Ministerialblatt (MBl. NRW.)
Ausgabe 2022 Nr. 26 vom 28.6.2022 Seite 563 bis 600
Zusammenarbeit zwischen Ausländerbehörden, Polizeibehörden sowie Justizbehörden bei straffälligen ausländischen Personen im Land Nordrhein-Westfalen |
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Normkopf Norm Normfuß |
Zusammenarbeit zwischen Ausländerbehörden, Polizeibehörden sowie Justizbehörden bei straffälligen ausländischen Personen im Land Nordrhein-Westfalen
26
Zusammenarbeit
zwischen Ausländerbehörden,
Polizeibehörden sowie Justizbehörden
bei straffälligen ausländischen Personen
im Land Nordrhein-Westfalen
Gemeinsamer Runderlass
des Ministeriums für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration,
des Ministeriums des Innern und
des Ministeriums der Justiz
Vom 29.
April 2022
Die Ausländer-, die Polizei- und Justizbehörden unterstützen sich gegenseitig, indem sie ihren jeweiligen Unterrichtungspflichten bei aufeinander bezogenen strafrechtlichen und ausländerrechtlichen Verfahren nachkommen.
Es ist wie folgt zu verfahren:
1
Grundsatz
Eine
Mitteilung kann zurückgestellt werden, solange sie den Untersuchungszweck
gefährdet (§ 12 Absatz 3 Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz in der
im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 300-1, veröffentlichten
bereinigten Fassung, das zuletzt durch Artikel 3 des Gesetzes vom 25. Juni 2021
(BGBl. I S. 2099) geändert worden ist in Verbindung mit § 479 der Strafprozessordnung,
in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. April 1987 (BGBl. I S. 1074, 1319),
die zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 25. März 2022 (BGBl. I S. 571)
geändert worden ist, im Folgenden StPO). Nach Fortfall des Hinderungsgrundes
ist sie unverzüglich nachzuholen.
Die Staatsanwaltschaften und übrigen Vollstreckungsbehörden erfüllen die
nachfolgend angesprochenen Mitteilungsverpflichtungen jeweils nach Maßgabe der
Anordnung über Mitteilungen in Strafsachen in der Fassung der Bekanntmachung vom 27. März 2019 (BAnz AT 08.04.2019 B1), im Folgenden MiStra.
2
Mitteilungspflichten nach Einleitung eines Strafverfahrens
2.1
Die
Polizeibehörde unterrichtet unverzüglich, das heißt mit Eingang der
Strafanzeige bei der sachbearbeitenden Dienststelle, die für die verdächtige
ausländische Person nach Ausländerzentralregister aktenführende
Ausländerbehörde über die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens nach § 87 Absatz
4 des Aufenthaltsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar
2008 (BGBl. I S. 162), das zuletzt durch Artikel 4a des Gesetzes vom 23. Mai
2022 (BGBl. I S. 760) geändert worden ist, sowie über Erkenntnisse nach § 87
Absatz 2 des Aufenthaltsgesetzes. Ergibt sich aus dem Ausländerzentralregister
keine aktenführende Ausländerbehörde, so ist die Mitteilung an die für den
Tatort zuständige Ausländerbehörde zu richten.
2.2
Die Staatsanwaltschaft unterrichtet die Ausländerbehörde entsprechend in
den Fällen, in denen die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens unmittelbar
durch die Staatsanwaltschaft oder durch Zoll-, Finanz- oder Polizeibehörden
außerhalb Nordrhein-Westfalens erfolgt, sofern die Ausländerbehörde nicht zuvor
von einer anderen Stelle über die Einleitung eines strafrechtlichen
Ermittlungsverfahrens unterrichtet worden ist und sich dies aus der
Ermittlungsakte ergibt. Satz 1 gilt entsprechend für die Einleitung eines
Auslieferungsverfahrens gegen einen Ausländer
2.3
Nummer 2.1 Satz 1 gilt gemäß § 87 Absatz 4 Satz 2 des Aufenthaltsgesetzes
entsprechend für den Erlass und die Aufhebung eines Haftbefehls.
2.4
Die Polizeibehörde beziehungsweise Staatsanwaltschaft dokumentiert im
jeweiligen Ermittlungsvorgang, welche Ausländerbehörde sie unterrichtet hat.
