Ministerialblatt (MBl. NRW.)
Ausgabe 2020 Nr. 23 vom 8.9.2020 Seite 483 bis 516
Änderung der „Berufsordnung der Ärztekammer Westfalen-Lippe“ |
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Änderung der „Berufsordnung der Ärztekammer Westfalen-Lippe“
21220
Änderung der
„Berufsordnung der Ärztekammer
Westfalen-Lippe“
Bekanntmachung
der Ärztekammer Westfalen-Lippe
Vom 20. Juni 2020
Die Kammerversammlung der Ärztekammer Westfalen-Lippe hat in ihrer Sitzung am 20. Juni 2020 aufgrund von § 31 Heilberufsgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen (HeilBerG) vom 09. Mai 2000 (GV. NRW S. 403), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 30. Juni 2020 (GV. NRW. S. 650) folgende Änderung der Berufsordnung der Ärztekammer Westfalen-Lippe vom 15. November 2003 (n.v.), zuletzt geändert am 16. März 2019 (MBl. NRW. S. 604) beschlossen, die durch Erlass des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen vom 16. Juli 2020 genehmigt worden ist.
Artikel I
1. Die Anlage „D. Anlage: Richtlinie zur Durchführung der assistierten Reproduktion gem. § 13“ der Berufsordnung der Ärztekammer Westfalen-Lippe wird wie folgt neu gefasst:
„D. Anlage:
Richtlinie zur Durchführung der assistierten Reproduktion gemäß § 13
Als assistierte Reproduktion wird die ärztliche Hilfe zur Erfüllung des Kinderwunsches durch medizinische Behandlungen und Methoden bezeichnet, die die Handhabung menschlicher Keimzellen (Ei- und Samenzellen) oder Embryonen zum Zwecke der Herbeiführung einer Schwangerschaft umfassen. Inseminationsbehandlungen ohne Stimulation sowie hormonelle Stimulation ohne Insemination und ohne Risiko der polifollikulären Entwicklung werden von dieser Richtlinie nicht erfasst.
Bei der assistierten Reproduktion handelt es sich um besondere medizinische Verfahren gemäß § 13 in Verbindung mit § 5 der Berufsordnung der Ärztekammer Westfalen-Lippe (BO).
Die Ärztin/der Arzt hat bei der Anwendung dieser Verfahren die geltenden gesetzlichen Vorschriften, insbesondere das Embryonenschutzgesetz, das Samenspenderregistergesetz und das Gendiagnostikgesetz einzuhalten.
Für den Umgang mit menschlichem Gewebe sind darüber hinaus die Vorschriften des Transplantationsgesetzes (TPG), des Arzneimittelgesetzes (AMG) und die auf Grundlage dieser Gesetze erlassenen Rechtsverordnungen zu beachten.
Die Bundesärztekammer stellt im Einvernehmen mit dem Paul-Ehrlich-Institut in der Richtlinie zur Entnahme und Übertragung von menschlichen Keimzellen im Rahmen der assistierten Reproduktion gemäß § 16b TPG den allgemein anerkannten Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft fest. Diese Richtlinie ist zu beachten.
Soweit die Behandlung als Leistung der Gesetzlichen Krankenversicherung erbracht wird, sind neben den vorstehenden Regelungen die Bestimmungen des Sozialgesetzbuches V (SGB V), die in Nordrhein-Westfalen geltende Künstliche-Befruchtungs-Genehmigungsrichtlinie Vom 21. Juni 2019 (MBl. NRW. S. 246) sowie die Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses gemäß § 92 SGB V zu beachten.
1. Rechtliche Voraussetzungen
1.1. Berufsrechtliche Voraussetzungen
Jede Ärztin/jeder Arzt, die/der solche Maßnahmen durchführen will, hat die Aufnahme der Tätigkeit bei der Ärztekammer anzuzeigen und nachzuweisen, dass die fachlichen, personellen und technischen Voraussetzungen erfüllt sind. Sie/er hat zu bestätigen, dass der sich aus der o. a. Richtlinie der Bundesärztekammer ergebende Stand der medizinischen Wissenschaft gewährleistet wird. Außerdem hat sie/er an den Maßnahmen der Qualitätssicherung teilzunehmen. Änderungen sind der Ärztekammer unverzüglich anzuzeigen.
