Ministerialblatt (MBl. NRW.)
Ausgabe 1999 Nr. 38 vom 16.6.1999 Seite 699 bis 714

Informationswege und Maßnahmen bei Qualitätsmängeln von Arzneimitteln
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Informationswege und Maßnahmen bei Qualitätsmängeln von Arzneimitteln

Ministerium für Frauen, Jugend,
Familie und Gesundheit

Informationswege
und Maßnahmen bei Qualitätsmängeln
von Arzneimitteln

Bek. d. Ministeriums für Frauen, Jugend,
Familie und Gesundheit v. 22.4.1999 - III B 5-0611.62

1
Allgemeines

Arzneimittelsicherheit ist für Bürgerinnen und Bürger ein hohes Gut.

Durch Qualitätsmängel von Arzneimitteln können Gefahren für die Gesundheit der Bevölkerung und die öffentliche Sicherheit und Ordnung entstehen. Bei unvorhergesehenem Auftreten dieser Mängel sind die notwendigen Maßnahmen einzuleiten und erforderlichenfalls auch landesübergreifend zu koordinieren.

Die nachstehenden Regelungen für das Verhalten bei Bekanntwerden von Qualitätsmängeln bei Arzneimitteln wenden sich an die Behörden, denen Überwachungsaufgaben nach dem Arzneimittelgesetz obliegen.

Den pharmazeutischen Unternehmern (Stufenplanbeauftragten), Krankenhäusern, Angehörigen der Heilberufe sowie anderen Personen und Institutionen, die mit Arzneimitteln umgehen, wird diese Bekanntmachung zur Kenntnis gegeben. Die Bekanntmachung soll diesen zur Orientierung für ein angemessenes Verhalten bei Qualitätsmängeln von Arzneimitteln dienen.

Diese landesrechtliche Regelung ergänzt die Bundesregelung zum Vorgehen bei Arzneimittelrisiken.

Andere Vorschriften, insbesondere die Mitteilungspflichten gemäß Arzneimittelgesetz, den Berufsordnungen der Heilberufe sowie der Apothekenbetriebsordnung bleiben unberührt.

2
Qualitätsmängel

2.1
In Betracht kommen insbesondere:

- Mängel der Beschaffenheit (Identität, Gehalt, Reinheit, sonstige chemische, physikalische und biologische Eigenschaften) eines Arzneimittels; bei Gegenständen, die als Arzneimittel gelten, auch Mängel technischer Art

- Mängel der Behältnisse und äußeren Umhüllungen

- Mängel der Kennzeichnung und Packungsbeilage

- Arzneimittelverfälschungen

- Verwechselungen.

2.2
Bei der Erfassung und Weiterleitung von Qualitätsmängeln von Arzneimitteln ist insbesondere die

"Bekanntmachung der Neufassung der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Beobachtung, Sammlung und Auswertung von Arzneimittelrisiken (Stufenplan) nach § 63 Arzneimittelgesetz (AMG) vom 10. Mai 1990 (BAnz. Nr. 91 vom 16. Mai 1990)" zu beachten. Zuständige Behörde im Sinne der Nummer 4.3 des Stufenplanes ist das Ministerium für Frauen, Jugend, Familie und Gesundheit des Landes Nordrhein-Westfalen (Anlage 1).

3
Informationswege

3.1
Qualitätsmängel bei Arzneimitteln, deren Folge eine akute gesundheitliche Gefährdung der Allgemeinheit oder bestimmter Personen sein kann (Mängel der Klasse 1 und 2 im Sinne des Rapid Alert Systems der EU; vgl. Klassifizierungshinweise in der Anlage 6), sind als

"Qualitätsmängel bei Arzneimitteln, Achtung,
Nachricht sofort weiterleiten!"

unverzüglich telefonisch oder durch Telefax mitzuteilen:

3.1.1
der für den pharmazeutischen Unternehmer zuständigen Bezirksregierung (Anlage 2)

nachrichtlich

3.1.2
dem Ministerium für Frauen, Jugend, Familie und Gesundheit des

Landes Nordrhein-Westfalen.

3.1.3
bzw. bei Nichterreichbarkeit außerhalb der Dienststunden dem Lagezentrum Polizei im Innenministerium des Landes Nordrhein-Westfalen (Anlage 1).

Das Lagezentrum erhält vom Ministerium für Frauen, Jugend, Familie und Gesundheit (MFJFG) eine Liste der verantwortlichen Personen des MFJFG und der Bezirksregierungen mit deren Privatanschriften und Telefonnummern.

