Ministerialblatt (MBl. NRW.)
Ausgabe 2023 Nr. 43 vom 8.11.2023 Seite 1199 bis 1278

Lenkung des Windenergieausbaus in der Übergangszeit bis zum Erreichen der Flächenbeitragswerte durch die Regionalplanung (Erlass zur Lenkung des Windenergieausbaus in der Übergangszeit)
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Lenkung des Windenergieausbaus in der Übergangszeit bis zum Erreichen der Flächenbeitragswerte durch die Regionalplanung (Erlass zur Lenkung des Windenergieausbaus in der Übergangszeit)

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Lenkung des Windenergieausbaus in der Übergangszeit bis zum
Erreichen der Flächenbeitragswerte durch die Regionalplanung
(Erlass zur Lenkung des Windenergieausbaus in der Übergangszeit)

Gemeinsamer Runderlass
des Ministeriums für Ministerium für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie,
des Ministeriums für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung und
des Ministeriums für Umwelt, Naturschutz und Verkehr

Vom 21. September 2023

1.
Gesicherter Flächenkorridor für den Windenergieausbau in Nordrhein-Westfalen auf Beschleunigungsflächen, Flächen der Regionalplan-Entwürfe und zusätzlicher kommunalen Flächen

Der Zubau von Windenergieanlagen erfolgt in Nordrhein-Westfalen ab sofort in einem gesicherten räumlich exakt definierten Flächenkorridor.

Bis zum Inkrafttreten der jeweiligen Regionalplanung (Übergangszeitraum) erfolgt der Zubau von Windenergieanlagen auf den Flächen, die Regionalplanungsträger in ihren Planentwürfen vorsehen. Voraussetzung hierfür ist ein Beschluss des regionalen Planungsträgers zu der Konzeption und den räumlich bestimmten Flächen. Nicht erforderlich ist das Vorliegen des Umweltberichts oder ein förmlicher Aufstellungsbeschluss nach § 19 Absatz 1 LPlG. Ebenfalls ausreichend ist der Eintritt der Voraussetzungen des § 245e Absatz 4 BauGB.

Soweit solche Konzepte noch nicht vorliegen, erfolgt der Zubau auf den landesplanerisch identifizierten und exakt festgelegten Kernpotenzialflächen, als „Beschleunigungsflächen“. Dies sind in jeder Planungsregion die größten zusammenhängenden Windenergiepotenziale, bei denen im Hinblick auf die Eignung für die Windenergienutzung von einer Übernahme in die Plankonzepte der regionalen Planungsträger auszugehen ist. Solche Bereiche werden in jeder Planungsregion anteilig zu den von der Landesregierung vorgegebenen Teilflächenzielen in einem Umfang herangezogen, dass die Zielmarke von 200 Anlagen pro Jahr auch bereits in 2023 auf insgesamt 9000 ha sicher ermöglicht wird. Dabei sind die LEP-Festlegungen 10.2-7 (Waldarme Gemeinden) und 10.2-11 (Inanspruchnahme von Kommunen mit Windenergiebereichen) berücksichtigt.

Soweit sich für bestimmte Teilflächen abzeichnet, dass sie keinen Eingang in die regionalplanerische Konzeption finden sollen, kann der Regionalrat im Vorgriff auf sein Gesamtkonzept auch gestuft vorgehen und diese Flächen im Rahmen eines ersten Teilkonzeptes durch abweichende Flächen in mindestens gleichen Umfang ersetzen.

Eine NRW-Übersicht zu diesem Flächenkorridor kann unter folgendem Link eingesehen werden:

https://landesplanung.nrw.de/erlass-zur-lenkung-des-windenergieausbaus-der-uebergangszeit

Maßstabsbedingte Auslegungsspielräume dieser Karte sind zugunsten des Zubaus der Windenergie zu nutzen.

Von den Kommunen planerisch für die Windenergie vorgesehene Flächen stehen den vorgenannten Flächen in den Regionalplänen unter den Voraussetzungen des Grundsatzes 10.2-9 des LEP gleich und zählen damit ebenfalls zum gesicherten Flächenkorridor. Neu vorgesehene Flächen stehen den vorgenannten Flächen bereits unter den Voraussetzungen des § 245e Absatz 4 BauGB gleich.

