Ministerialblatt (MBl. NRW.)
Ausgabe 1998 Nr. 64 vom 13.11.1998 Seite 1147 bis 1166

Rahmen-Leitbild für die Landesverwaltung
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Rahmen-Leitbild für die Landesverwaltung

20040

Rahmen-Leitbild für die Landesverwaltung

Gem. RdErl. d. Ministeriums für Inneres und Justiz - AG VR -,
d. Ministerpräsidenten und aller Landesministerien
v. 08.10.1998

Die Landesregierung hat am 26.8.1997 den Entwurf eines Rahmen-Leitbildes für die Landesverwaltung beschlossen und dem Landtag zugeleitet.

Der Landtag hat im Zusammenhang mit seiner Beschlußfassung am 28.5.1998 über den Antrag LT-Drs. 12/3066 "Verwaltungsstrukturreform voranbringen - Rahmen-Leitbild für die Landesverwaltung" begrüßt, dass das von der Landesregierung vorgelegte Rahmen-Leitbild die Vorgaben des Landtages aus seiner politischen Diskussion zu diesem Thema aufgegriffen hat.

Der Landtag erwartet, dass das in der Anlage abgedruckte Rahmen-Leitbild Grundlage für die Erarbeitung der unterschiedlichen Behörden-Leitbilder der Ressorts bzw. für eine Prüfung bereits bestehender Behörden-Leitbilder sein wird. Dabei sollen die Personalvertretungen und die Arbeitnehmerorganisationen beteiligt werden. Hinsichtlich der Umsetzung werden besondere Erlasse der Ressorts ergehen.

Anlage

Rahmen-Leitbild
für die Landesverwaltung

1. Vorwort

Die Entwicklung von Leitbildern ist in jüngster Zeit nicht mehr nur auf die private Wirtschaft beschränkt, sondern wird zunehmend auch von einzelnen Dienststellen oder für bestimmte Bereiche der Landesverwaltung erwogen. Der nordrhein-westfälische Landtag hat gegen Ende der vergangenen Legislaturperiode einen Grundsatzbeschluß zur Entwicklung eines verwaltungspolitischen Leitbildes gefaßt. Die Landesregierung will in der laufenden Legislaturperiode eine Leitbilddiskussion in den Dienststellen der Landesverwaltung in Gang setzen, die deren Selbstverständnis als Dienstleistungsinstitutionen stärkt.

Grundlage hierfür ist die Überlegung, daß Leitbilder ein Instrument der Organisationsentwicklung und damit ein dynamisches Element für die Modernisierung der öffentlichen Verwaltung sein können, die eine entscheidende politische Gestaltungsaufgabe der neunziger Jahre ist. Einmal formulierte Leitbilder müssen dann allerdings von den Beschäftigten akzeptiert und in der täglichen Praxis mit Leben erfüllt werden.

Dementsprechend wird ein solches Leitbild im Regelfall unter maßgeblicher Beteiligung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entwickelt. Bei einem Rahmen-Leitbild für die gesamte Landesverwaltung mit ihren über 400.000 Beschäftigten ist dies jedoch nicht möglich, aber auch nicht erforderlich. Vielmehr liegt der Zweck eines Rahmen-Leitbildes darin, Orientierungspunkte zu setzen und dem laufenden Reformprozeß in der Landesverwaltung zusätzliche Impulse zu verleihen. Das Rahmen-Leitbild richtet sich an die einzelnen Institutionen der Landesverwaltung und soll diesen Anstöße für dezentrale Organisationsentwicklungsprozesse vermitteln. Die Dienststellen vor Ort sollen aus dem Rahmen-Leitbild - unter Berücksichtigung der aufgezeigten Rahmenbedingungen und ihrer jeweils spezifischen Aufgabenstellung - unter Beteiligung der Beschäftigten konkrete Vorstellungen ableiten und eigene Behörden-Leitbilder entwickeln können.

2. Rechtsstaatlichkeit und Wohl der Allgemeinheit

Das Handeln der Landesverwaltung wird von Gesetz und Recht bestimmt, dient dem Wohl der Allgemeinheit und ist der gerichtlichen Kontrolle unterworfen. Allen Versuchen sachfremder Einflußnahme auf eine neutrale und unparteiische Amtsführung ist unverzüglich und mit Entschiedenheit entgegenzuwirken.