Eine Ärztin/ein Arzt kann nicht dazu verpflichtet werden, entgegen ihrer/seiner Gewissensüberzeugung Verfahren der assistierten Reproduktion durchzuführen.
1.2. Fachliche, personelle und technische Voraussetzungen
Die Durchführung der Methoden der assistierten Reproduktion als Verfahren setzt die Erfüllung der in der Richtlinie der Bundesärztekammer festgelegten fachlichen, personellen und technischen Mindestanforderungen voraus.
Die Anzeige nach Ziffer 1.1 umfasst den Nachweis, dass die sachgerechte Durchführung der erforderlichen Leistungen sowohl fachlich (Ausbildungs-, Weiterbildungs- und Qualifikationsnachweis) als auch personell und sachlich (räumliche und apparative Ausstattung) gewährleistet ist.
Sofern Verfahren zur Anwendung kommen, mit denen menschliche Keimzellen gewonnen, be- oder verarbeitet, konserviert, geprüft, gelagert oder in den Verkehr gebracht werden, gilt insbesondere Folgendes:
Für die Anwendung dieser Verfahren ist das Zusammenwirken in einer ständig einsatzbereiten interdisziplinären Arbeitsgruppe Voraussetzung.
Die Leitung bzw. die stellvertretende Leitung der Arbeitsgruppe obliegt Fachärztinnen/Fachärzten für Frauenheilkunde und Geburtshilfe mit dem Schwerpunkt bzw. mit der fakultativen Weiterbildung „Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin“. Sie sind verantwortlich für die Überwachung der in der Richtlinie der Bundesärztekammer festgeschriebenen Maßnahmen.
Die Mitglieder der Arbeitsgruppe müssen über folgende Kenntnisse und Erfahrungen verfügen:
- Endokrinologie der Reproduktion
- Gynäkologische Sonographie
- Operative Gynäkologie
- Reproduktionsbiologie mit dem Schwerpunkt der In vitro-Kultur
- Andrologie
- Psychosomatische Grundversorgung
Von diesen sechs Bereichen können nur zwei gleichzeitig von einer Ärztin oder Wissenschaftler-in/einem Arzt oder Wissenschaftler der Arbeitsgruppe neben der Qualifikation der Psychosomatischen Grundversorgung verantwortlich geführt werden.
Grundsätzlich müssen Ärztinnen/Ärzte mit der Zusatzweiterbildung „Andrologie“ in Diagnostik und Therapie im Rahmen der assistierten Reproduktion integriert sein (z. B. durch eine Kooperation).
Folgende Einrichtungen müssen entsprechend dem aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik ständig verfügbar bzw. einsatzbereit sein:
- Hormonlabor
- Ultraschalldiagnostik
- Operationsbereitschaft mit Anästhesie-Team
- Labor für Spermiendiagnostik und –präparation
- Labor für In-vitro-Fertilisation, In-vitro-Kultur und ggf. Mikroinjektion
- EDV-gestützte Datenerfassung
- Möglichkeit der Kryokonservierung
Falls eine Polkörperdiagnostik (PKD) durchgeführt werden soll, muss die untersuchende Institution über diagnostische Erfahrung mittels molekulargenetischer und molekular-zytogenetischer Methoden an Einzelzellen verfügen.
Wird in Laborbereichen Spermadiagnostik und –aufbereitung, IVF-Kultur, bei der Kryokonservierung und anderen an Eizellen und Embryonen vorgenommenen Behandlungsmethoden weiteres Personal eingesetzt, muss dieses fachkundig sein.
1.3. Humangenetische Beratung
Eine humangenetische Beratung soll die betreffenden Personen in die Lage versetzen, auf der Grundlage ihrer persönlichen Wertmaßstäbe eine Entscheidung in gemeinsamer Verantwortung über die Vornahme einer genetischen Untersuchung im Rahmen der assistierten Reproduktion und über die aus der Untersuchung zu ziehenden Handlungsoptionen zu treffen. Sie ist insbesondere anzubieten bei:
- Anwendung der ICSI-Methode im Zusammenhang mit einer schweren Oligoastheno-teratozoospermie oder nicht entzündlich bedingter Azoospermie
- genetisch bedingten Erkrankungen in den Familien
- einer Polkörperdiagnostik (PKD)
- habituellen Fehl- und Totgeburten
- Fertilitätsstörungen in der Familienanamnese
- Präimplantationsdiagnostik (PID).