2.5
Ist ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen eine ausländische Person
eingeleitet oder die öffentliche Klage erhoben, ersucht die Ausländerbehörde,
wenn sie eine Ausweisung oder Abschiebung beabsichtigt und der Abschiebung
keine langfristigen Abschiebungshindernisse entgegenstehen, die
Staatsanwaltschaft mittels des vorgesehenen Vordrucks oder in besonders
eilbedürftigen Ausnahmefällen telefonisch um ihr Einvernehmen (§ 72 Absatz 4 Aufenthaltsgesetz).
Hierzu übermittelt die Ausländerbehörde der Staatsanwaltschaft unter Angabe
ihrer eigenen Erreichbarkeit, einschließlich Telefaxnummer, die Ausländerzentralregister
-Nummer und alle relevanten Informationen, insbesondere solche, die die
Dringlichkeit oder die Auswirkungen der Entscheidung begründen. Seitens der
Staatsanwaltschaft ist für die unverzügliche Weiterleitung an eine zuständige
Dezernentin beziehungsweise einen zuständigen Dezernenten Sorge zu tragen. Ist
die Zuständigkeit weiterer Dezernate berührt, sorgt diese beziehungsweise dieser
für die schnellstmögliche Weiterleitung der Anfrage auch nach dort.
Die Staatsanwaltschaft teilt ihre Entscheidung der Ausländerbehörde mittels des
entsprechenden Vordrucks mit. Die Prüfung des Ersuchens und die Rückmeldung der
Entscheidung erfolgen umgehend, sofern die Ausländerbehörde in ihrem Ersuchen
eine besondere Eilbedürftigkeit begründet hat.
2.6
Im Falle des erteilten Einvernehmens unterrichtet die Ausländerbehörde die
Staatsanwaltschaft unverzüglich über die erfolgte Durchführung oder die
Nichtdurchführung der Abschiebung.
2.7
Die Ausländerbehörde informiert die Staatsanwaltschaft unverzüglich über einen
Zuständigkeitswechsel nach Übermittlung eines Ersuchens nach Nummer 2.5. Sie
teilt der Staatsanwaltschaft mit, wenn das Ersuchen nicht mehr aufrechterhalten
wird, weil aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht mehr beabsichtigt sind.
2.8
Vor einer Entscheidung über die Erteilung, die Verlängerung oder den Widerruf
eines Aufenthaltstitels nach § 25 Absatz 4a oder 4b des Aufenthaltsgesetzes und
die Festlegung, Aufhebung oder Verkürzung einer Ausreisefrist nach § 59 Absatz
7 des Aufenthaltsgesetzes ist die für das in § 25 Absatz 4a oder 4b des
Aufenthaltsgesetzes in Bezug genommene Strafverfahren zuständige
Staatsanwaltschaft oder das mit ihm befasste Strafgericht zu beteiligen, es sei
denn, es liegt ein Fall des § 87 Absatz 5 Nummer 1 des Aufenthaltsgesetzes vor.
Sofern der Ausländerbehörde die zuständige Staatsanwaltschaft noch nicht
bekannt ist, beteiligt sie vor einer Entscheidung über die Festlegung,
Aufhebung oder Verkürzung einer Ausreisefrist nach § 59 Absatz 7 des
Aufenthaltsgesetzes die für den Aufenthaltsort zuständige Polizeibehörde.
3
Mitteilungspflichten nach Beginn der Untersuchungshaft
3.1
Die Justizvollzugsanstalt, die nach der Vollzugsgeschäftsordnung Nordrhein-Westfalen,
AV d. JM v. 7. Dezember 2017 (1464 - IV. 1) - JMBl. NRW S. 323 -
in der Fassung vom 15. Juni 2021 - JMBl. NRW S. 235 -, für Mitteilungen an die Ausländerbehörde zuständig ist, teilt nach § 74 Absatz 2 der Aufenthaltsverordnung vom 25. November 2004 (BGBl. I S. 2945), die zuletzt durch Artikel 4 der Verordnung vom 20. August 2021 (BGBl. I S. 3682) geändert worden ist, der für diese Person zuständigen Ausländerbehörde den Antritt der Untersuchungshaft, die Verlegung in eine andere Justizvollzugsanstalt oder die Entlassung aus der Untersuchungshaft mit.
3.2
Ist der Justizvollzugsanstalt die zuständige Ausländerbehörde nicht bekannt, so
erfolgt die Mitteilung an die Ausländerbehörde, in deren Bezirk sich die
Justizvollzugsanstalt befindet. Sofern diese Ausländerbehörde nicht selbst
gemäß § 14 der Verordnung über Zuständigkeiten im Ausländerwesen vom 10.
