WAG NRW bedarf der Wohnraum einer ausreichenden natürlichen Belichtung und Belüftung, eines Schutzes gegen Witterungseinflüsse und Feuchtigkeit, eines Anschlusses von Energie-, Wasserversorgung und Entwässerung, Feuerstätte oder Heizungsanlage, eines Anschlusses für eine Kochküche oder Kochnische und sanitären Einrichtungen. Die Ausstattung muss funktionsfähig und nutzbar sein. Die nach § 9 Absatz 1 WAG NRW geforderte Mindestgröße für Wohnraum ermittelt sich aus der Gesamtfläche der Wohnung im Verhältnis zur Anzahl der Bewohnerschaft. Danach sind für die Bewohner mit Ausnahme von Kindern bis sechs Jahren jeweils neun Quadratmeter Wohnfläche vorzuhalten.

3         

Anforderungen zum Brandschutz bei Unterkünften, die Sonderbauten sind

3.1

Von Unterkünften für Beschäftigte können, wenn sie ähnlich wie Beherbergungsstätten betrieben und genutzt werden, im Brandfall ähnliche Gefahren wie von Beherbergungsstätten beziehungsweise wie von Wohnheimen ausgehen.

Da Beherbergungsstätten Sonderbauten sind, können an sie nach § 50 Absatz 1 BauO NRW 2018 im Einzelfall besondere Anforderungen, insbesondere für den Brandschutz, gestellt werden.

3.2

Für besondere Anforderungen nach § 50 Absatz 1 Satz 3 Nummer 7 BauO NRW 2018, die für den Brandschutz an Unterkünfte für Beschäftigte gestellt werden, sind wegen der Ähnlichkeit des allgemeinen Gefahrenpotentials mit jenen von Beherbergungsstätten die Anforderungen des Teils 2 (Beherbergungsstätten) der Sonderbauverordnung (SBauVO) vom 2. Dezember 2016 (GV. NRW. 2017 S. 2, ber. S. 120 und 2020 S. 148) in der jeweils geltenden Fassung entsprechend anwendbar.

Gebäude, Betriebe und Einrichtungen, in denen bei Ausbruch eines Brandes oder bei einer Explosion eine große Anzahl von Personen gefährdet werden können, sind im Hinblick auf die Belange des Brandschutzes zu überprüfen im Rahmen einer Brandverhütungsschau gemäß § 26 Absatz 1 des Gesetzes über den Brandschutz, die Hilfeleistung und den Katastrophenschutz (BHKG) vom 17. Dezember 2015 (GV. NRW. S. 886) in der jeweils geltenden Fassung. Die Brandverhütungsschau ist beginnend mit der Nutzung oder Inbetriebnahme je nach Gefährdungsgrad in Zeitabständen von längstens sechs Jahren durchzuführen.

4         

Nutzungsänderungen von Räumen und Gebäuden für Unterkünfte

4.1

Die Umnutzung von bestehenden Wohnräumen und Wohngebäuden zu Unterkünften für Beschäftigte stellt eine Nutzungsänderung im Sinne des § 29 des Baugesetzbuches (BauGB) in der Fassung der Bekanntmachung vom 3. November 2017 (BGBl. I S. 3634), das zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 8. August 2020 (BGBl. I S. 1728) geändert worden ist, dar, wenn die neu aufgenommene Nutzung nicht mehr der genehmigten Nutzung entspricht.

Die Baunutzungsverordnung (BauNVO) in der Fassung der Bekanntmachung vom 21. November 2017 (BGBl. I S. 3786) führt die allgemeine Wohnnutzung einerseits und andererseits „ähnliche“ Nutzungen wie beispielsweise die Ferienwohnnutzung als eigenständige Nutzungsarten auf (vergleiche BVerwG, Beschluss vom 08.05.1989 - 4 B 78/89).

In den Baugebieten der §§ 3 bis 7 BauNVO sind Wohngebäude allgemein und in Kerngebieten ausnahmsweise zulässig.

Betriebe des Beherbergungsgewerbes sind in § 4a Absatz 2 Nummer 2 BauNVO (Besondere Wohngebiete), § 5 Absatz 2 Nummer 5 BauNVO (Dorfgebiete), § 6 Absatz 2 Nummer 3 BauNVO (Mischgebiete), § 6a Absatz 2 Nummer 3 BauNVO (Urbane Gebiete) und § 7 Absatz 2 Nummer 2 BauNVO (Kerngebiete) als allgemein zulässig aufgeführt.