Eine genetische Untersuchung darf erst vorgenommen werden, nachdem die betreffende Person schriftlich bestätigt hat, dass sie gemäß dem oben genannten Verfahren über die Untersuchung aufgeklärt wurde und in diese eingewilligt hat. Hierbei ist das Gendiagnostikgesetz zu beachten.
1.4. Qualitätssicherung
Bei Verfahren und Maßnahmen der assistierten Reproduktion haben Ärztinnen und Ärzte an den von der Ärztekammer Westfalen-Lippe eingeführten Qualitätssicherungsverfahren teilzunehmen und die hierzu erforderlichen Auskünfte zu erteilen und Nachweise zu erbringen, insbesondere jährlich eine EDV-gestützte Dokumentation an die von der Ärztekammer für die Datenannahme bestimmte zuständige Stelle zu übermitteln. Die Datenerfassung hat den Anforderungen an Prospektivität zu entsprechen, die dadurch zu gewährleisten ist, dass die Angaben zum Behandlungszyklus innerhalb von fünf Tagen nach Beginn der hormonellen Stimulation eingegeben werden.
Die Datenübermittlung erfolgt auf Grundlage von § 30 Nr. 6 Heilberufsgesetz NW.
Die Ergebnisse der Datenauswertung dienen der zuständigen Ärztekammer als Grundlage für Maßnahmen der Qualitätssicherung.
1.5. Dokumentation
Im Einzelnen müssen mindestens dokumentiert werden:
- homologe Insemination nach hormoneller Stimulation
- IVF
- GIFT
- ICSI
- heterologe Insemination nach hormoneller Stimulation
- heterologe IVF/ICSI
- PKD
- PID
bezüglich mindestens:
- Zahl der Behandlungszyklen
- Alter der Patientin
- Indikation der Methoden
- Verlauf der Stimulation
- Anzahl und Befruchtungsrate der inseminierten Eizellen bei IVF/ ICSI
- Anzahl der transferierten Eizellen bei GIFT
- Anzahl der transferierten Embryonen bei IVF/ICSI
- Schwangerschaftsrate
- Geburtenrate
- Fehlgeburten
- Eileiterschwangerschaften
- Schwangerschaftsabbrüche
- Mehrlingsrate
- Fehlbildungen.
2. Ständige Kommission der Ärztekammer
Die Ärztekammer bildet eine „Ständige Kommission In-vitro-Fertilisation/Embryotransfer“, die die Einhaltung der in dieser Richtlinie definierten fachlichen, personellen und technischen Voraussetzungen prüft. Die Kommission prüft ferner die Qualität der Arbeitsgruppen verfahrens- und ergebnisbezogen und berät sie. Ihr gehört neben geeigneten Ärztinnen/Ärzten mindestens eine Juristin/ein Jurist an. Mindestens eine Ärztin/ein Arzt muss Erfahrungen in der Reproduktionsmedizin haben. Die Kommission kann sich in speziellen Fragen durch Vertreter anderer Gebiete ergänzen.
3. Meldung von Verstößen
Verdacht auf Verstöße gegen die Richtlinie, auch auffälliges Ausbleiben der Dokumentationen, sind der zuständigen Ärztekammer zu melden.“
Artikel II
Diese Änderung der Berufsordnung tritt am Tage nach der Veröffentlichung in Kraft.
Münster, den 22. Juni 2020
Dr. med. Johannes Albert G e h l e
Präsident
Genehmigt:
Düsseldorf, den 16. Juli 2020
Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales
des Landes Nordhrein-Westfalen
Im Auftrag
H a m m
Die Änderung der Berufsordnung wird hiermit ausgefertigt und im Ministerialblatt für das Land Nordrhein-Westfalen sowie im Internet auf der Homepage der Ärztekammer Westfalen-Lippe (www.aekwl.de) unter der Rubrik „Amtliche Bekanntmachungen“ bekannt gemacht.
Münster, den 10. August 2020
Dr. med. Johannes Albert G e h l e
Präsident
- MBl. NRW. 2020 S. 511