Für diesen ab sofort zur Verfügung stehenden Flächenkorridor werden mit dem nachfolgenden Erlass folgende Regelungen getroffen:

Innerhalb dieses Flächenkorridors für den Windenergieausbau wird ein Windenergieausbau raumordnungsrechtlich bereits jetzt ermöglicht. Mit Blick auf das Planungsrecht gelten die Hinweise in Ziffer 2 unten.

Außerhalb dieser Flächen widerspricht der Zubau in der Übergangszeit dem Steuerungsziel, soweit dieses nicht anderweitig durch insbesondere das gemeindliche Einvernehmen gewahrt ist. Die Erteilung des Einvernehmens ist eine rechtlich determinierte Entscheidung, die sich gleichheitsgerecht (Artikel 3 GG) an rechtlich geschützten Belangen der jeweils betroffenen Kommune, insbesondere dem Rechtsgut der Vermeidung übermäßiger Belastungen der Kommune bzw. deren Einwohnerinnen und Einwohner (LEP-Grundsatz 10.2-11) durch den konkret beabsichtigten Zubau zu orientieren hat. Die Entscheidung ist zu begründen.

Eine Aussetzung der Entscheidung über die Zulässigkeit von Windenergieanlagen kann dann auf der Basis einer Einzelfallprüfung nach § 36 Absatz 2 LPlG gegenüber der immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsbehörde angewiesen werden (siehe Ziffer 3 unten).

Nordrhein-Westfalen lenkt mit dem vorgenannten raumordnungsrechtlichen Ziel den Windkraftausbau in konkret definierte regional und kommunal gewollte Flächen und gibt soweit möglich Vorrang vor dem Zuwarten auf den formalen Abschluss der jeweiligen Planverfahren. Mit der Lenkung wird zudem dem großräumig geplanten Ausgleich der Nutzungsinteressen der Vorzug vor kleinräumigen Einzelfallentscheidungen gegeben und werden die weiteren Vorgaben der Landesplanung für eine gerechte bzw. ausgewogene Verteilung der Ausbauziele auf die einzelnen Planungsregionen (Ziel 10.2-2), der Vorgaben zur Austarierung der Ausbauziele mit naturschutzrechtlichen Belangen (Ziele 10.2-6, 10.2-7. 10.2-8, 10.2.-9) und dem Grundsatz der Vermeidung übermäßiger Belastung einzelner Kommunen und deren Einwohnerinnen und Einwohner (Grundsatz 10.2-11) schnellstmöglich umgesetzt bzw. sollen erreicht werden.

2.
Planungsrechtliche Hinweise zur Ermöglichung der Windenergie im vorgenannten Flächenkorridor

2.1
Umgang mit fehlerhaften Bauleitplänen

Bereits mit Erlass des vormaligen MBWSV vom 27. Oktober 2016, VA3 -16.22.03 - 213/15, wurde klargestellt, dass die Verwaltung selbst wegen ihrer Bindung an Gesetz und Recht zur rechtlichen Prüfung von Bauleitplänen auf Vereinbarkeit mit höherrangigen Rechtsnormen verpflichtet ist („Normprüfungskompetenz“). Fraglich und auch in der Rechtsprechung umstritten ist indes, ob der Verwaltung auch eine sogenannte „Normverwerfungskompetenz“ zusteht. Das Bundesverwaltungsgericht hat es bislang vermieden, diese Frage einer grundsätzlichen Klärung zuzuführen.

Eine großzügige Handhabung einer behördlichen Normenverwerfung ist jedenfalls unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit nicht hinnehmbar. Es besteht die Gefahr einer unterschiedlichen Verwaltungspraxis.

Die Verwaltung ist deswegen grundsätzlich verpflichtet, alle Rechtsvorschriften einschließlich des untergesetzlichen Satzungsrechtes (zum Beispiel Bauleitpläne) solange zu beachten, als diese nicht von dem Satzungsgeber wieder aufgehoben oder abgeändert worden sind oder durch ein Gericht nach § 47 Absatz 5 Satz 2 VwGO mit allgemeiner Verbindlichkeit für unwirksam erklärt wurden.

Nur wenn die Rechtswidrigkeit eines Bauleitplans ausnahmsweise offensichtlich ist, die Gemeinde aber nicht tätig wird, kann dessen Bindungswirkung im Einzelfall entfallen. „Offensichtlichkeit“ liegt dann vor, wenn die Unwirksamkeit einer Norm „völlig eindeutig“ feststeht (OVG NRW, Urteil vom 30. Juni 2005 – 20A 3988/03).