3. Sozialstaatsprinzip

Die Landesverwaltung sieht sich gerade vor dem Hintergrund des fortdauernden Strukturwandels in Nordrhein-Westfalen in besonderer Weise dem Sozialstaatsprinzip verpflichtet. Im Rahmen ihrer Zuständigkeit gewährt sie gesetzlich garantierte Leistungen und trägt zur Abmilderung von Krisen und Störungen bei, die sich aus der wirtschaftlichen Entwicklung und Marktversagen ergeben können. Die Landesverwaltung trägt durch entsprechende Ausführung der Landesgesetze dazu bei, soziale Gerechtigkeit und gleichartige Lebensverhältnisse im gesamten Land zu sichern. Dies betrifft insbesondere gleiche Lebens- und Erwerbschancen für Frauen und Männer.

4. Dreiteilung der Gewalten

Die Landesverwaltung hat aufgrund der Dreiteilung der Gewalten die Aufgabe des Gesetzesvollzuges. Am politischen Willensbildungsprozeß beteiligt sich die Landesverwaltung beratend, indem sie ihren Sachverstand gemäß ihrer jeweiligen Aufgabenstellung frühzeitig den politischen Entscheidungsträgern zur Verfügung stellt, um den Praxisbezug politischer Entscheidungen zu fördern und noch weiter zu verbessern.

5. Lernende Verwaltung und Aufgabenkritik

Die Landesverwaltung versteht sich als eine sich kontinuierlich fortentwickelnde, lernende Verwaltung von hoher fachlicher und sozialer Kompetenz. Sie unterzieht deshalb ihren Aufgabenbestand einer regelmäßigen Aufgabenkritik, die mit einer Überprüfung der Arbeitsabläufe und Strukturen einhergeht. Sich zunehmend schneller verändernden Rahmenbedingungen in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft begegnet die Landesverwaltung flexibel. Auf diese Weise trägt die Landesverwaltung zu einer schlanken, zeitgemäßen Administration in Nordrhein-Westfalen bei.

6. Nachhaltige Entwicklung

Die Landesverwaltung leistet ihren Beitrag zu einer langfristig angelegten wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung, die von der Begrenztheit natürlicher Ressourcen ausgeht und die Regenerationsfähigkeit unserer Umwelt nicht überfordert.

Eine auf nachhaltige Entwicklung ausgerichtete Landesverwaltung macht auch neuartige Formen des Verwaltungshandelns notwendig, die gleichermaßen ökonomischen, ökologischen und sozialen Zielen Rechnung tragen.

Die Landesverwaltung ist sich dabei ihrer Vorbildfunktion und Vorbildverpflichtung bewußt. Das gilt sowohl für das Handeln des Staates gegenüber Dritten als auch für die Nachfrage von Gütern und Dienstleistungen, die die Landesverwaltung zur Erfüllung ihrer Aufgaben braucht.

7. Kooperationsorientierung

Die Landesverwaltung arbeitet bewußt und gezielt mit Bürgerinnen und Bürgern, Kommunen, Unternehmen, Gewerkschaften, Verbänden, Dienststellen des Bundes, Kirchen, Stiftungen, Kammern, Bürgerinitiativen, sonstigen Organisationen und gesellschaftlichen Gruppierungen zusammen, um ihre Leistungen bedarfsgerecht anbieten zu können und vermeidbare Reibungsverluste durch unabgestimmte Maßnahmen zu minimieren. Auch dem aktiven Zusammenwirken der unterschiedlichen Verwaltungseinheiten auf horizontaler und vertikaler Ebene kommt erhebliche Bedeutung zu.

Die dadurch erzielbaren Synergieeffekte verbessern die Effizienz und Effektivität staatlichen Handelns.

8. Bürgerorientierung

Mit der gezielten Strategie der Kooperation verbindet sich eine konsequente Bürgerorientierung der Landesverwaltung. Auch wenn dieser Begriff bei der Eingriffsverwaltung differenzierter Handhabung bedarf, orientiert die Landesverwaltung ihre Leistungen an den sich wandelnden Bedürfnissen der Bürgerinnen und Bürger, anderer Verwaltungseinheiten und der übrigen oben genannten Institutionen und Gruppierungen. Die Bürgerinnen und Bürger haben Anspruch darauf, daß die Landesverwaltung Dienstleistungen von hoher Qualität wirtschaftlich erbringt, ihre Interessen ernstnimmt, sie kompetent und umfassend berät, ihre Anliegen zügig bearbeitet und sie im Rahmen eines partnerschaftlichen Zusammenwirkens freundlich und zuvorkommend behandelt. Ergebnis kann nicht die Befriedigung jeglicher Einzelinteressen sein; vielmehr sind die unterschiedlichen Interessen im Rahmen der einschlägigen Bestimmungen gegeneinander abzuwägen und nach Möglichkeit auszugleichen, wobei das Gemeinwohl im Vordergrund steht.

