Ministerialblatt (MBl. NRW.)
Ausgabe 1999 Nr. 54 vom 21.9.1999 Seite 1059 bis 1070

Richtlinie für die Zusammenarbeit von Staatsanwaltschaft und Polizei
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Norm
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zugehörige Anlagen :
Anlage1
 

Richtlinie für die Zusammenarbeit von Staatsanwaltschaft und Polizei

20531

Richtlinie für die Zusammenarbeit
von Staatsanwaltschaft und Polizei

Gem. RdErl. d. Justizministeriums - 4600 - III A.10 –
u. d. Innenministeriums - IV D 1 – 2941 –
v. 1.8.1999

  1. Vorbemerkungen
  2. Zur Erfüllung des gesetzlichen Auftrages, eine rechtsstaatliche und effektive Strafverfolgung sicherzustellen, ist eine intensive und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Staatsanwaltschaft und Polizei unerlässlich. Nur ein gegenseitig abgestimmtes Zusammenwirken beider Strafverfolgungsbehörden, das sich auch veränderten Rahmenbedingungen anpasst, kann gewährleisten, dass die verfügbaren personellen und sächlichen Ressourcen effektiv und rationell eingesetzt werden. Eine Verstärkung der Zusammenarbeit setzt aber auch das gegenseitige Verständnis für unterschiedliche Aufgaben und Arbeitsweisen voraus.

    Die nachfolgenden Leitsätze sollen unbeschadet spezieller Regelungen der Verwirklichung dieser Ziele dienen; hierdurch werden flexible, besonderen örtlichen Gegebenheiten oder kriminalpolitischen Bedürfnissen Rechnung tragende Kooperationsvereinbarungen nicht ausgeschlossen.

  3. Wahrnehmung der Aufgaben von Staatsanwaltschaft und Polizei
  4. Neben der Verantwortung der Staatsanwaltschaft für das Ermittlungsverfahren als Ganzes trägt die Polizei die Verantwortung für die von ihr durchgeführten Ermittlungen. Beide Behörden nehmen die ihnen im Ermittlungsverfahren jeweils zugewiesenen Aufgaben in dem Bewusstsein einer gemeinsamen Verantwortung für das gesamte Ermittlungsverfahren wahr und arbeiten daher eng und vertrauensvoll zusammen.

  5. Information und Kommunikation
  6. Eine wirksame Strafverfolgung setzt vor allem eine möglichst frühzeitige gegenseitige Unterrichtung in herausragenden Einzelfällen und im Rahmen allgemeiner Verbrechensbekämpfungsstrategien voraus.

    Die Polizei unterrichtet dabei die Staatsanwaltschaft sofort über die zu ihrer Kenntnis gelangten Straftaten und die von ihr getroffenen Maßnahmen

    - in rechtlich oder tatsächlich schwierigen oder sonst bedeutsamen Fällen,

    - wenn die Staatsanwaltschaft eine Unterrichtung im Einzelfall oder aus verfahrensmäßigen oder justizpolitischen Gründen in bestimmten Fallgruppen wünscht.

    Die Staatsanwaltschaft teilt der Polizei die Einleitung eines bedeutsamen Ermittlungsverfahrens frühzeitig mit, sofern sie nicht alsbald durch Einschaltung in die Ermittlungen unterrichtet wird. Die Unterrichtung über die Einleitung von Ermittlungsverfahren soll auch durch gegenseitige Beteiligung an den Informations- und Kommunikationssystemen der Polizei und Justiz gewährleistet werden.

    Die Polizei unterrichtet die Staatsanwaltschaft über ihre Zielvereinbarungen, soweit sich diese auf deren Geschäftsbereich auswirken können. Sind die Aufgaben der Staatsanwaltschaft erheblich berührt, sind Zielvereinbarungen abzustimmen.

  7. Ermittlungen
  8. Die Staatsanwaltschaft kann jederzeit die Ermittlungen ganz oder teilweise selbst durchführen oder der Polizei übertragen.

    Ermittlungsaufträge an die Polizei werden von der Staatsanwaltschaft so konkret wie möglich gefasst und im Hinblick auf die kriminalistische Fachkunde der Polizei auf das nach den Umständen des Einzelfalles erforderliche Maß beschränkt.

    Ihre Aufträge richtet die Staatsanwaltschaft in Form von Ersuchen an die Polizeibehörde. Beamtinnen und Beamten, die von der Polizeibehörde mit der Bearbeitung eines bestimmten Einzelfalles betraut sind, kann die Staatsanwaltschaft zur Geschäftserleichterung Ersuchen unmittelbar zuleiten. Die Polizeibeamtinnen und –beamten unterrichten unverzüglich ihre Vorgesetzten. Die Staatsanwaltschaft kann gegenüber der Polizeibehörde anregen, aus besonderen Gründen eine bestimmte Beamtin oder einen bestimmten Beamten zu beauftragen. Bei Gefahr im Verzuge für das Ermittlungsverfahren kann ein Auftrag zur Durchführung bestimmter Maßnahmen der Strafverfolgung unmittelbar an einzelne Polizeibeamtinnen oder -beamte gerichtet werden, die einer für die Maßnahmen sachlich und örtlich zuständigen Behörde angehören, soweit ein Ersuchen an die Polizeibehörde nicht rechtzeitig wäre und nicht andere dringende Aufgaben von der Beamtin oder dem Beamten vorrangig wahrzunehmen sind.