Gemäß § 3 Absatz 1 BauNVO dienen reine Wohngebiete dem Wohnen. Diese Bestimmung unterscheidet in §§ 3 Absatz 2 Nummer 1 und Absatz 3 Nummer 1 BauNVO die Nutzungsart „Wohnen", die für allgemein zulässig erklärt wird, von der Nutzungsart des „kleinen Betriebs des Beherbergungsgewerbes", die neben Läden und nicht störenden Handwerksbetrieben zur Deckung des täglichen Bedarfs für die Bewohner des Gebiets für nur ausnahmsweise zulässig erklärt wird.

Es handelt sich um städtebaulich relevante, eigenständige Nutzungsarten.

Um den Wohnbegriff in Abgrenzung zu anderen Nutzungsarten unter Zugrundelegung der oben genannten typisierenden bauplanungsrechtlichen Betrachtungsweise sachgerecht zu erfassen, bedarf es einer wertenden Betrachtung aller Umstände. Zu unterscheiden ist die im Wesentlichen an der Zweckbestimmung des Aufenthalts in den Räumen (vergleiche zu dieser als maßgebliches Kriterium: Bielenberg in Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, Kommentar, Bd. V, § 3 BauNVO Randnummer 8) ausgerichtete reine Wohnnutzung etwa von der Ferienwohnnutzung, in der der für das Dauerwohnen maßgebende eigenständige beziehungsweise unabhängig zu gestaltende häusliche Wirkungskreis nicht angenommen werden kann. Zum Begriff des Wohnens gehört eine auf Dauer angelegte Häuslichkeit, zu der auch die Eigengestaltung der Haushaltsführung und des häuslichen Wirkungskreises gehört (vergleiche BVerwG, Beschluss vom 25.03.1996 – 4 B 302/95, siehe auch Nummer 4.2).

Mit der Dauerhaftigkeit des Wohnens ist zunächst nicht der Gegensatz von längerer und kürzerer oder von unbestimmter und bestimmter Dauer zu verbinden.

So schließt etwa eine auf Dauer angelegte Häuslichkeit als Inbegriff des Wohnens einen Zweitwohnsitz nicht aus. Ausgehend von der Zweckbestimmung des Aufenthalts in den Räumen unterscheidet sich Wohnen von anderen Nutzungsarten, die sich durch ein übergangsweises, nicht „alltägliches“ Wohnen oder ein provisorisches, einem begrenzten Zweck dienendes Unterkommen auszeichnen. „Ferienwohnen“ ist ebenso wenig auf Dauer angelegt wie das Unterkommen in Herbergen jeder Art. Vom Nutzungskonzept her bieten Ferienwohnungen den zumeist wochenweisen vorübergehenden Aufenthalt für ständig wechselnde Feriengäste, während reine Wohnungen beziehungsweise Dauerwohnungen ungeachtet der Frage der Aufenthaltsdauer von einem über einen längeren Zeitraum gleichbleibenden Bewohnerkreis genutzt werden.

Ein Betrieb des Beherbergungsgewerbes liegt nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vor, wenn Räume ständig wechselnden Gästen zum vorübergehenden Aufenthalt zur Verfügung gestellt werden, ohne dass diese dort ihren häuslichen Wirkungskreis unabhängig gestalten können (vergleiche BVerwG, Beschluss vom 08.05.1989 – 4 B 78/89). Diese Voraussetzungen sind jedenfalls dann erfüllt, wenn sich die Überlassung der Räume auf eine reine Übernachtungsmöglichkeit beschränkt, so dass der Gast ausstattungsbedingt auf die Inanspruchnahme weiterer Dienstleistungen angewiesen ist (vergleiche OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 06.07.2006 – OVG 2 S 2.06).

Gerade die daraus resultierenden unterschiedlichen bodenrechtlichen Auswirkungen der Nutzungsarten rechtfertigen die bauplanungsrechtliche typisierende Unterscheidung.

Die Beschränkung der Nutzungsarten in den in §§ 2 bis 9 BauNVO geregelten Gebietstypen bedeutet nämlich, dass eine andere als die bezeichnete Nutzungsart in dem entsprechenden Gebiet grundsätzlich nicht zulässig ist, soweit die Gemeinde nicht von den durch § 1 Absatz 4 bis 10 BauNVO eingeräumten Möglichkeiten Gebrauch macht und Ausnahmen nicht zugelassen werden.