Hierzu sind die Schritte, wie in der Anlage dargestellt, erforderlich

In Besonderheit für den Ausbau von Windenergieanlagen in Beschleunigungsflächen und in den Windenergiebereichen der Regionalplanentwürfe kann wegen der herausragenden Bedeutung des umgehenden Ausbaus für Klimaschutz, Energiewende und Wirtschaft (Ziel 10.2-13 der Landesplanung) von den zuständigen Genehmigungsbehörden in die Bewertung einbezogen werden, dass die Bekanntmachung der Genehmigung eines Teil-Flächennutzungsplanes fehlerhaft sein kann, weil der räumliche Geltungsbereich des Flächennutzungsplanes zur Darstellung von Konzentrationszonen für die Windenergie nicht ausreichend beschrieben wurde (siehe hierzu die konkrete Fallkonstellation der Entscheidung BVerwG, Urteil vom 29. Oktober 2020, 4 CN 2/19). Das BVerwG hat darauf hingewiesen, dass die Bekanntmachung der Genehmigung eines Flächennutzungsplanes nach § 6 Absatz 5 Satz 1 BauGB ihren Adressaten den räumlichen Geltungsbereich der Darstellungen hinreichend deutlich machen muss. Stellt die Gemeinde bei einer Konzentrationszonenplanung mit der Wirkung des § 35 Absatz 3 Satz 3 BauGB kartographisch nur einen Ausschnitt ihres Gemeindegebietes dar, wird sie jedenfalls im Text der Bekanntmachung deutlich machen müssen, dass die Darstellungen nach § 35 Absatz 3 Satz 3 BauGB rechtliche Wirkungen im gesamten Außenbereich entfalten. Des Weiteren führt das BVerwG aus, dass die Erklärung der Unwirksamkeit sich dabei nicht auf die Darstellungen des Flächennutzungsplans insgesamt erstrecken durfte. Denn möglicher Gegenstand einer statthaften Normenkontrolle gemäß § 47 Absatz 1 Nr. 1 VwGO analog sei laut BVerwG allein (…) die Ausschlusswirkung des § 35 Absatz 3 Satz 3 BauGB an Standorten außerhalb der ausgewiesenen Flächen. Nur die Ausschlusswirkung, nicht aber die Ausweisung von Positivflächen entfalte die einer Rechtsvorschrift vergleichbaren Wirkungen (siehe Urteil des BVerwG, 29. Oktober 2020, 4 CN 2.19, Rn. 24).

2.2
Frühzeitige Zulassung nach § 245e Absatz 4 BauGB

§ 245e Absatz 4 BauGB ermöglicht es, bereits während der Aufstellung von Raumordnungs- oder Flächennutzungsplänen mit neuen oder erweiterten Windenergiegebieten entgegen einer gemäß § 245e Absatz 1 S. 1 BauGB noch fortgeltenden Ausschlusswirkung Vorhaben zuzulassen, die voraussichtlich den Neuplanungen entsprechen. Im Falle der Aufstellung von Bebauungsplänen für die Windenergie ist weiterhin § 33 BauGB anzuwenden.

Voraussetzung für die Zulassung von Vorhaben während der Planaufstellung ist eine gewisse Planreife. Die Vorschrift setzt hier zum einen prozessual voraus, dass bereits eine Beteiligung nach § 3 Absatz 2, § 4 BauGB oder nach § 9 Absatz 2 ROG durchgeführt wurde. Somit muss sich das Verfahren in einem Stadium befinden, in dem sowohl die förmliche Öffentlichkeitsbeteiligung nach § 3 Absatz 2 BauGB als auch die förmliche Behördenbeteiligung nach § 4 Absatz 2 BauGB bzw. nach § 9 Absatz 2 und 3 ROG bereits durchgeführt wurde. Obwohl § 245e Absatz 4 BauGB pauschal auf § 4 BauGB verweist, wird § 4 Absatz 3 BauGB richtigerweise nicht mit in Bezug genommen. Dieser regelt eine Unterrichtungspflicht für den Zeitraum nach Abschluss des Verfahrens, während § 245e Absatz 4 BauGB ja gerade eine frühzeitige Zulassung vor Abschluss des Verfahrens ermöglichen will.