9. Mitarbeiterorientierung

Als wichtigster Ressource der Landesverwaltung kommt den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die zentrale Rolle auf dem Weg zu einer modernen, lernenden Verwaltung zu. Ihre Kenntnisse und Erfahrungen und ihre Kreativität gilt es für die kontinuierliche Erneuerung der Landesverwaltung zu nutzen. Wichtige organisatorische Veränderungen sollen deshalb in partizipativ angelegten Organisationsentwicklungsprozessen vorbereitet werden. Mitgestaltungsmöglichkeiten bedeuten zusätzliche Motivation und erhöhen damit die Leistungsfähigkeit einer Verwaltung. Die offene und konstruktive Zusammenarbeit mit Personalräten, Schwerbehinderten-Vertrauensleuten und Gleichstellungsbeauftragten bleibt als wesentliches Element einer transparenten Organisations- und Personalentwicklung unverzichtbar.
Flache Hierarchien mit möglichst dezentralisierter Verantwortung am Ort der Leistungserbringung, kooperativer Führungsstil mit klar definierten Zielen und ein leistungsorientiertes Bezahlungs- und Beförderungssystem sollen die Potentiale von qualifizierten, aktiven und motivierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zur Entfaltung kommen lassen. Dabei fühlt sich die Landesverwaltung der beruflichen Förderung und Entwicklung von Frauen besonders verpflichtet. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen bei ihrer Tätigkeit durch eine aufgabenadäquate Fort- und Weiterbildung, durch zeitgemäße Organisationsstrukturen mit der Möglichkeit von Projekt- und Teamarbeit und durch eine benutzerfreundliche Technikausstattung unterstützt werden.

10. Ergebnisbezogene Steuerung mit neuen Instrumenten

Die Landesverwaltung steht der Erprobung neuer, ergebnisbezogener Steuerungsinstrumente aufgeschlossen gegenüber und wird diese bei entsprechender Eignung in ihre Strukturen integrieren.
Ausgehend von der Vereinbarung klarer, meßbarer Ziele mit eindeutiger Prioritätensetzung sollen den für ihre Erreichung zuständigen Stellen die erforderlichen Ressourcen zu möglichst eigenverantwortlicher Bewirtschaftung zur Verfügung gestellt werden. Diese dezentrale Ressourcenverantwortung oder Budgetierung muß von einem flexiblen Haushaltsvollzug begleitet werden. Hieraus kann sich eine neue Verantwortungsabgrenzung zwischen Politik und Verwaltung ergeben.

Um den Ressourcenverbrauch zu ermitteln und damit Kostentransparenz und -bewußtsein herzustellen, bedarf es der Einführung angepaßter Kosten- und Leistungsrechungen in dafür geeigneten Bereichen der Landesverwaltung. Mit der Einführung eines Verwaltungscontrollings sollen die aus einem optimierten Berichtswesen, der Kosten- und Leistungsrechnung und anderen Quellen gewonnenen Daten zu aussagekräftigen Informationen für die administrative und politische Steuerungsebene aufbereitet werden. Dadurch wird die Steuerungsebene in die Lage versetzt, den aktuellen Verlauf der Dienstgeschäfte zu beurteilen, Abweichungen von den vereinbarten Leistungs- und Finanzzielen zu erkennen und rechtzeitig Gegenmaßnahmen zu ergreifen.

11. Qualität, Effektivität und Effizienz

Aufgabenkritik und eine ergebnisbezogenere Steuerung mit den genannten Instrumenten, aber auch eine fortschreitende Kooperations-, Bürger- und Mitarbeiterorientierung sollen die Qualität und Wirksamkeit staatlichen Handelns verbessern und nicht zuletzt auch die Wirtschaftlichkeit der Landesverwaltung deutlich steigern. Dem Wirtschaftlichkeitsaspekt kommt angesichts weiter steigender Anforderungen an Staat und Verwaltung einerseits und dauerhaft knapper Haushaltsmittel andererseits herausragende Bedeutung zu. Dieses Spannungsverhältnis kann nur durch eine schlanke, sich kontinuierlich modernisierende Landesverwaltung aufgelöst werden. Zu ihr gehören auch wettbewerbsersetzende Leistungsvergleiche zwischen gleichartigen Organisationseinheiten mit erweiterter Fach- und Ressourcenverantwortung, die Innovationen zur Optimierung der Verfahrensabläufe freisetzen.

- MBl. NW. 1998 S. 1148