Da es für die Zuordnung zu bestimmten Nutzungsarten allgemein nicht nur auf die mit einer bestimmten baulichen Ausstattung gegebenen Möglichkeiten der Nutzung ankommt, sondern maßgeblich auch auf das Nutzungskonzept und dessen grundsätzliche tatsächliche Verwirklichung (vergleiche BVerwG, Beschluss vom 25.03.1996 – 4 B 302/95), können auch Unterkünfte, die eine unabhängige Gestaltung des häuslichen Wirkungskreises ermöglichen, zu einem Beherbergungsbetrieb gehören, nämlich dann, wenn neben der Überlassung von Räumen beherbergungstypische Dienstleistungen angeboten und auch typischerweise in Anspruch genommen werden, die einen nennenswerten Umfang erreichen und die Nutzung prägen (vergleiche OVG MV, Beschluss vom 19.02.2014 – 3 L 212/12).

Das OVG Nordrhein-Westfalen stellt darauf ab, dass die „Beschränkung der Regelnutzung in einem reinen Wohngebiet auf das Wohnen beziehungsweise in einem allgemeinen Wohngebiet auf das überwiegender Wohnnutzung (...) der Schaffung einer Umgebung (dient), die durch Wohnruhe und Homogenität der Nutzung geprägt ist" (OVG NRW, Beschluss vom 14.08.2007 - 10 A 1219/06, www.nrwe.de Randnummer 15 betreffend die Vermietung von Zimmern in einem selbst bewohnten Einfamilienhaus an Messegäste für eine Dauer von jeweils bis zu fünf Tagen, Bad- und Küchenbenutzung eingeschlossen, im allgemeinen oder reinen Wohngebiet). Eine vorübergehende Beherbergung stelle in diesem Sinne kein Wohnen dar, also etwa wenn Messegästen eine auf wenige Tage beschränkte Aufenthaltsdauer bei ständig wechselndem Nutzerkreis ermöglicht werde. Dies gelte auch dann, wenn kein Frühstück, keine tägliche Zimmerreinigung oder Bettwäschewechsel angeboten werde, da hieraus nicht abgeleitet werden könne, dass den Gästen eine Eigengestaltung der Haushaltsführung möglich sei beziehungsweise dass sie in den Räumen eine eigene „Häuslichkeit" begründen könnten (OVG NRW, aaO, Randnummer 16).

Gemäß § 60 Absatz 1 BauO NRW 2018 ist eine Nutzungsänderung grundsätzlich baugenehmigungspflichtig, es sei denn, es ist in den §§ 61 bis 63, 78 und 79 etwas Anderes bestimmt. Nach § 62 Absatz 2 BauO NRW 2018 bedarf eine Nutzungsänderung nur dann keiner Baugenehmigung, wenn für die neue Nutzung keine anderen öffentlich-rechtlichen Anforderungen nach den §§ 64, 65 in Verbindung mit § 68 BauO NRW 2018 gelten als für die bisherige Nutzung oder die Errichtung oder Änderung der Anlagen nach § 62 Absatz 1 BauO NRW 2018 verfahrensfrei wäre.

Bedarf die Nutzungsänderung mithin der Baugenehmigung, so setzt deren Erteilung nach § 74 Absatz 1 BauO NRW 2018 voraus, dass dem Bauvorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die im bauaufsichtlichen Verfahren zu prüfen sind. Werden Anlagen im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften genutzt, kann diese Nutzung nach § 82 Satz 2 BauO NRW 2018 untersagt werden. Diese Entscheidung steht im Ermessen der unteren Bauaufsichtsbehörde. Das Ermessen bezieht sich insbesondere darauf, ob die Nutzugsänderung untersagt wird.

Im einfachen Baugenehmigungsverfahren nach § 64 Absatz 1 BauO NRW 2018 ist unter anderem die Übereinstimmung des Vorhabens mit den Vorschriften über die Zulässigkeit der baulichen Anlagen nach den §§ 29 bis 38 BauGB, mithin die Übereinstimmung mit dem Bauplanungsrecht, zu prüfen.

