Ministerialblatt (MBl. NRW.)
Ausgabe 2022 Nr. 20 vom 5.5.2022 Seite 365 bis 374
Rechtsbehelfsbelehrungen für die elektronische Widerspruchs- oder Klageerhebung |
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Rechtsbehelfsbelehrungen für die elektronische Widerspruchs- oder Klageerhebung
201
Rechtsbehelfsbelehrungen
für die elektronische Widerspruchs- oder Klageerhebung
Runderlass
des Ministeriums des Innern
Vom 26. April 2022
1
Vorbemerkung
Zum
1. Januar 2022 sind verschiedene Vorschriften des Gesetzes zur Förderung des
elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten vom 10. Oktober 2013 (BGBl. I
S. 3786) in Kraft getreten, die die Form der Einlegung eines Widerspruchs und der
Erhebung einer Klage betreffen. Daher ist eine Neufassung des Runderlasses
„Rechtsbelehrung bei elektronischer Widerspruchs- oder Klageerhebung“ vom 12.
Dezember 2017 (MBl. NRW. S. 1024) erforderlich.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist die Angabe der Form von Klage und Widerspruch gemäß § 58 Absatz 1 und § 70 Absatz 2 in Verbindung mit § 58 Absatz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. März 1991 (BGBl. I S. 686), die zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 8. Oktober 2021 (BGBl. I S. 4650) geändert worden ist, im Folgenden VwGO, kein zwingender Bestandteil einer Rechtsbehelfsbelehrung. Gleichwohl wird unter dem Gesichtspunkt einer bürgerfreundlichen Verwaltung und zur Vermeidung von Anträgen auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 60 VwGO empfohlen, hierzu in der Rechtsbehelfsbelehrung eine gesonderte Erläuterung vorzusehen.
2
Elektronische Widerspruchserhebung
Soweit
nach § 110 Justizgesetz Nordrhein-Westfalen vom 26. Januar 2010 (GV. NRW. S. 30), das zuletzt durch Gesetz vom 23. Februar 2022 (GV. NRW. S. 254) geändert
worden ist, ein Vorverfahren nach den §§ 68 ff. VwGO durchzuführen ist, kann der
nach § 69 VwGO einzulegende Widerspruch gemäß § 70 Absatz 1 Satz 1 VwGO in Verbindung
mit § 3a Absatz 2 des Verwaltungsverfahrensgesetzes in der Fassung der
Bekanntmachung vom 23. Januar 2003 (BGBl. I S. 102), das zuletzt durch Artikel
24 Absatz 3 des Gesetzes vom 25. Juni 2021 (BGBl. I S. 2154) geändert worden
ist, im Folgenden VwVfG, auch in elektronischer Form erhoben werden. In § 3a
Absatz 2 Satz 2 und 4 VwVfG werden die zulässigen Möglichkeiten der
elektronischen Form genannt.
2.1
Verwendung einer qualifizierten elektronischen Signatur
Gemäß § 3a Absatz 2 Satz 2 VwVfG genügt der elektronischen Form ein
elektronisches Dokument, das mit einer qualifizierten elektronischen Signatur
versehen ist.
2.1.1
Formulierungsvorschlag
Bei
der Formulierung einer Rechtsbehelfsbelehrung ist auch § 3 Absatz 1 des
E-Government-Gesetzes Nordrhein-Westfalen vom 8. Juli 2016 (GV. NRW. S. 551) in
der jeweils geltenden Fassung zu berücksichtigen. Danach sind Behörden verpflichtet,
einen Zugang für die Übermittlung von Dokumenten auf elektronischem Weg nach §
3a Absatz 1 VwVfG NRW zu eröffnen, auch soweit sie mit einer qualifizierten
elektronischen Signatur versehen sind. Für den Zugang bieten die Behörden ein
Verschlüsselungsverfahren an. In dem nachfolgenden Formulierungsvorschlag
sollte als E-Mail-Adresse die Adresse dieses Zugangs angegeben werden.