September 2019 (GV. NRW. S. 593), die zuletzt durch Verordnung vom 3. März 2021
geändert worden ist, zuständig ist, leitet sie die Mitteilung unverzüglich an
die hiernach zuständige Ausländerbehörde weiter. Zugleich informiert die
Ausländerbehörde, in deren Bezirk sich die Justizvollzugsanstalt befindet, die
Justizvollzugsanstalt über die zuständige Ausländerbehörde. Ist der Ausländer
zur Wohnsitznahme in einer Aufnahmeeinrichtung des Landes Nordrhein-Westfalen
verpflichtet oder dort untergebracht, so ist gemäß § 15 Absatz 3 der Verordnung
über Zuständigkeiten im Ausländerwesen die zu unterrichtende Ausländerbehörde
die Zentrale Ausländerbehörde des Regierungsbezirks, in dem sich die
Aufnahmeeinrichtung befindet.
3.3
Nach Eingang der Mitteilung über den Antritt der Untersuchungshaft prüft die
zuständige Ausländerbehörde umgehend aufenthaltsbeendende Maßnahmen. Kommen
solche in Betracht, informiert sie unverzüglich die ermittlungsführende
Staatsanwaltschaft über das Ergebnis ihrer Prüfung.
3.4
Die Staatsanwaltschaft unterrichtet in diesen Fällen die nach Aktenlage
zuständige Ausländerbehörde, sobald sie beabsichtigt, die Aufhebung eines
Haftbefehls oder die Verschonung vom Vollzug der Untersuchungshaft zu
beantragen (§ 120 Absatz 3 StPO). In sonstigen Fällen informiert die
Staatsanwaltschaft die nach Aktenlage zuständige Ausländerbehörde unverzüglich,
sobald sie von der Entlassung des Beschuldigten Kenntnis erlangt. Liegen bei
der Staatsanwaltschaft Erkenntnisse darüber vor, dass das Gericht beabsichtigt,
einen Beschuldigten aus der Untersuchungshaft zu entlassen, teilt sie dies der
nach Aktenlage zuständigen Ausländerbehörde ebenfalls unverzüglich mit.
4
Mitteilungspflichten nach Beendigung des Ermittlungsverfahrens
4.1
Die Staatsanwaltschaft teilt nach § 87 Absatz 4 des Aufenthaltsgesetzes der
nach Aktenlage zuständigen Ausländerbehörde die Einstellung des
Ermittlungsverfahrens sowie den Antrag auf Erlass eines Strafbefehls mit.
Gleiches gilt für die Erhebung der öffentlichen Klage sowie den Erlass und die
Aufhebung eines Haftbefehls.
4.2
Die Staatsanwaltschaft teilt der nach Aktenlage zuständigen Ausländerbehörde
unverzüglich den Termin der Hauptverhandlung mit, sofern sie gemäß Nummer 2.5
über die beabsichtigte Ausweisung oder Abschiebung unterrichtet wurde. Dies
gilt insbesondere in Fällen von Nummer 2.3. Im Anschluss an die
Hauptverhandlung unterrichtet sie die Ausländerbehörde über das Ergebnis der
Hauptverhandlung.
5
Mitteilungspflichten nach gerichtlicher Erledigung des Strafverfahrens
5.1
Die Staatsanwaltschaft oder in Verfahren nach dem Jugendgerichtsgesetz in der Fassung der
Bekanntmachung vom 11. Dezember 1974 (BGBl. I S. 3427), das zuletzt durch
Artikel 21 des Gesetzes vom 25. Juni 2021 (BGBl. I S. 2099) geändert worden ist,
der
Vollstreckungsleiter als Vollstreckungsbehörde teilt der nach Aktenlage
zuständigen Ausländerbehörde gemäß § 87 Absatz 4 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes
unmittelbar die gerichtliche Erledigung des Strafverfahrens mit und übersendet
ihr im Falle einer Verurteilung nach Vorliegen das rechtskräftige Urteil nebst
Gründen. Ist eine Verurteilung zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe, die nicht
zur Bewährung ausgesetzt wurde, erfolgt oder wurde eine freiheitsentziehende
Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet, teilt die Staatsanwaltschaft
oder in Verfahren nach dem Jugendgerichtsgesetz der Vollstreckungsleiter als
Vollstreckungsbehörde zudem mit, von welchem Zeitpunkt an eine Maßnahme nach §
456a StPO in Betracht kommt.