Auch bei Vorhaben, die dem Freistellungsverfahren nach § 63 BauO NRW 2018 unterliegen, gilt, dass alle öffentlich-rechtlichen Vorschriften einzuhalten sind; dies schließt auch die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit einer Nutzungsänderung von Räumen oder Gebäuden mit ein.

Mit der Nutzung als Unterkunft für Beschäftigte kann der Bestandsschutz bestehender Räume und Gebäude für die bisherige Nutzung entfallen.

4.2

Sind in einer Nutzungseinheit, die als Unterkunft für Beschäftigte genutzt wird, die zur Führung eines selbstgestalteten Haushaltes erforderlichen Einrichtungen, also Koch- und Waschmöglichkeiten und Toiletten, nicht vorhanden oder dienen die Schlafräume der gemeinschaftlichen Benutzung für Bewohner, die nicht in einer persönlichen Beziehung zu einander stehen, wird dies nicht vom Begriff der Wohnung im Sinne des § 47 BauO NRW 2018 erfasst.

Die für das Wohnen prägende Möglichkeit zur Eigengestaltung des häuslichen Wirkungskreises erfordert neben hinreichenden Aufenthaltsmöglichkeiten auch private Rückzugsräume, die der Eigengestaltung offenstehen. Zwar spricht der Umstand, dass sich zwei Bewohner einen Schlafraum teilen, nicht zwingend gegen eine Wohnnutzung im Rechtssinne, aber die mit Gemeinschaftsschlafräumen verbundene Einschränkung der Privatsphäre unter Berücksichtigung der hierzulande üblichen Wohnstandards schließt die Annahme einer Wohnnutzung aber jedenfalls dann regelmäßig aus, wenn zwischen den Nutzern keine persönliche Bindung besteht beziehungsweise wenn sich diese Bindung in dem gemeinsamen Interesse an einer möglichst kostengünstigen Unterbringung erschöpft (vergleiche OVG Niedersachsen, 16.08.2019, 1 LA 28/19).

4.3

Für eine zulässigerweise errichtete Wohnung entfällt durch eine Nutzung im Sinne der Nummer 4.2 der Bestandsschutz für die Nutzung als Wohnung. Satz 1 gilt für Wohngebäude entsprechend.

5         

Befugnisse nach BauO NRW 2018 und WAG NRW

5.1

Den unteren Bauaufsichtsbehörden obliegt die Kontrolle der Einhaltung der materiellen Anforderungen der BauO NRW 2018. Daneben sind die Gemeinden für die Wahrnehmung der Wohnungsaufsicht zuständig. Gemäß § 58 Absatz 2 BauO NRW 2018 haben die unteren Bauaufsichtsbehörden bei der Errichtung, Änderung, Nutzungsänderung und Beseitigung sowie bei der Nutzung und Instandhaltung von Anlagen darüber zu wachen, dass die öffentlich-rechtlichen Vorschriften und die aufgrund dieser Vorschriften erlassenen Anordnungen eingehalten werden, soweit nicht andere Behörden zuständig sind. Die Gemeinden in ihrer Funktion als Wohnungsaufsicht haben nach den Bestimmungen des WAG NRW auf die Beseitigung von Missständen an Wohnraum hinzuwirken.

Anlass zur Aufklärung der örtlichen Verhältnisse kann bereits bestehen, wenn Hinweise auf eine Unterbringung von Menschen in dafür ungeeignet erscheinenden Gebäuden oder auf eine Überbelegung von als Unterkunft für Beschäftigte genutzten Gebäuden vorliegen. Bei der Kontrolle von Gemeinschaftsunterkünften für Beschäftigte ist die örtlich zuständige Arbeitsschutzbehörde im Rahmen der Amtshilfe zu beteiligen.

5.2

Die unteren Bauaufsichtsbehörden sollen sich bei der Beurteilung, ob eine Unterbringung beziehungsweise Wohnung den materiell-rechtlichen Anforderungen genügt, neben den Vorschriften der BauO NRW 2018 an den Vorgaben des WAG NRW orientieren. Neben den erforderlichen Ausstattungsmerkmalen sind dabei zusätzlich die tatsächlichen, insbesondere hygienischen Zustände in den Blick zu nehmen.