Materielle Anwendungsvoraussetzung für die Zulassung während der Planaufstellung ist gemäß dem Wortlaut der Vorschrift zudem die Annahme, dass das Vorhaben den künftigen Ausweisungen entspricht. Eine solche kann nur dann getroffen werden, wenn anzunehmen ist, dass zumindest die für das Vorhaben einschlägigen Teile des Plans vor dem Planbeschluss insbesondere aufgrund der Ergebnisse der Öffentlichkeits- und Behördenbeteiligung nicht mehr wesentlich verändert werden. Dies ist regelmäßig dann nicht der Fall, wenn die Voraussetzungen des § 4a Absatz 3 BauGB oder des § 9 Absatz 3 ROG vorliegen und der Plan aufgrund von Änderungen oder Ergänzungen, die sich potenziell auf das Vorhaben auswirken können, eine erneute Beteiligung durchlaufen muss. Obwohl § 245e Absatz 4 BauGB nicht auf § 4a Absatz 3 BauGB verweist, ist wegen der materiellen Anforderungen an die Planreife dann auch das Ergebnis dieser Beteiligung abzuwarten. Letztlich handelt es sich stets um eine einzelfallbezogene Prognose, zu welchem Zeitpunkt die hinreichende Planreife vorliegt.

Sind die vorgenannten Anwendungsvoraussetzungen des § 245e Absatz 4 BauGB erfüllt, können die Auswirkungen, die der Plan nach seinem Wirksamwerden für die Fortgeltung der Vorhabenzulässigkeit hätte, vorgezogen werden.

§ 245e Absatz 4 BauGB soll zur Beschleunigung des Windenergieausbaus in den Regionalplanänderungsverfahren zur Umsetzung der Flächenziele des Landesentwicklungsplan-Entwurfs besonders genutzt werden.

Bei Windenergieprojekten, für die Voraussetzungen dieser Regelung noch nicht vorliegen aber eine diesbezügliche Rechtslage zeitnah zu erwarten ist, sind die Beteiligten hinsichtlich einer einvernehmlichen Lösung zu beraten

3.
Einzelfallprüfung für eine Aussetzung außerhalb des gesicherten Flächenkorridors

Im Rahmen der Ermessensentscheidung über die Anweisung über die Vornahme einer befristeten Aussetzung gemäß § 36 Absatz 2 LPlG und LEP-Ziel 10.2-13 ist wie folgt vorzugehen:

a) Außerhalb des gesicherten Flächenkorridors für den Windenergieausbau (Gebietskulisse der regionalen Planungsträger, landesplanerisch identifizierten Kernpotenzialflächen/Beschleunigungsflächen, kommunale Windenergieflächen) kann die Entscheidung über die Zulässigkeit einer Windenergieanlage im Einzelfall ausgesetzt werden.

b) Die Aussetzung der Entscheidung über die Zulässigkeit erfolgt im Einvernehmen mit der Gemeinde im Sinne von LEP Ziel 10-2.13 durch den Kreis oder die kreisfreie Stadt als zuständige immissionsschutzrechtliche Genehmigungsbehörde. Hierzu wird die Gemeinde im immissionsschutzrechtlichen Verfahren mit der dort üblichen Frist beteiligt. Erteilt die Gemeinde ihr Einvernehmen im Rahmen des BImSchG-Genehmigungsverfahrens, ist keine weitere Prüfung einer Vereinbarkeit mit LEP-Ziel 10-2.13 erforderlich.

c) Verweigert die Gemeinde ihr Einvernehmen im Hinblick LEP Ziel 10-2.13, prüft die immissionsschutzrechtliche Genehmigungsbehörde dies und beteiligt die Bezirksregierung. Die Bezirksregierung prüft, ob die gesetzlichen Voraussetzungen und die Regelungen dieses Erlasses für eine Aussetzung erfüllt sind. Bejaht sie dies, bittet sie ein noch einzurichtendes Vermittlerteam innerhalb einer angemessenen Frist (in der Regel 1 Monat) auf eine einvernehmliche Regelung hinzuwirken. Näheres zur Organisation des Vermittlerteams regelt die Landesplanungsbehörde durch eine Geschäftsordnung.