3.2
Bei den Qualitätsmängeln von Arzneimitteln, die keine unmittelbare Gefährdung im Sinne der Nummer 3.1 darstellen (Mängel der Klasse 3 im Sinne des Rapid Alert Systems der EU, vgl. Klassifizierungshinweise in der Anlage 6), sind entsprechende Mitteilungen während der Dienstzeit an die zuständige Bezirksregierung zu richten.

3.3
Bei Beanstandungen der Qualität von Arzneimitteln gemäß § 21 Nr. 3 der Apothekenbetriebsordnung ist der Apothekenleiter verpflichtet, unverzüglich seine zuständige Aufsichtsbehörde, die Untere Gesundheitsbehörde (ehemals Gesundheitsamt bei den Kreisen und kreisfreien Städten) (Anlage 3) zu benachrichtigen. Entsprechendes gilt auch für Krankenhäuser und niedergelassene Ärzte, Zahnärzte und Heilpraktiker sowie andere Personen und Institutionen, die mit Arzneimitteln umgehen.

3.4
Sofern Qualitätsmängel bei Arzneimitteln nach den Nummern 3.1 oder 3.2 anderen Behörden bekannt werden, unterrichten diese unverzüglich eine, möglichst die zuständige, Bezirksregierung

nachrichtlich

das Ministerium für Frauen, Jugend, Familie und Gesundheit des Landes Nordrhein-Westfalen.

3.5
Die Mitteilung nach den Nummern 3.1 und 3.2 soll nach Möglichkeit auf dem als Anlage 6 beigefügten Formblatt
Urgent/Rapid Alert/Defective Product Recall//Retrait de Lot
erfolgen und folgende Mindestangaben enthalten:

- Einstufung des Mangels nach Klasse 1, 2 oder 3,

- Bezeichnung des Arzneimittels,

- Darreichungsform und -stärke,

- Name oder Firma und Anschrift des pharmazeutischen Unternehmers und ggf. des Herstellers,

- Packungsgröße,

- Chargenbezeichnung,

- Verfalldatum,

- Zulassungs- bzw. Registrierungsnummer,

- beobachtetes Arzneimittelrisiko,

- ggf. ergriffene bzw. beabsichtigte Maßnahmen,

- meldende Stelle,

- (bei schriftlichen Meldungen:)
Datum und Unterschrift des Meldenden.

4
Maßnahmen

4.1
Die einzuleitenden Maßnahmen werden in Kenntnis der veranlaßten bzw. zu veranlassenden Maßnahmen des pharmazeutischen Unternehmers von der zuständigen Bezirksregierung, im Falle der Nummer 3.1 - soweit erreichbar - im Einvernehmen mit dem Ministerium für Frauen, Jugend, Familie und Gesundheit des Landes Nordrhein-Westfalen veranlaßt. Bei Arzneimitteln, die von der EU-Kommission zentral zugelassen worden sind, sind die Hinweise unter Nummer 6 zu beachten.

Die Maßnahmen können entsprechend den jeweiligen Erfordernissen insbesondere

- eine abgestufte gezielte Information des anzusprechenden Personenkreises (z.B. Ärzte, Apotheker, Krankenhäuser, pharmazeutischer Großhandel)

- den Rückruf oder die Sicherstellung bestimmter Arzneimittel bzw. einzelner Chargen oder

- eine allgemeine Warnung an die Bevölkerung über Presse, Rundfunk und Fernsehen

umfassen (Anlage 4). Im Bedarfsfall kann auch die Vollzugshilfe der Polizei bzw. der Leitstellen für den Feuerschutz und den Rettungsdienst in Anspruch genommen werden.

Kreise und kreisfreie Städte und Heilberufskammern sollten Regelungen treffen zur

- Erreichbarkeit bestimmter Personengruppen

- Veröffentlichung von Warnmeldungen über Presse, Rundfunk und Fernsehen

- Erreichbarkeit von Leitstellen für den Rettungsdienst, Brand- und Katastrophenschutz

insbesondere an Wochenenden und Feiertagen.

4.2
Die Bezirksregierung hat beim pharmazeutischen Unternehmer darauf hinzuwirken, dass eigenverantwortlich veranlasste und durchgeführte Maßnahmen, insbesondere Rückrufe, rechtzeitig mit ihr abgestimmt werden. Sie hat den Vollzug von Maßnahmen unverzüglich mitteilen zu lassen und diesen ggf. beim pharmazeutischen Unternehmer zu überprüfen.