5.3

Stellen die unteren Bauaufsichtsbehörden Mängel fest, haben sie die erforderlichen ordnungsbehördlichen Maßnahmen zu treffen. Diese haben sich an der Schwere der Mängel und den möglichen Abhilfemaßnahmen sowie dem dafür benötigten Zeitraum zu orientieren. Bei schweren oder systematischen Mängeln wird dabei unabhängig von den möglichen Abhilfen eine sofort vollziehbare Nutzungsuntersagung im Sinne von § 82 Satz 2 BauO NRW 2018 die richtige zu ergreifende Maßnahme sein. Als milderes Mittel bei leichteren oder zügig zu beseitigen Mängeln kommt die ordnungsbehördliche, ebenfalls in der Regel für sofort vollziehbar zu erklärende Aufforderung zur Behebung der Mängel in Betracht.

5.4

Von der unteren Bauaufsichtsbehörde ist zu prüfen, ob die konkrete Art der Wohnungen beziehungsweise Unterbringung durch die für das Gebäude vorliegende Baugenehmigung abgedeckt ist. Eine Wohnnutzung erfordert eine selbstbestimmte, eigenständige Häuslichkeit, die auf Dauer ausgelegt ist. Dies setzt eine eigene Kochgelegenheit sowie Waschmöglichkeiten und Toiletten voraus. Die selbstbestimmte, eigenständige Haushaltsführung kann auch an der Anzahl der Personen scheitern, die Zugriff auf die grundsätzlich vorhandenen Koch- und Waschmöglichkeiten sowie Toiletten haben. Die für das Wohnen prägende Möglichkeit zur Eigengestaltung des häuslichen Wirkungskreises erfordert neben hinreichenden Aufenthaltsmöglichkeiten auch private Rückzugsräume, die der Eigengestaltung offenstehen (vergleiche OVG Niedersachsen, a.a.O., und siehe 4.2).

Zusätzlich kann eine auf wenige Wochen oder Monate beschränkte Aufenthaltsdauer ein Indiz gegen eine Wohnnutzung sein.

5.5

Ist die vorgefundene Nutzung nicht als Wohnung zu qualifizieren, kommt die Einstufung als Wohnheim oder Beherbergungsbetrieb in Betracht. Wohnheime (§ 50 Absatz 2 Nummer 9 BauO NRW 2018) sowie Beherbergungsbetriebe mit mehr als 30 Betten (§ 50 Absatz 2 Nummer 7 BauO NRW 2018) sind große Sonderbauten. Es sind daher die weitergehenden Anforderungen insbesondere an den Brandschutz zu erfüllen.

Ist die Nutzungseinheit als Wohnung beziehungsweise Wohnhaus genehmigt, stellt die Etablierung eines Wohnheims oder eines Beherbergungsbetriebs eine genehmigungspflichtige Nutzungsänderung dar.

Denn an die Nutzung sind andere, weitergehende Anforderungen geknüpft, vergleiche § 50 Absatz 1 BauO NRW 2018. Fehlt die dafür erforderliche Nutzungsänderungsgenehmigung, kann schon aus diesem Grund eine sofort vollziehbare Nutzungsuntersagung gegenüber dem Vermieter begleitet durch entsprechende Duldungsverfügungen gegenüber den Nutzern ausgesprochen werden.

5.6

Liegt ein Verstoß gegen die Vorgaben des WAG NRW vor, stehen der Gemeinde die Anordnungsbefugnis des § 7 WAG NRW, die Erklärung der Unbewohnbarkeit gemäß § 8 WAG NRW und die Räumung überbelegter Wohnungen nach § 9 Absatz 3 WAG NRW zu.

5.7

Bei einer Überbelegung richtet sich das ordnungsbehördliche Einschreiten vorrangig nach dem WAG NRW, erfolgt also durch die Gemeinden. Maßnahmen der unteren Bauaufsichtsbehörden kommen daneben in Betracht, wenn mit der Überbelegung zugleich ein Verstoß gegen bauordnungs- oder bauplanungsrechtliche Vorschriften vorliegt, zum Beispiel, weil mit der Überbelegung eine nicht genehmigte Nutzungsänderung (siehe Nummer 4) verbunden ist. Sofern die untere Bauaufsichtsbehörde nicht zugleich die für den Vollzug des WAG NRW zuständige Gemeinde ist, haben sich die beiden Behörden bei ihrem Vorgehen abzustimmen.