Kommt eine einvernehmliche Regelung nicht zu Stande, weist sie unter Ausübung ihres pflichtgemäßen Ermessens die immissionsschutzrechtliche Genehmigungsbehörde nach § 36 Absatz 2 LPlG an, die Entscheidung über die Zulässigkeit des beantragten Vorhabens befristet auszusetzen. Hierbei ist der Vorhabenträger von der Immissionsschutzbehörde nach § 28 VwVfG NRW anzuhören. Solange keine Anweisung der Bezirksregierung erfolgt ist, hat die immissionsschutzrechtliche Genehmigungsbehörde den Genehmigungsantrag weiter zu bearbeiten. Die Genehmigungsentscheidung wird nicht vor Ablauf der gesetzlich vorgesehenen Monatsfrist für die Fachbehördenbeteiligung nach § 10 Absatz 5 BImSchG in Verbindung mit § 11 der 9. BImSchV, das heißt nicht vor Ablauf eines Monats nach Beteiligung der Bezirksregierung getroffen.

d) Eine befristete Aussetzung bemisst sich nach dem voraussichtlichen weiteren Zeitbedarf des betreffenden Regionalplans und den gesetzlichen Fristen. Sie ist längstens bis zur Feststellung der Flächenbeitragswerte der Planungsregion (Ziel 10.2-2) oder bis zum 01.06.25 vorzunehmen. Die Bezirksregierung hebt bestehende Anweisungen zur Aussetzung auf, sobald das Vorhaben innerhalb einer der von den regionalen Planungsträgern vorgesehenen Gebietskulisse liegt oder das Einvernehmen der Gemeinde nachträglich erteilt wird. Die Aufhebung der Anweisung ist als auflösende Bedingung in die Aussetzungsverfügung aufzunehmen.

e) Bei der Anwendung des § 36 LPlG durch die Bezirksregierungen ist der allgemeine verwaltungsrechtliche Grundsatz des Vertrauensschutzes zu berücksichtigen. Damit soll vermieden werden, dass Vorhaben, die zum Zeitpunkt des 6. Juni 2023 zulässig waren, durch die Einführung des Steuerungsinstruments für die Übergangszeit (Ziel 10.2-13 „Steuerung der Windenergienutzung im Übergangszeitraum“ des LEP-Entwurfs) aber auszusetzen wären, zum Gegenstand von Maßnahmen nach § 36 LPlG zum Schutz des Ziels 10.2-13 „Steuerung der Windenergienutzung im Übergangszeitraum“ des LEP-Entwurfs gemacht werden.

Erforderlich für das Vorliegen von Vertrauensschutz ist dabei stets eine durch staatliches Handeln oder Unterlassen geschaffene Vertrauensgrundlage sowie eine Betätigung dieses Vertrauens.

Die Grundsätze des Vertrauensschutzes gelten damit für Windenergievorhaben für die, als Betätigung des Vertrauens, bis zum 6. Juni 2023 vollständige Genehmigungsunterlagen im Sinne von § 7 der 9. BImSchV vorlagen und für die zu diesem Zeitpunkt bei einer verständigen Gesamtabwägung aufgrund der Umstände vor Ort ein gefestigtes schutzwürdiges Vertrauen der Antragstellenden in die planungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens fortbestand.

1. Fallkonstellation: Ein gefestigtes schutzwürdiges Vertrauen liegt jedenfalls vor, wenn das Vorhaben spätestens am 15. Juni 2022 (Beschluss des Bundeskabinetts über den Entwurf des Gesetzes zur Erhöhung und Beschleunigung des Ausbaus von Windenergieanlagen an Land) konkreten Ausweisungen des Bauplanungsrechts der betroffenen Kommune sowie überörtlichem Planungsrecht entsprach. Bis dahin kann jedenfalls von einem gefestigten Vertrauen in eine konstante planungsrechtliche Grundlage ausgegangen werden, soweit diese nicht durch nachträglich eintretende Gründe entkräftet wird.