Für Rechtsbehelfsbelehrungen zur elektronischen Widerspruchserhebung mittels
E-Mail, die mit einer qualifizierten elektronischen Signatur verbunden ist,
empfehle ich daher folgende Formulierung:
„Der Widerspruch kann auch durch Übermittlung eines elektronischen Dokuments mit qualifizierter elektronischer Signatur an die elektronische Poststelle der Behörde erhoben werden. Die E-Mail-Adresse lautet: (E-Mail-Adresse der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen hat).“
2.1.2
Besonderheiten für Landesbehörden
Die Behörden der Landesverwaltung werden gebeten, in der
Rechtsbehelfsbelehrung ausschließlich die E-Mail-Adresse poststelle@<behördenkürzel>.sec.nrw.de
anzugeben. Die Einzelheiten ergeben sich aus dem nur für Landesbehörden, nicht
aber für Gemeinden und Gemeindeverbände geltenden Runderlass
„Verwaltungsvorschrift zum elektronischen Zugang zur Verwaltung nach dem E-Government-Gesetz
Nordrhein-Westfalen“ vom 1. Februar 2017 (MBl. NRW. S. 72) in der jeweils
geltenden Fassung. Dies gilt insbesondere für die Art der eingesetzten
Verschlüsselungstechnik, für die die Vorgaben von Teil 2 (Schriftformersatz mit
elektronischem Identitätsnachweis) der Technischen Richtlinie TR-03107-2
„Elektronische Identitäten und Vertrauensdienste im E-Government“ in der
jeweils geltenden Fassung zu beachten sind.
2.2
Verwendung einer De-Mail
Nach § 3a Absatz 2 Satz 4 Nummer 2 VwVfG kann eine durch Rechtsvorschrift
angeordnete Schriftform auch durch De-Mail in der Sendevariante „bestätigte
sichere Anmeldung“ nach § 5 Absatz 5 des De-Mail-Gesetzes vom 28. April 2011
(BGBl. I S. 666), das zuletzt durch Artikel 7 des Gesetzes vom 10. August 2021
(BGBl. I S. 3436) geändert worden ist, ersetzt werden.
Die Behörden sind nach § 3 Absatz 2, § 26 Absatz 2 des E-Government-Gesetzes Nordrhein-Westfalen verpflichtet, Zugänge zum Empfang von De-Mails nach § 5 Absatz 5 des De-Mail-Gesetzes einzurichten. Dies eröffnet Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit, auf diesem Weg auch Widersprüche gegen Verwaltungsakte zu erheben. Daher sollte in einer Rechtsbehelfsbelehrung auch auf diese Möglichkeit hingewiesen werden.
Dazu wird folgende Formulierung empfohlen:
„Der Widerspruch kann auch durch De-Mail in der Sendevariante mit bestätigter sicherer Anmeldung nach § 5 Absatz 5 des De-Mail-Gesetzes erhoben werden. Die De-Mail-Adresse lautet: (De-Mail-Adresse der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen hat).“
2.3
Verwendung eines elektronischen Formulars in Verbindung mit einem sicheren
Identitätsnachweis
Die Schriftform kann nach § 3a Absatz 2 Satz 4 Nummer 1 VwVfG auch durch
die Eingabe in ein elektronisches Formular, welches von der Behörde entweder in
einem Eingabegerät oder über öffentlich zugängliche Netze zur Verfügung
gestellt wird, ersetzt werden. Bei der Eingabe über öffentlich zugängliche
Netze, die eher in der Praxis vorkommen dürfte, muss gemäß § 3a Absatz 2 Satz 5
VwVfG ein elektronischer Identitätsnachweis erfolgen.