5.8

Nach dem Leitfaden zum WAG NRW von Juli 2015 (https://www.mhkbg.nrw/sites/default/files/media/document/file/29_Leitfaden_WAG_ba_Juli-2015.pdf) erfordert eine Überlegung kein Einschreiten, sofern die Wohnraumgröße zwar objektiv unterschritten wird, sich aber keine weiteren Anhaltspunkte für die Ausnutzung des Mieters ergeben, sich also die Wohnung insbesondere in einem angemessenen Zustand befindet. Aufgrund der aktuellen Gefährdungslage durch den neuartigen Virus SARS-CoV-2 und des hohen Infektionsrisikos steht der freiheitlichen Entscheidung der betroffenen Mieter, den Wohnraum trotz Überbelegung zu mieten, der Gesundheitsschutz der Mieter und der gesamten Bevölkerung gegenüber. Dies erfordert ein restriktiveres Vorgehen gegen Überbelegung, da gerade hiermit ein erhöhtes Infektionsrisiko verbunden ist.

6         

Infektionsschutzgesetz

6.1

Unterkünfte können im Einzelfall als Massenunterkunft im Sinne des § 36 Absatz 1 Nummer 5 IfSG aufgefasst werden. Eine Massenunterkunft ist ein Wohn- oder zumindest Übernachtungszwecken dienender Aufenthaltsort für eine Vielzahl von Personen, in dem nur eine eingeschränkte Möglichkeit zur individuellen Abgrenzung existiert. Aufgrund der engen Wohnbedingungen treten die Bewohner zwangsläufig in einen gesteigerten gegenseitigen Kontakt, sodass sie einem erhöhten Infektionsrisiko ausgesetzt sind.

6.2

Von Seiten der Gemeinde in ihrer Funktion als Wohnungsaufsicht ist gemeinsam mit der unteren Gesundheitsbehörde zu klären, ob es sich im jeweiligen konkreten Fall um eine Massenunterkunft nach Nummer 6.1 handelt.

6.3

Für den Fall des Vorliegens einer Massenunterkunft nach den Nummern 6.1 und 6.2 legt die Betreiberin oder der Betreiber in einem Hygieneplan innerbetriebliche Verfahrensweisen zur Infektionshygiene fest und die Unterkünfte unterliegen der infektionshygienischen Überwachung durch die untere Gesundheitsbehörde.

6.4

Gemäß § 15a Absatz 1 Nummer 2 in Verbindung mit § 36 Absatz 1 Nummer 5 IfSG unterliegen Personen, die über Tatsachen Auskunft geben können, die für die jeweilige Überwachung von Bedeutung sind, den in § 15a Absatz 2 IfSG genannten Pflichten und die mit der jeweiligen Überwachung beauftragten Personen haben nach näherer Maßgabe des § 15a Absatz 3 IfSG unter anderem die Befugnis, Gebäude und Grundstücke zu betreten und zu besichtigen. Bei der Kontrolle von Gemeinschaftsunterkünften für Beschäftigte ist die örtlich zuständige Arbeitsschutzbehörde im Rahmen der Amtshilfe zu beteiligen.

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Nachforschung, Sachverhaltsermittlung

7.1

Viele den Anforderungen nicht genügende Wohn- beziehungsweise Unterbringungssituationen bleiben den zuständigen Behörden unbekannt. Es bedarf deshalb Nachforschungen.  Die für die Nachforschungen zuständigen Stellen haben dabei die datenschutzrechtlichen Bestimmungen zu beachten.

7.2

Liegen begründete Annahmen von Tatsachen vor, die zum Auftreten einer übertragbaren Krankheit führen können, so trifft gemäß § 16 Absatz 1 Satz 1 IfSG die zuständige Behörde die notwendigen Maßnahmen zur Abwendung der dem Einzelnen oder der Allgemeinheit hierdurch drohenden Gefahren. Da das Ziel des § 16 Absatz 1 IfSG das Verhindern des Entstehens von übertragbaren Krankheiten ist, normiert diese Bestimmung relativ großzügige Eingriffsvoraussetzungen.