4.3
Für die länderübergreifende Koordinierung von Maßnahmen bei Qualitätsmängeln von Arzneimitteln ist das für den pharmazeutischen Unternehmer zuständige Land federführend. Sind mehrere Länder federführend betroffen, sollen die erforderlichen Maßnahmen durch die "Zentrale Koordinierungsstelle der Länder im Arzneimittelbereich" bei der Zentralstelle der Länder für Gesundheitsschutz bei Arzneimitteln und Medizinprodukten (ZLG) (Anlage 2) koordiniert werden. Erforderlichenfalls kann auch eine gutachterliche Stellungnahme bei der zuständigen Bundesoberbehörde angefordert werden. Über die beabsichtigten oder bereits veranlaßten Maßnahmen werden die übrigen Obersten Landesgesundheitsbehörden (Anlage 5) und die zuständige Bundesoberbehörde (Anlage 6) durch das Ministerium

für Frauen, Jugend, Familie und Gesundheit des Landes Nordrhein-Westfalen unverzüglich informiert. Im Interesse eines einheitlichen Vollzuges orientieren sich die anderen Länder an diesen Maßnahmen.

4.4
Die Benachrichtigung des Bundesministerium für Gesundheit, des Bundesministeriums der Verteidigung und der zuständigen Bundesoberbehörde erfolgt grundsätzlich durch das Ministerium für Frauen, Jugend, Familie und Gesundheit des Landes Nordrhein-Westfalen. Soweit in unaufschiebbaren Fällen diese Benachrichtigung unmittelbar erfolgen muß, ist das Ministerium hiervon zu unterrichten.

4.5
Besteht bei Qualitätsmängeln von Arzneimitteln nach Nummer 3.1 der Verdacht, dass der ZuIassungsstatus betroffen ist oder liegt eine staatliche Chargenfreigabe vor, ist unverzüglich die zuständige Bundesoberbehörde zu unterrichten. Ggf. erforderliche Maßnahmen nach § 69 AMG bleiben hiervon unberührt.

4.6 Untersuchungen und Begutachtungen, die im Zusammenhang mit im Land Nordrhein-Westfalen festgestellten Qualitätsmängeln bei Arzneimitteln erforderlich werden, sind vom Landesinstitut für den Öffentlichen Gesundheitsdienst - Abteilung 6, Arzneimittel - (Anlage 2) oder in Absprache mit dieser Behörde durchzuführen.

5
Rapid Alert System (RAS) der EU

5.1
Auf Qualitätsmängel, über die die zuständige Bundesoberbehörde die Obersten Landesgesundheitsbehörden im Rahmen des RAS informiert, finden die vorstehenden Regelungen entsprechende Anwendung.

5.2
Über Maßnahmen nach Nummer 9.4 des Stufenplanes informieren die Bezirksregierungen mit dem RAS-Formblatt
( Anlage 7) das Ministerium für Frauen, Jugend, Familie und Gesundheit des Landes Nordrhein-Westfalen. Dieses unterrichtet die zuständige Bundesoberbehörde.

6
Zentral zugelassene Arzneimittel

6.1
Auf Qualitätsmängel bei Arzneimitteln im Sinne der Nummern 3.1 und 3.2, die im Zusammenhang mit Arzneimitteln stehen, die von der EU-Kommission zentral zugelassen wurden, findet Abschnitt 3 (Informationswege) Anwendung mit der Maßgabe einer unverzüglichen Unterrichtung der zuständigen Bundesoberbehörde durch das Ministerium für Frauen, Jugend, Familie und Gesundheit des Landes Nordrhein-Westfalen. Diese unterrichtet die Europäische Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln (EMEA).

6.2
Die Koordination von Maßnahmen erfolgt durch die EMEA. Deren Vorgaben werden über die zuständige Bundesoberbehörde den Obersten Landesgesundheitsbehörden zugeleitet. Die Bezirksregierungen treffen die erforderlichen Maßnahmen und berichten dem Ministerium für Frauen, Jugend, Familie und Gesundheit über deren Vollzug.

6.3
Soweit zum Schutz der Gesundheit dringend erforderlich, kann die Bezirksregierung im Einvernehmen mit dem Ministerium für Frauen, Jugend, Familie und Gesundheit des Landes Nordrhein-Westfalen - soweit erreichbar -, und im Benehmen mit der zuständigen Bundesoberbehörde insbesondere das Inverkehrbringen untersagen. Die zuständige Bundesoberbehörde unterrichtet die EMEA über die Maßnahme.

Anlagen 1-5, pdf.file

Anlagen 5 (letzte Seite) und 6, pdf.file

Anlage 7, pdf.file

MBl. NRW. 1999 S. 706