Nach
§ 3 Absatz 3 des E-Government-Gesetzes Nordrhein-Westfalen sind die Behörden
verpflichtet, in Verwaltungsverfahren, in denen sie die Identität einer Person
aufgrund einer Rechtsvorschrift festzustellen haben oder aus anderen Gründen
eine Identifizierung für notwendig erachten und die Identitätsfeststellung
zulässig ist, einen elektronischen Identitätsnachweis nach § 18 des
Personalausweisgesetzes vom 18. Juni 2009 (BGBl. I S. 1346), das zuletzt durch
Artikel 3 des Gesetzes vom 21. Juni 2019 (BGBl. I S. 846) geändert worden ist, gemäß
§ 12 des eID-Karten-Gesetzes vom 21. Juni 2019 (BGBl. I S. 846), das zuletzt
durch Artikel 3 des Gesetzes vom 5. Juni 2021 (BGBl. I S. 2281) geändert worden
ist, oder nach § 78 Absatz 5 des Aufenthaltsgesetzes in der Fassung der
Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162), das zuletzt durch Artikel
1 des Gesetzes vom 12. Juli 2018 (BGBl. I S. 1147) geändert worden ist,
anzubieten.
Dies eröffnet die Möglichkeit, einen Widerspruch mit elektronischem Identitätsnachweis
auch durch direkte Eingabe in ein elektronisches Formular einzulegen, sofern
die Behörde ein solches Formular über das Internet zur Verfügung stellt. In
diesem Fall sollte in einer Rechtsbehelfsbelehrung auch auf diese Möglichkeit
hingewiesen werden.
Hierfür empfehle ich folgende Formulierung:
„Der Widerspruch kann mit einem elektronischen Identitätsnachweis nach § 18 des Personalausweisgesetzes, § 12 des eID-Karten-Gesetzes oder § 78 Absatz 5 des Aufenthaltsgesetzes auch durch direkte Eingabe in das folgende elektronische Formular eingelegt werden: (Bezeichnung des von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen hat, zur Verfügung gestellten elektronischen Formulars und Angabe der Internetseite/des Links).“
2.4
Weitere Vorkehrungen
Bei Eröffnung eines Zugangs zur Übermittlung elektronischer Dokumente im
Wege der beiden vorgenannten Verfahren nach Nummer 2.2 und 2.3 sind zusätzliche
Vorkehrungen zu treffen, damit diese Verfahren alle für den Schriftformersatz
erforderlichen Funktionalitäten erfüllen. Hierfür gelten die Vorgaben des unter
Nummer 2.1.2 erwähnten Runderlasses „Verwaltungsvorschrift zum elektronischen
Zugang zur Verwaltung nach dem E-Government-Gesetz Nordrhein-Westfalen“ sowie
von Teil 2 (Schriftformersatz mit elektronischem Identitätsnachweis) der
Technischen Richtlinie TR-03107-2 „Elektronische Identitäten und
Vertrauensdienste im E-Government“, jeweils in der jeweils geltenden Fassung.
3
Elektronische Klageerhebung
Nach § 81 Absatz 1 Satz 1 VwGO ist die Klage bei dem Gericht schriftlich zu
erheben. Nach § 81 Absatz 1 Satz 2 VwGO kann sie bei dem Verwaltungsgericht
auch zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle erhoben werden.
Daneben ist nach § 55a VwGO eine elektronische Klageerhebung in der Weise möglich, dass das elektronische Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein muss oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht wird. In § 55a Absatz 4 VwGO sind sichere Übermittlungswege aufgeführt, mit denen elektronische Dokumente dem Gericht übersandt werden können, ohne dass die Verbindung mit einer qualifizieren elektronischen Signatur erforderlich ist.
3.1
Änderungen bei der Klageerhebung mit Wirkung vom 1. Januar 2022
Nach § 55d Satz 1 VwGO sind mit Wirkung vom 1. Januar 2022 vorbereitende
Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und
Erklärungen, die durch einen Rechtsanwalt, eine Behörde oder durch eine
juristische Person des öffentlichen Rechts eingereicht werden, verpflichtend als
elektronisches Dokument zu übermitteln. § 55d Satz 2 VwGO erstreckt diese
Verpflichtung auf die nach der VwGO vertretungsberechtigten Personen, für die
ein sicherer Übermittlungsweg nach § 55a Absatz 4 Satz 1 Nummer 2 VwGO zur
Verfügung steht.