  9. Verfahrensökonomie
  10. Vor allem bei der Bekämpfung der Massenkriminalität ist eine ökonomische Gestaltung des Ermittlungsverfahrens von besonderer Bedeutung. Zu ihrer Gewährleistung sollen durch gemeinsame Vereinbarungen generelle Bearbeitungsrichtlinien aufgestellt und standardisierte Vordrucke entwickelt werden.

    Im Interesse der Verfahrensbeschleunigung sowie zur Vermeidung unnötiger polizeilicher Ermittlungsarbeit trifft die Staatsanwaltschaft in Umfangsverfahren der Schwerkriminalität, insbesondere der Wirtschaftskriminalität und der Organisierten Kriminalität, so frühzeitig wie möglich die Entscheidung darüber, ob und in welchem Umfang der Verfahrensstoff beschränkt oder eine abschließende Verfügung getroffen werden kann.

  11. Haftsachen
  12. Bei der Bearbeitung von Haftsachen beachten Staatsanwaltschaft und Polizei das besondere Beschleunigungsgebot und stellen seine Einhaltung durch geeignete organisatorische Maßnahmen sicher.

  13. Abgabe der Ermittlungsvorgänge
  14. Nach Abschluss ihrer Ermittlungen übersendet die Polizei die Ermittlungsvorgänge ohne Verzug an die Staatsanwaltschaft.

    Vor Abschluß ihrer Ermittlungen übersendet die Polizei die Ermittlungsvorgänge an die Staatsanwaltschaft, wenn

    - diese um Übersendung bittet,

    - die Vornahme einer richterlichen oder staatsanwaltschaftlichen Untersuchungshandlung erforderlich erscheint oder die Ermittlungen in der Sache vor allem durch die Vielzahl der Taten oder Tatverdächtigen einen besonderen Umfang annehmen oder sich rechtlich schwierig gestalten, es sei denn, die Staatsanwaltschaft hat im Einzelfall auf die Übersendung der Vorgänge verzichtet,

    - sich die Polizei aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht in der Lage sieht, die Sache angemessen zu fördern,

    - Anhaltspunkte vorliegen, daß die Staatsanwaltschaft eine Beschränkung des Verfahrensstoffes vornehmen oder eine abschließende Entscheidung (Nr. 5) treffen kann.

  15. Akteneinsicht
  16. Über die Gewährung von Einsicht in die Ermittlungsvorgänge und die Erteilung von Auskünften aus den Akten entscheidet die Staatsanwaltschaft. Soweit die Polizei, die die Ermittlungen führt, von der Staatsanwaltschaft hierzu ermächtigt ist, darf sie im Rahmen dieser Ermächtigung Einsicht in die Ermittlungsakten gewähren oder Auskünfte hieraus erteilen. Ist der Betroffene mit einer Versagung der Einsicht oder Auskunft nicht einverstanden, führt die Polizei die Entscheidung der Staatsanwaltschaft herbei. Sie übersendet ihr hierzu die Ermittlungsakten und fügt eine Begründung bei.

  17. Presse
  18. Über die Veranstaltung von und die Teilnahme an Pressekonferenzen in Fällen der Strafverfolgung ist Einvernehmen anzustreben; ist dieses nicht herzustellen, so entscheidet die Staatsanwaltschaft unter Berücksichtigung der von der Polizei vorgetragenen Belange. Über die Erteilung sonstiger Auskünfte gegenüber der Presse oder anderen Medien bzw. Publikationsorganen in Fällen der Strafverfolgung treffen Staatsanwaltschaft und Polizeibehörden Vereinbarungen, die eine zeitnahe und sachgerechte Unterrichtung gemäß § 4 des Pressegesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen gewährleisten.

    Besondere Regelungen über die Unterrichtung von Medien durch die Polizei bleiben unberührt.

  19. Allgemeine Kontaktpflege
  20. Regelmäßige Zusammenkünfte auf allen staatsanwaltschaftlichen und polizeilichen Entscheidungsebenen sollen sicherstellen, dass regional und überregional auftretende Schwierigkeiten bei der Strafverfolgung insbesondere hinsichtlich der Gestaltung der Ermittlungen zeitnah und einvernehmlich gelöst werden. Zu diesem Zweck sind regelmäßige - unter Umständen auch anlassbezogene - Dienstbesprechungen zur Erörterung sowohl allgemeiner als auch aktueller, die Zusammenarbeit und (auch gemeinsame) Öffentlichkeitsarbeit betreffender Fragen durchzuführen.

    Darüber hinaus sollen gemeinsame Fortbildungsveranstaltungen sowie gegenseitige Hospitationen ermöglicht werden.

  21. Aufhebung von Vorschriften

Der RdErl. v. 6.4.1961 (SMBl. NRW. 20531) "Zusammenarbeit zwischen Staatsanwaltschaft und Kriminalpolizei" wird aufgehoben.

- MBl. NRW. 1999 S. 1060