5.2
Die Staatsanwaltschaft oder in Verfahren nach dem Jugendgerichtsgesetz der Vollstreckungsleiter
als Vollstreckungsbehörde teilt der zuständigen Ausländerbehörde gemäß § 74 Absatz
1 Nummer 1 und Nummer 2 der
Aufenthaltsverordnung unverzüglich
den Widerruf einer Strafaussetzung zur Bewährung sowie den Widerruf der
Zurückstellung der Strafvollstreckung mit.
5.3
Die Justizvollzugsanstalt, die eine ausländische Person in die Strafhaft
aufnimmt, teilt nach § 74 Absatz 2 der Aufenthaltsverordnung der für diese
Person zuständigen Ausländerbehörde den Antritt der Strafhaft, die Verlegung in
eine andere Justizvollzugsanstalt sowie den vorgesehenen und den festgesetzten
Termin für die Entlassung aus der Strafhaft mit. Über Änderungen mitgeteilter
Entlassungstermine ist die zuständige Ausländerbehörde im Hinblick auf mögliche
ausländerrechtliche Maßnahmen zu informieren, bei kurz bevorstehenden
Entlassungsterminen erfolgt die Mitteilung unverzüglich. Auf Fälle der
Auslieferungshaft ist Satz 1 entsprechend anwendbar.
5.4
Ist der Justizvollzugsanstalt die zuständige Ausländerbehörde nicht bekannt, so
erfolgt die Mitteilung an die Ausländerbehörde, in deren Bezirk sich die
Justizvollzugsanstalt befindet. Sofern diese Ausländerbehörde nicht selbst gemäß
§ 14 der Verordnung über Zuständigkeiten im Ausländerwesen zuständig ist,
leitet sie die Mitteilung unverzüglich an die hiernach zuständige
Ausländerbehörde weiter. Zugleich informiert die Ausländerbehörde, in deren
Bezirk sich die Justizvollzugsanstalt befindet, die Justizvollzugsanstalt über
die zuständige Ausländerbehörde.
5.5
Die Justizvollzugsanstalten gewähren zur Vorbereitung aufenthaltsbeendender
Maßnahmen der Ausländerbehörde Akteneinsicht in die Gefangenenpersonalakte,
soweit die Erteilung einer Auskunft einen unvertretbaren Aufwand erfordert oder
nach Darlegung der Ausländerbehörde für die Erfüllung der Aufgabe nicht
ausreicht. Dies ist regelmäßig der Fall, wenn die Ausländerbehörde sich nur
durch Einsicht in die Gefangenenpersonalakte ein Gesamtbild machen kann. Die
Fertigung von Kopien in der Justizvollzugsanstalt wird in angemessenem Umfang
ermöglicht.
5.6
Die Ausländerbehörde prüft die Möglichkeit der Überstellung oder der
Abschiebung, teilt das Ergebnis ihrer Prüfung umgehend, jedoch spätestens einen
Monat vor dem Halbstrafenzeitpunkt der Vollstreckungsbehörde mit und regt
gegebenenfalls eine Maßnahme nach § 456a StPO an. Die Staatsanwaltschaft oder
in Verfahren nach dem Jugendgerichtsgesetz der Vollstreckungsleiter als
Vollstreckungsbehörde prüft, ob die Voraussetzungen für ein Absehen von der
weiteren Vollstreckung vorliegen und trifft die Entscheidung nach § 456a StPO
so frühzeitig, dass die zur Entlassung und Aufenthaltsbeendigung notwendigen
Vorbereitungen der Justizvollzugsanstalt beziehungsweise
Maßregelvollzugseinrichtung und der Ausländerbehörde fristgemäß getroffen
werden können.
6
Weitere Mitteilungspflichten
Auf
das Bestehen weiterer Mitteilungspflichten zwischen Justiz-, Polizei- und
Ausländerbehörden wie zum Beispiel nach § 482 StPO (Nummer 11 MiStra), § 8
Absatz 1a des Asylgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. September
2008 (BGBl. I S. 1798), das zuletzt durch Artikel 9 des Gesetzes vom 9. Juli
2021 (BGBl. I S. 2467) geändert worden ist, (Nummer 42a MiStra) oder der Vollzugsgeschäftsordnung
Nordrhein-Westfalen wird hingewiesen.
7
Inkrafttreten
Dieser
Gemeinsame Runderlass tritt am Tag nach der Veröffentlichung in Kraft.
- MBl. NRW. 2022 S. 585