Sofern begründete Annahmen im Sinne von § 16 Absatz 1 Satz 1‍ IfSG vorliegen, sind die Beauftragten der zuständigen Behörde und des Gesundheitsamtes gemäß § 16 Absatz 2 Satz 1 IfSG insbesondere berechtigt, Ermittlungen durchzuführen sowie Grundstücke, Räume, Anlagen und Einrichtungen zu betreten. Das zwangsweise Durchsetzen des Betretungsrechts setzt den vorherigen Erlass einer Duldungsanordnung voraus. § 16 Absatz 2 Satz 3 IfSG enthält zudem eine Auskunftspflicht. Von diesen gesetzlichen Möglichkeiten ist seitens der zuständigen Behörden Gebrauch zu machen, wenn insbesondere Anhaltspunkte für eine Überbelegung einer Wohnung beziehungsweise Unterkunft vorliegen.

7.3

Besteht die Annahme, dass jemand zumindest ansteckungsverdächtig im Sinne des § 2 Nummer 7 IfSG ist, stellt das Gesundheitsamt gemäß § 25 Absatz 1 IfSG die erforderlichen Ermittlungen an, insbesondere über Art, Ursache, Ansteckungsquelle, und Ausbreitung der Krankheit. Ob ein Ansteckungsverdacht im Sinne von § 2 Nummer 7 IfSG zu bejahen ist, beurteilt sich unter Berücksichtigung der Eigenheiten der jeweiligen Krankheit und der verfügbaren epidemiologischen Erkenntnisse und Wertungen sowie anhand der Erkenntnisse über Zeitpunkt, Art und Umfang der möglichen Exposition der betreffenden Person und über deren Empfänglichkeit für die Krankheit. Für die Durchführung der Ermittlungen gilt insbesondere § 16 Absatz 2 IfSG entsprechend. Die untere Gesundheitsbehörde darf zudem im Rahmen der Ermittlung im Hinblick auf eine bedrohliche übertragbare Krankheit erforderliche Befragungen unmittelbar an dritte Personen richten, welche zur Auskunft verpflichtet sind, wenn eine Mitwirkung der betroffenen Person nicht oder nicht rechtzeitig möglich ist. Die untere Gesundheitsbehörde entscheidet über Art und Umfang der Ermittlungen. Auf dieser Basis können die zuständigen Behörden unter anderem die Arbeitgeberin oder den Arbeitgeber auf Auskunft zu Wohnadressen in Anspruch nehmen, wenn Anhaltspunkte für übertragbare Krankheiten im privaten Wohnumfeld vorliegen, den Behörden aber die Adresse nicht bekannt ist und vom Betroffenen die Auskunft nicht beziehungsweise nicht rechtzeitig erlangt werden kann.

7.4

Die Bauaufsichtsbehörden können gemäß § 58 Absatz 7 BauO NRW 2018 Grundstücke und bauliche Anlagen betreten, um ihre Aufgaben zu erfüllen. Das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung nach Artikel 13 des Grundgesetzes wird insoweit eingeschränkt, § 58 Absatz 7 Satz 2 BauO NRW 2018.

Die Beauftragten der Gemeinden sind nach § 11 Absatz 1 Satz 2 WAG NRW berechtigt, mit Einwilligung der betroffenen Bewohnerschaft Grundstücke und Wohnräume zu besichtigen, wenn dies für die Entscheidung über eine Maßnahme nach diesem Gesetz erforderlich ist, insbesondere die Einholung von Auskünften nicht ausreicht. Gemäß § 11 Absatz 2 WAG NRW sind die Gemeinden ferner berechtigt, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass Wohnraum entgegen § 8 WAG NRW unzulässig benutzt wird oder nach § 9 WAG NRW überbelegt ist, Grundstücke und Wohnräume ohne Einwilligung der betroffenen Bewohnerschaft jederzeit ohne Ankündigung zu betreten. Auch durch das WAG NRW wird das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung nach Artikel 13 des Grundgesetzes eingeschränkt.

7.5

Die unteren Bauaufsichtsbehörden sowie die Gemeinden im Rahmen des WAG NRW sollen im Falle entsprechender Verdachtsmomente den Sachverhalt der Art und Weise der Unterbringung weiter aufklären. Anlass für eine solche weitere Sachverhaltsaufklärung können insbesondere eine Überbelegung oder die Unterbringung in nicht geeigneten Gebäuden sein.

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Inkrafttreten, Außerkrafttreten

Dieser Gemeinsame Runderlass tritt am Tag nach der Veröffentlichung in Kraft und am 31. Dezember 2023 außer Kraft.

- MBl. NRW. 2020 S. 462