2. Fallkonstellation: Darüber hinaus kann ein schutzwürdiges Vertrauen auch dann angenommen werden, wenn durch staatliches Handeln oder Unterlassen begründete Umstände vorliegen, die auf Basis einer Gesamtabwägung aller Umstände eine vergleichbare Vertrauensgrundlage schaffen. Dabei kommt staatlichem Handeln, das eine bestimmte für die Zukunft bestehende gefestigte Rechtslage nahelegt, eine entscheidende Bedeutung zu. Abwägungsrelevant in der geschilderten Gesamtabwägung sind etwa Erlasse der Landesregierung und staatliches Handeln auf anderen Ebenen, etwa den Kommunen. Wichtige Indizien für die Auslegung solchen Handelns kann auch das eigene Verhalten des Antragstellers, etwa sein Bemühen um Herstellung des Einvernehmens mit der betroffenen Kommune sowie die vor Ort erkennbaren Verhältnisse (erkennbar entstehende Umzingelungswirkung durch das Vorhaben, erkennbare Überlastung einer einzelnen Gemeinde insbesondere unter die Berücksichtigung von Vorbelastungen durch das Vorhaben) sein. Im Regelfall kann bei vollständigen Genehmigungsunterlagen von Vertrauensschutz ausgegangen werden. Ausnahmen können vorliegen, wenn bereits vor der Einreichung entsprechender Unterlagen, jedenfalls jedoch innerhalb ortsüblicher Bearbeitungsfristen, das konkrete Projekt betreffend eine schlüssig begründete ablehnende Positionierung der betroffenen Kommune oder der zuständigen Genehmigungsbehörde (auch unter Berücksichtigung von § 2 EEG) erkennbar wurde oder sonstige dem Vertrauen entgegenstehende im örtlichen und überörtlichen Planungsrecht und planerischen Situation begründete wesentliche Umstände erkennbar geworden sind.

Praktische Bedeutung kommt dem etwa im Zusammenhang mit der Regelung zu den Kalamitätsflächen im LEP-Erlass Erneuerbare Energien vom 28. Dezember 2022 zu. Dort ist festgehalten, dass unter Berücksichtigung der besonderen Bedeutung des Ausbaus und der Nutzung der erneuerbaren Energien, im Regelfall davon ausgegangen werden kann, dass diese Kalamitätsflächen bei Abwägungsentscheidungen in Plan- und Genehmigungsverfahren im Ergebnis für Zwecke der Windenergienutzung umgewandelt werden können. Dies legt für einen Antragstellenden zwar nahe, dass der Errichtung von Windenergieanlagen auf solchen Flächen zukünftig planerische Hinderungsgründe nicht entgegenstehen. Aufgrund der Unterschiedlichkeit und Sensibilität dieser Flächen müssen dennoch weitere Indizien hinzukommen, um das Vertrauen hinreichend abzusichern. Liegt etwa ergänzend ein die vorgenannte Annahme stützendes Verhalten auf kommunaler Ebene vor, kann im Rahmen einer Gesamtabwägung Vertrauensschutz zu gewähren sein, wenn die die Genehmigungsunterlagen ab dem 28. Dezember 2022 eingereicht wurden.

Hingewiesen wird auf die Zulässigkeit eines Repowering unter den Voraussetzungen des § 245e Absatz 3 BauGB auch außerhalb der Windenergiegebiete der Regional- und Bauleitplanung. Eine Zurückstellung ist dann ausgeschlossen.

Eine etwaige Entschädigungspflicht aufgrund einer unzulässig angeordneten Zurückstellung trägt stets das für Fragen erneuerbarer Energien zuständige Ressort (und nicht die lediglich ausführenden Kreise oder kreisfreien Städte oder ihr Einvernehmen verweigernden Kommunen). Auch aus der Berücksichtigung der Nummer 2.1. dieses Erlasses sich ergebende mögliche staatliche Entschädigungspflichten trägt bzw. übernimmt das für Fragen erneuerbarer Energien zuständige Ressort. Dies gilt unabhängig der Rechtsgrundlage der Verpflichtung (§§ 35 f. LPlG, § 39 OBG, sonstige Amtshaftungsansprüche).

4.
Berichtspflicht

Die Bezirksregierungen berichten monatlich an MWIKE zu den beabsichtigten Zurückstellungen. Dies insbesondere zu der beabsichtigten Gewährung des Vertrauensschutzes im Sinne von 3. e) dieses Erlasses.

5.
Evaluationspflicht

Dieser Erlass und seine Rechtswirkungen im Hinblick auf die Umsetzung des LEP-Ziels 10.2-13 „Steuerung der Windenergienutzung im Übergangszeitraum“ sind durch das Ministerium für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie unter Beteiligung aller weiterer betroffenen Ressorts bis spätestens zum 31. Dezember 2023 und sodann alle sechs Monate zu evaluieren.

6.
Inkrafttreten

Dieser Runderlass tritt am 21. September 2023 in Kraft.

- MBl. NRW. 2023 S. 1200