Ministerialblatt (MBl. NRW.)
Ausgabe 2023 Nr. 10 vom 30.3.2023 Seite 223 bis 230

Amtliche Untersuchungen von Beamtinnen und Beamten sowie Beamtenbewerberinnen und -bewerbern mit einer HIV-Infektion
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Amtliche Untersuchungen von Beamtinnen und Beamten sowie Beamtenbewerberinnen und -bewerbern mit einer HIV-Infektion

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Amtliche Untersuchungen von Beamtinnen und Beamten
sowie Beamtenbewerberinnen und -bewerbern
mit einer HIV-Infektion

Runderlass
 des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales

Vom 23. März 2023

1.
Die HIV-Infektion ist nach heutigem Stand der Medizin eine gut behandelbare Infektionserkrankung.

Allgemeine HIV-Tests bei Einstellungsuntersuchungen von Beamtenbewerberinnen und Beamtenbewerbern sind im Hinblick

- auf die geringe Verbreitung der Infektion,

- auf den heutigen medizinischen Kenntnisstand über die Lebens- und Leistungserwartung von Menschen mit HIV,

- auf den aktuellen Stand der Wissenschaft zur HIV-Behandlung, insbesondere durch die Auswirkungen einer antiretroviralen Therapie auf die Viruslast,

- auf die diskriminierenden und stigmatisierenden Auswirkungen eines solchen obligatorischen Tests für andere Bereiche des Erwerbslebens und die dadurch herbeigeführte Beeinträchtigung der gesellschaftlichen Teilhabe,

- auf Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe a) der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 (ABl. L 303/16 vom 2. Dezember 2000) zur Feststellung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf, wonach sämtliche Bedingungen – einschließlich Auswahlkriterien und Einstellungsbedingungen – für den Zugang zu einer Beschäftigung dem Geltungsbereich der Diskriminierungsverbote unterliegen, und

- darauf, dass die grundsätzliche Forderung eines negativen HIV-Status für die Einstellung in den Vorbereitungsdienst eine unmittelbare Benachteiligung wegen der HIV-Infektion darstellt und damit ein Verstoß gegen das in § 7 Absatz 1 Halbsatz 1 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) vom 14. August 2006 (BGBl. I S. 1897), das zuletzt durch Artikel 4 des Gesetzes vom 19. Dezember 2022 (BGBl. I. S. 2510) geändert worden ist, geregelte Benachteiligungsverbot vorliegen kann,

auch in tatsächlicher Hinsicht unverhältnismäßig.

Dies gilt auch für die bloße Befragung der Bewerberinnen und Bewerber. Das in Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention verankerte Recht auf Achtung des Privatlebens, das insbesondere das Recht einer Person auf Geheimhaltung ihres Gesundheitszustandes umfasst, steht insoweit einer Untersuchung auf eine HIV-Infektion gegen oder ohne den Willen der betroffenen Person entgegen (vgl. EuGH, Urteil vom 5. Oktober 1994 – Rs. C-404/92 P, NJW 1994, 3005).

Darüber hinaus sind Menschen mit HIV nach § 24 AGG im Bereich des öffentlichen Dienstrechts dem Anwendungsbereich des AGG zuzuordnen (BAG, Urteil vom 19. Dezember 2013 – 6 AZR 190/12).

2.
Auch wenn die Bewerberin oder der Bewerber ihre beziehungsweise seine HIV-Infektion von sich aus bekannt gibt oder diese aus anderen Quellen bekannt wird, schließt die
HIV-Infektion für sich allein die gesundheitliche Eignung und eine Verbeamtung nicht grundsätzlich und in jedem Fall aus. Es bedarf vielmehr einer Prüfung des konkreten Einzelfalls (vgl. BVerwG – Urteil vom 25. Juli 2013 – 2 C 12/11). Seit Erlass der ersten Fassung des Runderlasses am 26. November 2012 hat sich die Rechtsprechung auch zur Thematik von Verbeamtungen bei bestehender HIV-Infektion geäußert (VG Hannover, Urteil vom 18. Juli 2019 – 13 A 2059/17; VG Berlin, Urteil vom 23. September 2022 – 5 K 322.18).

Die beurteilende Ärztin oder der beurteilende Arzt muss in dem konkreten Einzelfall eine fundierte medizinische Tatsachenbasis für die Prognose auf der Grundlage allgemeiner medizinischer Erkenntnisse und der gesundheitlichen Verfassung der Bewerberin oder des Bewerbers erstellen (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Juli 2013 – 2 C 12/11 –, juris Rn. 22). Es ist auf die konkrete Gesundheitssituation der Bewerberin oder des Bewerbers abzuheben (vgl. zu HIV: VG Hannover, Urteil vom 18.Juli 2019 – 13 A 2059/17; VG Berlin, Urteil vom 23.September 2022 - 5 K 322.18 -, Rn. 59).

In Hinblick auf Menschen mit positivem HIV-Status, die nach aktuellem Kenntnisstand angemessen medizinisch versorgt werden, gibt es im Grundsatz keine tatsächlichen Anhaltspunkte dafür, dass sie – allein wegen des positiven HIV-Status – die Dienstaltersgrenze nicht erreichen, mit überwiegender Wahrscheinlichkeit vor Erreichen des Dienstaltersgrenze dienstunfähig würden oder über Jahre hinweg regelmäßig krankheitsbedingt ausfallen könnten (VG Hannover, Urteil vom 18. Juli 2019 – 13 A 2059/17; VG Berlin, Urteil vom 23.September.2022 - 5 K 322.18 -, Rn. 46).

3.
Die Regelungen dieses Erlasses gelten auch für amtsärztliche Untersuchungen bei Beamtinnen und Beamten auf Zeit, auf Probe und auf Widerruf.

4.
Dieser Runderlass tritt am Tag nach der Veröffentlichung in Kraft.

Gleichzeitig mit dem Inkrafttreten tritt der Runderlass Amtliche Untersuchungen von Beamtinnen und Beamten sowie Beamtenbewerberinnen und –bewerbern mit einer HIV-Infektion vom 26. November 2012 (MBl. NRW. S. 712), der durch Runderlass vom 17. Juni 2022 (MBl. NRW. S. 571) geändert worden ist, außer Kraft.

- MBl. NRW. 2023 S. 224