Aus § 173 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 253 Absatz 4 der Zivilprozessordnung
in der Fassung der Bekanntmachung vom 5. Dezember 2005 (BGBl. I S. 3202; 2006 I
S. 431; 2007 I S. 1781), die zuletzt durch Artikel 3 des Gesetzes vom 5.
Oktober 2021 (BGBl. I S. 4607) geändert worden ist, ergibt sich, dass von
dieser Bestimmung nicht nur die vorbereitenden Schriftsätze gemäß §§ 129 ff. der
Zivilprozessordnung erfasst sind. Auch sogenannte bestimmende Schriftsätze wie zum
Beispiel Klageschriften fallen unter die neue Regelung, weil nach § 253 Absatz
4 der Zivilprozessordnung die allgemeinen Vorschriften über die vorbereitenden
Schriftsätze auch auf die Klage anzuwenden sind. Die Vorschrift bezieht sich
somit auf alle an das Gericht adressierten Schriftsätze, Anträge und
Erklärungen, die von Rechtsanwälten und ihnen gleichstellten Personen
eingereicht werden und macht die herkömmliche Einreichung der genannten
Unterlagen beispielsweise in Papierform für diesen Personenkreis prozessual
unwirksam.
Durch diese Neuregelung wird die bisherige Möglichkeit, die genannten
Unterlagen als elektronische Dokumente mittels einer qualifizierten
elektronischen Signatur oder auf einem sicheren Übermittlungsweg einzureichen,
für Behörden, für juristische Personen des öffentlichen Rechts und für durch
einen Rechtsanwalt vertretene Personen zu einer Verpflichtung.
3.2
Formulierungsvorschlag
Für eine Rechtsbehelfsbelehrung zur elektronischen Klageerhebung empfehle
ich folgende Formulierung:
„Die
Klage kann auch durch Übermittlung eines elektronischen Dokuments an die
elektronische Poststelle des Gerichts erhoben werden. Das elektronische
Dokument muss mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der
verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person
signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg gemäß § 55a Absatz 4 VwGO
eingereicht werden. Es muss für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet
sein. Die technischen Rahmenbedingungen für die Übermittlung und die Eignung zur Bearbeitung durch
das Gericht bestimmen
sich nach näherer Maßgabe der Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung vom 24.
November 2017 (BGBl. I S. 3803) in der jeweils geltenden Fassung.
Wird die Klage durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt, eine Behörde
oder eine juristische Person des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihr
zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse erhoben, muss
sie nach § 55d Satz 1 VwGO als elektronisches Dokument übermittelt werden.
Dies gilt nach § 55d Satz 2 VwGO auch für andere nach der VwGO
vertretungsberechtigte Personen, denen ein sicherer Übermittlungsweg nach § 55a
Absatz 4 Satz 1 Nummer 2 VwGO zur Verfügung steht.
Ist eine Übermittlung als elektronisches Dokument aus technischen Gründen
vorübergehend nicht möglich, bleibt auch bei diesem Personenkreis nach § 55d
Satz 1 und 2 VwGO die Klageerhebung mittels Schriftform oder zu Protokoll des
Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zulässig. Die vorübergehende Unmöglichkeit
ist bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft zu machen; auf
Anforderung ist ein elektronisches Dokument nachzureichen.“
4
Eigenverantwortliche Prüfung der Rechtmäßigkeit von Rechtsbehelfsbelehrungen
Meine Empfehlungen zur Formulierung von Rechtsbehelfsbelehrungen zur
elektronischen Widerspruchs- und Klageerhebung entbinden die Behörden nicht von
der Pflicht, jeweils in eigener Verantwortung die Rechtmäßigkeit ihrer
Rechtsbehelfsbelehrungen zu prüfen und die Entwicklung der einschlägigen
Rechtsprechung im Blick zu halten.
5
Inkrafttreten, Außerkrafttreten
Dieser Runderlass tritt am Tag nach der Veröffentlichung in Kraft und mit
Ablauf des 31. Dezember 2026 außer Kraft. Gleichzeitig mit Inkrafttreten dieses
Runderlasses tritt der Runderlass „Rechtsbehelfsbelehrung bei elektronischer
Widerspruchs- oder Klageerhebung“ vom 12. Dezember 2017 (MBl. NRW. S. 1024) außer
Kraft.
- MBl. NRW. 2022 S. 366